2009-02-03
Wegen des herannahenden NATO-Gipfels in Straßburg-Kehl-Baden Baden am 3. und 4. April anlässlich des 60. Geburtstages der NATO, möchte dieser Artikel die europäische Außen- und Sicherheitspolitik vorstellen und die Rolle der Europäischen Union (EU) in der NATO hervorheben.
Der erste Teil des Artikels widmet sich der Darstellung der Institutionen der EU, die zuständig für die Außen- und Sicherheitspolitik sind, wobei die Informationen dazu hauptsächlich diversen EU-Broschüren entnommen ist.Nach dem „theoretischen“ ersten Teil des Artikels liegt der Schwerpunkt des zweiten Teiles auf dem Kritisieren der Militarisierung der EU.
1. Die Institutionen der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik und ihre Entwicklung
Im Laufe der letzten 50 Jahre ist in Europa eine Staatengemeinschaft vom Atlantik bis zum Schwarzen Meer entstanden, wie es sie noch nie in der Geschichte gab. Die Mitgliederzahl wuchs von sechs auf 27 Staaten. Europa erwirtschaftet ein Viertel des weltweiten Bruttosozialprodukts und ist somit zwangsläufig durch sein Wirtschaften mitverantwortlich für die globale Sicherheit und sollte Verantwortung für Frieden, Freiheit und Menschenrechte übernehmen. Die Verflechtungen zwischen den Nationalstaaten der Europäischen Union wurden immer dichter und so kooperieren die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union heute nicht nur in gemeinsamen Handelsabkommen und haben eine gemeinsame Währung, sondern sie legen auch gemeinsame Gesetze fest, die in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union geltend sind.Unter den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union herrscht Einigkeit könnte man denken, wenn es um das Thema Frieden geht, denn in Europa, und das haben zwei Weltkriege grausam vor Augen geführt, soll es nie wieder die Situation geben, in der zwei Nationen sich bekriegen. Auf dieser Basis baut die Europäische Außen- und Sicherheitspolitik auf und spätestens mit dem Vertrag von Maastricht, also mit der Gründung der Europäischen Union am 7. Februar 1992, wurden erste Schritte zu einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) gemacht; die Interessen der Nationalstaaten sollen zurückgedrängt werden und Europa soll gemeinsam den Weg des Friedens und der Sicherheit gehen. So schreibt es zumindest die EU in ihren Broschüren.Doch der Krieg im Kosovo, die anscheinend mangelnden zivil-militärischen Fähigkeiten und die „veränderte Sicherheitslage“ nach dem Zerfall der Sowjetunion zeigte der Europäischen Union auch, dass eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik auf diplomatischer Basis nicht ausreicht, um dauerhaft Frieden, Stabilität und Sicherheit sowohl in Europa, als auch in benachbarten Staaten und der Welt zu sichern. Deshalb wurde mit der im Mai 1999 in Kraft getretenen Reform des Vertrages von Maastricht, dem Vertrag von Amsterdam, der Grundstein der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) gelegt, der der Europäischen Union neue Möglichkeiten sowohl in zivilen Bereichen (Polizeikräfte etc.), als auch in militärischen Bereichen (Eingreiftruppen etc.), in die Hand gab.Im Haushalt der EU sind im Jahre 2008 etwa 7,3 Mrd. Euro für „Maßnahmen im Außenbereich“ aufgewendet worden. Diese „Maßnahmen im Außenbereich“, die 5,7 % des Gesamthaushalts der EU betragen, beinhalten die Ausgaben für die GASP, die ESVP, die humanitäre Hilfe und andere außenpolitische Aktionsbereiche der EU. Im Gegensatz zum Vorjahr 2007 stiegen die Ausgaben um 7,3 %.[1] Wie dem Haushaltsplan der EU von 2009 zu entnehmen ist, so werden die Ausgaben für die Außenpolitik der EU um „ihrer Rolle als globaler Akteur weiterhin gerecht zu werden“ wiederum um 7,3 % auf 8,1 Mrd. Euro anwachsen.[2]
1.1 „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“
