2008-08-01 

1.8.2008 Heiligendamm -- Genua

- Ein Jahr nach G8-Razzien: Weiterer Informant enttarnt
- Ein Jahr nach G8-Durchsuchungen: Informant enttarnt
- Flensburg: Terror - in Luft aufgelöst
- Militanz – Ohne Mythos geht es nicht
- Aktion in Genua, 22. Juli: Brief an die Bürgermeisterin von Genua
- Gênes 2008 : L’Italie ferme la porte à la justice

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[Gipfelsoli Infogruppe]

Pressemitteilung 1. August 2008

* Ein Jahr nach G8-Razzien: Weiterer Informant enttarnt
* Aussagen tauchen in Ermittlungsakten auf
* Baldige Einstellung der Verfahren nach §129a vermutet

Der einzige bisher benannte „Belastungszeuge“ der Ermittlungen nach §129a, die in den Razzien gegen die Anti-G8-Bewegung am 9. Mai 2007 gipfelten, ist enttarnt. Damals hatte die Bundesanwaltschaft rund 40 Objekte in Berlin, Brandenburg, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen durchsuchen lassen.
900 Beamte beschlagnahmten Computer, Unterlagen und erzwangen Geruchsproben einiger Beschuldigter. Wohnungen wurden zuvor akustisch überwacht, Peilsender an Autos angebracht und umfangreiche Observationen per Video dokumentiert.

Für die Ermittlungen hatte die Polizei die zwei größten Treffen des damaligen „dissent“-Netzwerkes in Berlin und Hamburg überwacht und jedes Handy der rund 250 TeilnehmerInnen, das sich in der betreffenden Funkzelle einbuchte, protokolliert.

Bereits 2006 war das Berliner Sozialforum von drei Informanten infiltriert, die unter anderem Einblick in die G8-Vorbereitungen erlangen wollten.

Die Razzien galten dem im Frühjahr 2007 immer breiter werdenden Anti-G8-Widerstand und wurden von allen Spektren als ein Versuch der Spaltung verstanden. Allein in Berlin demonstrierten am gleichen Abend 5.000 Menschen.

Der 74-jährige Peter A. aus Kiel, früher Offizier der Bundeswehr, wurde Mitglied der lokalen attac-Gruppe und tauchte seit 2006 bei Treffen bundesweiter G8-Bündnisse auf, darunter dem „Hannoveraner Koordinierungskreis“, dissent, Aktionsnetzwerk Globale Landwirtschaft etc.
A. räumte ein, dass die in den Akten zitierten Aussagen von ihm stammen, behauptet allerdings „abgeschöpft“ worden zu sein. Die Recherche-Gruppe bezweifelt diese Version.

„Unser Eindruck ist dass Peter A. nirgendwo tiefere Einblicke erhalten hat“, schreibt die Gruppe in einem ausführlichen Bericht.

Dennoch wird er in den Ermittlungsakten als einziger Zeuge geführt. In 33 Aktenordnern, welche die AnwältInnen der Beschuldigten einsehen können, wird von seiner „anonymisierten Zeugenvernehmung“ durch das Bundeskriminalamt berichtet. Die 33 Ordner repräsentieren jedoch lediglich 10% der verschriftlichten Akten, den AnwältInnen wird der Zugang zu weiterem Material verweigert.

Am 20. Dezember 2007 hob der Bundesgerichtshof (BGH) nach der Klage eines Betroffenen den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluß nachträglich auf. Das BKA hätte die Ermittlungen nicht an sich ziehen und die Beschuldigten „nicht als terroristische Vereinigung eingeordnet werden“ dürfen.
Zuständig ist seitdem die Staatsanwaltschaft Hamburg. Ermittelt wird nur noch nach §129, der Vorwurf der Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung mußte fallengelassen werden.

Die Recherche-Gruppe geht davon aus, dass die Ermittlungen nach der Ausforschung eingestellt werden.

Ohnehin führen nur 5% aller §129a-Verfahren zu Verurteilungen und dienen vielmehr der Erweiterung der Überwachungskompetenzen von Verfolgungsbehörden.
Die Beschuldigten vermuten, dass der Verfassungsschutz im Ermittlungsverfahren federführend ist und damit seine gesetzlichen Grenzen überschreitet.

