2008-11-10
Am vergangenen Wochenende fand in Tübingen zum elften Mal der alljährliche Kongress der Informationsstelle Militarisierung (IMI) statt. Der diesjährige IMI-Kongress und die Teilnehmer/innenzahl von insgesamt über 150 Menschen war sehr erfreulich. Auf dem IMI-Kongress fand eine intensive Beschäftigung statt mit dem Thema "Kein Frieden mit der NATO!"
IMI-Vorstandsmitglied Tobias Pflüger formulierte zu Anfang das Ziel des Kongresses folgendermaßen: "Die NATO ist ein Kriegsfüh-rungsbündnis. Die NATO steht für Krieg. Deutlich wird dies insbesondere in Afghanistan. Der NATO-Gipfel in Frankreich und Deutschland im April, auf dem das Bündnis sein 60jähriges Jubiläum zelebrieren will, ist das zentrale politische Ereignis des Jahres 2009. Für die Regierenden und für die Antikriegs- und Friedensbewegung. Mit diesem IMI-Kongress wollen wir zur Mobilisierung für die Gegenproteste beitragen: Einmal, indem wir die Kritik an der NATO inhaltlich unterfüttern und fundieren. Anderseits, indem wir versuchen, Ideen und Ansätze für die Mobilisierung zu präsentieren."
Inhaltlich wurden anhand der Vorträge des Kongresses vor allem drei Aspekte deutlich: Erstens entwickelt sich die NATO inzwi-schen auf allen Ebenen, sowohl was ihre Strategie, Struktur als auch Einsatzpraxis anbelangt, immer konsequenter zur globalen Kriegs- und Besatzungsinstitution. Die zentrale Aufgabe der NATO besteht in der militärischen Absicherung und Ausweitung der westlich dominierten kapitalistischen Weltordnung, wie die Vorträge zu den NATO-Besatzungen in Afghanistan (Jürgen Wagner), auf dem Balkan (Christoph Marischka) und über die NATO als Seemacht (Claudia Haydt) herausarbeiteten.
Die Vorträge zum Krieg in Georgien (Martin Hantke) und zur NATO-Atompolitik / zum NATO-Raketensystem (Arno Neuber) wie auch die im Plenum sich jeweils anschließende Diskussionen verdeutlichten, dass diese Konflikte auch im Kontext eines Neuen Kalten Krieges zwischen USA und Europäischer Union auf der einen sowie insbesondere Russland aber auch China auf der ande-ren Seite zu verstehen sind. Mittlerweile treten die Konturen dieser erneuten Blockkonfrontation immer deutlicher zu Tage (Gas-OPEC, Shanghai Cooperation Organization, Energie-NATO...), weshalb die in jüngster Zeit enorm intensivierte Zusammenarbeit zwischen NATO und Europäischer Union die logische Konsequenz dieser Entwicklung darstellt: "Mittlerweile passt zwischen NATO und EU fast kein Blatt mehr", so Pflüger in seinem Beitrag.
Schließlich wurde deutlich, dass der neue US-Präsident Barack Obama im außen- und friedenspolitischen Bereich nicht viel Anlass zu Optimismus gibt. Hierfür genügt ein Blick auf seinen Beraterstab, der ein Sammelsurium aus NATO-Kriegern (Wesley Clark), russlandfeindlichen Strategen (Zbigniew Brezinski) und "humanitären" Interventionisten (Samantha Power) ist. Unter Obamas Ägide droht eine Revitalisierung der NATO. Denn aufgrund ihrer ökonomischen Probleme sind die USA dringend auf eine größere militäri-sche Beteiligung der europäischen Staaten in den Kriegen, insbesondere in Afghanistan angewiesen. Die Kosten für die militäri-sche Absicherung der kapitalistischen Weltordnung sollen besser verteilt werden. Aufgrund seiner Beliebtheit in Europa könnte Barack Obama der ideale Mann sein, um diese "Aussöhnung" in die Wege zu leiten.
In den Beiträgen und Diskussionen zur Mobilisierung für den NATO-Gipfel 2009 wurde aufgezeigt, dass in vielen Städten in Deutschland NATO-Einrichtungen vorhanden sind. Als Beispiele wurden genannt: das US-EUCOM in Stuttgart-Vaihingen, das auch innerhalb der NATO eine wesentliche Rolle spielt, die NATO-AWACS-Militärbasis in Geilenkirchen, der von der EU, der NATO und den USA für ihre Militäreinsätze umfangreich genutzte "zivile" Flughafen Halle/Leipzig, das im südbadischen Müllheim beheimatete Eurokorps, das insbesondere von der NATO als NATO Response Force genutzt wird, die NATO-Schule Oberammergau und das George-Marshall-Center in Garmisch, die als Schuldungs- und Denkzentren wichtige Bedeutung für die NATO-Politik haben. Zu-dem verläuft die neu ausgebaute NATO-Pipeline bundesweit durch viele Landkreise, symbolträchtig auch von Tübingen nach Kehl. Solche Ansatzpunkte, so die einhellige Meinung, eignen sich hervorragend für die Mobilisierung und sollten hierfür auch genutzt werden.
Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die Etablierung regionaler, deutschlandweiter und internationaler Mobilisierungsstrukturen zwar bereits erfreulich weit fortgeschritten ist, große Proteste aber vor allem dann gelingen werden, wenn sich auf lokaler Ebene Bündnisse bilden, die an ein möglichst breites politisches Spektrum herantreten. Veranstaltungen zum NATO-Krieg in Afghanistan sind dazu wichtig. Die NATO und damit die Kriegsfrage haben eine Relevanz für alle Bürger/innen und für sämtliche sozialen Be-wegungen. Hierfür wurde am Rande des Kongresses beschlossen, ein Papier auszuarbeiten, das die Verbindung der NATO zu Themen wie Sozialabbau, Klimawandel, Migration, Abbau von Bürgerrechten u.a. verdeutlicht. Dieser umfassende Mobilisierungs-ansatz bietet die Chance mit großen spektrenübergreifenden Protesten ein starkes Signal zur Delegitimierung der NATO beizutra-gen, so die einhellige Meinung in der abschließenden motivierenden Diskussionsrunde.
Jürgen Wagner