2009-02-23 

Bundeskanzleramt - Zusammenfassung des Vorsitzes des G20-Vorbereitungsgipfels in Berlin

Der Sprecher der Bundesregierung, Ulrich Wilhelm, teilt mit:
Die Staats- und Regierungschefs der EU, die am 2. April am Londoner G20-Gipfel teilnehmen werden, haben sich heute in Berlin getroffen, um ihren Standpunkt abzustimmen. Die Ergebnisse des heutigen Treffens werden in die Diskussion des Europäischen Rates vom 19. und 20. März in Brüssel einfließen.
Die Vorsitzende, Bundeskanzlerin Angela Merkel, fasst die Gespräche des heutigen Tages folgendermaßen zusammen:

A) Erneuerung der globalen Finanzmarktregulierung hat Priorität
Auf dem Weg zu einer neuen globalen Finanzmarktarchitektur kommen wir erfolgreich voran. Beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 15. November 2008 in Washington hat sich die Gemeinschaft der G20-Staaten zu konkreten Reformschritten verpflichtet. Wir begrüßen, dass die Arbeiten der Finanzminister hierzu planmäßig vorangehen. Wir bekräftigen unseren Willen, die gemeinsamen Beschlüsse vom 15. November rasch und vollständig umzusetzen. Es wird von zentraler Bedeutung sein, auch über den 2. April hinaus den Druck aufrecht zu erhalten, diese Maßnahmen konsequent umzusetzen. Heute haben wir in Berlin vorgeschlagen, den Internationalen Währungsfonds (IWF) und das Forum für Finanzstabilität (FSF) zu beauftragen, die Implementierung der internationalen Empfehlungen zur Umsetzung des Aktionsplans zu überwachen und voranzutreiben und den G20 Staaten Bericht zu erstatten.
Unverzichtbar für die Stabilität der globalen Finanzmärkte sind Transparenz und die Verantwortlichkeit aller Finanzmarktteilnehmer. Wir haben daher heute nochmals unterstrichen, dass alle Finanzmärkte, -produkte und Marktteilnehmer lückenlos und unabhängig davon, wo sie ihren Sitz haben, einer angemessenen Aufsicht oder Regulierung unterstellt werden müssen. Das gilt insbesondere für solche privaten Anlagegesellschaften, einschließlich Hedgefonds, von denen ein systemisches Risiko ausgehen kann. Deshalb fordern wir eine angemessene Aufsicht oder Regulierung dieser Sektoren, um einer exzessiven Risikoübernahme Einhalt gebieten zu können. Wir sind ferner übereingekommen, dass Ratingagenturen einer Registrierungspflicht und obligatorischen Aufsicht unterstellt werden sollten.
Wesentlich für die künftige globale Finanzmarktordnung sind nach unserer gemeinsamen Auffassung vor allem folgende Aspekte, die wir auf dem Gipfel in London mit Nachdruck vertreten werden:

* Förderung der Systemstabilität der globalen Finanzmärkte, unter anderem durch eine Eindämmung der prozyklischen Auswirkung regulatorischer Maßnahmen, um die verstärkende Wirkung von Schwankungen auf den Finanzmärkten auf die Realwirtschaft zu mildern. Aus diesem Grund haben wir heute vereinbart, für Reformen einzutreten, die gewährleisten sollen, dass Banken in guten Zeiten zusätzliche Eigenkapitalpuffer aufbauen, und wir ermutigen die in diesem Bereich tätigen Arbeitsgruppen und Institutionen (FSF, Baseler Bankenausschuss, EU Kommission), baldmöglichst geeignete Empfehlungen vorzulegen.

