2009-03-11
Es ist nur eine Kleinigkeit, aber sie sagt alles über die Dimension der Veranstaltung. Wenn Barack Obama am 3. April zum Nato-Gipfel nach Baden-Baden kommt, wird seine gepanzerte Wagenkolonne nicht über ein einziges Fernsehkabel fahren. So etwas könnte, und da ist mit dem "Secret Service" des US-Präsidenten nicht zu spaßen, eine Bombenexplosion auslösen. Alle Kabel müssen deshalb vergraben oder versteckt werden.
In Baden-Baden herrscht die Ruhe vor dem Sturm. Noch weht keine Nato-Fahne am Stadtrand, noch dürfen Schneeglöckchen im Garten des Kurhauses ungehindert sprießen. Aber die Vorbereitungen für das Treffen der Regierungschefs und ihrer Außen- sowie Verteidigungsminister sind allgegenwärtig. Seit dem vergangenen Wochenende bietet eine örtliche Konditorei eine Obama-Torte an.
Innen drinnen Schokolade mit englischer Orangenmarmelade, oben drauf der Name des US-Präsidenten. Der Gast aus Washington, so viel gilt als sicher, wird kein einziges Stück davon kosten. Nicht, weil er Schokokuchen möglicherweise nicht mag. Nein, in der Torte könnte etwas drin sein, was nicht hineingehört.
Die Sicherheit. Nichts wird in diesen Tagen an den drei Gipfelorten so groß geschrieben wie dieses Wort. Wo wer landet? Wer welchen Weg fährt? Wer wann wen zum Vier-Augen-Gespräch trifft? Die Polizei weiß viel. Und ist dennoch an vielen Punkten selbst ratlos. Denn die Sicherheitsdienste der einzelnen Länder hüllen sich in Schweigen - und bringen damit vor allem das Fernsehen in ungeahnte Schwierigkeiten.
Seit Monaten wird an Einsatzplänen für die Drehorte gearbeitet. Was heute gilt, ist morgen zumeist überholt. Dabei war schon vor Wochen klar, dass nicht alle TV-Anstalten dieser Welt in Baden-Baden über die 60-Jahr-Feier des Nordatlantikpaktes berichten können. Also einigte man sich auf eine Pool-Lösung, wie sie bei Großereignissen dieser Art üblich ist: Ein Sender filmt für alle - und stellt dieses so genannte Weltbild allen Ländern zur Verfügung.
Der Haken: Der Südwestrundfunk (SWR) als federführende Anstalt weiß bis heute nicht, was überhaupt gezeigt werden kann. Bester Beleg: Zwischen Bundespresseamt in Berlin und der Nato in Brüssel wird derzeit emsig verhandelt, ob vor der Kurhaus-Treppe ein Zelt aufgebaut wird. Dort, so haben es die Sicherheitsexperten ausgebrütet, könnten die Wagenkolonnen hineinfahren, auf dass die prominenten Gäste geschützt vor möglichen Scharfschützen aussteigen. Live-Schaltungen aus Baden-Baden, vorne der Kommentator, dahinter ein Zelt, in dem die Obamas, Sarkozys und Merkels dieser Welt schemenhaft ins Kurhaus huschen? Das dürfte kein Quotenrenner werden.
Indes, es ist nur einer der vielen Punkte in diesem Katalog an Kuriositäten, der so lang ist, dass Kritiker bereits prophezeien, er werde ergiebiger sein als die inhaltlichen Beschlüsse dieses zweitägigen Treffens. So gibt es Differenzen zwischen Berlin, Brüssel und Star-Geigerin Anne-Sophie Mutter. Der Grund: Die erfolgsverwöhnte Musikerin soll für die Gäste aus aller Welt im Kurhaus spielen, ehe sich die Regierungschefs sowie die Minister in drei separaten Sälen zum Abendessen zurückziehen. Aber Mutter mag nicht akzeptieren, dass ihre Künste einfach via Fernsehen in alle Welt übertragen werden. Ob der SWR den Auftritt der Virtuosin übertragen darf oder nicht, ob die Dame dafür eine separate Gage erhält? "Wir haben ja noch viel Zeit", meint ein TV-Mann sarkastisch.
So geht das seit Wochen an allen Fronten. Es wird gepokert, was die diplomatische Etikette hergibt. Dazu passt, dass keiner so recht die Frage beantworten mag, ob Michelle Obama fährt oder läuft, wenn sie nach der Begrüßung im Kurhaus mit Sarkozys Ehefrau Carla Bruni und den anderen Damen hinüber ins vornehme Brenner's Park Hotel muss. Dort steigt das Damenprogramm des Gipfels. Kameraaufnahmen zur Begrüßung? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Zumindest eine Frage ist geklärt: Bill Clinton wird nicht am Partnerprogramm teilnehmen. Der ehemalige Präsident wird seine Frau, die neue US-Außenministerin, erst gar nicht nach Baden-Baden begleiten. Hillary fliegt alleine ein.
Wo sie übernachtet? Keiner weiß es. Wo die anderen fast 30 Staatsgäste schlafen? Die Polizei schweigt eisern. Gerüchte besagen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel im Brenner's übernachtet und Italiens Präsident Silvio Berlusconi auf der "Bühlerhöhe" nächtigt. Lange Zeit war vermutet worden, Obama würde dort schlafen. Aber offenbar war die Sorge der Polizei zu groß, dort oben im Schwarzwald hinter jeder Tanne einen Polizisten postieren zu müssen.
