2009-01-28 

Bolzaneto, der Staat verweigert die Schadensersatzleistung

Die Advokatur hofft auf einen Rabatt auf die von den richterlich verfügten zwei Millionen Euro Schadenserstatz

Urteil gegen die G8-Beamten angefochten

Genua - Nach dem er sich offiziell für die von seinen Leuten begangenen Anmaßungen und Gewalttaten in der Kaserne Bolzaneto entschuldigt hatte*, weigert sich der Staat, den Schadensersatz an die Opfer zu leisten. Über seine Advokatur ist er nämlich gegen das Urteil, das Polizeibeamte im gehobenen wie einfachen Dienst und sowie Angehörige der Gefängnispolizei zu Mindeststrafen und zu Entschädigungen durch die zuständigen Ministerien in Höhe von zwei Millionen Euro verurteilt hatte, in Berufung gegangen. Bei der in den vergangenen Tagen eingereichten Instanz geht es nicht um eine Angelegenheit mit sicherem Ausgang: die Möglichkeit, das Urteil zu kippen ist konkret - so steht es auf den 15 eingereichten Seiten - also, warum zur Geldbörse greifen, und Gefahr laufen, das Geld nimmer wieder zu sehen?

Bild: 20. Juli 2001, Genua

Eine Aufsehen erregende These, die unter den Anwälten der Nebenkläger Erschütterung und heftigen Widerspruch sorgte. Fast acht Jahre nach den "Folterungen" - ein von den Richtern in ihrer Urteilsbegründung bekräftigter Begriff - erwarteten hunderte Menschen, die den Gang durch die G8-Haftanstalt gehen mussten, wenigsten einen Vorschuss auf den geschuldeten Betrag. Den, den man technisch als "provvisionale" bezeichnet. Der Staat macht da aber nicht mit, obgleich er einräumt, dass die no-global im Juli 2008 "eklatante Schikanen" über sich ergehen lassen mussten. Strafrechtlich gesehen weiß er wohl, dass der Ablauf der Verjährungsfristen in wenigen Tagen Alles weg wischen wird. Auf der zivilrechtlichen Ebene, verteut er auf ein Urteil, das noch besser ausfällt, als bereits im vergangenen Sommer. "Der günstge Ausgang der eingereichten Anfechtung - so schreiben es die Anwälte des Staates Matilde Pugliaro und Giuseppe Novaresi - würde entsprechend eine Rückführung des unrechtmäßig Geleisteten erzwingen, die, in Abwesenheit reeller Gewährleistungsgarantien und angesichts der Vielfalt der Adressaten*** - von denen viele zudem in unterschiedlichen Staatten wohnhaft sind - Gefahr laufen würde, keinen guten Ausgang zu nehmen".

Es lohnt sich, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass sich die - zugunsten von insgesamt 142 Anspruchsberechtigten - vorläufig vollstreckbare Leistung auf zwei Millionen Euro beläuft. Im Berufungstext wird auch die "innere Widersprüchlichkeit der Verfügung" und das "Fehlen einer Entsprechung zwischen Verfügung und Begründung"**** erläutert.

Renato Delucchi, Vorsitzender der dritten Kammer des Gersichtshofes*****, hatte 15 der 45 Angeklagten vor sechs Monaten zu 23 Jahren und neun Monaten Haft verurteilt - weniger als ein Drittel des von den Staatsanwälten Patrizia Petruzziello und Vittorio Ranieri Miniati symbolisch****** beantragten Strafmaßes. De facto hatten die Richter nämlich das Vorhandensein eines "Lagers" festgestellt und die Niederlage der italienischen Justiz eingeräumt: gezwungen, die verfügbaren Gesetze anzuwenden, welche den Tatbestand der Folter nicht regeln, hatten sie den Vorsatz und den erschwerenden Tatbestand der "niederen Beweggründe"******* ausgeschlossen. Am Vorabend der Urteilsverkündung hatte sich die Advokatur an die 252 Peronen gewendet, die das "temporäre Gefängnis" durchlaufe hatten gewendet: "Wir fühlen uns in der Pflicht, die gebührenden - direkt vom italienischen Staat stammenden - Bitten um Entschuldigung auszusprechen", hatten Matilde Pugliaro und Giuseppe Novaresi vor Gericht bekräftigt. "Während der G8-Tage wurden die Voraussetzungen für eine Verschärfung eines totalitären Vertändnisses der Beziehungen zwischen Individuen in einer Inhaftierungsstätte******** geschaffen".

Selbst ein "organischer Zusammenhang" zwischen den Angeklagten und der Verwaltung wurde geleugnet: Polizisten, Carabinieri und Wachen********* hätten nicht mehr als "Staatsdiener" angesehen werden können. Weshalb sich der Staat für die von diesen begangenen Straftaten nicht mehr verantwortlich fühlen würde. Eine These, der das Gericht aber nicht statt gab, in dem es auch die Ministerien zur Leistung von Schadensersatz verurteilte.

27. Januar 2009
von Massimo Calandri

A.d.Ü.

* bei der Urteilverkündung wie in der Urteilsbegründung zum Im Bolzaneto-Verfahren:

** vorläufig vollstreckbare Leistung

*** Adressaten etwaiger Rückführungsforderugen

**** Urteilsverfügung und - begründung

***** von Genua

****** In Italien existiert kein Paragraph zur Ahndung der Folter, obwohl Italien Unterzeichner der einschlägigen internationalen Konventionen ist. Daher waren die Staatsanwälte genötigt, auf "gewöhnliche" Tatbestände - etwa Nötigung und Körperverletzung abzustellen. Das Fehlen eines Folterparagraphen hatte auch zur Folge, dass die 2. Instanz lediglich zivilrechtlich noch relevant sein wird. Strafrechtlich entfällt mit dem baldigen auf der Verjährungsfristen für jene Paragraphen, die quasi "ersatzweise" zur Anwendung kamen, jede Folge.

******* Kritisch zu betrachtende Aussage. Beide Tatsachen treffen zu: die Abwesenheit eines Folterparagraphen, wie auch, dass Vorsatz und niedere Beweggründe keine Berücksichtigung fanden. Vorsatz und niedere Beweggründe hätten jedoch sehr wohl auch im Kontext der Ahndung nach den Paragraphen, die mangels Folterparagraphen "ersatzweise" herangezogen wurden Anwendung können. Bei Körperverletzung etwa steigt das höchste Strafmaß dabei erheblich. Das Fehlen eines Folterparagraphen war nicht zwingende Ursache für den Ausschluss der erschwerenden Umstände.

******** Der Tatsache, dass die "temporäre Haftanstalt" keine echte rechtliche Grundlage hatte (sie lediglich aufgrund eines recht dubiosen ad-hoc Erlasses kurz vor dem G8 zustande) wurde nie ernsthaft nachgegangen

********* Gefängnispolizisten