2003-03-26
Jungle world 26.3.03
Bei den Ermittlungen zu den Ausschreitungen während des EU-Gipfels in Göteborg zeigt sich, wie eng die Behörden inzwischen zusammenarbeiten.
Valdsamt upplopp«, hört sich zwar niedlich an, bedeutet übersetzt aber »gewaltsamer Aufruhr« und ist dem deutschen schweren Landfriedensbruch vergleichbar. Nahezu alle Ausländer, die weiterhin wegen der Ausschreitungen während des EU-Gipfels im Juni 2001 in Göteborg verfolgt werden, werden dieser Straftat bezichtigt: insgesamt 18 Personen aus Deutschland, den Niederlanden, Norwegen, Dänemark und Finnland.
Die Ermittlungen werden seit einem Jahr in den Herkunftsländern der Verdächtigen geführt. Um in einem anderen europäischen Land ein Verfahren wegen einer in Schweden begangenen Handlung eröffnen zu können, muss diese lediglich in beiden Ländern strafbar sein. Die schwedischen Erkenntnisse wurden den jeweiligen Länderbehörden ausgehändigt.
Damals hatte der Göteborger Staatsanwalt Thomas Ahlstrand die deutschen Behörden nachdrücklich auf die hohen Strafen für valdsamt upplopp hingewiesen. Die große Mehrzahl der über 60 Verfahren nach den Ausschreitungen in Göteborg wurde in Schweden mit Haftstrafen zwischen vier Monaten und zwei Jahren abgeschlossen.
Mittlerweile hat der schwedische Oberste Gerichtshof die Urteile kritisiert und das Strafmaß begrenzt. Davon wurden die deutschen Behörden jedoch nicht unterrichtet. Erst in der vergangenen Woche räumte die schwedische Staatsanwaltschaft diesen Fehler ein. »Das hätte ich vielleicht tun sollen. Hinterher ist man immer klüger«, ließ sich Ahlstrand in der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter vernehmen. »Die Formulierungen habe ich so angegeben, wie die Rechtslage vor knapp einem Jahr war. Ich denke, dass sie korrekt sind, aber ich habe mich offenbar unglücklich ausgedrückt und verschiedene Auslegungen nahe gelegt.«
Offensichtlich haben die Behörden seine Formulierungen nicht zugunsten der Verdächtigen interpretiert. Im Januar durchsuchten Polizeibeamte aus Deutschland und Schweden eine Berliner Wohnung. Die mehr als vierwöchige Untersuchungshaft, die sich für den Bewohner anschloss, war eine Premiere. Nicht nur die Begründung der U-Haft mit Fluchtgefahr, weil sich der Beschuldigte bereits einmal im Ausland – in Schweden – aufgehalten hatte, verwundert. Auch die Vehemenz und die Akribie, mit der die Behörden die Strafverfolgung der deutschen Verdächtigen bisher betrieben.
Betroffen sind einerseits Personen, die am Rande oder gänzlich fern der Krawalle vorübergehend festgenommen oder bei Kontrollen registriert wurden. So wurden die Insassen von Reisebussen fotografiert und ihre Personalien aufgenommen. Ein Abgleich mit dem während des Gipfels aufgenommenem Film- und Fotomaterial ergab eine Schnittmenge aus angeblichen Tätern.
Zum anderen richten sich die Verfahren gegen Personen, die die Polizei erst im Nachhinein ermittelte. Handys wurden aufgebrochen und gespeicherte Nummern aufgeschlüsselt, um Personen ausfindig zu machen, die mit bereits einsitzenden Demonstranten in Kontakt gestanden haben sollen. Von einem deutschen Telefonunternehmen wurden auch Einzelverbindungsnachweise geliefert.
