2009-03-03
Dies ist eine Mitschrift des Vortrags eines Genossen aus Bergamo am 26.11.08 bei einer Veranstaltung der Autonomen Antifa Freiburg im Autonomen Zentrum KTS Freiburg über die politische Lage in Italien. Die Mitschrift bezieht sich nur auf die deutschen Übersetzungen des auf italienisch gehaltenen Vortrages. Aus Gründen der Lesbarkeit ist es keine wortgetreue Mitschrift. Der Vortrag wird auch als Audio-Mitschnitt angeboten, zusätzlich gibt es eine Zusammenfassung.
Der Referent wird uns heute kurz schildern, was die verschiedenen Seelen, die verschiedenen Tendenzen der Rechten sind. Es geht hauptsächlich um die radikale Rechte.
Also die erste Sache, die man sagen muss ist, in Italien gibt es kaum noch eine feste Grenze zwischen der institutionellen Rechten, die im Parlament sitzt, und der radikalen Rechten. Es geht jetzt nicht mehr nur um einzelne Verbindungen zwischen den beiden, sondern um eine grundsätzliche Einheit der beiden.
Die erste Episode, von der man ausgehen kann, ist die bekannte Aggression auf der Piazza Navona durch eine faschistische Gruppe gegen eine studentische Demo. Ihr habt vielleicht schon einiges über die derzeitige Studentenbewegung in Italien gehört. Es geht hauptsächlich um die Reform, die die Berlusconi-Regierung versucht hat zu Lasten des öffentlichen Bildungssystems mit erheblichen Kürzungen zu Lasten der Uni und auch der sonstigen öffentlichen Schulen durchzusetzen. Diese Episode ist besonders interessant, weil das, was dahinter steckt die Absicht der radikalen Rechten, die Führung der Studentenbewegung zu übernehmen, ist. Natürlich ist das ein Widerspruch, aber ein Widerspruch, der eine lange Geschichte hat. Schon lange hat die Rechte versucht sich in die studentische Bewegung hineinzuinfiltrieren. Die Faschisten, die an dieser Aggression beteiligt waren, stammen aus zwei Gruppen: Lotta Studentesca und Blocco Studentesco der radikalen Rechten.
Fangen wir an mit dem ‘Blocco Studentesco’: Der ‘Blocco Studentesco’ hat Verbindungen zu der Partei Fiamma Tricolore, die bis 2006 an der Koalition beteiligt war, die die Berlusconi Regierung unterstützte. Die Partei Fiamma Tricolore vereinbart die radikalsten, die kämpferischsten Arme der Rechten in Italien, bzw. war ein Versuch, diese zu vereinbaren. Und die Bezugsperson, der Referent des Projektes die verschiedenen Tendenzen zu vereinbaren, war gerade Silvio Berlusconi. Nicht in dem Sinne, dass er der Initiator dieses Projektes war, aber er war der Ansprechpartner von denjenigen, die an diesem Projekt gearbeitet haben.
Also dazu muss man zuerst wissen, wie die radikale Rechte in Italien organisiert ist. Abgesehen von den vielen Gruppierungen und Abkürzungen, die immer wieder anders sind, gibt es in der radikalen Rechten viele kleine Interessengruppen, Lobbys, die sich um einen starken Mann – also typisch Faschistisch – gruppieren.
Einige Persönlichkeiten innerhalb der Fiamma Tricolore sind Maurizio Boccacci, seine Gruppe heißt „Base Autonoma“. Das ist so ein ähnliches Projekt, wie das, was die Britisch National Party in den 90er Jahren schon versucht hat, also die Skinhead-Gruppen in Italien zu politisieren und ihre Kräfte auf nationaler Ebene zu kanalisieren.
Eine andere wichtige Persönlichkeit ist Piero Puschiavo der Organisation „Veneto Fronte Skinheads“, die auch innerhalb der Fiamma Tricolore organisiert ist.
Gianluca Iannone, noch eine wichtige Persönlichkeit. Weil der Bereich, zu dem auch die studentische Bewegung (Blocco Studentesco) gehört, innerhalb seiner Verantwortung liegt. Es handelt sich um eine sehr interessante, auch sehr aktive Gruppe. Eine sehr aktive Lobby, die ihre Zentren in den faschistischen Centri Sociali Roms hat. Ursprünglich waren die Centri Sociali natürlich etwas Typisches für die Linke, bis eben die Gruppe um Iannone angefangen hat, auch diese Häuser zu besetzen und für die Rechte einzunehmen. Das wichtigste Centro Sociale dieser Art heißt „Casa Pound“. Sie haben auch die Besetzungen von Wohnungen unterstützt, die in Rom eine lange Tradition hat, die ursprünglich ein Tradition der kommunistischen Linken war. Auch in diesem Fall versuchen die Faschisten um Iannone, diesen ureigenen Bereich der Linken einzunehmen. Den Kampf um Wohnrecht faschistisch einzunehmen.
Normalerweise funktioniert der Kampf um Wohnungen in Rom so: Es gibt viel mehr Familien, die eine Sozialwohnung brauchen, als Sozialwohnungen verfügbar sind. Auf der anderen Seite gibt es sehr viele unvermietete Wohnungen, die auf Grund von Spekulationen leer stehen. Da gibt es so genannte „Commites Commitate“, die den Familien, die keine soziale Wohnung bekommen haben, helfen, die Wohnungen zu besetzen. Sie verhandeln mit der Stadt, damit sie dann die Wohnung auch offiziell zugeteilt bekommen.
Während die linken Commitate schon tausenden Familien auf diese Weise zu einer Wohnung verholfen haben, haben die faschistischen Commitate ganze 18 Wohnungen besetzt. Trotzdem hat der damalige Oberbürgermeister von Rom, Veltroni, als „Mensch Super Pates“ (er wollte nicht parteiisch sein) auch diesem faschistischen Commitate erlaubt, an den Verhandlungen der Stadt teilzunehmen, obwohl sie eine verschwindend kleine Zahl von Wohnungen besetzt hatten.
Es ist wichtig zu betonen, dass eben Veltroni, der für solches Entgegenkommen gegenüber der Faschisten zuständig ist, heute an der Spitze der PD (Partido Democratico) steht und es ohne die Toleranz der Mitte-Links-Koalition auch nicht zu solchen Ausschreitungen hätte kommen können.
