2009-03-05
Der Slogan auf dem Plakat könnte treffender kaum sein. "Was für ein Theater!" steht da in großen Lettern auf dem Werbebanner des Baden-Badener Theaters. Nun gut, es geht um das Programm der neuen Spielzeit. Allein, das Motto könnte durchaus auch für den Nato-Gipfel gelten. Denn das Stelldichein der Weltpolitik in der Kurstadt am Fuß des Schwarzwalds wird ein riesiges Spektakel. Ob mit oder ohne Happy end, ist freilich offen.
Als die Bürgerversammlung fast vorbei ist und sich kein Arm mehr zum Fragen reckt, steht doch noch ein Mann auf. "Sie haben uns jetzt viel zum Thema Sicherheit erzählt und berichtet, wie die Staatsgäste geschützt werden." Dann wendet er sich direkt zu den Polizeivertretern auf dem Podium: "Aber ich habe immer noch die Bilder von Genua im Kopf und würde gerne wissen, wie wir Bürger geschützt sind, wenn gewaltbereite Gipfelgegner in unsere Stadt kommen?" Der Mann setzt sich, im Baden-Badener Kursaal ist es ganz still.
Genua. Ein Wort wie eine Warnung. Im Jahr 2001 fand in der italienischen Hafenstadt der G-8-Gipfel statt. Es wurde ein blutiges Treffen. Auf der einen Seite militante Globalisierungsgegner, auf der anderen die Polizei. Bilanz der Straßenschlachten: Ein Toter, 231 Verletzte, 83 Autos beschädigt, über 40 ausgebrannte Geschäfte, 290 Verhaftungen, ein Schaden von rund 50 Millionen Euro. Nun ist Genua acht Jahre her, und die Sicherheitskräfte haben seither in punkto Strategie viel dazu gelernt. Aber jetzt, einen Monat vor dem Nato-Gipfel in Baden-Baden und Straßburg, wachsen die Sorgen, es könnte wieder heftige Ausschreitungen geben. Nicht ohne Grund. Im Internet verbreiten Aktionsgruppen bereits wilde Hetzparolen. Zum Beispiel diese: "Die Delegierten speisen in Baden-Baden, eine der reichsten Städte in Deutschland. Das ist eine gute Möglichkeit, denen mal richtig in die Suppe zu spucken. Wer es nicht ganz bis zum Suppentopf schafft, kann zumindest die Zufahrtsstraßen zum Buffet blockieren." Auch diese Botschaft lässt an den Zielen der Störer keine Zweifel: "Leute, bildet Banden, lasst es krachen. Wir wollen den Gipfel zum Desaster machen."
Bernhard Rotzinger nimmt diese Drohungen gegen die Veranstaltung des Verteidigungsbündnisses ernst. "Wir werden Störungen und Blockaden haben", weiß der Einsatzleiter der Polizei und versucht dennoch, Panik zu vermeiden: "Ich glaube aber nicht, dass wilde Horden durch Baden ziehen werden." Indes, Rotzinger - sonst Leiter der Landespolizeidirektion Freiburg, nun oberster Gipfel-Beauftragter - weiß auch: Nie zuvor war das Sicherheitsrisiko für Baden-Württemberg, für Baden-Baden so groß wie Anfang April. Selbst der Moment, da PLO-Chef Jassir Arafat im Jahr 1995 in Baden-Baden den Deutschen Medienpreis erhielt und dafür eigens die Kanaldeckel zugeschweißt wurden und die Scharfschützen auf den Dächern in Position lagen, scheint im Vergleich zu dem Aufwand, der Anfang April betrieben wird, wie die Szene aus einem mittelmäßigen Krimi.
Fakt ist: Baden-Baden wird für mehrere Tage einem Hochsicherheitstrakt gleichen. Die Kernstadt ist in mehrere Sicherheitszonen unterteilt - besonders heikel ist die mit der Farbe rot. Jener Bereich also rund um das Kurhaus, wo Bundeskanzlerin Angela Merkel am späten Nachmittag des 3. April die 30 Regierungschefs sowie deren Außen- und Verteidigungsminister empfangen wird und wo die Damen und Herren danach kulturell und kulinarisch verwöhnt werden. Dort darf sich nur ein handverlesener Personenkreis bewegen. Wo sonst um diese Jahreszeit die Tulpen sprießen, werden die prominenten Gäste auf eine Wand aus Polizisten und Absperrgittern schauen.
