2007-12-14 

Die enge Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und BKA beim 129a - Verfahren - "Als Möglichkeit anzusehen... "

Seit dem Sommer 2007 liegt dem Bundestag eine Gesetzesänderung zum sogenannten BKA-Gesetz zur Beratung vor. Bundesinnenminister Schäuble will damit die Befugnisse des BKA im Kampf gegen den internationalen Terrorismus erheblich ausweiten und die individuellen Grundrechte weiter drastisch einschränken. Die mediale Aufregung konzentriert sich dabei besonders auf die vorgesehene Online-Durchsuchung durch das BKA ohne richterliche Genehmigung und den heimlichen Einbau von Trojanern in Computer von Verdächtigen.

Das BKA soll zukünftig nach den Plänen von Schäuble nicht nur seine polizeilichen Ermittlungsaufgaben erfüllen sondern auch bei Ermittlungen nach § 129 a wie ein Geheimdienst operieren. Dies war bisher dem Verfassungsschutz (VS) vorbehalten. Zukünftig gilt das Trennungsgebot von Geheimdienst und Polizei nicht mehr. Die unsäglichen Erfahrungen aus der Nazizeit mit der allmächtigen Gestapo sind Schnee von gestern. Die terroristische Gefahr verlangt den Einsatz von V-Leute im Bereich der polizeilichen Ermittlungen, die Aufhebung des Rechtes auf Aussageverweigerung, die Observation und Abhören der Wohnungen von Verdächtigen ohne richterlichen Vorbehalt.

Schon die rot-grüne Bundesregierung unter Otto Schily hat dafür gesorgt, dass die Zusammenarbeit von VS und BKA trotz aller Trennungsgebote wesentlich intensiviert worden ist. Bei vermeintlicher "Gefahr im Verzuge" für Staat und Kapital sind auch bei Schily alle Grundrechtsicherungen schnell durchgebrannt.

Wie im Detail das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und das BKA zusammenarbeiten, darüber gibt es relativ wenig Akten. In dem 129 a-Verfahren "militanten Kampagne gegen G 8 " wurden schon zwei Monate nach der Durchsuchung vom 9. Mai den 18 Beschuldigten 10.000 Seiten Aktenmaterial zugestellt. Vor vier Wochen ist im Internet eine 65 seitige Auswertung der Öffentlichkeit vorgestellt worden (siehe Auswertung der Akten).

Aus diesen Akten geht eine intensive Kooperation von Geheimdienst (BfV) und Polizeibehörden (LKA's und BKA) hervor. Das BfV hat über sechs Jahre vier der fünf Hauptbeschuldigten observiert, deren Telefon- und Emailverkehr (TKÜ) überwacht und umfangreiche Dossiers über die Entstehung des Buches "Autonome in Bewegung" angelegt. Des weiteren wurde ab 2005 die Videoüberwachung von Hauseingängen zweier Beschuldigter eingesetzt. Die ganze Palette geheimdienstlicher Tätigkeit wie V-Leute-Einsatz, verdeckte Ermittlung, Rasterfahndung, Datenabgleich mit anderen Behörden kam dabei zum Einsatz.

Ende 2004 intensivierte der VS seine Tätigkeiten, weil er durch die TKÜ mitbekam, das die vier Verdächtigen gegen den G 8 in Deutschland aktiv werden wollten. Das BfV leitet gegen die vier Hauptbeschuldigten in Berlin (Hauke B., Bernhard F., Sven L., Armin M.) im Juli 2005 eine neue G10-Maßnahme ein, die Anordnung 3003. Dabei folgt man der einfachen Gleichung: Wenn die Betreffenden am Telefon sagen "wir wollen was zum G8 machen", meinen sie damit laut VS "was militantes machen", was gleichbedeutend ist mit "wir wollen Anschläge machen". Dem folgt auch die BfV-Interpretation eines diesbezüglichen Telefonats mit dem späteren Hamburger Beschuldigten Fritz S.: "Angesichts des engen 'politischen' Vertrauensverhältnisses von S. zu B. und M., aber auch zu L., dürfte S. klar gewesen sein, dass es dabei nicht um die Vorbereitung einer friedlichen Großdemonstration ging, sondern um Planungen für eine - militant 'flankierte' - längerfristige Kampagne."