Andreas Christeleit, Sprecher der Bundesanwaltschaft, am 9. Mai 2007 im ZDF-Heute-Journal: "Die heutigen Durchsuchungen sollten Aufschluss erbringen über die Strukturen und die personelle Zusammensetzung von diesen Gruppierungen und dienten nicht in erster Linie zur Verhinderung von konkreten Anschlägen, dafür gab`s keine Anhaltspunkte".

*Hintergrund*

* Ausführlicher Bericht der Recherche-Gruppe: http://www.gipfelsoli.org/Repression/5425.html
* Enttarnte Informanten im Berliner Sozialforum: http://www.gipfelsoli.org/Heiligendamm_2007/3326.html
* Rolle des VS in den Ermittlungen: http://gemeintsindwiralle.selfip.net/Main/Ak523
* Beschluß BGH 20. Dezember 2007: www.lawblog.de/index.php/archives/2008/01/04/bgh-g-8-durchsuchungen-waren-rechtswidrig/

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Ein Jahr nach G8-Durchsuchungen: Informant enttarnt

Über ein Jahr liegt es zurück, seitdem Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt in einer bemerkenswert hastig eingefädelten Aktion versucht haben, Teile des G8-Widerstandes zur terroristischen Vereinigung zu stilisieren. Juristisch und politisch sind die Behörden mit ihrem Ansinnen bekanntlich gescheitert – ja, die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe wurde zu Beginn des Jahres sogar vom Bundesgerichtshof zurückgepfiffen. Stattdessen ist das Verfahren mittlerweile bei der Staatsanwaltschaft Hamburg anhängig, und niemand weiß so richtig, wann es endgültig eingestellt wird.
Doch das ist nicht der Grund dieses Textes. Im Folgenden soll es vielmehr um einen in den Akten anonym benannten Belastungszeugen bzw. Informanten gehen, welcher mittlerweile enttarnt werden konnte.

Konkret möchten wir auf vier Dinge näher eingehen: Erstens welche Rolle der Informant in den Ermittlungsakten spielt, zweitens wie der Informant mutmaßlich mit den Behörden kooperiert hat und drittens um wen es sich bei dem Informanten handelt. Darüber hinaus möchten wir viertens einen Vorschlag machen, wie mit dem 'Fall' zukünftig verfahren werden sollte. An vielen Stellen können wir natürlich nur mutmaßen. Deshalb möchten wir uns im Folgenden vor allem auf das konzentrieren, was wir wirklich wissen. Allerdings möchten wir auch – zumindest im Groben – transparent machen, wie wir zu unseren Einschätzungen gekommen sind.

1. Zur Rolle des Informanten in den Akten

In den umfänglichen Ermittlungsakten – immerhin 33 Ordner, und das sollen gerade mal 10% des Gesamtbestandes sein – gibt es eine „anonymisierte Zeugenvernehmung“, welche am 02.04.2007 durch das Bundeskriminalamt durchgeführt wurde. Ob es sich bei der Person um einen bezahlten Informanten oder um einen klassischen Zeugen handelt, bleibt unklar. Konkret zeichnet sich die Vernehmung durch vier Sachverhalte aus:

a) In dem Vernehmungsprotokoll geht es um fünf Personen – unter ihnen zwei bzw. drei der mutmaßlichen Autoren des Buches „Autonome in Bewegung“, welches ja offizieller Ausgangspunkt des G8-129a-Strafverfahrens gewesen ist. Der Informant bezichtigt zwar niemand der fünf Personen irgendwelcher Straftaten, allerdings gibt er dem Konstrukt der Bundesanwaltschaft (wissentlich oder unwissentlich) Futter. Demnach handele es sich bei den Beschuldigten um prominente Aktivisten der linken bzw. autonomen Szene und somit um Leute, welche durchaus das Zeug zu so etwas wie „terroristischen Führungskadern“ hätten. Praktisch kommt das in Sätzen zum Ausdruck wie: X „ist als intellektuelle Führungspersönlichkeit anzusehen...“, oder: Y „würde ich als charismatischen Führer bezeichnen, dem es aufgrund seines taktischen Geschicks gelingt, die Massen hinter sich zu bringen.“