* Entschlossenes Vorgehen gegen Steueroasen und unkooperative Jurisdiktionen. In Übereinstimmung mit objektiven Kriterien, die sich an der laufenden Arbeit einschlägiger internationaler Institutionen orientieren sollten, müssen so bald wie möglich ein Verzeichnis unkooperativer Jurisdiktionen erstellt sowie ein Sanktionsinstrumentarium erarbeitet werden. Die Sanktionen würden unkooperatives Verhalten hinsichtlich des Informationsaustauschs mit anderen Aufsichtsstellen oder Behörden in Bezug auf Steuerflucht erfassen. Dies gilt ebenso für aufsichtsrelevante Informationen beziehungsweise Informationen über Aktivitäten zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Die Arbeitsgruppe zur Geldwäschebekämpfung (FATF), OECD und FSF sollten für das Treffen der G20 Finanzminister im März in ihren jeweiligen Arbeitsbereichen Vorschläge erarbeiten, die beim Gipfeltreffen von London zu überprüfen wären.

* Entwicklung eines effizienten Frühwarnsystems in enger Kooperation von IWF und FSF. Wir begrüßen die bereits eingeleiteten Schritte zur Verbesserung der Zusammenarbeit, insbesondere hinsichtlich einer Frühwarnübung. Auf Grundlage dieser Übung sollten IWF und FSF dem Internationalen Währungs- und Finanzausschuss (IMFC) und den G20 bis zur IWF-Tagung im Frühjahr konkrete Vorschläge unterbreiten. Die Ergebnisse der Frühwarnübung sollten künftig dem IMFC und den G20 vorgelegt und in einem gemeinsamen Bericht veröffentlicht werden.

* Annahme von Grundsätzen über Vergütungssysteme, um Bonuszahlungen zu vermeiden, die zu exzessiven Risiken verleiten. Wir teilen das Unbehagen über die aktuellen Vergütungssysteme und sind uns einig, dass die Finanzinstitutionen angemessene Anreizsysteme schaffen müssen, die transparent sind und sich stark an nachhaltigen und langfristigen Ergebnissen orientieren. Wir fordern daher das FSF auf, vor dem Londoner Gipfeltreffen solche Grundsätze anzunehmen.


