2009-03-30
In der öffentlichen Wahrnehmung gelten Autonome meist nur als vermummte Steinewerfer, die auf Krawall aus sind. ka-news interviewte Tom und Christian (Namen von der Redaktion geändert) und traf dabei zwei Linke, die nicht nur eine Botschaft, sondern auch gute Gründe für ihre Einstellung haben.
ka-news: Wie kam es dazu, dass Ihr Euch in der autonomen Szene engagiert habt?
Tom: Bei mir ging das Anfang der Neunziger los, als es Antikriegsproteste wegen des ersten Golfkriegs gab. Unter dem Slogan "Kein Blut für Öl" wurde ich also zum ersten Mal politisch aktiv. Ich fand die Forderung richtig, dass man für Ressourcen keine Menschenleben opfern darf. Selbstverständlich habe ich meine Sichtweise immer weiter ergänzt, der Kern ist aber der gleiche geblieben: In Kriegen geht es nicht um Menschenrechte, sondern um Ressourcen. Kapitalismus heißt auch Krieg um Ressourcen.
Christian: Das habe ich ähnlich erlebt. Ich wurde links, als es bei uns an der Schule Proteste gegen den Bildungsabbau gab. Dazu kam, dass ich in einem Dorf groß wurde, wo es ein Naziproblem gab. Deswegen habe ich mit anderen eine Antifa-Gruppe gegründet. Meine Hauptmotivation ergab sich aber sehr bald vor allem aus der Verantwortung heraus, dass es nie wieder Krieg geben soll.
Autonome Szene in Karlsruhe ist "klein aber fein"
ka-news: Wie seid Ihr organisiert?
Tom : Die traditionellen Formen von Organisation gibt es so eigentlich nicht mehr. Wir verstehen uns als vernetzte Basisbewegung.
Christian: Ja, es entstehen meistens Netzwerke, die sich zu bestimmten Themen zusammenfinden, wie beispielsweise vor zwei Jahren zum G8-Gipfel. Es gibt also kein "Parteibuch", wir finden auf einer thematischen Ebene zusammen. Wenn zum NATO-Gipfel 5.000 Leute nach Straßburg in das Camp kommen, es aufbauen, alles managen, sieht man daran unsere Stärke: Wir stellen das alles ohne feste Strukturen und ein festes Budget auf die Beine - da ist diese lose Struktur sogar eine Stärke.
ka-news: Wie steht es um die autonome Szene in Karlsruhe und Umgebung?
Christian: Wir sind natürlich auch auf der lokalen Ebene aktiv. Und im Vergleich zu Jugendorganisationen oder Vereinen, denen die Mitglieder wegrennen, stehen wir in der Größenrelation nicht schlecht da.
Tom: Die linke Bewegung in Karlsruhe kann man als "klein aber fein" bezeichnen. Wir brauchen uns nichts vormachen, es ist keine Massenbewegung. Das kann man immer daran messen, wie mobilisierungsfähig die Gruppe ist. Aber unsere Wahrnehmung ist, dass eine Vernetzungsstruktur, wie wir sie haben, eher angenommen wird. Die direkte Mitbestimmung ist gewährleistet - das ist etwas, was uns von anderen Organisationen unterscheidet, die mit etlichen Hierarchiestufen arbeiten. Da steht die soziale Bewegung ganz gut da. Wir sind im Aufwind, nicht nur in Karlsruhe gibt es fruchtbaren Boden für Kapitalismuskritik.
ka-news: Stichwort fruchtbarer Boden - seht Ihr Eure These, dass der Kapitalismus nicht funktioniert, durch die Weltwirtschaftskrise bestätigt?
Tom: In den 90er Jahren war es insbesondere in Deutschland kaum möglich, öffentlich Kapitalismuskritik zu üben. Aufgrund des Zusammenbruchs des Ostblocks war der Kapitalismus als einziges System "übriggeblieben". Die Erhebung der Zapatisten in Mexiko Mitte der 90er war dann ein Startpunkt für eine Absage an den Neoliberalismus, Kapitalismuskritik durfte wieder geäußert werden - und wurde vor allem wieder gehört. Jetzt in der Krise ist diese Kritik etwas, das man sogar - wenn auch abgeschwächt - in der FAZ lesen kann. Kapitalismus wird wieder kritisiert - und das ist ja ein ureigenes Feld der Linken.
Christian: Das Interesse nimmt wieder zu, auch durch die realen Bedingungen, welche die Menschen antreffen. Was wir an herrschender Konzeptlosigkeit in den alten Strukturen beobachten, spricht nicht unbedingt gegen uns. So haben wir vor ein paar Monaten eine Kampagne zum Versammlungsgesetz initiiert, bei der sich dann plötzlich zwischen 100 und 150 Organisationen aus ganz Baden-Württemberg beteiligt haben. Da merkt man schon, dass wir mittlerweile doch eine gewisse gesellschaftliche Relevanz haben.
"Beim NATO-Gipfel werden sicherlich dicke Geschütze aufgefahren"
ka-news: Seht Ihr Euch von staatlicher Seite mit Repressialien konfrontiert?
Tom: Bestimmte Formen von Aktivismus gehen manchmal über einen legalen Rahmen hinaus, ich wurde angezeigt und habe auch schon eine Hausdurchsuchung über mich ergehen lassen müssen.