Mit dem Vertrag von Maastricht wurde die Institution „Europäische Politische Zusammenarbeit“ (EPZ), die bis dahin die Bereiche der gemeinsamen Außenpolitik abdeckte, reformiert und in „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ (GASP) umbenannt. Europa sollte mit einer Stimme sprechen und gemeinsame Ziele sollten auch international durchsetzbar gemacht werden. Die Eckpunkte der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik werden vom Europäischen Rat maßgeblich festgelegt und bestimmt. Der Europäische Rat setzt sich aus den Staats- und Regierungschefs zusammen und findet mindestens zwei, doch meistens vier Mal pro Jahr statt. Der Vorsitz des Rates der Europäischen Union und somit auch des Europäischen Rates wechselt halbjährlich unter den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Das Land, das den momentanen Ratsvorsitz hat, im Februar 2009 ist dies die Tschechische Republik, und der Generalsekretär des Rates der Europäischen Union, also auch Hoher Vertreter der GASP, im Februar 2009 ist dies Javier Solana (wie schon seit 1999), vertreten die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik von Europa gegenüber anderen Ländern.Beschlüsse zur Außen- und Sicherheitspolitik im Rahmen der GASP sollten nach Möglichkeit immer einstimmig ablaufen. Enthaltungen sind dabei möglich. Wenn sich aber mehr als ein Drittel der Mitgliedsstaaten enthalten, so kommt der Beschluss nicht zustande. Zusätzlich hat jeder Mitgliedsstaat ein Vetorecht gegen einen Beschluss, wenn der Beschluss „wichtigen Gründen der nationalen Politik“ zuwiderläuft.[3] Beschlüsse, die nicht militärischer oder verteidigungspolitischer Art sind, bilden Ausnahmen, die zum Zustandekommen nur eine qualifizierte Mehrheit benötigen.[4]Die GASP verpflichtet ihre Mitgliedsstaaten „im Geiste der Loyalität und der gegenseitigen Solidarität“ grundsätzlich alles zu unterlassen, was der Europäischen Union schadet.[5]
1.2 „Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik“
Nachdem Ende der 90er Jahre die Europäische Union nach den erfolglosen diplomatischen Versuchen einer Einigung auf dem Balkan erkennen musste, dass die zivilen und militärischen Mittel und Möglichkeiten der Europäischen Union nicht ausreichten, um Krieg und Elend zu verhindern, gründeten die Europäischen Staaten 1999 die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP). Die ESVP ist Teil der GASP und erweitert die überwiegend diplomatischen Komponenten der GASP durch diverse zivil-militärische Komponenten. Ein weiterer Grund für die Einrichtung einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist die veränderte Sicherheitslage in Europa. Während man sich zur Zeit des Kalten Krieges anscheinend vor einer Invasion der Sowjetunion fürchtete, so ist die Bedrohungslage heute vielfältiger und weniger durchschaubar, betont die EU in ihren Broschüren.Die ESVP ist den gleichen Rechtsgrundsätzen wie die GASP unterlegen. Im Gegensatz zur GASP jedoch, werden Entscheidungen, die die ESVP betreffen, ausnahmslos einstimmig verfasst.2003 wurde als erste Aktion der ESVP eine polizeiliche Stabilisierungstruppe von 900 Beamten nach Bosnien-Herzegowina geschickt. Weitere Einsatzorte von Stabilisierungskräften im Auftrag der ESVP sind Irak, Afghanistan, Palästina und die Demokratische Republik Kongo. Die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS), die 2003 von den Staatsoberhäuptern der Mitgliedsstaaten festgelegt wurde, benennt die fünf größten Sicherheitsbedrohungen für die Europäische Union. Diese seien: Der Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, regionale Konflikte, der Zusammenbruch von Staaten und das organisierte Verbrechen. In der ESS betont die EU, dass sie die USA als dominanten Partner ablehne.