b) Insgesamt ist die Zeugenvernehmung eine eigenartige Mischung aus Wahrheit und Dichtung: Manches ist durchaus zutreffend, vor allem Angaben darüber, wer an welchen Treffen teilgenommen hat (wobei hinzuzufügen ist, dass es sich durch die Bank um öffentliche Treffen wie die Aktionskonferenzen in Rostock oder dissent-Treffen gehandelt hat). Anderes hingegen – vor allem persönliche Informationen über die einzelnen Beschuldigten – ist absoluter Käse und Ausdruck davon, dass dem Informanten so gut wie keine Einblicke in die persönlichen Verhältnisse der Beschuldigten vorliegen. Und doch: In ihrer Beweisnot scheint die Gegenseite selbst auf derart lausige Zeugen angewiesen zu sein. Hauptsache, es gibt (Schein-)Begründungen, mit denen monate- bzw. jahrelange Durchleuchtungen gerechtfertigt werden können – nebst Hausdurchsuchungen.

c) Letzteres dürfte im Übrigen auch der Grund gewesen sein – so paradox es klingen mag, weshalb die Behörden die Bedeutung der Zeugenvernehmung relativ hoch gehängt haben. Konkret bezeichnet ein Ermittlungsbeamter die Aussagen des Zeugen – Lausigkeit hin oder her - als eine von vier zentralen Quellen, aus welchen sich „zusammenfassende Darstellungen zur Verdachtslage“ ableiten ließen.
d) Bemerkenswert sind im Vernehmungsprotokoll schließlich zwei Dinge: Einerseits eine für linke Kreise eher ungewöhnliche Sprache, etwa wenn der Zeuge mit postiv getöntem Unterton davon spricht, dass einer der Beschuldigten „in der Lage sein dürfte, Massen in seinen Bann zu ziehen und zu motivieren.“ Andererseits war auffällig, dass der Informant insbesondere Treffen des „Aktionsnetzwerks Globale Landwirtschaft“ und der antirassistischen G8-Mobilisierung besucht hat, und zwar auch Treffen bzw. Veranstaltungen, auf denen vergleichsweise wenig Leute zugegen waren.