Getreu der Anleitung aus dem Buch "Wie mache ich eine Kampagne" lief nun für die Herrn mit dem Schlapphut eine neue militante Kampagne an. Wie 18 Jahre zuvor in der IWF-Kampagne seien wieder die selben autonomem Führungskader am Start, die schon damals zahlreiche Brandanschläge zu verantworten hätten. Nur 14 Tage nach dieser neuen Einschätzung der Gefahrenlage bestätigten sich die düsteren Prophezeihungen. Auf das Auto des Chefs der 'Norddeutschen Affinerie', Marnette, wird im niedersächsischen Hollenstedt ein Brandanschlag verübt. In dem Bekennerschreiben wird die Aktion auch als "Vorschlag für eine breite, auch militante Kampagne zum G 8-Gipfel 2007" verstanden.

Sehr schnell grenzt der VS das Spektrum der Täter ein. Es sind die vier Berliner und ein neuer aber alter Bekannter aus Hamburg, nämlich Fritz S. Die lapidare Begründung für den VS, dem sich das jetzt in die Ermittlungen eingeschaltete BKA anschließt: der Anschlag Marnette habe "die ideologisch / thematischen Schwerpunkte für den künftigen Verlauf der Kampagne gesetzt" . Und dazu käme nur ein enger Personenkreis aus dem "Spektrum des gewaltbereiten undogmatischen Linksextremismus" in Frage, die untereinander ein enges Vertrauensverhältnis haben - eben die vier Berliner und ihr Hamburger Gesinnungsgenosse. Das BKA schließt sich dieser Verdachtskonstruktion vorbehaltlos an und meint im September auch den Autor des Bekennerschreiben durch eine Textanalyse herausgefunden zu haben: eben jener Fritz S. aus Hamburg.

Wenig später ereignet sich ein Brandanschlag auf das Gästehaus der Bundesregierung, die Villa Borsig in Berlin-Tegel. Mittels Textvergleichen mit älteren Bekennerschreiben meint jetzt das BKA den Berliner Beschuldigen Hauke B. als Verfasser identifizieren zu können. Ausnahmsweise ist die Analyse des VS völlig anderer Meinung und ortete die Verfasser im militanten Antikriegsspektrum. Wie bei einigen anderen "Erkenntnissen" bleiben die Widersprüche im Zuge der Ermittlungen einfach bestehen. Später, in den Sachstandsberichten des BKA, fallen sie dann unter den Tisch.

Das BKA beauftragt seine Abteilung KT 54 mit linguistischen Gutachten über die bis zum Frühjahr 2007 angehäuften 14 Bekennerschreiben im Rahmen der militanten G8-Kampagne. Doch die Ergebnisse der Experten sind für die ermittelnden Kommissare vernichtend: In keinem einzigen Fall können die Linguisten eine Autorenschaft aus dem Kreis der Beschuldigten nachweisen. Im März 2006 kommt es zu einem Geheimtreffen von Verfassungsschutz und Bundesanwaltschaft in Berlin. Der Bundesanwalt Beck erhält ein zwanzigseitiges Schreiben mit "Erkenntnissen des BfV zu den mutmaßlichen Initiatoren der militanten Kampagne" , die als geheim eingestuft und somit nicht gerichtsverwertbar sind.

Der VS listet darin eine Reihe von abgehörten Telefongesprächen und den Emailverkehr der Verdächtigen seit dem Jahr 2000 auf. Die TKÜ-Erkenntnisse hätten ergeben, dass sich die vier Berliner positiv auf die jüngeren militanten Ereignisse in Prag, Göteborg und Genua beziehen würden und darin "Anknüpfungspunkte für (militante) Aktivitäten" , so der VS, sehen würden. Ausserdem sei der Beschuldigte Fritz S. telefonisch in ihre Absichten "eingebunden" und zudem habe man "zielstrebig am Aufbau von Vernetzungsstrukturen zum Thema G 8 in Heiligendamm" gearbeitet, u.a auch erfolgreich den Buko im Mai 2005 beeinflusst. Kurz danach leitet die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gemäß §129 a gegen die fünf Verdächtigen ein. Im Sommer 2006 klopft das BKA immer wieder an die Türen des VS und fordert ergänzende Daten aus den TKÜ-Maßnahmen des VS über die Beschuldigten und deren persönliches Umfeld. Die Mobilfunkdaten der beiden Dissent-Treffen aus dem Oktober 2005 und dem Januar 2006 werden mittels eines BGH-Beschlusses angefordert und allein dadurch erweitert sich der Kreis der Verdächtigen erheblich. Bei dem Dissent-Treffen im Januar 2006 installiert der VS eine Videokamara und filmt sämtliche TeilnehmerInnen beim Betreten des Innenhofes im Berliner Mehringhof. In wieweit V-Leute bei dem Treffen unmittelbar anwesend sind, wird aus den Akten nicht ersichtlich.