1.3 Verhältnis der Europäischen Union zur NATO, USA und Russland
Nach eigenen Aussagen ist das Verhältnis der Europäischen Union zu den Vereinigten Staaten von „zentraler Bedeutung“, denn die USA und die Europäische Union haben „gemeinsame Werte und fallweise gemeinsame Interessen“.[6]Die EU hält nicht nur Kontakt zu Staaten, sondern auch zu internationalen Organisationen und militärischen Bündnissen, wie der North Atlantic Treaty Organisation (NATO). Durch das Berlin Plus-Abkommen wird die Kooperation zwischen Streitkräften im Auftrag der NATO und Streitkräften im Auftrag der EU näher geregelt. So ist es möglich, dass EU und NATO gemeinsame Kapazitäten, Ressourcen und Informationen nutzen können.Insbesondere wegen der starken Energienachfrage seitens der EU, unterhält die EU enge wirtschaftliche Beziehungen zu Russland. Das Verhältnis zu Russland „geht weiter als alle anderen“ und solle sich in Zukunft noch intensivieren.[7] Es gibt regelmäßige halbjährliche EU-Russland Gipfel, um sich auszutauschen und um die Zusammenarbeit zu erweitern.
2. Die Ziele der GASP und der ESVP
Nach Artikel 11 des Vertrages über die Europäische Union soll die GASP „die Wahrung der gemeinsamen Werte, der grundlegenden Interessen, der Unabhängigkeit und der Unversehrtheit der Union“ als Ziel haben.[8] Neben der Stärkung und Sicherung des Friedens, soll aber auch die internationale Zusammenarbeit und „die Entwicklung und Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, sowie die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ im Vordergrund stehen.[9]Die Aufgaben der ESVP werden in Artikel 17 näher bestimmt: „Sämtliche Fragen, welche die Sicherheit der Union betreffen“ und sämtliche Fragen, die zu einer „gemeinsamen Verteidigung“ führen könnten, fallen in den Bereich der ESVP.[10]
3. Zivile und militärische Handlungsmöglichkeiten der Europäischen Union im Rahmen der GASP und der ESVP
Als zivile Fähigkeiten stehen seit 2005 bis zu 5.000 Polizisten zur Verfügung, um während „internationalen Krisen“ besonders in instabilen Regionen tätig zu werden. Diese Polizeikräfte sollen vorrangig zum Ausbilden neuer Polizisten, zur Unterstützung der örtlichen Polizeikräfte und zur Leistung von humanitärer Hilfe eingesetzt werden. Das „zivile Krisenmanagement“ der EU arbeitet dabei auch mit Nichtregierungsorganisationen zusammen. So sind heute Polizisten in Bosnien-Herzegowina, Darfur, Georgien und Palästina für die EU im Einsatz.Eine militärische Interventionsmöglichkeit für den plötzlichen militärischen Ernstfall bilden die EU-Battlegroups, die unabhängig von der NATO jederzeit mit zwei multinationalen Gefechtsverbänden von je 1.500 Soldaten zur Verfügung stehen. Zudem ist die EU in der Lage innerhalb von 60 Tagen Streitkräfte von bis zu 60.000 Soldaten zu mobilisieren, die bis zu einem Jahr einsetzbar sind. Soldaten im Auftrag der Europäischen Union sind besonders an der Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit, an der Absicherung von Wiederaufbauprozessen, Ausbildung von Soldaten und Herstellung der Sicherheit eines Gebietes beteiligt. Militärische Einsatzkräfte der EU, die meistens von zivilen Unterstützungskräften begleitet werden, sind heute besonders im Kongo, Irak und Afghanistan im Einsatz. In den letzten Jahren hat die EU immer wieder gezeigt, dass sie ihre zivilen und militärischen Fähigkeiten immer mehr auf eine schnelle, flexible und unabhängige Krisenreaktionstruppe fokussiert.Unterstützt werden die zivilen und militärischen Komponenten der GASP durch mehrere Institutionen. So ist beispielsweise auch das Satellitenzentrum der EU oder das Institut der Europäischen Union für Sicherheitsstudien der GASP unterstellt.
