2008-12-13 

Unruhen in Griechenland: Die Globalisierung der Anarchie

Griechische Krawalle greifen auf Europa über. Autonome werden online mobilisiert. Von Istanbul bis New York haben sich tausende Anarchisten zu Solidaritäts-Kundgebungen zusammengefunden.

Wien/ Athen. Ein tödlicher Schuss aus der Dienstwaffe eines Polizisten hat genügt, um in Griechenland Chaos auszulösen. Plötzlich brannten Mülltonnen, Autos und Geschäfte. Zehntausende Gewaltbereite gehen gegen Polizei, Regierung und den Staat auf die Straße.

Doch rasch ist das griechische Phänomen zum internationalen geworden: Von Istanbul bis New York haben sich tausende Anarchisten zu Solidaritätskundgebungen zusammengefunden. In Madrid und Barcelona wurden elf Randalierer festgenommen, nachdem sie Steine gegen Banken und Polizeistationen geschleudert hatten. Auch in Rom, Sofia, Kopenhagen und Bordeaux kam es zu Protesten.

Bild: Athen

Das gemeinsame Ziel der jungen Randalierer: Sie wollen Vergeltung für den Tod des 15-jährigen Alexandros Grigoropoulus, der am Samstag in Athen mit einer Kugel im Brustkorb starb. Die „Solidarität“ jener, die auf die Straßen gehen, kommt nicht von ungefähr. Längst sind die autonomen Gruppen, die sich als Anarchisten, Antikapitalisten oder als Globalisierungsgegner bezeichnen, selbst global vernetzt: „Die Mobilisierung passiert im Internet und über persönliche Kontakte“, sagt Bernd Drücke, Redakteur der „Graswurzelzeitung“, dem ältesten anarchistischen Magazin Deutschlands.

Mobilisierung im Untergrund

Von außen sind die Netzwerke der Anarchisten schwer einsehbar. Die Autonomen verstecken sich hinter Homepages, deren Impressum kaum Aufschluss über die Verantwortlichen gibt. Dort werden Treffen angekündigt und Artikel veröffentlicht. Meist von zweifelhafter Qualität, getragen vom Hass gegen die Polizei: „Bullen patrouillierten provokativ mit einem Streifenwagen durch Exarchia“, schreibt etwa die Anarchistische Gruppe Freiburg über die Vorfälle in Athen.

International nur lose verbundene Gruppen werden durch das Internet zu einer Einheit, zusammengehalten durch ihre Ideologie und den Kampf gegen das System: „Wir alle kennen die Polizeirepression, die in Athen zum Mord an einem Kind geführt hat, aus dem eigenen Land“, sagt Drücke. „Alle sind empört über das Vorgehen der Polizei.“ Getragen ist die Bewegung auch von einem Märtyrermythos. Der getötete 15-Jährige wird schon jetzt als Held gefeiert.

Woher der Hass gegen das System rührt, lässt sich nur schwer sagen, viele der Randalierer kommen aus bürgerlichem Elternhaus. Griechenlands Jugendliche jedenfalls lehnen sich gegen eine konservative Regierung auf, die ihnen ihre Zukunft zu nehmen scheint: 23 Prozent der unter 25-Jährigen sind arbeitslos, viele unterbezahlt. „700-Euro-Generation“ werden sie in den Medien genannt. Dagegen formiert sich jetzt Widerstand: „Wir sind nicht unbekannte Vermummten, wir sind eure Kinder“, heißt es in einem Brief eines Mädchens, den die linksliberale Zeitung „Eleftherotypia“ veröffentlicht hat. „Ihr habt die Hosen voll und wartet auf den Tod. Ihr fantasiert nicht, ihr verliebt euch nicht. Ihr kauft und verkauft nur.“

Auch die älteren Griechen haben mit der Politik gebrochen. Nur 40 Prozent haben Vertrauen in den Staat, das besagen Umfragen. Beschwichtigungen der Opposition, die zum Ende der Krawalle aufruft und Neuwahlen fordert, verhallen da ungehört: Am Donnerstag haben Jugendliche wieder Polizeistationen mit Brandsätzen beworfen.

Auf Premier Kostas Karamanlis, der den Geschädigten rasche Hilfe versprochen hat, wartet jetzt eine schwierige Entscheidung: Beobachter vermuten, dass er den Notstand ausrufen muss. Die Anarchisten hätten ihr Ziel erreicht: das System ins Wanken zu bringen.