Der SWR als federführende ARD-Anstalt jedenfalls will versuchen, immer und überall dabei zu sein. Aber auch hier gilt: Frei bewegen ist in jenen Tagen ein Fremdwort. So muss der Sender seine Armada an Übertragungswagen schon mehrere Tage zuvor unweit des Kurhauses abstellen. Spezialisten des Bundeskriminalamtes werden die Fahrzeuge minutiös durchsuchen, Sprengstoffhunde werden obendrein jede Steckdose abschnüffeln. Danach werden die Wagen versiegelt - und bis zum Beginn des Gipfels rund um die Uhr bewacht. Die Folge: Diese Übertragungswagen kann der öffentlich-rechtliche Sender im normalen Alltagsbetrieb nicht einsetzen. Die Ausfallkosten? Keiner mag das derzeit schätzen.
"Das ganze hat allmählich skurrile Züge", sagt ein Programmmacher aus dem Vorbereitungstab der ARD. Schon vor Wochen hatte der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy einen ersten Beleg dafür geliefert. Er werde den Feiern fernbleiben, wenn er nicht unmittelbar neben Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer sitzen dürfe. Was mancher in der Protokollabteilung erst einmal als Scherz einstufte, entpuppte sich schnell als bitterer Ernst. Bislang war es üblich, dass sich die Staats- und Regierungschefs in der Reihenfolge des Alphabets um den Tisch gruppieren.
Sarkozys Drohung aber hat gefruchtet - und inzwischen zu einem Kompromiss geführt: Der französische Präsident darf so lange neben dem Generalsekretär sitzen, wie Fernsehkameras im Raum sind. Nach den jetzigen Plänen werden das beim Festabend in Baden-Baden und tagsdrauf bei den Beratungen im Straßburger Kongresszentrum freilich nur rund fünf Minuten sein. Dann wird die Öffentlichkeit ausgesperrt - und Sarkozy sowie Merkel spielen Reise nach Jerusalem.
Ja, dieses Treffen hat seine eigenen (Medien-) Gesetze. Die 3500 Journalisten aus aller Welt müssen sie befolgen - oder können abreisen. Vor allem Frankreich, das den Gipfel als seine Veranstaltung versteht, sorgt fast täglich für neue Irritationen. Während am ersten Tag die deutsche Seite für das Weltbild zuständig ist, übernimmt am 4. April in Straßburg eine französische Firma diese Aufgabe. Sarkozy, so heißt es, hat die Parole ausgegeben, dass nur die offiziellen Bilder der Begrüßung und der Ansprachen in alle Welt gesendet werden. Ausschreitungen rund um Straßburg, womöglich Straßenschlachten, mag der smarte Staatschef nicht mit seinem Land verbunden haben.
Doch da macht die deutsche Seite nicht mit. "Wir wollen journalistisch sauber arbeiten, und dazu gehören auch Bilder von den Protestcamps oder von möglichen Blockaden", sagt Georg Weisenberger aus dem Nato-Team des SWR. Und so wurde entschieden, zwei Weltbilder zu produzieren: Zum einen das offizielle, zum anderen eines für die Randaspekte. Die Kosten teilen sich die deutschen Fernsehsender.
Allein der SWR wird in und um Baden-Baden mit 16 Kamerateams im Einsatz sein. Drei Trupps sind mit Spezialmotorrädern ausgestattet, wie sie sonst bei der Tour de France genutzt werden. "Wir müssen für den Fall gerüstet sein, dass alle Straßen zu sind und wir trotzdem irgendwo hin müssen", so Weisenberger. Da passt es nur zu gut, dass der SWR seine eigenen Leute - rund 600 Techniker, Kabelträger, Kameraleute, Reporter - vor dem Gipfel in ein Spezialtraining schickt. Frei nach dem Motto: Was tun, wenn Pflastersteine fliegen, wenn es zu Straßenschlachten zwischen der Polizei und Chaoten kommt? "Keine Szene dieser Welt ist es wert, das eigene Leben zu riskieren", sagt der krisenerfahrene SWR-Reporter Stephan Schlentrich, der mit Weisenberger das Team leitet.
So fiebern und taumeln alle Beteiligten einem Gipfel entgegen, bei dem nichts unmöglich erscheint und bei dem die deutsche Bundeskanzlerin kurzfristig zur Wetterfee werden könnte. Denn am Samstagmorgen, wenn die Teilnehmer auf der Reise von Baden-Baden nach Straßburg sind, wird es Merkel sein, die entscheidet, ob der geplante Fototermin auf der Rheinbrücke in Kehl stattfindet. Bisher sieht das Protokoll vor, dass Sarkozy auf halber Strecke der Brücke wartet und die Gipfelteilnehmer in einer Art symbolischem Akt begrüßt.
Allein, wenn Merkel der Himmel zu grau ist oder es gar nieselt? "Dann fällt der Fototermin aus", sagt ein Insider. Die Vorarbeit der Fernsehsender, das wochenlange Gezerre um Kamerapositionen und Kabelwege, war dann umsonst. "Es gibt keinen Plan B", sagt ein TV-Mann und fügt süffisant hinzu: "Wir können nur hoffen, dass die Sonne scheint."