2. Zur Kooperation des Informanten mit den Behörden

Insbesondere die Sprache und die konkreten Teilnahmen an Treffen haben es einfach gemacht, den Informanten relativ schnell zu identifizieren. Denn neben dem Informanten gab es eigentlich nur noch eine weitere Person welche überhaupt in beiden Netzwerken aktiv war (und zwar einer der Beschuldigten). Vor dem Hintergrund diverser Erkundigungen haben sich sodann drei Aktivisten mit dem (mutmaßlichen) Informanten getroffen, als Ort hat ein zentral gelegenes Café in seiner Heimatstadt fungiert. Die an dem Gespräch Beteiligten teilten ihm mit, dass sie davon ausgingen, dass er just jener anonym in den Akten geführte Zeuge sei. Daraus entwickelte sich sodann eine längeres Gespräch, denn der Mann bestätigte ohne weitere Umschweife, dass er der Urheber der in der Zeugenvernehmung gemachten Aussagen wäre – auch er könne sich in den Formulierungen wiedererkennen. Er bestand allerdings darauf, dass es nie eine formelle Zeugenvernehmung gegeben habe – so wie dies durch das Vernehmungsprotokoll des BKA (bestehend aus 19 Fragen und Antworten) nahegelegt wird. Vielmehr sei er systematisch abgeschöpft worden. Konkret sei das so abgelaufen, dass er im Anschluss an G8-bezogenen Vorbereitungstreffen stets von zivil auftretenden Beamten angesprochen wurde – ob beim Taxistand, auf dem Bahnhof oder im Zug. Daraus hätten sich meist kurze Gespräche ergeben. Zuweilen habe er sich aber auch eine Stunde lang unterhalten. Aus Sicht des Informanten seien diese Gespräche durchweg harmlos gewesen. Einerseits weil er nur Gutes über die Beschuldigten gesagt hätte (was auch in der Zeugenvernehmung deutlich würde), andererseits weil er die Beamten stets als solche erkannt und sie auch auf ihre Rolle angesprochen habe. Dass dies eine grandiose Selbsttäuschung sei, ja dass es harmlose Kontakte mit Überwachungs- und Repressionsbehörden überhaupt nicht geben könne, wurde ihm unmissverständlich deutlich gemacht. Doch darauf wollte bzw. konnte sich der nunmehr (selbst enttarnte) Informant nicht wirklich einlassen.
Am Ende des knapp dreistündigen Gespräches wurde schließlich ein weiteres Treffen vereinbart. Dort hätte es darum gehen sollen, wie mensch politisch damit umgehen könne, dass das BKA – jedenfalls wenn man dem Informanten Glauben schenkte – im Rahmen des G8-Ermittlungsverfahrens Beweise manipuliert und somit eine schwere Straftat begangen habe. Allein: Zu diesem weiteren Treffen kam es nicht mehr. Vielmehr sagte der Informant ein zweites Treffen unter äußerst fadenscheinigen Gründen kurzfristig ab und war auch ansonsten nicht mehr bereit, den Kontakt zu halten. Hierzu gehört auch, dass er darauf verzichtet hat, die Veröffentlichung des vorliegenden Textes zu verhindern bzw. mitzugestalten. Denn diese Möglichkeit hatten wir ihm eingeräumt, indem wir ihm den Text zwei Wochen vor seiner Veröffentlichung vorgelegt und dies mit dem Angebot verknüpft haben, eine Stellungnahme abzugeben (auch hier mit der Überlegung, dass er sich entweder doch noch zu glaubwürdigen und juristisch belastbaren Aussagen gegen das BKA entschließen oder umgekehrt zu dem Eingeständnis durchringen würde, dass die Zeugenvernehmung sehr wohl stattgefunden habe).
Es dürfte sich von selbst verstehen, dass spätestens an diesem Punkt das weite Feld der Spekulation beginnt. Denn natürlich wissen wir nicht, weshalb sich der Informant zurückgezogen hat. Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten: Die eine Möglichkeit ist, dass der Informant bewusst mit der Polizei zusammengearbeitet hat – ob bezahlt oder aus Überzeugung. Wäre das der Fall, dann hat es sich bei der durchaus glaubwürdig vorgetragenen Erzählung des Abgeschöpft-Werdens lediglich um eine Schutzbehauptung gehandelt, d.h. um eine mit seinen Kontaktpersonen beim BKA abgesprochene Verteidigungslinie. Die andere Möglichkeit ist, dass er auf die von ihm geschilderte Weise tatsächlich abgeschöpft wurde und dass ihm das BKA sodann ein aus seinen Aussagen zusammengebasteltes Gespräch zur Absegnung vorgelegt hat. Das Druckmittel könnte in diesem Fall die Androhung gewesen sein, dass er ansonsten als namentlich benannter Zeuge in den Akten auftauchen würde – mit der Konsequenz, dass die Beschuldigten spätestens nach gewährter Akteneinsicht von seinen Aussagen erfahren würden. Auch wenn es verleitend ist, letztlich muss mensch anerkennen, dass es in dieser Angelegenheit nicht möglich ist, eine definitive Antwort zu geben. Das ist auch der Grund, weshalb wir darauf verzichten, im Detail vorzutragen, welche 'Argumente' eher für das eine bzw. das andere sprechen (denn es wird nicht überraschen, dass es für beide Interpretationen Hinweise gibt). Lediglich eine Deutung haben wir mehr oder weniger ausgeschlossen: Wir glauben nicht, dass der Informant wider Willen abgeschöpft wurde und erst in dem Gespräch davon erfahren hat. Zum einen haben die Ermittlungsbehörden eine solche Manipulation von Beweisen gar nicht nötig – denn sie hatten ja seine Aussagen bereits, zum anderen wäre bei dieser Interpretation nicht verständlich, weshalb der Informant den Kontakt derart schroff abgebrochen hat (einmal abgesehen davon, dass es natürlich immer auch persönliche Gründe wie z.B. Krankheit geben kann, die plötzliche Kursänderungen nach sich ziehen).