Ein anderer Bereich, wo die Faschisten eine ähnliche Operation versuchen, ist im Bereich der Tierrechte. Das ist eigentlich ein Bereich, für den die Anarchisten zuständig waren und heute gibt es so eine Animal Liberation Front, die von Faschisten unterstützt wird.
Auf diesem Hintergrund versteht man besser, was auf der Piazza Navona passiert ist. Also, die Faschisten haben versucht, sich an die Spitze der Demonstration zu stellen und haben so versucht schlagend und kämpfend die Menschen aus den linken Kollektiven von der Spitze der Demo zu vertreiben. Aber durch ihre Gewalt dieser Handlung haben sie sich als solche entlarvt, haben sozusagen ihren Plan klar gemacht.
Der Blocco Studentesco ist im Moment von der Partei Fiamma Tricolore ausgetreten, weil Iannone selbst Probleme mit dieser Partei bekommen hat. Er musste die Partei verlassen. Jetzt hat er eine neue Gruppierung gegründet, die heißt Casa Pound, der Name von diesem bekannten faschistischen besetzten Haus in Rom. Die wollen so ein Network von ähnlich besetzten Häusern in ganz Italien aufbauen.
Es gibt einige interessante Videos zu diesen Ausschreitungen auf der Piazza Navona. In einem dieser Videos sieht man, wie die Leute aus der faschistischen Gruppe schon von der Polizei auf den Boden gelegt wurden – nach den Aggressionen hat die Polizei also den Befehl gegeben, sie sollen sich auf den Boden legen – da sieht man, wie der Chef von der Gruppe (auch eine größere Persönlichkeit innerhalb des Blocco Studentesco) mit einem Polizisten in Zivil redet – und wer jetzt die normale Prozedur kennt, weiß, dass der Polizist in Zivil an der Stelle nur ein größeres Kaliber sein kann, also der Vize, der Stellvertreter von dem Polizeichef selbst. Die beiden unterhalten sich mit solchen Sätzen wie „Was machst du denn? Du siehst doch, dass sind meine Jungs.“ – „Du kennst doch die Prozedur…“ und so weiter.
Auch bezeichnend für die Gewalt dieser Gruppe ist, dass Gruppen, als eine Sendung im nationalen Fernsehen dieses Video gezeigt hat, noch während der Sendung versucht haben, in das Studio einzudringen und haben gedroht.
Ein andere Eigenschaft von dieser Gruppe um Iannone ist, dass sie zum ersten mal offen zugeben, dass sie Squadristi sind. Squadristi waren die Gruppen, die unter Mussolini Leute zusammen geschlagen haben. Lange Zeit war diese Bezeichnung natürlich verpönt und nun sagen sie, dass sie sich endlich wieder Squadristi nennen können. Sie haben offene Lieferwagen, so eine Art Pickups, in denen sie stehen und dann fahren sie als Autokolonne durch die Stadtviertel von Rom und zeigen Präsenz, also genau so, wie die echten Squadristi es unter dem Faschismus gemacht haben.
Vor einigen Jahren haben sie in Rom einen demonstrativen Marsch veranstaltet, also 1500 Leute, angeführt von Leuten in Militärkleidung und die allerersten waren maskiert und mit Trommeln. Also Iannone selbst spricht von reinen Medienveranstaltungen, Squadrismo Mediatico, aber solche Episoden wie Piazza Navona beweisen, dass es doch mehr als das ist.
Was auch sehr wichtig ist, dass diese Gruppe ein sehr großes militärisches und invasives Potential besitzt. Jetzt eine Episode, wo man das besonders deutlich merkt. Vor drei Jahren haben drei Männer von der Gruppe ein Bank in Civitavecchia in der der Nähe von Rom überfallen. Sie hatten Kalaschnikows, also richtige Kriegswaffen, und als sie dann von der Polizei verfolgt wurden, haben sie mit der Polizei eine richtige Schießerei im Zentrum von Civitavecchia mit der Polizei angezettelt. Am nächsten Tag titulierten die Zeitungen „Kriegsszenarien in Civitavecchia“. Es waren sechs Männer, nicht drei – auf jeden Fall, konnte Ianonne trotz dieser Geschichte schon drei Monate später ohne weitere Probleme fürs Parlament kandidieren, als Mitglied der Partei der Fiamma Tricolore. Damals gehörte die Fiamma Tricolore zur Koalition Casa de la Libertad, zu der auch Berlusconis Partei gehört.
Jetzt gehen wir zu der nächsten Organisation über. Einige Militante der Organisation Lotta Studentesca wurden auf diesen Videos von den Ausschreitungen auf der Piazza Navona erkannt. Lotta Studentesca ist die Jugendorganisation der Forza Nouva, der Partei von Roberto Fiore und Massimo Morsello. Die Forza Nuova gehört mit der NPS zur Gruppe rechtsradikaler Parteien, die dabei sind, eine europäische Partei der radikalen Rechten aufzubauen, die European National Front. Roberto Fiore war zuerst Mitglied einer terroristischen Partei der Rechten. Später war er im Exil in England und wurde Agent der MI 6. Zurück in Italien hat er diese Forza Nuova gegründet und hat von Berlusconi noch ein Geschenk bekommen. Das Geschenk besteht darin, dass die – eigentlich hatte Alexandra Mussolini eine Stelle im europäischen Parlament – kennt ihr wahrscheinlich, ist die Enkelin von Benito und immerhin eine Vertreterin der italienischen Rechten. Sie hatte einen Sitz im europäischen Parlament und der zweite der nicht Gewählten, war dieser Roberto Fiore. Er konnte dann einen Sitz im EU-Parlament nur dadurch haben, dass Alexandra Mussolini von Berlusconi in seiner Partei einen sicheren Wahlplatz bekommen hat. Sie wurde dann mit Berlusconi/für Berlusconi ins italienische Parlament gewählt und hat den Platz im Europa Parlament freigelassen. Daraufhin konnte dieser Roberto Fiore ins Europa Parlament. Das ist ein wichtiger Schritt für ihn in Richtung dieser European National Front.
