2008-12-10 

VS Anquatschversuch in Freiburg

Es war mal wieder so weit, der Verfassungsschutz (VS) hat einen neuen Anquatschversuch in Freiburg gestartet. Die betroffene Person fand am 01.12.08 einen handgeschriebenen Brief ohne Absender in ihrem Briefkasten, in dem sie aufgefordert wurde diese Handy Nummer: 0174 7530348 in einer „persönlichen Angelegenheit“ zurückzurufen. Der Brief war unterzeichnet mit „Christine Reiner“. Bei Anruf stellte sich heraus, dass „Christine“ vom VS ist und die Person treffen möchte. Sie würde gern ein paar Fragen stellen über die KTS (= AZ in Freiburg), die Menschen dort.

Bild: Plakat

Auf die Frage, wie sie denn überhaupt auf die Adresse gekommen sind, verwies „Christine“ auf die Reclaim The Streets (2006 beim DIY). Sie hätte da Befugnisse / Zugriff drauf...
Die Person brach dann schnell das Gespräch ab und machte den missglückten Vorgang öffentlich.

Es ist bereits das zweite mal, dass Personen, die im Zusammenhang mit dem DIY -Festival in Freiburg von Polizei kontrolliert wurden, vom VS belästigt werden. Beides Mal waren es Frauen, die sich -zumindest nach Ansicht des VS- im weiteren Umfeld der KTS bewegen.

Besonders überrascht darüber ist hier niemand. Es ist gängige Praxis des Staates, über Spitzel und Provokateure linke Bewegungen auszuhorchen und / oder zu schwächen. In diesem Jahren waren auch drei weitere Anquatschversuche im süddeutschen Raum bekannt geworden, die auf die linke Szene abzielten.
Hintergrund dürfte wohl auch der NATO-Gipfel Anfang April in Strasbourg / Baden Baden sein. So hatte es auch im Vorfeld zu den Protesten gegen den G8 2007 in zahlreichen Städten entsprechende Versuche gegeben.

Dieser Anquatschversuch ist ein weiterer Angriff auf die KTS, die verschiedenen im Haus aktiven Gruppen und die gesamte Freiburger Linke. Es ist ein Versuch der Kriminalisierung emanzipatorischer Strukturen. Es ist eine von vielen Möglichkeiten des staatlichen Repressionsapparates, um Druck auszuüben und AktivistInnen einzuschüchtern. Dadurch versucht der VS die berechtigte und notwendige Kritik an Herrschafts- und Verwertbarkeitslogik zu delegitimieren. Freiräume werden unter Generalverdacht gestellt.

Diese Vorgänge ignorieren wir nicht.
Uns ist bewusst, dass emanzipatorische Politik für ein untragbares System, welches darüber hinaus täglich seine eigenen Regeln und Gesetze bricht, eine Gefahr darstellt. Deutliche und umfassende Kritik an den bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnissen und ihren Akteuren wird klein geredet, als Extremismus und Terrorismus diffamiert und AktivistInnen als Staatsfeinde und VerfassungsgenerInnen observiert, verfolgt und weggesperrt.

So lange er sich nicht bedroht fühlt, werden vom Staat Freiheiten zugestanden. Ein herrschaftsfreies, auf Selbstbestimmung und Selbstorganisation gestütztes Zusammenleben passt jedoch nicht in die auf Hierarchie und Ausgrenzung basierende Ordnung. Und um dieser Bedrohung zu begegnen, beobachtet und spioniert der Staat und lässt sich immer mehr einfallen, um in Namen der Sicherheit die Freiheit abzuschaffen.

Wenn wir uns gegen den VS wenden, dann mit der generellen Ablehnung des Staates und seiner Organe, wozu nicht nur Geheimdienste, sondern auch Polizei, Justiz und Verwaltung gehören.
Fruchtbare und progressive Diskussionen sind nur dort möglich, wo ohne Angst vor Verfolgung und Repression Kritik geäußert werden kann. Deshalb brauchen wir Freiräume; Orte, die dem staatlichen Zugriff entzogen sind, in denen wir Konzepte und Alternativen diskutieren und ausprobieren können, Räume, in denen wir unbefangen einander begegnen können und Gedanken geäußert werden, ohne dass sie gleich in irgendwelchen Akten vermerkt werden.

Ob und wie wir Staatsfeinde sind, bestimmen wir.

Für eine Gesellschaft ohne Staat und Kapital!
Geheimdienste überflüssig machen!

ROTE HILFE Freiburg
09.12.2008

Aus gegeben Anlass – Rote Hilfe Freiburg informiert:

Was ist der Verfassungsschutz?
Der Verfassungsschutz ist als Inlandsgeheimdienst eines von vielen Repressionsorganen. Es gibt 16 Landesämter für Verfassungsschutz und ein Bundesamt.
Die Aufgabe des VS ist der Schutz der Verfassung (und damit des Staates) vor tatsächlichen oder vermeintlichen Angriffen. Nach seiner Ansicht „…bedrohen insbesondere militante Linksextremisten, vor allem aus der anarchistisch-autonomen Szene, die innere Sicherheit Deutschlands.“ Dass diese Bedrohung ernst zunehmen ist und für die Verfassung (durch Gebrauch von in der Verfassung garantierten Rechten) wahrlich eine Gefahr darstellt, erläutert der VS auf seiner Homepage deutlich: „Die Aktionsformen der Linksextremisten sind vielfältig: Sie umfassen öffentliche Kundgebungen, offene Agitation mit Flugblättern, Plakataufrufe, periodische Schriften, elektronische Kommunikationsmedien sowie die Beteiligung an Wahlen und Versuche der verdeckten Einflussnahme in gesellschaftlichen Gruppen.“ (vgl. http://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af_linksextremismus/)
Deshalb sind nach VS-Logik Observation und Ausleuchten von Zusammenhängen und langfristig angelegte Datensammelwut unumgänglich.