Christian: Eigentlich haben die meisten Leute, die sich aktiv einbringen, Indizien dafür, dass sie überwacht werden oder wurden. Wir müssen vor allem jetzt zum NATO-Gipfel mit Hausdurchsuchungen rechnen. Nach den Erfahrungen vom G8-Gipfel allerdings eher nach dem Gipfel: Denn danach stehen wir nicht mehr so in der Öffentlichkeit, werden nicht mehr so wahrgenommen. Zudem wurden letzte Woche Meldeauflagen für Autonome in Gaggenau festgelegt. Die Betroffenen sollen sich während des Gipfels bei der Polizei melden, um zu beweisen, dass sie Zuhause geblieben sind. Wir lassen aber von einem Anwalt prüfen, wo da die juristische Handhabe sein soll.
ka-news: Was erwartet Ihr beim NATO-Gipfel?
Christian: Innenminister Rech hat sich mit ein paar Äußerungen nach vorne gepulvert, um Angst zu schüren, da werden sicherlich dicke Geschütze aufgefahren. Beim G8-Gipfel wurden Bundeswehr-Tornados eingesetzt und auch ein Panzer, der eine Autobahnbrücke bewachte. Die Armee wird gegen Protestler eingesetzt, dass ist schon eine heftige Repressalie. Und im Rahmen des NATO-Gipfels rechnen wir daher - auch von Seiten der Polizei - mit dem Schlimmsten.
Tom: Wenn man sich anschaut, was die Sicherheitsbehörden an Zahlen veröffentlichen, wie sie sich die Überwachung und Regulierung vorstellen, da wird die Fahrt nach Frankreich zum Abenteuer.
ka-news: Für Euch startet der NATO-Gipfel also in Straßburg? Was steht auf dem Programm?
Christian: Ja, nachdem die Organisation von Camps in Deutschland so stark behindert wurde, dass keines zustande kam, werden wir zunächst in Straßburg sein. Es wird überall Kundgebungen geben, es gibt thematische Aktionen, beispielsweise zur EU, zur Sicherung der Außengrenzen und wie mit Flüchtlingen umgegangen wird. Andere Themen sind "Krieg und Krise", wo auch den ganzen Tag symbolische Aktionen zum Thema laufen. Am Freitag und Samstag gibt es Blockaden, an denen wir uns beteiligen. Wir hoffen, dass wir ein paar Abläufe einschränken und blockieren können. Damit sich die Leute damit beschäftigen müssen, damit konfrontiert werden, dass es Widerstand gibt. Und damit die Politiker kurz aufgehalten werden, den nächsten Krieg zu planen oder den nächsten Menschen auszubeuten.
"Mit unseren Aktionen wollen wir das Schweigen brechen"
ka-news: Wie steht Ihr zu den Demonstranten, welche die Sicherheitskräfte als "gewaltbereite Störer" bezeichnen?
Tom: Es ist schwierig und unnötig zu trennen. Man muss sich bewusst machen: Auf der einen Seite sprechen wir von Kriegen mit massenhaft getöteten Zivilisten. Und auf der anderen Seite über einen abgetretenen Außenspiegel eines Polizeifahrzeugs - da stimmt die Relation nicht. Hier in Deutschland ist man recht schnell dabei, aus den Verursachern von Sachschäden Terroristen zu machen. Im Kern ist das meiste, was als Gewalt aufgefasst wird, eher von symbolischen Charakter, zum Beispiel eine eingeworfene Scheibe einer Bank. Manche tragen eben ein Transparent, andere finden es zulässig, eine Scheibe einzuwerfen. Das ist nicht ansatzweise das selbe Level an Gewalt, wie sie von den Staaten angewendet wird.
Christian: Bei Demos werden immer nur Bilder von Gewalt gezeigt, so macht man es sich einfach, unsere Inhalte und Kritik zurückzudrängen. Alles wird auf die Frage reduziert, ob es da geknallt hat. So drückt man sich darum, den Blick auf die Gewalt der Verhältnisse von und in den Staaten selbst zu richten. Mit unseren Aktionen wollen wir dieses Schweigen brechen und auf die Opfer aufmerksam machen, welche die herrschenden Verhältnisse tagtäglich produzieren.
ka-news: Wie sieht die Zukunft der autonomen Szene aus?
Christian: Der NATO-Gipfel ist auch für uns eine Chance, eine internationale Vernetzung unserer Kräfte voranzutreiben - die autonome Linke zu vernetzen, sich auszutauschen und Kontakte zu knüpfen.
Tom: Wir sind optimistisch, weil vieles zunächst offen ist. Die Weltwirtschaftskrise ist eine Krise des Kapitalismus, eine ökologische, soziale und wirtschaftliche Krise. Das ist einerseits gefährlich, weil die Staaten in Krisen eher die Option wahrnehmen, einen Krieg zu beginnen. Aber andererseits gibt es auch tendenziell neue, positive Optionen: Diese Krise ist global und damit von Gleichzeitigkeit geprägt. Diese globale Gleichzeitigkeit der Krise wird zu großen Eruptionen führen, es wird zu einer längeren Phase von sozialen Auseinandersetzungen kommen. Da sind allerlei Optionen denkbar, aus unserer Sicht auch positive Entwicklungen, weg von Kriegstreiberei und Ausbeutung.
Interview: Lukas Hollerbach