2008-08-03
Im Hamburger Stadtteil Moorburg baut der Energiekonzern Vattenfall ein neues Kohlekraftwerk, das bei seiner Fertigstellung nicht nur die umliegenden Stadtteile massiv mit Feinstaub belasten, sondern den Ausstoß des Klimagases CO2 in Hamburg mit einem Schlag um 40% erhöhen würde.
Dabei ist Moorburg kein Einzelfall, sondern nur eines von über 20 neuen Kohlekraftwerken, die bundesweit geplant oder im Bau sind. Durch ihre Fertigstellung würde die ineffiziente, veraltete und extrem klimaschädliche Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern auf Jahrzehnte festgeschrieben. Zu dieser unverantwortlichen Politik, die allen Lippenbekenntnissen zum Klimaschutz Hohn spricht, sagen wir unmissverständlich NEIN!
Die Aktion Gegenstrom08 wird daher am 23. August ein klares Zeichen für ein anderes Klima setzen: Tausende von Menschen werden in einer Aktion des Zivilen Ungehorsams die Kraftwerksbaustelle in Moorburg besetzen!
Eine deutliche Mehrheit der Hamburger Bevölkerung lehnt das Großkraftwerk in Moorburg klar ab: Sie wollen eine umweltverträgliche Energieerzeugung und haben die Nase voll vom Energiekonzern Vattenfall. Das Unternehmen ist durch die Vertuschungsversuche der jüngsten Störfälle in seinen AKWs Brunsbüttel und Krümmel als besonders verantwortungslos und ignorant gegenüber den Risiken seiner Anlagen bekannt. Zudem hat Vattenfall nach der Übernahme der Hamburger Elektrizitätswerke die Preise so massiv erhöht, dass selbst CDU-Bürgermeister Ole von Beust die Privatisierung inzwischen als Fehler bezeichnet. Viele der so weiter in die Armut getriebenen Menschen sind von dem Vorgehen Vattenfalls doppelt betroffen: Nicht nur, dass sie nicht mehr wissen, wie sie von Hartz IV und Niedriglöhnen ihre Energierechnungen bezahlen sollen, die Feinstaubemissionen des Kraftwerks würden besonders den Stadtteil Wilhelmsburg treffen, wo viele MigrantInnen und arme Menschen leben. Ärzte aus dem Stadtteil warnen bereits vor einer massiven Zunahme von Atemwegserkrankungen durch die Abgase des Kraftwerks.
Im neuen schwarz-grünen Senat haben die Grünen zwar die Verantwortung für die Umweltbehörde. Trotz ihres vollmundigen Auftretens gegen Moorburg im Wahlkampf verheddern sie sich jetzt aber im Gestrüpp des Genehmigungsverfahrens, während sie den politischen Widerstand gegen den Bau des Großkraftswerks längst aufgegeben haben. Auf Politik und Justiz werden wir uns im Kampf für eine andere Energiepolitik nicht verlassen können – der Druck muss von unten kommen. Deswegen werden wir die Baustelle in Moorburg besetzen!
Vattenfall ist inzwischen zur juristischen und politischen Erpressung übergegangen: Der Konzern droht mit Schadensersatzklagen in Milliardenhöhe gegen das Land Hamburg, wenn die Genehmigung für Moorburg nicht schnell erteilt wird. Dabei erhält Vattenfall wohlwollende Unterstützung von seinen Konkurrenten wie z.B. E.ON, denn allen Energiekonzernen ist die bundesweite symbolische Bedeutung der Auseinandersetzung um Hamburg-Moorburg klar. Hier treffen ökologische und soziale Bedürfnissen der Bevölkerung einerseits und die Profitinteressen der Energiekonzerne andererseits ganz konkret aufeinander. Wenn es hier gelingt, die Pläne von Vattenfall zu stoppen, dann sind die unverantwortlichen Pläne für den Ausbau der Kohlekraftwerke überall in Deutschland in Gefahr. Unser Widerstand gegen Moorburg ist daher gleichzeitig eine Unterstützung der lokalen Kämpfe an vielen weiteren geplanten Kraftwerksstandorten.