Also die Organisation Forza Nouva ist bekannt für ihre extrem gewalttätigen Handlungen, mit Brandsätzen, mit Gewaltausübung, Schlagen und so weiter. Es gibt unzählige Fälle, wo die Polizei eingreifen musste. Attackiert werden immer Vertreter der Linken, sei es der institutionellen Linken, sei es vor allem auch der antagonistischen Linken.
Jetzt wollen wir noch eine weitere Episode mit der Forza Nuova schildern, die besonders klar macht, wie gefährlich diese Organisation ist und wie wichtig sie für die Bestimmung der Regierung in Italien ist. Es geht um eine Bande, die mit der Forza Nuova verbunden ist und die während der zwei Jahre der Prodi-Regierung kämpfen musste. Es wurde also auf eine sehr gefährliche Weise Druck auf die Regierung ausgeübt. Interessant ist auch, wo diese Gruppe besonders aktiv ist. Es ist die Gegend um die Piazza Viskovio in Rom, die so ein Off-Limit-Bereich der Forza Nuova ist. Hier gibt es zwei wichtige Zentren – eines ist der Sitz der Forza Nuova in Rom. Und dann eine Kneipe, die heißt Exkalibur und ist traditionell der Treff der faschistischen Anhänger der Fußballmanschaft Lazio.
Die Forza Nuova ist typisch für eine Organisation basierend auf kleinen Zellen mit maximal fünf Führungskräften, die wiederum Gruppierungen von Jugendlichen und Skins organisieren. Ein sehr wichtiger Vorfall, das war vor zwei Jahren, wo eine von diesen Gruppierungen der Forza Nuova ein Volksfest von der Agip attackiert hat. Agip ist ein Verbund von kleinen Bürgerzentren, auch Freizeitzentren, ursprünglich von der kommunistischen Partei. Und auf diesem Volksfest waren lauter Familien mit kleinen Kindern und die wurden mit kleinen Sprengkörpern und allem möglichen attackiert. Dieser Verbund der Agip ist der wichtigste Verbund von Kulturzentren in Italien überhaupt. Es handelte sich um ein ganz offizielles Fest, was auch von der Gemeinde, von der Kommune Roma unterstützt war.
Auch wichtig sind die Gewaltakte, die von Leuten der Forza Nuova zusammen mit Lazio-Anhängern in den Stadien verübt wurden. Da gab es eine Episode, wo bei einer Raststätte an der Autobahn zwei Gruppen, Anhänger von zwei verschiedenen Fußballmannschaften, einmal von der Lazio, auf der anderen Seite Juventus Turin, aneinander gerieten. Sie haben gegeneinander gekämpft. Ein Polizist hat eingreifen wollen und hat – dummerweise – die Waffe gezogen und einen Lazio-Anhänger getötet. Am nächsten Tag stand Rom in Flammen, also in mehreren Vierteln haben die Lazio-Anhänger zusammen mit der Forza Nuova für riesige Gewaltakte und Ausschreitungen gesorgt. Es wurden mehrere Polizeistationen attackiert, auch mit Molotow-Cocktails und allem möglichen. Rom stand in Flammen – es war eine richtige Revolte.
Da muss man auch unterscheiden. Es gibt eine Wut von Seiten der Anhängerschaften von Fußballmannschaften, die auch berechtigt ist, da die Regierung die Stadien als Labor für die neusten Spezialgesetze und Unterdrückungsinstrumente nutzt. Andererseits versuchen die Faschisten, sich an die Spitze dieser an sich gerechtfertigten Bewegung zu stellen und sie zu etwas anderem zu machen, zu einem politischen Werkzeug, um auf die Regierung Einfluss zu nehmen und in diesem Fall wurde auch bewiesen, dass diejenigen, die diese Polizeistelle attackiert haben, gerade Mitglieder der Forza Nuova waren.
Das Manöver sieht so aus, dass man eine Situation, die schon kritisch ist, wo es schon viel Konfliktpotential gibt, durch solche Ausschreitungen noch weiter verschärft, bis die Regierung dann eingreift und neue Instrumente der Unterdrückung ausprobiert. Die Wirkung dieser Ausschreitungen geht also eher in die Richtung ‘law and order’, als in eine andere Richtung.
Zur Zeit der Prodi-Regierung haben sie also Druck auf die Prodi-Regierung ausgeübt und indirekt die Opposition unterstützt, die Berlusconi-Anhänger waren.
Ein weiterer Bereich, in dem sich diese Gruppen sehr aktiv zeigen, ist vor allem in letzter Zeit die Intoleranz gegenüber der Roma-Bevölkerung, speziell in Rom. Da gab es auch eine zentrale Episode: Eine Woche vor der Tötung dieses Fußballanhängers, wurde eine Frau von einem Mann rumänischer Herkunft vergewaltigt. Das wurde zum Anlass genommen, Romalager anzugreifen. Diese Forza Nuova Gruppe stand, wenn nicht immer direkt an der Spitze der Gewalt, dann doch zumindest im Hintergrund. Die Lage war so kritisch, was die Roma-Bevölkerung anging, dass die rumänische Regierung sich genötigt fühlte, die italienische Regierung zu rügen und zu sagen, sie müssen unbedingt etwas unternehmen um die Gewalt gegenüber den Roma zu unterbinden.
Es gab da interessante Telefongespräche, die im Zusammenhang mit der Vergewaltigung und Tötung von dieser Frau, die auch ermordet wurde, abgehört wurden. Direkt danach wurden Leute von der Forza Nuova mit faschistischen Anhängern der Lazio abgehört, die untereinander besprochen haben, welche Maßnahmen sie jetzt treffen sollen. Sie haben gesagt, sie wollen etwas richtig Großes veranstalten, bei dem die Regierung merkt ‘wir können vor dem Parlament zuschlagen und wir haben die militärische Vorbereitung dazu.’
Ein weiterer Bereich, in dem die Prodi- Regierung große Schwierigkeiten hatte, war bekanntlich das Problem mit dem Müll. Auch da wurden Telefonate abgehört, in denen Mitglieder dieser Gruppe vereinbarten, mit ganzen Autoladungen nach Neapel zu fahren und die Demos der Bevölkerung zu infiltrieren, wo es eben zu Ausschreitungen zwischen der Bevölkerung und der Polizei wegen des Abfalls gab.