4. Problempunkt: Militarisierung der Europäischen Union
Mit der wachsenden Anzahl der Auslandseinsätze der Bundeswehr und der „Neuorganisation der Bundeswehr“ zu einem Interventionsheer, leistet auch Deutschland seinen militärischen Beitrag zur NATO und ESVP.[11] In Zukunft soll auch durch den Vertrag von Lissabon, einer weiteren Reform des Vertrages von Maastricht, die militärische Aufrüstung im EU-Vertrag für jeden Mitgliedsstaat vorgeschrieben sein. Jeder Mitgliedsstaat solle sich verpflichten seine „militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“.[12] Ein solches vertraglich festgelegtes Aufrüstungsabkommen ist bisher beispiellos.Die Anzeichen häufen sich, dass die EU sich längst auf dem Weg befindet eine globale militärische Großmacht zu werden, die ihre Interessen zunehmend militärisch durchsetzen wird, wenn auch unter dem Deckmantel einer „humanitären Hilfe“ oder einer „zivilen Komponente“ eines Einsatzes. Indizien dafür sind die steigenden Rüstungsausgaben der Mitgliedsstaaten und auch die steigenden Umsatzzahlen der Exporte der europäischen Rüstungsindustrie, die das internationale Stockholmer Friedensforschungsinstitut (SIPRI) jährlich in seinem Jahrbuch vorlegt.[13] Die zivilen Fähigkeiten der GASP werden zunehmend militarisiert und bisherige zivile Komponenten der europäischen Außenpolitik werden mehr und mehr Ergänzungen von militärischen Kriegsführungsstrategien. Ein Beispiel dafür ist europäische Entwicklungspolitik, die sich tendenziell eher nach dem größtmöglichen Profit und Vorteil richtet. Man beachte nur die Verträge zu Entwicklungshilfeleistungen der EU, die fast nur noch mit Bedingungen zum Nachteil der Empfängerländer, besonders aber der dortigen Bevölkerung, abgeschlossen werden.Je genauer man sich mit der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik befasst, desto deutlicher wird die ökonomische und neoliberale Tendenz dieser Politik. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die „Friedenseinsätze“ der EU darauf fokussiert sind einen schnellstmöglichen Zugriff auf lokale Ressourcen und Arbeitskräfte im Einsatzgebiet für den europäischen Markt zu ermöglichen und bestehende Handelswege und -abkommen, besonders im Energiebereich, militärisch abzusichern und zu festigen. Mit dem bereits erwähnten Vertrag von Lissabon (auch EU-Vertrag, EU-Reformvertrag etc. genannt) verabschiedet sich die EU endgültig vom Plan der Zivilmacht Europa. Ungewohnt deutlich wird obige Vermutung, im vom Institut der Europäischen Union für Sicherheitsstudien im Jahre 2004 herausgegebenen, „European Defence Paper“ bestätigt. In diesem Dokument wird die Planung künftiger Kriege der EU vorgenommen. So sei es beispielsweise notwendig einen „Stabilitätsexport um Handelsrouten und den freien Fluss von Rohstoffen zu schützen“ durchzuführen, um die „ökonomische Lebensfähigkeit“ Europas zu garantieren.[14] Besonders auf die Staaten im Nahen Osten, die nicht mit der EU zusammenarbeiten wollen, müsse man achten, denn „da 50 Prozent des europäischen Energiebedarfs aus dieser Region kommt, sind sie eine direkte Bedrohung.“[15] Es wird sogar ein mögliches Szenario vorgeschlagen, wie man vorgehen wolle, wenn es nicht mehr möglich sein sollte, dass Öl aus dem Mittleren Osten nach Europa gelangt. Das Dokument schlägt vor, dass die EU an der Seite der Führungsnation USA, mit einer großen Streitmacht („large combat force“) interveniert und die militärische Zielsetzung dabei sollen sein, „besetzte Gebiete zu befreien und Kontrolle über einige der Öl-Stationen, Pipelines und Häfen“ zu erlangen.[16] Dass die Autoren des Dokuments nicht einmal nukleare Massenvernichtungswaffen als potentielles Angriffsmittel von Europa ausschließen, sollte zum Nachdenken anregen.Die EU sieht sich immer mehr als Konkurrent zu den Vereinigten Staaten von Amerika, die zwar das gemeinsame Interesse haben andere Emporkömmlinge wie China und Indien zurückzudrängen, aber dennoch untereinander wirtschaftlich und militärisch konkurrieren. Beide sind sich jedoch einig darin, wenn es darum geht ihre bestehende wirtschaftliche und militärische Macht zu verteidigen. Dies ist die Gradwanderung, die die EU gerade dabei ist zu betreten. Entweder mit den USA gemeinsam in der NATO oder selbstständig mit der ESVP. Im Moment ist noch nicht sicher, was sich auf EU-Ebene langfristig durchsetzen wird. Die momentane Rechtslage der EU nach dem Vertrag über die Europäische Union berührt die Souveränität der Mitgliedsstaaten in Bezug auf das Verhalten gegenüber der NATO nicht.