3. Wer ist der Informant?

Bei dem Informanten handelt es sich um den 74-jährigen Peter A. aus Kiel – seine Email-Adresse, unter der er beim G8-Protest meist aufgetreten ist, lautet: „Normalverbraucher@t-online.de“. Peter A. ist in seinem ersten Berufsleben Offizier bei der Bundeswehr gewesen, anschließend war er als Verwaltungsbeamter und in der Erwachsenenbildung tätig. Politisch war er lange Mitglied der CDU, später hat er bei den Grünen angeheuert. So weit wir in Erfahrung bringen konnten, ist Peter A. in den letzten Jahren auf regionaler Ebene lediglich bei attac aktiv gewesen – doch auch das nicht sonderlich intensiv. Auch das lokale „Kieler Netzwerk gegen den G8-Gipfel“ besuchte er nur einmalig. Weshalb Peter A. – ohne Mandat der Kieler attac-Gruppe – in mehreren bundesweiten G8-Bündnissen aufgetaucht ist (eine zeitlang im Hannoveraner Koordinierungskreis, ab und zu bei dissent, im Aktionsnetzwerk Globale Landwirtschaft, bei antirassistischen Netzwerk-Treffen, mindestens einmal beim Rostock-Laage-Zusammenhang etc.) wissen wir nicht. Unser Eindruck ist allerdings – auch nach Gesprächen mit diversen Leuten, die ihn erlebt haben, dass Peter A. nirgendwo tiefere Einblicke erhalten hat. Einerseits weil er meist nur kurz auf Treffen anwesend war (oft hat er bereits nach ein bis zwei Stunden die Treffen wieder verlassen), andererseits weil er sozial relativ merkwürdig bzw. nervig agiert hat und auch dadurch keine engen persönlichen und politischen Kontakte entwickeln konnte. Hinzu kam, dass er zwischenzeitlich sehr persönlich gehaltene Emails über Mailinglisten oder an willkürlich ausgewählte Einzelpersonen geschickt hat, was verschiedentlich als Belästigung aufgefasst wurde. Das war im Übrigen auch der Grund, weshalb er von mindestens einer Mailingliste explizit gestrichen wurde. Mit anderen Worten: Unsere Einschätzung ist, dass Peter A. zwar mit der 'Gegenseite' kollaboriert hat, dass sich der dadurch entstandene Schaden allerdings sehr stark in Grenzen hält – von persönlichen Enttäuschungen, Verunsicherungen etc. einmal abgesehen.

4. Wie sollte mit Peter A. weiter umgegangen werden?

Wir haben Peter A. wissen lassen, dass er nicht mehr auf linken Treffen auftauchen darf – und zwar deshalb, weil er sich jeder Auseinandersetzung entzogen hat. Dort, wo er das doch tut (und erkannt wird), sollte er sofort aufgefordert werden, das Treffen bzw. die Veranstaltung zu verlassen; notfalls muss dies gegen seinen Willen durchgesetzt werden (was allerdings nicht all zu kompliziert sein dürfte).

Es bleibt: Was wir hier vorgetragen haben, ist zwar das Ergebnis intensiver Recherche, aber natürlich können wir nicht ausschließen, dass sich Peter A. mittlerweile in ganzen anderen, uns nicht bekannten Zusammenhängen bewegt. Insofern möchten wir alle bitten, etwaige Informationen oder Rückfragen in Sachen Peter A. an den Berliner Ermittlungsausschuss zu richten. Dort sind zum einen Menschen aktiv, die sich mit derartigen Fragestellungen schon oft und intensiv beschäftigt haben, zum anderen sind auch wir über den Berliner Ermittlungsauschuss erreichbar (Tel.: 030/ 692 22 22 Sprechstunde: Dienstag: 20 bis 22 Uhr im Mehringhof)

Einige Leute aus dem G8-Widerstand

Source: email

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Flensburg: Terror - in Luft aufgelöst