Zu der Situation mit dem Müll in Neapel muss man leider etwas weiter ausholen und mal ein bisschen den Hintergrund in Italien schildern. Man weiß, da gibt es oft keine so klare Grenze zwischen dem offiziellen Italien und der Mafiamachenschaften, da gibt es Verbindungen zwischen Politik und Mafia. Tatsache ist, dass Neapel seit Jahrzehnten die Müllhalde der Unternehmen in Norditalien war. Giftmüll wurde, anstatt ordentlich entsorgt zu werden, in die Gegend um Neapel gekarrt – zu einem 25tel der Kosten, die sie sonst hätten zahlen müssen. Also mehr als das, der Giftmüll, der nach Neapel gekarrt wurde, stammte nicht nur aus Italien, sondern aus ganz Europa. Man kann sagen, dass die Gegend um Neapel die größte offenen Müllhalde im Mittelmeerraum ist. Man muss wissen, dass in der Gegend um Neapel ganze Familien krank werden und an den Folgen der Dioxinvergiftung sterben und andere gesundheitliche Folgen von der Vergiftung des Bodens haben. Selbst die extremsten Formen des Protestes haben ihre Rechtfertigung.
Man muss auch sagen, dass in Süditalien die Mafia oft genau die Rolle hat, die woanders die Rechte hat. Genau da, wo die Situation kritisch ist, wo Konfliktpotential vorhanden ist, da greift die Mafia ein und übernimmt sozusagen die Führung. Was die Faschisten im Norden oft tun, das tut im Süden die Mafia (wobei Mafia als Überbegriff für verschiedene Organisationen verwendet wird). Da muss man unterscheiden, weil jede Sorte Mafia andere politische Verbindungen hat. Die Camorra hat sowohl mit der Mitte-Links, als auch mit der Mitte-Rechts Koalition gute Verbindungen, während die ’Ndràngheta in Kalabrien sich traditionell zu den rechten Parteien hin orientiert, insbesondere zur Alleanza Nazionale.
Genau für die selben Ausschreitungen, wo diese Leute planten mit Autos hinzufahren, wurden später Leute von der Alleanza Nazionale verurteilt, weil sie Anhänger der Fußballmannschaft von Neapel so organisiert hatten, die sie also innerhalb dieser Ausschreitungen dazu aufgefordert hatten, Autos in Brand zu setzen. Genau bei diesen Ausschreitungen waren Camorra Menschen involviert.
Es gibt ganz offensichtlich einen Plan auf nationaler Ebene. Das läuft immer nach einem ähnlichen Muster ab. Das haben wir vorher schon gesehen in Rom mit den Anhängern der Lazio und den Vertreter von Forza Nuova, jetzt in Neapel bei dieser Müllproblematik wieder mit Anhängern der Ultras (extreme Anhänger der Fußballmannschaften Neapels) und Vertretern der rechten Partei. Es gibt noch eine weitere Episode, die genau in die selbe Richtung geht: Als die Müllsituation in Neapel unerträglich wurde, musste die Prodi-Regierung nach Ausweichmöglichkeiten suchen, wo man mindestens einen Teil von diesem Müll auf die Schnelle entsorgen konnte. Das erste Ziel war Cagliari auf Sardinien, da wollten sie Müll ablagern. Da gab es große Proteste von der Bevölkerung und an die Spitze der Bevölkerung haben sich wieder einmal Leute von der Alleanza Nazionale mit Anhängern der dortigen Fußballmannschaft gestellt. Es gab da auch einen Angriff auf den privaten Sitz des Präsidenten der Region Sardiniens, Soru. Das hat einen unheimlichen Druck auf die Regierung Prodi ausgeübt, weil die Botschaft war: ‘Du wirst keinen Ort finden, wo du diesen Müll ablagern kannst. Weder in Cagliari, noch woanders in Italien. Es wird immer so ablaufen.’
Ein weiteres Beispiel für diese Strategie ist die Gesellschaft Ecco Quattro, die für die Müllentsorgung auf der Campanischen Küste zuständig war. Diese Gesellschaft ist ein extremes Beispiel für Interessenverbindung zwischen der Politik, also der Alleanza Nazionale wiedereinmal, und der Koalition der Regierung und der Camorra. Es gab eine Untersuchung über diese Gesellschaft. Es ist bewiesen, dass in dieser Gesellschaft sowohl Leute von der Alleanza Nazionale, insbesondere der ehemalige Minister der früheren Berlusconi-Regierung, Mario Landolfi, und wichtige Vertreter der Camorra, der Familie Casalesi im Spiel waren. (Gegen Landolfi wird noch prozessiert, inzwischen ist aber ein wichtiger Zeuge ermordet worden.) Man kann also sagen, dass die Alleanza Nazionale sowohl in Neapel, als auch als sie in Cagliari mit Hilfe von Fußballanhängern gegen diese Müllprobleme protestiert hat, im Grunde gegen sich selbst protestiert haben, da sie ihre Vertreter in der Müllvertretungsgesellschaft drin haben, die für dieses Desaster zuständig sind.
Jetzt gehen wir zurück nach Rom für eine andere Geschichte, an der man auch sehr gut sehen kann, wie schwierig es auch in Italien ist, zwischen der legalen und der illegalen Wirtschaft zu unterscheiden, die völlig ineinander greifen. Dazu muss man zuerst erklären, dass die Fußballmannschaft Lazio eine Aktiengesellschaft ist. Vor circa zwei Jahren hat ein ehemaliger berühmter Lazio-Spieler Giorgio Chinaglia urpolötzlich verkündet, dass er im Auftrag einer ungarischen Industriegesellschaft die ganze Gesellschaft oder wenigstens ein wichtiges Aktienpaket, also die Kontrollmehrheit erwerben wollte. Gleichzeitig haben die extremsten Gruppen innerhalb der Anhängerschaft, die so genannten irriducibili, Morddrohungen in Richtung des Präsidenten des Fußballklubs gemacht und diese Aktion von Giorgio Chinaglia offiziell unterstützt. Sie waren so gewalttätig gegenüber dem Präsidenten von Lazio, dass sie sogar angezeigt wurden. Es sind genau die selben Gruppen innerhalb der Anhänger von Lazio Rom, die mit der Forza Nuova zusammengearbeitet haben. Kurz nachdem die Chinaglia ihre Unterstützung zugesagt haben und den Präsidenten von Lazio bedroht haben, war Chinaglia verschwunden und nicht mehr auffindbar. Es wurde untersucht, was passiert war, und man hat herausgekriegt, es gab hinter Chinaglia keinerlei Industriegruppe in Ungarn und das Geld, die 20 Millionen, mit denen er die Aktien von Lazio Rom kaufen wollte, die stammten von dieser Müllentsorgungs-Gesellschaft Ecco Quatro.