4.1 Die Rohstoff- und Energiesicherungspolitik der EU
Wenn es um Regionen verbunden mit der zukünftigen Rohstoffsicherungspolitik geht, so fehlt ein Kontinent nie: Afrika. Neben dem bedeutenden natürlichen Vorkommen vieler seltener Rohstoffe sind dort in den letzten Jahren große Ölfunde entdeckt worden. Nun gewinnen neben China auch noch die Vereinigten Staaten immer mehr Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent. Diese chinesischen und US-amerikanischen Einflüsse zurückzudrängen und für sich zu nutzen, ist offenbar Zielsetzung der EU. So erklären sich auch die EU-Einsätze im Kongo zwischen 2003 und 2007 von damals maximal 2300 Soldaten. Während der Öffentlichkeit gesagt wird, dass das Ziel des Einsatzes sei die Wahlen abzusichern, erscheinen die Truppen eher als Sicherungskräfte bestehender Rohstoffquellen der EU. Denn falls der Kandidat bei den Wahlen im Kongo, der nicht mit der EU kooperieren wollte, die Wahl gewonnen hätte, wäre eine große Rohstoffquelle der EU verschwunden. Dies wäre sehr schmerzvoll für die europäische Industrie. Und auch der deutsche Verteidigungsminister Franz Josef Jung weiß: „Stabilität in der rohstoffreichen Region nützt auch der deutschen Wirtschaft.“[17]Obwohl die Strukturen der ESVP seit 1999 bestanden, wurde die erste eigenständige Militärmission der ESVP, ohne Einbindung der NATO, erst im Jahr 2003 im Kongo durchgeführt. Diese Militärmission wurde zu Recht als Geburtsstunde der ESVP bezeichnet. Heute wird dieser Einsatz von Seiten der EU-Offiziellen auch nur noch als Demonstration von Handlungsfähigkeit gesehen, aber es wird nicht behauptet, dass eine humanitäre Notlage beseitigt worden ist, was auch nicht stimmen würde. Im Gegenteil, nach den darauf folgenden Missionen im Rahmen der EU im Kongo von 2005 und 2006 verschlechterte sich die Lage dort zunehmends.Ein weiteres Beispiel ist der Einsatz von Militärflotten vor Somalia zur Piratenbekämpfung. Auch hier werden zur militärischen Sicherung von wichtigen Handelswegen humanitäre Gründe vorgeschoben. Der Einsatz der EU vor Somalia ist der erste maritime EU-Militäreinsatz überhaupt. Während das geltende Seerechtsabkommen (Artikel 105) jedoch jederzeit die Bekämpfung von Piraten auf hoher See gestattet, gilt dies nicht für die Zwölf-Meilen-Zone (etwa 22,3 km) in Küstennähe, wo diese Aufgabe zum Souveränitätsbereich des jeweiligen Landes gehört. Da die ins Visier geratenen Piraten aber vorwiegend im somalischen Hoheitsgewässer agieren (bzw. sich dorthin zurückziehen), benötigten die interessierten Staaten eine Rechtsgrundlage, um aktiv gegen sie vorgehen zu dürfen. Der Sicherheitsrat der Vereinigten Nationen verabschiedete daraufhin eine Resolution (UN-Resolution 1816) wonach die Zwölf-Meilen-Zone und der Luftraum vor der Küste Somalias frei von der Souveränität Somalias seien. Zwar wird die maritime EU-Militärmission gerne mit der Notwendigkeit zum Schutz von Nahrungsmittellieferungen begründet, allerdings geht es viel mehr um deutlich handfestere Interessen. Nachdem sich Überfälle von Piraten vor der Küste Somalias seit 2007 häufen, sind es nicht zuletzt die deutschen Reeder, die auf ein bewaffnetes Eingreifen der EU drängen, schließlich ist Deutschland nicht nur Exportnation Nummer eins, sondern auch der Staat mit der größten Container- und der drittgrößten Handelsflotte der Welt. Dem Golf von Aden kommt in etwa die gleiche Wichtigkeit im internationalen Schiffsverkehr zu wie dem Suezkanal, der einer der wichtigsten Öl-Handelsrouten für Europa darstellt. Etwa 11 % des weltweit auf dem Schiff transportierten Rohöls muss durch den Golf von Aden. Dieses Öl ist vorwiegend für Europa bestimmt und es wäre fatal für die Wirtschaft der EU, wenn der strategisch so wichtige Golf von Aden unter der Herrschaft von Piraten wäre.