In Anerkennung der Notwendigkeit, die Stärkung unserer Finanzsysteme für die Zukunft zügig voranzutreiben, haben wir uns verpflichtet, in London Gespräche zu führen, um uns auf eine umfassende Charta von Grundsätzen für die Finanzregulierung als Teil der Entwicklung einer Charta für nachhaltiges Wirtschaften zu einigen.
B) Akute Krisenbewältigung darf nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen
Zahlreiche Regierungen und Notenbanken haben bereits entschlossen gehandelt, um die Finanzmärkte zu stabilisieren. Allerdings ist die Situation weiterhin angespannt und das Vertrauen der Akteure in die Märkte ist noch nicht wieder zurückgekehrt. Wir bekennen uns nachdrücklich zu unserer Verpflichtung, systemrelevanten Finanzinstituten weiterhin beizustehen. Diese Zusicherung begrenzt die zukünftigen Risiken für die internationalen Finanzmärkte und führt zu beträchtlichem volkswirtschaftlichen Nutzen sowohl in den eigenen als auch in anderen Ländern. Wir müssen ferner alles tun, um die Kreditvergabe von Banken an Firmen und Privathaushalte aufrechtzuerhalten.
Eine weltweite Rezession in dem Ausmaß, das wir heute erleben, hat es in den vergangenen Jahrzehnten nicht gegeben. Europa hat auf diese Herausforderung im Einklang mit dem vom Europäischen Rat im Dezember 2008 beschlossenen gemeinsamen Rahmen schnell und entschlossen reagiert. Nahezu alle Mitgliedstaaten haben umfangreiche fiskalische, monetäre und strukturelle Maßnahmen zur Stützung der Konjunktur und zur Sicherung von Wachstum und Beschäftigung auf den Weg gebracht. Diese Maßnahmen werden in den kommenden Monaten zunehmend Wirkung entfalten und das Wachstum spürbar stützen. Wir sollten zusammenarbeiten, um Wirkung und Effizienz der getroffenen Maßnahmen zu überprüfen. Es entspricht unserer gemeinsamen Auffassung, dass wir nur dann gestärkt aus dieser Krise hervorgehen können, wenn wir weiterhin Strukturreformen durchführen und uns auf die öffentlichen Ausgaben konzentrieren, die die Wachstumschancen verbessern.
Wir verpflichten uns, unsere Konjunkturmaßnahmen und Rettungspläne für Finanzinstitute so umzusetzen, dass Wettbewerbsverzerrungen auf ein absolutes Mindestmaß beschränkt werden. In diesem Sinne sollten die G20 gemeinsame Grundsätze für solche Maßnahmen erarbeiten, damit einzelne Volkswirtschaften keine unangemessenen einseitigen Vorteile erhalten. In Bezug auf die Finanzmärkte benötigen wir in der EU gemeinsame Grundsätze für den Umgang mit risikobehafteten Wertpapieren, auch um die Belastungen der öffentlichen Haushalte zu begrenzen und frühzeitig internationale Standards zu setzen.
C) Gewährleistung nachhaltiger Wirtschaftspolitik
Unsere feste Absicht ist es, schnellstmöglich wieder auf den Pfad einer nachhaltigen Haushaltspolitik zurückzukehren. Langfristig müssen solide Staatsfinanzen gewährleistet bleiben; dies ist zugleich eine Voraussetzung für die dauerhafte Wirksamkeit der derzeit ergriffenen Maßnahmen. Um eine stabile wirtschaftliche und soziale Entwicklung im globalen Rahmen dauerhaft zu sichern und künftige Krisen zu vermeiden, bedarf es eines von Staaten und internationalen Organisationen getragenen Rahmens, der auf marktwirtschaftliche Kräfte setzt, aber Exzesse verhindert, und schließlich zur Schaffung eines globalen Ordnungsrahmens führt. Wir werden beim Gipfeltreffen von London Gespräche über eine neue Charta für nachhaltiges Wirtschaften aktiv unterstützen, und wir nehmen wohlwollend zur Kenntnis, dass die Arbeiten an ihrem ersten Baustein – eine Reihe gemeinsamer Grundsätze und Standards in Bezug auf Anstand, Integrität und Transparenz von Wirtschafts- und Finanzaktivität – im Rahmen des G8 Prozesses bereits begonnen haben.
Freier Handel und Offenheit für grenzüberschreitende Investitionen sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass die wirtschaftliche Dynamik im globalen Maßstab wieder zunimmt. Ein Durchbruch bei den WTO-Verhandlungen im Rahmen der Doha-Runde in den kommenden Monaten hat dabei oberste Priorität, um die Weltwirtschaft vor Protektionismus zu schützen. Die Staats- und Regierungschefs sollten hierfür in London ein kraftvolles Signal aussenden. Angesichts der gegenwärtigen schwierigen Lage der Weltwirtschaft sind alle Länder in der Pflicht, protektionistischen Tendenzen zu widerstehen und sich für eine spürbare weitere Öffnung des Welthandels einzusetzen. Wir verpflichten uns heute, keine Maßnahmen zu treffen, die diesem Grundsatz zuwiderlaufen, und unterstützen die WTO in ihren Bemühungen zur Schaffung eines Überwachungssystems. Wir verpflichten uns ferner, die unzureichende Kreditausstattung für den Außenhandel anzugehen, die den internationalen Handel stark beeinträchtigt.