Da kann man nur milde lächeln, wenn la Russa, der Verteidigungsminister, die Notwendigkeit behauptet, mit der Armee in Campagnien gegen die Camorra einzugreifen. Eher soll die Armee dazu dienen, die legitimen Proteste der Bevölkerung zu unterdrücken. La Russa ist eine interessante Persönlichkeit, weil er ein wichtiges Mitglied der Alleanza Nazionale ist, weil er Verteidigungsminister ist, also Chef der italienischen Armee, und weil er auch gleichzeitig Chef der Mailänder Rechten ist, also dieser ganzen Konstellation rechter Gruppierungen. Im Fall der Mailänder Rechten ist typisch, dass kaum noch ein Unterschied zwischen der institutionellen Rechten und der radikalen Rechten zu spüren ist.
Auch wichtig ist, dass in Mailand diese große Konstellation der vereinten Rechten eine enge Verbindung mit der ’Ndràngheta eingegangen ist, der calabresischen Mafia, die dort den Kokain Markt beherrscht.
Sehr wichtig ist, was in Quarto Oggiaro, einem ärmeren Viertel von Mailand passiert: Quarto Oggiaro, obwohl tief im Norden, ähnelt immer mehr den typischen Situationen in Süditalien, wo das Leben von der organisierten Kriminalität kontrolliert wird. Die Rechte versucht zusehends Quarto Oggiaro zu einer Hochburg der Rechten zu machen, zu einer schwarzen Hochburg, ähnlich wie in Berlin-Lichtenberg. In Quarto Oggiaro wird auch der Sitz von Cuore Nero eingeweiht, das ist eine Tochterorganisation von Hammerskin in Mailand. Hammerskin ist in Italien eigentlich nicht zugelassen, eigentlich offiziell aufgelöst, trotzdem dürfen sie ganz offen agieren. Es wurde bewiesen, dass um das Skin-Haus in Mailand von dieser Organisation die Fäden zusammengezogen wurden für verschiedene Sachen, die sie damals organisiert haben, mit Attacken gegen Centri Soziali und viel mehr. Also sehr viele gewalttätige Geschichten. Cuore Nero gehört wiederum zum Network von diesem Gianluca Iannone in Rom und seiner Casa Pound.
In Mailand besteht aber eine enge Verbindung zwischen Cuore Nero und Alleanza Nazionale. Ihr Verbindungsmann ist Jongila Varini, der auch ein Kandidat und Mitglied von Alleanza Nazionale ist. Es gibt ein Bild, ein Photo, das sehr bezeichnend ist für diese Verbindungen zwischen Cuore Nero, Alleanza Nazionale und der ‘Ndràngheta ist, wahrscheinlich nicht ohne die Unterstützung der ’Ndràngheta. Das ist ein Photo, das an die Filme über die italo-amerikanische Mafia erinnert. Bei der vorletzten Wahl, 2006, als noch Prodi gewonnen hat, wurde im Viertel Quarto Oggiaro ein Infostand der Alleanza Nazionale eingerichtet, genau in diesem Viertel. Auf diesem Bild sind zu sehen: Jongila Varini, Mitglied von Alleanza Nazionale und zuständig für Cuore Nero, der rechte Arm von Ignazio la Russa, einer der höchsten Vertreter der Forza Italia, also Berlusconis Partei in Mailand, und Salvatore Digiovane, Chef von einem Clan der ’Ndràngheta, der für den Kokainhandel in Norditalien zuständig ist, und dann noch der Kandidat von Alleanza Nazionale für den Wahlbezirk. Es sah so aus, als ob dieser Mafia/’Ndràngheta-Mann Digiovane seinen Segen für den Kandidaten von Alleanza Nazionale geben würde. „Freund von meinen Freunden.“
Der andere Zuständige für Cuore Nero – neben Jongila Varini- ist auch ein Mitglied von Hammerskin in Mailand. Sein Name ist Allessandro Tudisco. Interessanterweise ist der Bruder von diesem Tudisco der Chef von den Ultras von Inter Mailand, also wieder so eine faschistische Anhängerschaft. Ein Großteil der Cuore Nero Anhänger, von den Hammerskin Leuten, sind gleichzeitig auch bei diesen irriducibili (‘die Unbeugsamen’), also den extremen Anhängern von Inter Mailand. Das Selbe passiert in Rom mit den Cousins von Cuore Nero, also den Casa Pound Leuten, die genau die selbe Rolle bei den Fussballmannschaften haben. Es ist auch interessant, dass es ist nicht so ist, dass manche Casa Pound Leute zufälligerweise auch bei der Anhängerschaft von AC Rom (nicht Lazio) sind, sondern dass diese Gruppe absichtlich von Casa Pound gegründet wurde um in diesem Bereich präsent zu sein.
Wenn man alles zusammenzählt, was wir bis jetzt gesehen haben, kann man schon auf die Idee kommen, dass eine echte Strategie dahinter steht, wie die Rechte die Anhängerschaft der verschiedenen Fußballmannschaften infiltriert. In Mailand hat Alleanza Nazionale mit AC Mailand, also mit der Fußballmannschaften von Silvio Berlusconi, etwas Ähnliches gemacht. Es gab in der Kurve von den Milan Anhängern eine historische linke Gruppe, die wurden von der Vereinsführung rauskomplementiert, sie mussten die Plätze in der Kurve räumen und dann kam erst diese neue Gruppe, wo man dann gesehen hat, dass sie von der Alleanza Nazionale organisiert ist. Diese Gruppe ist nicht direkt eins zu eins mit der Alleanza Nazionale zu setzten, aber es gibt in der Führungsgruppe einige führende Persönlichkeiten der Alleanza Nazionale und auch von der organisierten Kriminalität, also einige Vorbestrafte, die Verbindungen zur organisierten Kriminalität haben.