4.2 Militarisierung des Zivilen
Hinter dem teils hysterisch inszenierten Sicherheitsdiskurs kann man oft nicht erkennen, dass das größte globale Problem „Armut“ heißt. Vielmehr werden die Diskussionen nach dem „There is no alternative“-Prinzip (TINA-Prinzip) geführt. Die Militäreinsätze werden alternativlos der Öffentlichkeit vorgestellt und Gründe sind oft die Beseitigung humanitärer Notlagen. Eine Milliarde Menschen leben ohne sauberes Wasser, jeder dritte Mensch auf unserem Globus lebt von weniger als 2 Dollar pro Tag, alle drei Sekunden stirbt ein Kind an eigentlich vermeidbaren Krankheiten. So ist Armut der zentrale Faktor von Bürgerkriegen und ohne die Schaffung einer ökonomischen Grundlage für den Abbau dieser weltweiten Probleme helfen auch noch so hohe Militärausgaben nichts und vor allem hier gibt es in der EU noch großen Handlungs- und Einsichtsbedarf. Während es keine Sicherheit ohne Entwicklung gibt, sieht die EU das etwas anders. Für sie gibt es keine Entwicklung ohne Sicherheit.[18]In den letzten Jahren lässt sich in Deutschland, aber auch in der EU, eine vermehrte Verwässerung der Grenzen zwischen Militärischem und Zivilem beobachten. Die Bundespolizei (früher Bundesgrenzschutz) kann nun auch als Ersatz für Bundeswehrsoldaten auf dem Balkan oder in Afghanistan agieren. Der „Vorteil“ an „zivilen“ Einsatzkräften ist, dass Bundespolizei, BKA oder auch GSG9 aufgrund der Gewaltenverschränkung weniger einer parlamentarischen Kontrolle unterzogen sind, wie es beispielsweise bei einem Bundeswehreinsatz der Fall ist.Exemplarisch auf EU-Ebene ist die Europäische Gendarmerie Truppe (EGF). Sie ist eine europäisch organisierte paramilitärische Polizeitruppe, die bisher aus folgenden Staaten besteht: Frankreich, Italien, Niederlande, Portugal und Spanien. Deutschland beteiligt sich daran nicht, da die EGF aus Sicht der deutschen Verfassung illegal ist. Ihr Ziel soll sein, schnelles Krisenmanagement leisten zu können. Die EGF besteht aus ca. 900 ständig bereiten aktiven teils kasernierten Polizeibeamten und etwa 2300 Reservisten, die innerhalb von 30 Tagen einsatzfähig sind. Besonders, wenn Militäreinsätze schwierig erscheinen bzw. schwer zu vermitteln sind, werden „zivile“ Truppen entsendet, die militärische Aufgaben übernehmen. Es steht außer Zweifel, dass die EGF auch als Einheit zur (innereuropäischen) Aufstandsbekämpfung existiert und ausgebildet wird. Die EGF kann für die EU, die OSZE, die NATO und andere internationale Organisationen zur Verfügung stehen.Wie in der Übersichtskarte über die EU-Misionen zu sehen ist, treten immer öfter bewaffnete Polizeitruppen auch neben bewaffneten Soldaten in den Einsatzgebieten auf und der Bevölkerung in den Einsatzgebieten fällt es immer schwerer zu differenzieren. Auf diese Weise wird das Ansehen der „zivilen“ EU weiter geschwächt. Die Neutralität wirklicher humanitärer Missionen ist durch die EU gefährdet. So zog sich beispielsweise das Team der internationalen Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ nach 24jährigem Engagement aus Afghanistan zurück, da die Gefahr für ihre Mitarbeiter zu hoch sei. Begründet wurde dieser Rückzug auch mit folgendem Worten: „Die Gewalt gegen humanitäre Helfer spielt sich vor dem Hintergrund einer zunehmenden Instrumentalisierung der Hilfe durch die US-geführte Koalition in Afghanistan ab. Ärzte ohne Grenzen zufolge missbrauchen die Koalitionsstreitkräfte die Hilfe beständig für ihre militärischen und politischen Ziele und versuchen damit, die "hearts and minds" der afghanischen Bevölkerung zu gewinnen. Dadurch wird humanitäre Hilfe nicht mehr als unparteilich und neutral angesehen. Dies wiederum gefährdet die Helfer und die Hilfe selbst.“[19]