Die globale Bekämpfung des Klimawandels darf durch die Wirtschafts- und Finanzkrise nicht in den Hintergrund treten. Die diesjährige VN-Klimakonferenz in Kopenhagen muss die Weichen für die erforderlichen weltweiten Anstrengungen zur Eindämmung des Klimawandels stellen. Wir werden in London zu diesem Ziel beitragen.
Die Finanzkrise und der globale wirtschaftliche Abschwung haben weitreichende Auswirkungen gerade auf die Entwicklungsländer. Es ist wichtiger denn je, dass die internationale Gemeinschaft an ihren Zielen zur Armutsbekämpfung und insbesondere an der Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele festhält. Wir bekräftigen ferner, wie wichtig es ist, dass keine Maßnahmen getroffen werden, die zu einer weiteren Verringerung der weltweiten Kapitalbewegungen führen würden, auch in Richtung der Entwicklungsländer, wie wir es beim Gipfeltreffen von Washington vereinbart haben. Hierfür werden wir uns beim Londoner Gipfel mit Nachdruck einsetzen.
D) Verbesserung der internationalen Kooperation – Stärkung der internationalen Institutionen
Den internationalen Finanzinstitutionen kommt in der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise eine wichtige Rolle zu. Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, sicherzustellen, dass die Märkte der Schwellen- und Entwicklungsländer auch weiterhin einen Beitrag zur globalen Nachfrage leisten, und für die Armen und Schutzlosen zu sorgen. Dazu müssen die internationalen Finanzinstitutionen mit ausreichend Ressourcen ausgestattet sein.
Um die Auswirkungen von Wirtschaftskrise und Kreditklemme auf die Schwellen- und Entwicklungsländer anzugehen – insbesondere um Kapitalbilanzkrisen zu verhindern, die Bankensysteme erneut mit Kapital auszustatten und Infrastrukturpakete zu erleichtern –, bedarf es einer größeren Menge an Ressourcen, als sie den internationalen Finanzinstitutionen derzeit zur Verfügung steht.
Wir haben uns deshalb heute darauf verständigt, eine Verdopplung der IWF-Mittelausstattung zu unterstützen. Der IWF muss in der Lage sein, seinen Mitgliedern schnell und flexibel zu helfen, wenn diese in Zahlungsbilanzschwierigkeiten geraten oder Schwierigkeiten beim Zugang zu Kapitalmärkten haben. Wir sollten Möglichkeiten für eine Reform der IWF Kreditinstrumente erwägen, damit diese den Erfordernissen ihrer Mitglieder in dieser schweren Zeit besser entsprechen und besser auf künftige Krisen reagieren können.
Wir fordern Weltbank und regionale Entwicklungsbanken auf, ihre vorhandenen Instrumente schnell und flexibel einzusetzen sowie neue Instrumente einzuführen, wo das existierende Instrumentarium nicht ausreicht. Wir begrüßen die Bereitschaft der Weltbankgruppe und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, ihre Ausleihungen erheblich auszuweiten und ihr Kapital maximal einzusetzen, um den Kreditfluss in Richtung der Schwellen- und Entwicklungsländer angesichts der sich verringernden Ströme aus dem Privatsektor aufrechtzuerhalten. Die multilateralen Entwicklungsbanken sollten schnell handeln, um den Finanzierungsbedarf für nachhaltige Investitionen dort zu decken, wo die privaten Kapitalmärkte nicht funktionsfähig sind, und ihren Mitgliedern bei der Stärkung ihrer Banken und Finanzsysteme zur Seite zu stehen.
Wir sind übereingekommen, mit IWF und Weltbank in Bezug auf ein klares Vorgehen und einen klaren Zeitplan hinsichtlich einer Reform der Führung dieser Institutionen zusammenzuarbeiten, damit diese die sich wandelnde Weltwirtschaft besser widerspiegeln und besser auf künftige Herausforderungen reagieren können.
Wir sollten insbesondere den Auftrag von IWF und FSF stärken, globale wirtschaftliche Risiken wirksam zu überwachen und Frühwarnsysteme bereitzustellen, um Krisen in Zukunft zu vermeiden.
Die Einrichtung von Aufsichtskollegien (Supervisory Colleges) für grenzübergreifende Finanzinstitutionen ist ein wesentlicher Baustein für eine bessere internationale Zusammenarbeit in der Finanzaufsicht. Hier wurden bereits wesentliche Fortschritte erzielt; wir ermutigen alle Länder sich zu verpflichten, solche Colleges einzurichten und insbesondere auch möglichst bald aktiv zu nutzen.
Wir unterstützen mit Nachdruck die Erweiterung und die Stärkung des FSF um maßgebliche Akteure der Finanzmärkte und der Wirtschaft und fordern eine zügige Umsetzung dieser Maßnahme rechtzeitig vor dem Londoner Gipfel.