Es ist klar was für ein riesiges Potential in dieser Verbindung zwischen der radikalen Rechten und der organisierten Kriminalität steckt. Das kann uns eine weitere Episode klar machen:
Diese neue rechte Gruppe, die eben kommt, hat nicht nur diese historische linke Gruppe Fossa dei Leoni raus gedrängt, sondern auch weitere traditionsreiche Gruppen von der Kurve verdrängt. In einem Fall gab es sogar Verdachtsmomente, dass ein Vertreter dieser Gruppe auf Befehl der rechten Gruppe angeschossen wurde. In diesem Fall haben zwei maskierte verfeindete Fussballanhänger diesen Mann auf dem Mofa erreicht, und haben ihm mit einer Methode in die Beine geschossen, die nicht typisch für die radikale Rechte oder die Fußballfans ist, sondern gerade für die organisierte Kriminalität.
Ein weiterer Führer von der Gruppe ist Carlo Lazi, auch schon Kanditat für die Alleanza Nazionale, gegen den ein Verfahren läuft, weil er angeblich seinen Arbeitgeber angeschossen hat.
Noch besorgniserregender sind die Verbindungen zwischen dieser Gruppe und einer Mafia-Familie, der Rappociollo. Es geht hier um Verbindungen zu der Mafia-Familie, der ’Ndràngheta-Familie in Mailand, die direkt mit dem kolumbianischen Drogenkartell verhandelt. Diese Verbindung wird besonders deutlich auf dem Gemüsemarkt von Mailand auf ähnliche Weise wie mit dieser Gesellschaft Ecco Quatro in Campanien.
Der Gemüsemarkt, das ist die Markthalle, in Mailand gehört der Stadt Mailand. Es handelt sich um eine Gesellschaft, wo der Staat die Kontrollquote hat. Die öffentliche Hand innerhalb der Verwaltung des Marktes ist von Menschen der Alleanza Nazionale vertreten, also man kann sagen, dass die Alleanza Nazionale diese Struktur kontrolliert. Aber offensichtlich wird der Markt eher von der ’Ndràngheta kontrolliert, die da sehr starke Interessen hat. Die Interessen der Mafia sind wohl so stark, dass diese Gesellschaft Salvatore Morabito (das ist der absolute Chef der ’Ndràngheta) eine Spezialgenehmigung gegeben hat, dass dieser direkt mit seinem Auto auf den Großmarkt fahren darf. Da die ’Ndràngheta eine der gefährlichsten Organisationen der Welt ist, kann man sehr wohl sagen, dass dieser Salvatore Morabito einer der gefährlichsten Kriminellen der Welt ist, und seine Familie verhandelt direkt mit den Drogenkartellen in Kolumbien. Ein Gewerkschaftsvertreter der GGL in Italien hat versucht, diese Verbindungen aufzuklären und im Gegenzug wurde seine Wohnung in Brand gesetzt.
In dieser Woche hat eine der wichtigsten Zeitschriften in Italien einen Artikel veröffentlicht, in dem ein Journalist sich als Arbeiter ausgegeben hat und so von innen die Lage der Schwarzarbeiter, es sind hauptsächlich Schwarzarbeiter auf dem Großmarkt von Mailand, dokumentieren konnte, also unmenschliche Arbeitsbedingungen. Einmal mehr ein Beweis, wie eben diese Verbindungen zwischen Politik und organisierter Kriminalität die Grenze zwischen legaler und illegaler Wirtschaft in Italien zu etwas kaum noch erkennbaren machen.
Ein großer Widerspruch besteht auch darin, dass die Alleanza Nazionale im Parlament gegen die Einwanderung kämpft und dann tatsächlich in Mailand eine Struktur kontrolliert, wo lauter Einwanderer unter widrigsten Arbeitsbedingungen eingesetzt werden. Ich habe immer geglaubt, dass Faschismus und Rassismus keine glaubwürdigen ideologischen Bezugspunkte besitzen, sondern dass es sich einfach um Werkzeuge handelt, die in jeder historischen Situation für ähnliche Zwecke eingesetzt werden können. Dieser institutionelle Rassismus und die rassistischen Gesetzt dieser Regierung haben der italienischen Wirtschaft eine Horde illegaler Einwanderer geschenkt, die man als neue Sklaven einsetzten kann.
Fragerunde
Eine Zuhörerin wollte wissen, in welcher Zeitung dieser Artikel über die Arbeitsbedingungen auf dem Markt erschienen ist. Der Referent war sich nicht ganz sicher, sehr wahrscheinlich entweder in Republica, der Tageszeitung, oder der damit verbundenen Zeitschrift Espresso, aber ihr könnt das leicht herauskriegen.
Frage:
Zum Tod des Fans sollte man etwas richtig stellen. Ihr habt es so dargestellt, als ob es da eine Auseinandersetzung zwischen Fangruppen gegeben hätte und er quasi so da erschossen worden wäre, aber der Polizist hat ihn erschossen.
Die Situation war aber anders und das ist auch für die Folgen, die aufgetreten sind sehr wesentlich. Zunächst einmal die Situation: die Lazio Fans waren zu viert im Auto unterwegs, auf einem Auswärtsspiel in Turin. Die saßen im Auto und wurden von zwei Bullen kontrolliert und dabei erschossen. Das ist in dem Sinn wesentlich, weil sie dadurch eindeutige Opfer waren, vor allem für dieses große Fußballkollektiv Italien. Zudem ist Lazio natürlich ein Naziverein, und daher auch dieser eine Spieler, der immer einen Gruß in die Blöcke zeigt, aber der Typ war zufällig kein Nazi. Die haben auch ein paar Fans, die nicht Nazis sind, das hat nochmal diesen Opfercharakter gesteigert, so wie nicht jeder Cottbus Fan ein Rechter ist.
Dann nämlich diese Reaktion in Italien: es war also nicht so, dass Rom nur gebrannt hat, weil da Nazis Riots gemacht haben, sondern in ganz Italien, in vielen anderen Städten haben sowohl rechte als auch „linke“ ‘olé olé Antifa-Hooligans’ auch Riots gemacht, was auch irgendwie in meinen Augen ein bisschen diese linke in ein schlechtes Licht rückt.