Erst im August 2006 wird die Observations- und Bespitzelungstätigkeit von VS und BKA durch den Beschluss des zuständigen Richters am BGH juristisch abgesichert und erweitert. Jetzt dürfen auch die Ermittler vom BKA offiziell alles einsetzen was technisch machbar ist. Dazu gehören GPS-Ortungsgeräte an Privat-PkW der Beschuldigten, verwanzte Autos und im Jahr 2007 auch mindestens eine verwanzte Wohnung in Hamburg. Dutzende Beamte sind im Personenüberwachungseinsatz, tagelang, manchmal wochenlang. Die Anschläge im Zuge der "militante Kampagne" gehen jedoch weiter: In Bad Oldeslohe hat es schon im März 2006 geknallt, dort traf es die Fa. Thormälen, in Hamburg trifft es das Auto des Präsidenten des HWWI und Weihnachten 2006 das Auto des Staatssekretärs im Bundesfinanzministerium, Mirow.

Die Ermittler vom VS gleichen sofort ihre Videoaufnahmen der überwachten Wohnungen ab, prüfen den Mobilfunkverkehr der Beschuldigten und stellen immer wieder nur fest, dass sie offenbar nicht an den Anschlägen direkt beteiligt waren. Zum Teil waren sie in Urlaub, zum Teil waren sie einfach zur fraglichen Zeit zu Hause. Daraus zieht das BKA eine erstaunliche Konsequenz: Kurz vor Weihnachten wird der Kreis um 7 Beschuldigte aus dem sozialen Umfeld der Hauptbeschuldigten erweitert. Dies ergibt sich aus der Erkenntnis, dass die bisherigen Überwachungen der Hauptbeschuldigten deren Beteiligung an den diversen Brandanschlägen nicht erwiesen haben. Die BKA-Abteilung ST 12 zieht daraus den Schluss, dass sie die Anschläge womöglich nur initiieren, planen und die Bekennerschreiben formulieren, zur Tatausführung aber andere Personen eingebunden haben. Das soziale und politische Umfeld der Beschuldigten muss also genauer ausgeleuchtet werden, 81 Lichtbildmappen von Verdächtigen sind angelegt. Ein anonymisierter V-Mann wird als Belastungszeuge vernommen.

Im Februar 2007 übermittelt der VS dem BKA seine Erkenntnisse zum Aufenthaltsort der Beschuldigten zum Zeitpunkt der jeweiligen Anschläge vom Juli 2005 bis Ende 2006. Da das BKA offiziell erst ab August 2006 TKÜ-Maßnahmen einsetzen darf, wird damit eine schmerzliche Lücke geschlossen. Aber auch diese bisher als geheim eingestuften Erkenntnisse helfen den Beamten beim BKA nicht weiter. Der Abgleich mit den Vermutungen, wer von den Hauptbeschuldigten welche Bekennerschreiben geschrieben hat, mit den übermittelten Bewegungsbildern des VS führt zu keinem einzigen positiven Befund. Entgegen den Behauptungen der Sachstandsberichte aus dem Frühjahr 2007, wonach sich die Verdachtsmomente gegen die fünf Hauptbeschuldigten erhärtet hätten, bleiben die konkreten Ermittlungsergebnisse vage, sprachlich im Konjunktiv. Es wird also weiter spekuliert. Wie im Fall Dussmann. In kurzen Zeitabständen ereignen sich zwei Anschläge auf Filialen von Dussmann in Hamburg und Berlin. Durch die Telefon- und Computerüberwachung finden die Ermittler bei Bernhard F. heraus, dass sein Mitbewohner Jan-Ole A. eine umfassende Recherche (so das BKA) zur Dussmann-Gruppe im Januar vor den Anschlägen durchgeführt habe. (Tatsächlich war Jan-Ole nicht länger als 3 Minuten auf dem Internetprotal von Dussmann, das belegen die TKÜ-Protokolle!) Diese Informationen seien dann in das Bekennerschreiben eingeflossen. Jan-Ole wohne mit dem "Altautonomen" Bernhard F. und dieser sei verantwortlich für die Internetpräsenz der Gruppe "FelS", die federführend in der Thematik Antirassismus/Migration sei. Und damit sei eine Beteiligung "des Berliner Alt-Autonomen Berhard F. nach hiesigen Erkenntnissen zumindest als Möglichkeit anzusehen" , so der VS. - "Als Möglichkeit" oder "es kann nicht ausgeschlossen werden" sind die vielfach in den Akten auftauchenden sprachlichen Hilfskrücken, um überhaupt noch die Beschuldigten in irgendeine Nähe zu den Anschlägen der militanten Kampagne zu bringen.