Methoden und Taktik
Anders als der Staatsschutz (eine Abteilung der Polizei) hat der VS keine polizeilichen Befugnisse. Z.B. dürfen sie dich nicht anhalten und deine Personalien kontrollieren oder gegen deinen Willen in deine Wohnung rein. Trotz der (wenn’s nach Schäuble ginge bereits abgeschafften) Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten, findet aber dennoch ein reger Datenaustausch zwischen den Behörden statt. Mit dem neuen Polizeigesetz in BaWü ab 2009 wird es sogar gemeinsame „Projektdateien“ geben, wo dann beide Behörden ohne umständliche Anfrage Zugriff haben.
Außerdem stehen dem VS umfangreiche nachrichtendienstliche Mitteln zur Informationsbeschaffung zur Verfügung. Er nutzt öffentlich zugängliche Quellen (z.B. Auswertung von Publikationen, Anwesenheit auf Demos, Nachfragen bei Einwohnermeldeämtern…) und verdeckte Ermittlungen, z.B. Observation, Abhören von Telefon und Raumgesprächen, Spitzel und InformantInnen. Gerade letzteres, bevorzugt aus der zu erforschenden Gruppe/ Szene/ Bewegung, ist eine für den VS bequeme und preiswerte Möglichkeit, seine schmutzige Arbeit zu verrichten.
Es geht ihm dabei weniger darum, konkrete Straftaten aufzudecken. Vielmehr ist sein Ziel ein möglichst umfassendes Bild von StaatskritikerInnen und –gegnerInnen zu bekommen.
Zur Taktik des VS gehört jedoch auch die Verunsicherung und Einschüchterung Einzelner und der gesamten Szene. Misstrauen und paranoides Verhalten sollen geschürt werden und im günstigsten Fall eine Spaltung provozieren, den Zusammenhalt zumindest schwächen, Menschen von legalen und legitimen Protest abhalten.
Besonders wirksam ist dabei die individuelle Betroffenheit. Der VS besorgt sich Infos über eine Peron, die ihm als InformantIn dienen soll. Nach dem Motto „JedeR ist irgendwie käuflich“ wird je nach Lebenslage mit Geld, Verfahrenseinstellung, vorzeitiger Entlassung, Aufenthaltstitel… gelockt oder es wird versucht mit Drohungen und Erpressungen auf das Opfer Druck auszuüben. Dabei klingen sie an deiner Tür, telefonieren dir hinterher oder suchen dich am Arbeitsplatz auf oder hinterläßt dir auch mal nen Brief.
Mit scheinbar harmlosen Aufgaben (Was ist schon dabei paar Flugblätter einzusammeln, die sie doch sowieso überall finden können?) wird versucht, InformantInnen zu gewinnen. Lässt sich mensch dann erstmal darauf ein, ist er/sie schnell in den Fängen der Schnüffler. Mit der Drohung, die Szene über die bisherige Zusammenarbeit zu informieren, ist jemand, die/der sich auf dieses Scheissspiel eingelassen hat, in den meisten Fällen sicher erpressbar.

Was tun bei einem Anquatschversuch?
Überhaupt keinen Sinn macht es, darüber zu grübeln, weshalb gerade du in ihrem Spiel mitmachen sollst. Regelmäßig bleiben dir die Gründe dafür verborgen.
Viel entscheidender ist der richtige Umgang damit. Am besten ist es, sich überhaupt nicht darauf einzulassen und sofort die Tür vor der Schnüffelnase zu zuknallen. Einzig sinnvoll ist es dann, sich an Vertrauenspersonen und eine Antirepressionsgruppe in deiner Nähe (z.B. Rote Hilfe) zu wenden.
Sinnvoll ist ein Gedächtnisprotokoll anzufertigen, in dem die näheren Umstände (Tag, Uhrzeit, Personenangaben, Gesprächsverlauf...) festgehalten werden.
Ein Anwerbeversuch soll auch in jeden Fall öffentlich gemacht werden. Denn der VS mag dies ganz und gar nicht. Außerdem können andere gewarnt werden und gemeinsam kann überlegt werden, wie damit umzugehen ist. Letztendlich ist es wohl auch nicht grad das Angenehmste ausgerechnet mit dem VS ein Geheimnis zu teilen…

Selbst wenn du dich auf ein Gespräch eingelassen hast, solltest du nicht davor zurückschrecken, den Anwerbeversuch bekannt zu machen. Nur so können Fehler relativiert werden.
Wichtig ist, dass du nicht allein dastehst und dich nicht einschüchtern lässt. Das Umfeld der Betroffenen sollte solidarisch sein und Verständis für so eine Ausnahmesituation zeigen.

Dagegen ist die Idee einer Gegenaktion (sich auf Scheingespräche zwecks Aushorchens des VS einlassen oder Gegenobservation) nicht wirklich ratsam. Schließlich hat mensch es mit Profis zu tun, die genau wissen, wie ein Gespräch zu führen ist und welche Rückschlüsse aus scheinbar harmlosen Antworten gezogen werden können. Sei dir bewusst, dass es keine unwichtigen Informationen gibt und bereits deine Fragen mehr über dich verraten, als du abschätzen kannst.

Wenn Du betroffen bist oder mehr zum Thema wissen willst, wende dich an die Rote Hilfe (z.B. freiburg@rote-hilfe.de, jeden Donnerstag ab 20.30 Uhr in der KTS, und/oder „Wege durch die Wüste. Ein Antirepressionshandbuch.“ Unrastverlag 2007).

Wie immer gilt:
Susi und Strolch halten`s Maul und arbeiten nicht mit staatlichen Machtstrukturen zusammen!