Antwort:
Der Zuhörer habe weitgehend recht, aber er habe auch nicht unrecht. Es ist schon so, dass diese Leute, die in dem Auto saßen, von denen später einer ermordet wurde, gerade von einer kleinen Auseinandersetzung auf einem Parkplatz von einer Raststätte kamen, wo aber nichts weiter passiert war als ein paar Ohrfeigen. Dann sind sie wieder ins Auto gestiegen, losgefahren und Polizisten, die das von der anderen Seite der Autobahn beobachtet hatten, sind hinterher gefahren und eben dann ist es so gewesen wie du es erzählt hast: die wurden angehalten oder der hat sogar aus der Entfernung geschossen sagt er der hat sie nicht angehalten und dann gab es eben diesen Todesfall.
Das Problem sind auch nicht die Ultras, also diese extremen Anhänger, weil gegen die in Italien sowieso eine ganz starke Polizeigewalt ausgeübt wurde, also sehr gewalttätig. Das Problem ist, dass diese Ultras als so eine Art Labor verwendet werden, um Spezialgesetzte und anti-konstitutionelle Methoden auszuprobieren. Oft sind die Proteste dieser Ultras gerechtfertigt.Oft gibt es Hintermänner, die auch nicht unbedingt etwas mit Fußball zu tun haben, und sich nicht einmal dafür nicht interessieren. Die nutzten dieses Konfliktpotential um die Situation weiter zu verschärfen und eben um eine Strategie anzuwenden. Er habe sogar eine gewisse Sympathie für die Ultras-Bewegung an sich. Das Problem sind nicht die Ultras, sondern die Führungskräfte der radikalen Rechten, die die Ultras-Bewegung nutzen um diese zu infiltrieren, um dort zu rekrutieren.
Es gab zum Beispiel ganz große schwere Auseinandersetzungen bei einem Fußballspiel zwischen Rom und Brescia, wo die Anhänger von Rom einfach direkt aus dem Bus gestiegen sind und sofort die Polizei attackiert haben, sogar den stellvertretenden Polizeichef von Brescia. Später ist herausgekommen, dass da Leute dahinter standen – Freunde von diesem Maurizio Boccacci, die mit Fußball überhaupt nichts zu tun haben, also das waren nicht mal richtige Anhänger. Dadurch, dass die Anhänger so systematisch infiltriert werden, gibt es Freundschaften praktisch in an sich entgegengesetzten Kurven. Leute aus der selben politischen Organisation sitzen teils bei Lazio, teils bei AC Rom, was an sich nicht möglich wäre, weil die Anhänger sich sonst aus dem Weg gehen würden. Diese Verbindung, also man macht Politik zusammen und dann sitzt dann in entgegengesetzten Kurven, ist nur dadurch zu erklären, dass da ein System dahinter steckt, warum diese Leute da sitzen.
Die Ultras in Italien haben zurecht gegen die Spezialgesetzte unseres Ministers Pisano von der Berlusconi Regierung protestiert. Die haben lange gegen dieses Gesetz protestiert und dann sitzen jetzt Leute, die dieses Paket verabschiedet haben, in der Berlusconi-Regierung mit dabei, also zusammen mit ihren eigenen Leuten. Zuerst protestieren sie dagegen und nach drei Jahren Protesten gehen sie eine Koalition ein mit genau diesen Leuten. Einerseits machen sie auf rebellisch, sie stehen auf der Seite der Ultras, und andererseits unterstützen sie die Ordnungsparteien.
Das Problem sind nicht die Ultras, sondern diese Infiltierungsversuche durch die Rechte.
Frage:
Sind diese Vernetzungen bekannt in der Bevölkerung? Gibt es Gegenbewegung gegen rassistische Gesetze? Wie verhält sich die Bevölkerung? Eher Akzeptanz oder eher Solidarität mit der Gegenbewegung?
Antwort:
Die Informationen, die er heute dargestellt habe, sind nicht so weit bekannt, weil sie auch nicht in den offiziellen Medien verbreitet werden. Man muss danach suchen um sie zu finden.
Die einzige Organisation in Norditalien, die sich dafür engagiert hat, ist die radikale Linke. In Süditalien hat man oft so allgemeine Aufrufe zur Bekämpfung der Mafia, der Camorra, aber es bleibt soweit eher eine populisitsche Geschichte, weil wenn man bedenkt wie viel Geld von den Drogengeschäften der Mafia in/an die italienische Wirtschaft/ Börse kommt sieht man gleich, dass der Kampf nicht leicht sein kann, dass es kaum möglich ist in ist, die Mafia zu bekämpfen. Es ist eine tiefe Krankheit, die man nicht so leicht bekämpfen kann, vor allem, weil eben soviel Geld im Spiel ist.
Frage:
Gibt es ein Ausnutzen der linken Strukturen/Gruppierungen auch bezüglich des Feminismus?
Antwort:
Die Rechte hat sich auf diesem Gebiet wenig vorgedrängt. Das einzige, das sie gemacht haben, mehr als die linke, sie haben öfter Frauen als Kandidatinnen gehabt als die Linke selbst, sowohl in der Politik als auch in Gewerkschaften. Aber ansonsten wenig, auch weil die Rechte in Italien eng verwoben mit der katholischen Kirche ist, die zur Zeit sehr frauenfeindlich ist.
Zum Beispiel Forza Nuova ist extrem aktiv gegen die Abtreibung. Die sind immer an vorderster Front gewesen. Gut die Hälfte von dem, was sie inhaltlich produzieren, hat damit zu tun. Traditionell hat die Rechte eine sehr traditionelle Sicht der Frau, also zu Hause Kinder hüten, und die Rechte setzt sich für eine höhere Geburtenrate ein. Dazu braucht man die Frau. Dazu eben noch die die Thematik mit der Abtreibung. Im Moment gibt es so eine transversale Tendenz gegen die Abtreibung zu sein, sogar von Seiten der Linken. Das ist ein großes Thema in Italien im Moment.