Jan-Ole A. jedenfalls gehört ab dem März 2007 zu dem erlauchten Kreis der Beschuldigten. Und natürlich bleiben die einmal im Netz der Fahnder Gefangenen für immer und ewig drin, einzelne Beschuldigte 20 Jahre und deren Bekannte aus den 90 er Jahren ebenso.

Den BKA-Beamten dämmert, dass ihre bisherigen Beweise nicht viel bringen. Deswegen versuchen sie ihre wackelige Konstruktion durch eine scheinbar plausible Tatsachensfeststellung zu untermauern. Die fünf Hauptbeschuldigten seien die Führungskader, halten sich z. T. bewusst bei der Ausführung der militanten Kampagne zurück. Der leitende Ermittler beim BKA KHK Noisternigg kommt in seinem Sachstandsbericht Ende Dezember 2006 zu folgendem Ergebnis: "Da die genannten Beschuldigten (...) schon seit über 20 Jahren aktiv führend in der linken Szene eingebunden sind und über entsprechende Erfahrungen in Zusammenhang mit Strafverfolgungsmaßnahmen verfügen, muss davon ausgegangen werden, dass ihre möglichen Mittäter / Gruppenmitglieder u.a. aus ihrem engsten, vertrauten Personenumfeld stammen. In die hier geführten Ermittlungen werden daher (...) insbesondere auch deren Kontaktpersonen einbezogen, die in ihr Wirkungsfeld eingebunden sind bzw. über ein entsprechendes Vertrauensverhältnis (z. B. aufgrund bereits früherer gemeinsamer Tatbegehungen) verfügen."

Die logische Konsequenz ist also das Konstrukt der Kontaktschuld. Der Kreis der Beschuldigten wird bis zum April 2007 so beständig erweitert.

Am 9. Mai kommt es dann zum Show-down. Über 900 Beamte durchsuchen 40 Objekte, nehmen von fast allen Beschuldigten DNA-Proben und von sechs gar Geruchsproben. Ein knappes halbes Jahr später stellt sich heraus, dass die neu gefunden Beweise nicht besser sind wie die alten - alles nur Nieten. Ein Desaster für die BAW. Zusammenfassend lässt sich hervorheben, dass das BfV durch umfangreiche Geheimdiensttätigkeiten weit vor dem Beginn der Ermittlungen des BKA im Jahr 2005 das Verfahren in eine ganz bestimmte Richtung gelenkt hat. Schärfer noch: es hat die Ermittlungstätigkeit und besonders die Verdächtigungen über den möglichen Täterkreis gezielt gesteuert. Dass was formaljuristisch allein in der Obliegenheit der BAW und des BKA lag, der Einschluß aber auch der Ausschluss von möglichen Tätern, war Sache des Geheimdienstes. Insofern ist dieses 129a -Verfahren die Vorwegnahme des von Schäuble gewünschten neuen BKA-Gesetzes, die Geheimdienstabteilung führte das Verfahren und nicht mehr die Gerichte!

Zwar sind viele der Altautonomen laut VS und BKA nicht an den Anschlägen beteiligt gewesen. Aber das entscheidende ist, dass sie seit 20 Jahren autonome Führungskader sind und allein das macht sie für ein 129 a-Verfahren hinreichend verdächtig, denn bei diesem Paragrafen muss keine konkrete Tatbeteiligung nachgewiesen werden. Deshalb ist das Zusammenwirken von Polizei und Geheimdiensten in diesen Verfahren so verheerend. Deshalb muss der 129 a verschwinden und die Geheimdienste aufgelöst werden!

Hauke Benner (einer der Beschuldigten)