Moorburg zeigt aber auch die Unglaubwürdigkeit der Politik der Bundesregierung, die sich gern als Retterin des Weltklimas aufspielt, vollmundig CO2-Reduktionsziele verkündet, aber nichts tut, um einen tatsächlichen Kurswechsel in der Klima- und Energiepolitik vorzunehmen, der sich dann gegen die Interessen von Vattenfall, E.ON usw. richten müsste. Dieser offensichtliche Widerspruch zwischen Rhetorik und Handlung ist nicht die einzige Schieflage im herrschenden Klimadiskurs: Während steigende Energiepreise sozial Benachteiligte immer mehr belasten, konnten sich die Stromkonzerne Milliardenprofite sichern. Den Preis der CO2-Zertifikate schlagen sie z.B. auf die Stromrechnung auf, obwohl sie selbst nichts dafür bezahlt haben. Regierung und Konzerne suggerieren, mit technischen Lösungen (wie „Biodiesel“ oder CO2-Abscheidung) die Herausforderungen des Klimawandels ohne wesentliche gesellschaftliche Veränderungen meistern zu können – und sehen nicht den Zusammenhang mit einer kapitalistischen Wachstumslogik. Dabei erweist sich der Kapitalismus tagtäglich als unfähig, eine ressourcenschonende Produktion und Verteilung zu organisieren, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert.
Nicht nur der Klimawandel selbst, sondern auch einige Maßnahmen, die zu seiner Bekämpfung propagiert werden verschärfen die globale Ungleichheit. Der Anbau von Agrofuels etwa trägt zu steigenden Lebensmittelpreisen bei und damit in manchen Ländern des Südens zu neuen Hungersnöten. Für uns ist angesichts der sozialen und ökologischen Folgen der gegenwärtigen Macht- und Eigentumsstrukturen klar: Wir dürfen die Entscheidung über unsere zukünftige Energieversorgung nicht länger den Profitinteressen von Vattenfall, RWE, EnBW oder E.ON überlassen. Die Folgen davon wären weiter steigende Energiepreise und damit weitere Verarmung vieler Menschen, der unverantwortliche Neubau von Kohlekraftwerken und ein Festhalten an der mit unkalkulierbaren Risiken behafteten Atomenergie. Was wir brauchen, ist ein dezentralisierte, ökologisch und sozial orientierte und demokratisch kontrollierte Energieversorgung, die vor allem auf regenerative Energien und das riesige Potential an Energieeinsparungen setzt. Das bedeutet mit anderen Worten: Die entschädigungslose Enteignung der Energiekonzerne und ihre Aufteilung in demokratisch kontrollierte, lokale und regionale Einheiten! Vom 15.-24. August wird in Hamburg das erste Klimacamp in Deutschland stattfinden – mit zahlreichen Veranstaltungen und Aktionen rund um Klima, Energie, soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche Alternativen. Parallel dazu findet auch ein antirassistisches Camp statt, mit dem es eine weit reichende organisatorische, thematische und aktionsbezogene Zusammenarbeit gibt. Schließlich erinnern uns die Kämpfe von Flüchtlingen und MigrantInnen um offene Grenzen und sicheres Bleiberecht daran, dass Klimapolitik immer auch global gedacht werden muss. Ein Jahr nach dem G8-Gipfel, bei dem sich Angela Merkel mit leeren Versprechungen und unverbindlichen Absichtserklärungen als Klima-Queen inszenierte, knüpfen wir auch an die Aktionserfahrungen von Heiligendamm an: So wie es im Juni 2007 gelang, mit großen Aktionen des Zivilen Ungehorsams den Widerstand gegen die Politik der G8 sichtbar zu machen und die Polizei ins Leere laufen zu lassen, so werden wir dieses Jahr mit Gegenstrom08 ein unmissverständliches Zeichen für ein ganz anderes Klima setzen!
In Aktionstrainigs in vielen Städten und Regionen, vor allem aber in den Tagen davor auf dem Klimacamp werden wir gemeinsam üben und uns gegenseitig Sicherheit geben für einen organisierten Regelverstoß. Bei Gegenstrom08 werden sich Massen von Menschen aus unterschiedlichen politischen Strömungen und mit unterschiedlicher Aktionserfahrung zusammenfinden.
Die Aktion Gegenstrom08 sucht nicht die Konfrontation mit der Polizei, wird aber entschlossen ihr Ziel verfolgen: Die Baustelle des Kraftwerks Moorburg wird besetzt!