Wie schon den (wenigen) Beispielen oben zu entnehmen ist, ist die EU nicht das, was sie in ihren Broschüren vorgibt zu sein: Nämlich eine Institution, die dem Frieden verpflichtet ist, zu globaler nachhaltiger Entwicklung beitragen und gerechten Handel fördern will – auf der Basis von weltweiter Solidarität und Respekt unter den Staaten. Sie ist vielmehr gerade dabei sich als Weltmacht zu erproben und zu etablieren, was ich versuchte in den obigen Beispielen darzustellen. Die EU treibt den Prozess der Aufrüstung weiter nach vorne. Doch aufgrund des Alters und dem noch relativ geringen Fortschrittsgrad der Entwicklung der GASP und der ESVP kann man noch vieles tun, um die drohende Militarisierung und Aufrüstung der EU zu verhindern oder gar zu stoppen.
Für Interessierte
http://publications.europa.eu – Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften
http://www.imi-online.de – Informationsstelle Militarisierung
http://www.consilium.europa.eu/showPage.aspx?id=261〈=de – European Security and Defence Policy
http://consilium.europa.eu/showPage.aspx?id=268〈=de – Informationen der EU zu laufenden Einsätzen
Quellenangaben
1. Voraussichtlicher Haushalt der EU von 2008, S. 6. Offizielle endgültige Angaben sind momentan für das Jahr 2008 noch nicht verfügbar.
2. Voraussichtlicher Haushalt der EU von 2009, S. 5, S. 25
3. Artikel 23, Absatz 2 des Vertrages über die Europäische Union
4. Eine qualifizierte Mehrheit nach Artikel 205 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
5. Artikel 11, Absatz 2 des Vertrages über die Europäische Union
6. Siehe: Die EU in der Welt - Die Außenpolitik der Europäischen Union, S 22.
7. l.c., S. 21
8. Artikel 11, Absatz 1 des Vertrages über die Europäische Union
9. l.c.
10. Artikel 17, Absatz 1 des Vertrages über die Europäische Union
11. Deutschland in Europa, Hrsg.: Presse und Informationsamt der Bundesregierung, März 2007, S. 40
12. Auszug aus dem Vertrag von Lissabon, Abschnitt 2, Punkt 49c, S. 25
13. SIPRI Jahrbuch 2008, S. 13, S. 14
14. „Projecting stability to protect trade routes and the free flow of raw materials“, European Defence Paper, S. 13
15. „...as 50 per cent of Europe's energy come from this region, the threat is direct“, l.c. , S. 19
16. „The EU, together with the United States as the senior partner, intervene with a large combat force to assist country y and also protect their own interests. The intervention requires forces trained and equipped for conventional manoeuvre warfare. The military objective of the operation is to help liberate occupied territory and to obtain control over some of the oil installations, pipelines and harbours of country x.“, European Defence Paper, S. 83
17. http://www.bundesregierung.de/nn_774/Content/DE/Interview/2006/03/2006-03-17-fuer-demokratie-und-stabilitaet.html
18. Arbeit für Frieden, Sicherheit und Stabilität – Europa in der Welt, Hrsg.: Amt für europäische amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, 2007, S. 13
19. http://www.aerzte-ohne-grenzen.de/Presse/Pressemitteilungen/2004/Pressemitteilung-2004-07-28.php