2008-12-01
von Alessandra Fava
Genua - Der Prozess hat nicht nur generell nicht stattzufinden: er soll schon gar nicht in Genua gemacht werden, wo es einen "fumus ambientalis"* gibt.Das ist die gestern bei der Verhandlung im Vorverfahren vom Anwalt des wegen im Mai 2007 vor Gericht gemachten Angaben der Falschaussage beschuldigten einstigen Polizeipräsidenten von Genua Francesco Colucci eingenommene Position.
Durch die Hinterlegung des Antrags auf Remission des Verfahrens bei der Gerichtskanzlei hat sich der Anwalt Maurizio Mascia de facto auf das Cirami-Gesetz** berufen, in dem er behauptete, dass die Richter nicht mit der nötigen Gelassenheit darüber entscheiden könnten, ob die Aussagen des laut Staatsanwaltschaft vom damaligen Polizeichef De Gennaro mit Hilfe des einstigen Chefs der genuesischen Digos Spartco Mortola, dem vorgeworfen wird, Colucci dazu überredet zu haben, dass die Männer der MEKs "aus Versehen" die Pascoli-Schule*** enterten, zum Zweck der Vernebelung im Verfahren "angestifteten" Colucci vor Gericht falsch seien oder nicht, weil in Genua das Diaz Verfahren stattfand und den Richtern (bei der Urteilsverkündung, A.d.Ü.) "Schämt euch!" zugerufen wurde.
Die gestrige sollte eine Zwischenverhandlung sein, die Entscheidung über die Zulassung eines Gerichtsverfahrens hätte erst in einigen Monaten fallen sollen. Durch den "fumus ambientalis" aber, hat sie gerade so lange gadauert, wie nötig, um das Beitrittbegehren der Nebenkläger zu formalisieren: Das Komitee "Wahrheit und Gerechtigkeit für Genua", der Verband der Demokratischen Juristen und drei weitere Geschädigte Parteien, die bereits im Diaz-Verfahren Nebenkläger waren. Über deren Zulassung in dieser Eigenschaft wird die Untersuchungsrichterin Silvia Carpanini am 18. Dezember befinen. Dann wird Alles bis zur Entscheidung des Kassationshofes in der Schwebe bleiben. Mit dem Schachzug Mascias sind nicht einmal die Anwälte der anderen Beschuldigten einverstanden. Alessandro Gazzolo, der zusammen mit Pier Giovannu Iunca Spartaco Mortola vetritt, sagt: "Wir hätten das Verfahren vor dem natürlichen Richter fortgeführt". Seitens der Verteidiger De Gennaros Francesco Cppi und Alfredo Biondi kommt kein Kommentar.
Das, was die Staatsanwaltschaft unberührt geblieben war. Die Vorwürfe der Falschaussage, der Anstiftung und der Anstiftung stützen sich auf eine dichte Abfolge von Abhörmitschnitten, in denen zu hören ist, wie der einstige Polizeipräsident von Genua Francesco Colucci sagt, dass "der Boss" ihn gebeten hat, "in Sachen Presse**** ein bisschen den Rückwärtsgang einzulegen", also zur Frage nach demjenigen, der die Entscheidung fällte, den obersten Öffentlichkeitsarbeitsreferenten des Innenministeriums Roberto Sgalla zu entsenden. Als er im vergangen Mai bei der Gerichtsverhandlung im Diaz-Verfahren erschien, hatte Colucci widerrufen. In den darauf folgenden Stunden erhielt er die Gratulationen von zahlreichen Gestalten, darunter von Gratteri und einem Richter. Kurzum, die Staatsanwälte Enrico Zucca und Francesco Cardona Albini sind der Ansicht, dass es mit der Aussage Colucci gelungen ist, das Verfahren einzutrüben.
Was Mortola betrifft, der der Beihilfe beschuldigt ist, weil er Coluci überredet haben soll, die Argumentationslinie durchzusetzen, nach der in die Pascoli-Schule, die Standort des Medienzentrums war, "die gesamte Gruppe der MEK hinein gegangen ist", weil sie "Das Zieobjekt verfehlten". "Wir treten als Nebenkläger an, um daran zu erinnern, dass in der vom erstinstanzlichen Urteil im Diaz-Verfahren fast vollständig unbeachteten Pascoli-Schule das eine oder andere doch geschehen ist" sagt der anwaltliche Vertreter des Verbandes der Demokratischen Juristen emilio Robotti. So etwas, wie die Beschlagnahme aller Festplatten mit den Anzeigen gegen Polizeikräfte, die Demonstranten von den Anwälten (der Rechtshilfegruppe "Genoa Legal Forum", A.d.Ü. ) hatten aufnehmen lassen. Um zu verstehen, wieso dies keinen Straftatbestand darstellt, wartet man auf Einsicht der Begründung des Diaz-Urteils.
A.d.Ü. :
* ein vergiftetes Klima
** siehe: http://www.metatag.de/webs/fdp/sls/files/docs/cirami/Bericht_legitimer_Verdacht.pdf : "[...] Das Cirami-Gesetz führte in die Strafprozessordnung den Begriff des legitimen Verdachts als Grund für den Antrag ein, eine Rechtssache von einem Gericht auf ein anderes zu übertragen. Der legitime Verdacht beruht auf „schwer wiegenden örtlichen Gegebenheiten, die geeignet sind, den Verlauf des Verfahrens zu beeinträchtigen“. [...]"
*** Es wurden in der Nacht zum 22. Juli 2001 zwei Schulen in der Via Cesare Battisti geentert, die beide dem Schulkomplex "Diaz" angehören. In der Pascoli-Schule waren das Medienzentrum, eine Sanitäterstelle und die Rechtshilfestelle des Genoa Social Forum untergbracht. Die andere Schule, die zum Schauplatz des blutigen Gemetzels von dort übernachtenden Protestteilnehmern wurde, heißt Pertini.
**** Es geht genau gesagt darum, dass der damalige Pressesprecher der Polizei Roberto Sgalla im Laufe der "Operation Diaz" vor Ort war und dass Colucci im Mai 2007 eine frühere Aussage darüber, dass dieser von De Gennaro persönlich dort hin abgestellt worden sei dahingehend revidierte, dass er (Colucci) vielmehr selbst Sgalla bestellt habe. Die Anwesenheit Sgallas, der permanent mit dem Innenministrium in Rom in Verbindung stand, ist ein starkes Indiz dafür, dass die Aktion in der Diaz mitnichten ohne Wissen von Rom durchgeführt wurde. Rom hatte am 21. Juli durch die faktische Entsendung eines neuen obersten Einsatleiters für die Öffentliche Ordnung ohnehin offenbar entscheidende Veränderungen im Organigramm der Leitngsstäbe vorgenommen. Der durch diese Entscheidung de facto "entmachtete" Einsatzleiter Ansoino Andreassi gab zu Protokoll, der Befehl für die Aktion sei direkt aus Rom gekommen, wobei er den damaligen Polizeichef nicht namentlich erwähnte. In diesem ZUsammenhang ist für De Gennaro seine namentliche Erwähnung als unmittelbarer "Entsender" Sgallas sehr unangenehm. Wie Sgalla sich in der Diaz-Nacht gegenüber Hournalisten, Parlamentariern und Social-Forum-sprechern verhielt, ist unvergessen. Mehrfach wurde bezeugt, dass er diese daran hinderte, das Gebäude zu betreten.