2009-03-08
Die Vorbereitungen für den Nato-Gipfel Anfang April gehen in die heiße Phase – auf beiden Seiten. Am Sonntag trafen sich Friedensaktivisten in Straßburg, trainierten Sitzblockaden und den Marsch auf die Polizeikette.
Dicht an dicht marschieren sie nebeneinander, bilden einen massiven Block. Mittendrin: Friedensaktivist Andreas Vogel. Er späht an seinem Vordermann vorbei, duckt sich, versteckt sich hinter den breiten Schultern. Frontal prallt der Block gegen die Menschenkette, die sich vor ihm aufreiht. Mit aller Kraft stemmt sich Vogel nach vorn, schiebt sich Zentimeter um Zentimeter voran. Plötzlich fächert sich der Pulk auf, eine Lücke tut sich auf. Vogel sieht seine Chance gekommen, täuscht links an, schreit "Block Nato" und schiebt sich rechts vorbei. Geschafft – er hat die Kette durchbrochen.
Knapp 40 Gegner des Nato-Gipfels üben auf dem Straßburger Place de la République in einem Rollenspiel den Ernstfall: das Durchbrechen einer Polizeikette.
Acht der Teilnehmer mimen Polizisten, der Rest baut sich in fünf Reihen à sechs Leuten auf. Andreas Speck, einer der Organisatoren der Gegner-Initiative Block Nato, gibt über Megafon Anweisungen: "Zielbewusst laufen, nicht rennen!" Gewalt lehnt Speck ab. "Wir vermitteln Methoden des zivilen Ungehorsams, jeder soll auf alles vorbereitet ist."
Aktivist Vogel ist schon seit rund 20 Jahren in der Friedensbewegung aktiv, blockierte schon beim G8-Gipfel in Heiligendamm vor zwei Jahren als lebende Barrikade die Zufahrtsstraßen und schlich sich durch das hohe Gras an Polizeipatrouillen vorbei. "Viel kann ich hier nicht mehr lernen", sagt der 55-Jährige, der extra aus Frankfurt angereist ist. "Aber ich möchte gerade den Neulingen Sicherheit geben."
Neulingen wie Kiemke Van Innis. Der 18-jährige Straßburger wirkt blass in der orange-roten Warnweste, die ihn als Polizisten kennzeichnet. Sein Atem geht schwer – zumindest ein bisschen. Mehr schlecht als recht hat er sich gegen seine Gegenspieler gestemmt, sie aber dann doch ohne große Gegenwehr die Kette durchbrechen lassen. "Protest ist auch ohne Gewalt möglich", sagt Van Innis. "Doch die Polizei muss mitspielen."
Beim Nato-Gipfel in Straßburg und Baden-Baden wird er zum ersten Mal auf die Straße gehen. Sein Ziel: "Gegen die Kriegstreiber ein Symbol setzen." Dabei ist ihm schon ein wenig mulmig, vor allem wenn er an das Tränengas im Gürtel der Beamten denkt. "Aber gemeinsam sind wir stark", sagt Van Innis und packt beherzt einen seiner Gegenspieler am Arm.
Nach dem Durchbrechen der Polizeikette steht die nächste Trainingseinheit auf dem Plan: die Sitzblockade. Im Schneidersitz kauern die Demonstranten auf dem Boden. Vogel hakt sich bei seinen Nachbarn unter, kauert sich kompakt zusammen. Er will sich für Van Innis und die anderen "Polizisten" so schwer wie möglich machen. Als er unter den Achseln gepackt wird, spannt er jeden einzelnen Muskel an, kneift die Augen fest zusammen, presst sich mit aller Kraft gen Erde. Doch der Zug unter seinen Armen wird immer stärker, schließlich gibt er seinen Widerstand auf, löst sich aus der Umklammerung seiner Mitstreiter und lässt sich mit einem leisen Seufzer aus der Blockade tragen.
"Jeder hält so lange durch, wie er den Schmerz ertragen kann", sagt Organisator Speck. "Wir suchen keine Helden – gehen aber mit unserem Protest bis ans Limit." Neben dem praktischen Training würde den Gipfel-Gegnern in Gesprächsrunden die Möglichkeit gegeben, sich ihren Ängsten zu stellen und Erfahrungen auszutauschen. "Selbstkontrolle ist unheimlich wichtig, gerade für die Neulinge", sagt Aktivist Vogel und blickt zu Van Innis. "Am liebsten würde ich jedes Mal zutreten, wenn ich aus der Blockade getragen werde. Aber – ich tu’s nicht."