Frage:
Es gab eine Demonstration in Mailand, die sehr gewalttätig war, gegen die Fiamma Tricolore, und es wurden drei Genossen verhaftet. Es gab dann ein Solidaritätskommitee, die dann in der Region um Mailand, hauptsächlich in Bergamo rote Hände an die Wände gemacht haben. Der Referent und zwei andere wurden verhaftet und für alle Hände verantwortlich gemacht, was 25.000 Euro kostete. Mich hat das ziemlich schockiert zu hören, dass einerseits die radikale Rechte sehr stark wird und viel Unterstützung erhält, und gleichzeitig die Linke unter Repression zu leiden hat, was ich ziemlich erwähnenswert finde. Und mich würde interessieren, wie der Zustand der Linken insgesamt so ist?
Antwort:
Also man kann tatsächlich sagen, dass nach Genua einige Straftatbestände wieder entdeckt wurden, die zwar noch vorhanden waren im Strafgesetzbuch, aber die seit 60 Jahren nicht mehr angewendet wurden, seit dem Faschismus. Zu diesen schon vorhandenen, aber veralteten Gesetzen kommen auch neue Gesetze, Spezialgesetze, die eben ursprünglich als Notmaßnahmen gegen die Gewalt von Seiten der Ultras verabschiedet werden und dann nachher allgemein auch gegen andere Gruppen angewendet werden. Es gibt einen Straftatbestand, der seit dem Krieg nicht mehr, praktisch nie wieder, angewendet worden war und jetzt immer wieder regelmäßig. Der heißt „Verwüstung und Beute machen“. Im Grunde ist es von dem, was man getan hat, nicht viel mehr als Sachbeschädigung, aber die Strafen gehen bis 15 Jahre.
Es gibt noch eine sehr komische juristische Geschichte, die es nur in Italien gibt, also in anderen westlichen Ländern nicht, die heißt „moralische Unterstützung/Mittäterschaft“. Es ist kein Komplizentum, sondern mehr eine moralische Unterstützung.
Ein gutes Beispiel: Am 11. März, als ein Sitz im Gebäude der Alleanza Nazionale beschädigt wurde, da wurden zufällig ein paar Leute in der Menge verhaftet. Dann konnte man anhand von Videos erkennen, dass die Verhafteten nichts gemacht hatten. Sie standen da nur herum, sie hatten weder was geplant noch haben sie materiell auch nur einen Stein geworfen. Aber durch diesen besonderen Tatbestand des ‘concurso morale’, kriegen sie die selbe Strafe, als hätten sie sich wirklich an den Verwüstungen beteiligt, weil die Tatsache, das sie passiv dastanden ist, als wenn sie mitgemacht hätten. Sie hätten sonst die Leute daran hindern müssen und wenn sie das nicht gemacht haben, dann sind sie genauso schuldig wie diejenigen, die es gemacht haben.
Im Fall des Redners: Die Tatsache, dass er eine rote Hand an die Wand gedrückt hat, wird so ausgelegt, als würde er mit seinen Verhalten das Verhalten der unzähligen anderen unterstützt haben und deswegen ist er jetzt persönlich schuldig für die ganzen Tausenden von roten Händen, obwohl er nur eine einzige hin gemacht hat. Das ist eine Auswirkung von diesem speziellen Tatbestand des ‘concurso morale’.
Im Fall vom 22. März hat man sogar von psychischer Mitbeteiligung gesprochen. Es geht fast in Richtung Science Fiction. Es ist noch ein Relikt aus faschistischer zeit, ein typischer Bestand einer Diktatur und es wurde aber tatsächlich nach dem Krieg in Italien nicht mehr verwendet, erst jetzt nach Genua.
Frage:
Wie ist die Situation der radikalen Linken in Italien, vielleicht auch im Hinblick auf den G8 Gipfel nächstes Jahr?
Antwort:
Die antagonitische Linke, die von den Centri Sociale, den Kollektiven erlebt zur Zeit einen sehr starken Rückgang.
Wenn man jetzt aber die breitere Bevölkerung anguckt, da gibt es durchaus Bewegung, auch im demokratischen Sinne Mobilisation. Zu dieser Studentenbewegung in letzter Zeit wurde gerechnet, dass sie eine noch größere Beteiligung hatte, als die 68er-Bewegung.
Innerhalb von diesen Bewegungen findet auch die antagonistische Linke, je nach Ort und Stadt ist es manchmal auch die ‘Fundamenta Kommunista’, Gelegenheit, diese Bewegung zu unterstützen, organisatorisch zum Beispiel.
Zum Beispiel in Neapel war wegen der Müllproblematik in Chiaiano (eines der heißesten Pflaster) ein Centro Sociale auch stark involviert. Es gibt auch eine Rolle der Centri Sociali auf organisatorischer Ebene bei verschiedenen Organisationen, Comitati, zum Beispiel im Umweltbereich oder als Widerstand gegen die Militärbasis in Vicenca. Da gibt es auch einen Beitrag von den Centri Sociali zu diesen Bewegungen. Vor allem ist hier das Netzwerk der Ungehorsamen, der Disobbedienti, beteiligt.
In den nächsten Monaten in Folge der Wirtschaftskrise kann man davon ausgehen, dass eher die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer die Hauptrolle spielen werden. Die Berlusconi Regierung hat kürzlich die GGL, die größte Gewerkschaft in Italien, von den Verhandlungen ausgeschlossen. Historisch gesehen war die GGL die Gewerkschaft von der PCI.
Und man kann davon ausgehen, dass die GGL der Regierung diese Entscheidung teuer zurückzahlen wird, in Form von Mobilisation und Streiks. Aber wo der Funke wirklich springen könnte ist zur Zeit einfach die Lage der Arbeitnehmer in Italien. Die Löhne sind absolut ungeeignet, also nicht ausreichend.
Man kann im Moment schlecht eine Prognose machen, alles hängt von der Entwicklung der Wirtschaftskrise ab und von den Auswirkungen auf die Bevölkerung.
Was den G8 angeht, hat der Referent im Moment keine genaueren Infos. Sicher ist nichts so Großes in Vorbereitung wie damals für Genua. Andererseits ist die italienische Bewegung auch bekannt für ihre sehr schnellen Kursänderungen und Initiativen. Es kann noch was passieren…
Basta!