2009-03-30 

Aktionsbündnis Freiheit statt Angst: Aufruf zur Demonstration zum NATO-Gipfel und Appell zur Besonnenheit an die Sicherheitskräfte

Vorbemerkung: Die Entscheidung zu diesem Aufruf ist uns nicht leicht gefallen. Insbesondere wollen wir uns nicht anmaßen, militärische Strukuren wie die NATO generell abzulehnen, da wir in diesem Fall nicht für alle Bündnispartner sprechen können. Wir kritisieren aber sehr deutlich die Militarisierung des Zivilen und die damit verbundenen Einschränkungen der Grundrechte.

Bild: Demo 11.10.08

Viele Menschen spüren eine zunehmende Militarisierung des Zivilen. In weiten Bereichen der Politik wird seit geraumer Zeit rhetorisch immens aufgerüstet, was dazu führt, dass das Paradigma der Freiheit und der freien Gesellschaft auf Basis von spekulativen Bedrohungsszenarien mehr oder minder offen verdrängt und durch ein Paradigma der Sicherheit ersetzt wird.

Einerseits begegnen die NATO-Mitgliedsstaaten und die EU immer öfter neuen Herausforderungen der globalisierten Welt mit militärischen Mitteln, anstatt politische und friedliche Lösungen anzustreben.

Andererseits etablieren sich Militärdoktrin und das Paradigma der Sicherheit immer stärker in der Politik und der Gesellschaft. Die Folge ist der permanente Ausnahmezustand, verbunden mit einer Aufrüstung im politischen, aber auch im militärischen Sinne, die unsere Freiheit und Sicherheit stärker bedroht, als Kriegsgegner es je könnten. Im Namen der Terrorismusabwehr ist mittlerweile fast alles erlaubt, was einen noch so unwahrscheinlichen Erfolg versprechen könnte. Dies geschieht häufig zu Lasten der grundlegenden freiheitlichen Prinzipen Deutschlands und der NATO-Mitglieder.

In Zeiten des Krieges, und erst Recht in Zeiten eines angeblichen permanenten Kriegszustandes im Namen eines diffusen "Krieges gegen den Terror", werden die zivilen Grundlagen des des modernen und demokratischen Rechtsstaates ausser Kraft gesetzt. Dies geschieht jetzt schon in vielen Teilen Europas und Nordamerikas. Zu dieser Aufrüstung gehören die faktische Abschaffung der Unschuldsvermutung und des Verhältnismässigkeitsprinzips durch eine pauschale Massenüberwachung und die Einschränkungen der Privatsphäre. Aber auch Presse- und Meinungsfreiheit, Post- und Telekommunikationsgeheimnis leiden unter den bereits Gesetz gewordenen Maßnahmen "gegen den Terror".

Als weitere Folge erleben wir in den NATO-Mitgliedsstaaten eine immer stärkere Verzahnung von Militär, Polizei und Geheimdiensten, beispielsweise durch das Gemeinsame-Dateien-Gesetz oder das Gemeinsame-Terrorismus-Abwehr-Zentrum (GTAZ) in Deutschland. Dort arbeiten Polizeibehörden mit zivilen und militärischen Geheimdiensten zusammen, wodurch die von der Verfassung geforderte Trennung zwischen Polizei, Nachrichtendiensten und Militär stark verwässert wird. Dies ist verfassungsrechtlich problematisch und für die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger sehr bedenklich. Ähnliche Einrichtungen findet man auch in den USA, in England oder Frankreich.

Flüchtlingsströme werden durch staatlich schlecht kontrollierte paramilitärische Organisationen wie Frontex schon vor den Grenzen abgewehrt, ohne diesen Menschen -- egal ob sie Wirtschafts- oder politsche Flüchtlinge sind -- überhaupt die Chance für Asyl zu gewähren. Die Agentur Frontex kooperiert bei ihren Einsätzen mit den Armeen der EU-Mitgliedsstaaten oder fordert von diesen Kräfte und Material an. Ferner unterstützt Frontex die Errichtung von "Internierungslagern" in den afrikanischen Mittelmeeranrainerstaaten und unterstützt die dortigen Milizen und Militärs in einem Krieg gegen Flüchtlinge.

Politische Lösungsansätze, die Fluchtursachen wirkungsvoll bekämpfen und damit zur Verringerung der Flüchtlingszahlen führen könnten, sucht man häufig vergebens. Dabei sind einige der Fluchtgründe durchaus in der Politik der NATO-Mitgliedsstaaten zu suchen. Unter anderem trägt die zum Teil stark protektionistische Zoll- und Subventionspolitik von EU und USA zum Nord-Süd-Konflikt bei und schüren Hunger und Armut. Offensichtlich ist aber die Errichtung von Sperrgürteln mit militärischen Mitteln einfacher als der Abbau von Handelsschranken.

Das "Aktionsbündnis Freiheit statt Angst" ruft daher die Bürgerinnen und Bürger auf, an den Demonstrationen, die den NATO-Gipfel in Straßburg und Baden-Baden begleiten, teilzunehmen. Die Politik muss wieder stärker dem Primat des Zivilen folgen und das Sicherheitsparadigma wieder durch das Paradigma der Freiheit ersetzen, wenn unsere die Gesellschaften in Europa dauerhaft frei, sicher und rechtssaatlich bleiben wollen. Freiheit braucht Frieden und Frieden kann man nicht mit Krieg erzwingen -- sondern nur mit konstruktivem politischem Dialog, der sich fest an den Prinzipien des demokratischen Rechtsstaates orientiert.

Das "Aktionsbündnis Freiheit statt Angst" fordert in diesem Zusammenhang die Sicherheitskräfte rund um den NATO-Gipfel und auch die Politik auf, übertriebene Bedrohungszsenarien abzubauen und einem Klima der Angst und des Misstrauens keinen Vorschub zu leisten. Eine pauschale Einschränkung verfassungsmäßiger Rechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit darf es nicht geben, weder während des Gipfels noch zu anderen Zeiten.

Die Sicherheit von Repräsentantinnen und Repräsentanten auf NATO-Gipfel muss ohne Frage gewährleistet werden, aber nicht um den Preis von allgemeinen Bürgerrechten. Einschränkungen des Komforts der Repräsentantinnen und Repräsentanten rechtfertigen erst recht keine Einschränkungen in verfassungsmäßig garantierte Rechte. Es sollte für die Volktreterinnen und Volksvertreter der NATO-Mitgliedsstatten zumutbar sein, kleinere Umwege in Kauf zu nehmen, wenn dadurch das Versammlungsrecht von Einschnitten verschont bleibt.

Es gehört zum Grundprinzip unserer Demokratie, dass Volksvertreter kein Recht darauf haben, von Meinungsäußerungen des Souveräns verschont zu werden, gerade weil sie Volksvertreter sind. Im Gegenteil ist es die demokratische Pflicht der Volksvertreter, den Protest zu erleben und Meinungsäußerungen zur Kenntnis zu nehmen.

Auch Aktionen zivilen Ungehorsams können daher ein kreatives und sinnvolles Mittel sein, den politischen Diskurs zu bereichern und sollten nicht als Angriff oder Bedrohung, sondern als Chance wahrgenommen werden.

Wir hoffen daher, daß die verantwortlichen Behörden, Politiker und Sicherheitskräfte keine Politik der Eskalation betreiben, sondern alles tun, die demokratischen Rechte der ProtestteilnehmerInnen zu schützen.