Aber auch in den weiteren Zonen der Stadt ist nichts, wie es sonst ist. Bester Beleg: In der vierten Sicherheitszone der Stadt, wo rund 240 Bürger Baden-Badens leben und gut 100 Händler, Ärzte und Unternehmer ansässig sind, darf sich niemand frei bewegen. Wer während des Gipfels sein Haus verlassen will oder Besuch erwartet, muss dies zuvor anmelden - und bekommt einen Polizeibeamten als Begleitperson zur Seite gestellt. "Wir haben eine hohe abstrakte Gefährdung der Staatsgäste", begründet Rotzinger den Sicherheitsaufwand. Soll heißen: Neben den erwarteten 25000 Demonstranten existiert ein Risiko durch autonome Chaoten und die latente Sorge vor Terroranschlägen. Fast 15000 Polizisten - davon rund die Hälfte aus Baden-Württemberg - werden deshalb in und um Baden-Baden im Einsatz sein. Bürger, die von einer Sicherheitszone in die andere wollen, müssen dann so genannte Durchlasskontrollen passieren, von denen es ein gutes Dutzend gibt.
Damit nicht genug. Zufahrtsstraßen werden gesperrt, Tiefgaragen dicht gemacht, die Busse fahren nur eingeschränkt, Parkplätze werden geräumt, der komplette Luftraum über Mittelbaden wird gesperrt. "Wenn Sie sicher sein wollen, dass Sie pünktlich zur Arbeit kommen, nehmen Sie lieber das Fahrrad", sagt ein Polizeivertreter schmunzelnd einer Bürgerin, die nachfragt, ob sie an jenem Tag überhaupt ins Büro am anderen Ende der Stadt kommt.
Indes, nicht nur in Baden-Baden wird der Ausnahmezustand herrschen, auch in der Umgebung. Der Grund: Während der erste Gipfeltag in der Kurstadt an der Oos stattfindet, geht es am zweiten Tag im 60 Kilometer entfernten Straßburg weiter. Und da die Delegationen nun mal auf die Vier- und Fünf-Sterne-Hotels in beiden Städten aufgeteilt sind, werden die Straßen zwischen den beiden Tagungsstätten phasenweise genauso zugemacht wie die Zubringer zu den Flughäfen Lahr und Söllingen. Hinzu kommt: Für die Zeit des Gipfels werden in der Region zwischen Deutschland und Frankreich die Grenzkontrollen wieder eingeführt. Selbst die viel befahrene Schwarzwaldhochstraße B 500 wird zeitweise gesperrt. "Wir wollen, dass die Staatsgäste ungestört rein- und rausfahren können nach Baden-Baden", sagt Rotzinger.
Besonders heikel dürfte es werden, wenn der neue US-Präsident Barack Obama einschwebt. Wo er landet, wie seine Fahrtroute ist, ob er im Brenner's Park Hotel oder auf der Bühlerhöhe nächtigt? Alles streng geheim. Nur so viel zeichnet sich ab: Sobald er ankommt, dürfte sogar der Verkehr auf der A 5 zum Erliegen kommen - und das an einem Wochenende, da in vielen Bundesländern die Osterferien beginnen.
So bereitet sich die Stadt mit einer Mischung aus Skepsis und Vorfreude auf das Ereignis vor. "Es soll ein friedlicher Gipfel werden, der das Image Baden-Badens als weltoffene Stadt pflegt", hofft Bürgermeister Werner Hirth. Doch so sehr Politik und Polizei den 50 Millionen Euro teuren Gipfel auch verteidigen, manchen Bürgern bleibt ein ungutes Gefühl. Erst dieser Tage, so erzählt ein Baden-Badener Apotheker, habe ihn das Regierungpräsidium Karlsruhe aufgefordert, seinen Vorrat an Tropfen zur Behandlung geschwollener Augen aufzustocken. Der Grund? Er müsse für den Fall eines Tränengaseinsatzes gewappnet sein.