In Deutschland gesellen sich zu den aus Schweden übergebenen Verfahren überraschenderweise noch einige weitere. Behörden wie das LKA Berlin ermittelten eigenständig weiter. Dabei half ihnen offenbar aus Schweden überstelltes Bildmaterial, das mit deutschen Datenbeständen verglichen wurde. Das jedenfalls legen die Ermittlungen gegen Personen nahe, deren Aufenthalt in Schweden durch keine Personalienfeststellung belegt ist.
Eine reine Gefälligkeit gegenüber den schwedischen Behörden sind diese Ermittlungen jedenfalls nicht. Verhöre, in denen nach ganz anderen politischen Zusammenhängen gefragt wurde, stützen vielmehr den Schluss, dass die deutschen Behörden ein eigenes Interesse an den Verfahren haben und sie mit viel Aufwand vorantreiben. In dieses Bild passt auch eine Aussage von Kommissar Nordenstan, der die Ermittlungen der Göteborger Polizei leitete: Er zeigte sich stolz, »von den deutschen Kollegen eine gute Beurteilung« erhalten zu haben.
Insgesamt sind in Deutschland mindestens elf Personen betroffen, davon fünf aus Berlin, zwei aus Brandenburg und jeweils eine aus Bremen, Frankfurt, Kiel und dem Rheinland. Die meisten erhielten bereits Ausreiseverbote. Als Beweismittel werden Foto- und Filmmaterial sowie Zeugenaussagen von Polizisten verwendet. In zwei Fällen sollen biometrische Gutachten die Täterschaft belegen.
Spätestens nach bekannt gewordenen Manipulationen sind massive Zweifel an den Polizeivideos angebracht. Zu fürchten ist, dass ein Teil des Materials wie in den schwedischen Prozessen einzig der Stimmungsmache gegen die Beschuldigten dient. Zeugen, die allenfalls die allgemeine Situation schildern, jedoch nichts zu den Vorwürfen beitragen können, stützen diese Vermutung. Zudem tauchen auch bei den deutschen Verfahren Polizisten auf, die in zahlreichen anderen Prozessen bereits die Hauptbelastungszeugen abgaben. Spitzenreiter ist ein Beamter der Aufklärungseinheit Romeo elf, dessen Name in 27 Verfahren genannt ist. Forderungen nach unbeschränktem Zugang zu den schwedischen Ermittlungsergebnissen und insbesondere zu den kompletten Filmen ist bisher nicht entsprochen worden.
Die schwedisch-deutsche Zusammenarbeit beschränkt sich nicht auf Rechtshilfegesuche und den Versand von Videos. Bereits vor den Ereignissen von Göteborg lieferte das Bundeskriminalamt (BKA) die Daten mutmaßlicher Reisender, sodass an den Grenzen ausgesiebt werden konnte. BKA-Beamte fuhren sogar zum Gipfel nach Göteborg. Auch die Observation von Bussen bis zur Grenze erledigten die Deutschen. Im Januar dieses Jahres revanchierten sich schwedische Ermittler. Zur Hausdurchsuchung und Festnahme in Berlin reisten außer Polizisten auch Staatsanwälte aus Schweden an. Da am gleichen Wochenende die Luxemburg-Liebknecht-Demonstration stattfand, observierten sie bei dieser Gelegenheit die schwedischen Teilnehmer.
Nicht überall läuft die Zusammenarbeit ganz reibungslos. So konnten sich schwedische und deutsche Strafverfolger bisher nicht einigen, wie sie gegen einen mutmaßlichen Landfriedensbrecher vorgehen sollen. Das einzige von den Schweden herangezogene Bild zeigt ihn beim Aufstapeln von Pflastersteinen. Der für die Genehmigung zuständige deutsche Richter lehnte eine Hausdurchsuchung ab, da er in dem Foto keinen ausreichenden Beweis erkannte. Deshalb wollte die deutsche Staatsanwaltschaft lieber mit dem Vorwurf der passiven Bewaffnung anklagen. Diesen Tatbestand wiederum kennt die schwedische Justiz nicht. Manchmal hakt es also noch ein wenig im Europa der Ermittlungsbehörden.