Im Norden Deutschlands ist ein weiteres Verfahren gegen elf angebliche Linksterroristen heimlich, still und leise zu den Akten gelegt worden. Am Mittwoch wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Flensburg bereits Mitte Juli die mehr als zweijährigen Ermittlungen eingestellt hat. Sie waren durch Brandanschläge rund um Bad Oldesloe und Berlin ausgelöst worden, die angeblich im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm standen. Das Landgericht Flensburg hatte bereits Anfang Juni geurteilt, dass die Straftaten allenfalls "dem Bereich der mittleren Kriminalität" zuzuordnen seien.
Im Sommer 2007 hatte das noch ganz anders geklungen. Damals ließ die Bundesanwaltschaft in einer bundesweiten Razzia Unmengen an Dokumenten und Computern beschlagnahmen. Nach eigenem Dafürhalten war sie einer "terroristischen Vereinigung" auf der Spur, die rund um Heiligendamm Angst und Schrecken verbreiten wollte. Ein Vorgehen, das der Bundesgerichtshof später für rechtswidrig erklärte.
Den Terrorverdacht vermochten die BGH-Richter nicht zu erkennen, es sei nicht mal klar, ob die Brandanschläge im Norden überhaupt von einer Gruppe begangen wurden. Generalbundesanwältin Monika Harms musste den Fall daraufhin nach Flensburg abgeben, wo das Verfahren nun endgültig versandete.
Von einem Erfolg könne man gleichwohl nur bedingt sprechen, sagte Rechtsanwalt Alexander Hoffmann der FR. Sein Mandant und die anderen Beschuldigten seien über Jahre bis ins Wohnzimmer überwacht, gefilmt, abgehört worden. Die Ermittler hätten sich dafür "wildeste Konstruktionen" ausgedacht und intimste Informationen gesammelt.
Er sei sicher, so Hoffmann, dass das Ziel des Verfahrens keine Verurteilung gewesen sei: "Die wollten die linke Szene durchleuchten und schauen, wer macht da was." Schließlich sei der umstrittene Terrorparagraph 129a in 80 Prozent der Fälle ein reiner Ermittlungsparagraph. Der Anwalt will nun wenigstens erreichen, dass die Behörden alle rechtswidrig erlangten Informationen aus ihren Datenbänken löschen. Mehr könne man kaum machen. "Das lässt sich wiederholen", so Hoffmann, "und das wird sich wiederholen."

VON JÖRG SCHINDLER

Source: http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/?sid=46944edea575fa83e8c270b5ea12d046&em_cnt=1375949

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Militanz – Ohne Mythos geht es nicht

Eine kritische Betrachtung militanter Gruppen der radikalen Linken

Zu den beständig wiederkehrenden Topoi der bundesrepublikanischen radikalen Linken gehört seit den frühen siebziger Jahren die Debatte um direkte Aktionen, Straßenkampf und Anschläge aller Art – kurz: im deutschen Sprachgebrauch Militanz genannt. Anders als etwa im Englischen, Französischen oder Italienischen, wo militant-sein zunächst einmal kämpferisch oder eben Militant in einer zumeist trotzkistischen Gruppe meint. So gibt es in der BRD eine eigene Diskursgeschichte und Semantik des Militanzbegriffes, die sich durch nahezu dreißig Jahre linksradikaler Debatten zieht, verbunden mit zyklischen Höhepunkten anlässlich besonders spektakulärer Anschläge, Straßenkrawalle oder Repression gegen damit identifizierten Gruppen und/oder Einzelpersonen. So kann auch das Jahr 2007 als Höhepunkt einer solchen Diskussion in den dafür geeigneten linken Publikationen verzeichnet werden.

Mehr oder weniger beeinflusst durch das mediale Großereignis G8-Gipfel und besonders eifriger Bemühungen seitens bundesdeutscher Ermittlungsbehörden, konstruierter oder tatsächlicher linksradikaler militanter Strukturen (militante Gruppe – mg und andere) habhaft zu werden, erfährt eine alte, angestaubte Debatte ihre Neuauflage. In unserem Artikel soll nicht über einzelne Aktionen, sondern deren Darstellung in den Schreiben der Militanten reflektiert werden. Es geht also weniger um die Analyse gesellschaftlicher Wirkungsweisen von Kleingruppenmilitanz (Nadelstichpolitik, Strategie der Spannung und Eskalationspolitiken oder gar Terror der Einschüchterung und Tötung), sondern um die Reflektion auf die politische Kommunikationspraxis und die kollektiv- bzw. individual- identitäre Verortung der Militanten.
Wir, die AutorInnen der folgenden Überlegungen, haben uns lange Jahre in verschiedenen autonomen politischen Kampagnen und Initiativen – vor allem in Westberlin und den darauf folgenden wiedervereinigten Jahren – an der Debatte beteiligt, stehen aber seit einigen Jahren eher betrachtend und räsonierend einer kleineren, weit jüngeren (und kurzlebigeren) linksradikalen Szene gegenüber bzw. daneben. Dieses daneben stehen, sitzen oder liegen hat eindeutig den Vorteil, sich nicht mehr in alten Loyalitäts- und Identitätskonflikten zu befinden. Andererseits kann die relative Distanz zu aktiven Auseinandersetzungen auch leicht gegen diese Überlegungen eingewendet werden. Da es sich hier um Verallgemeinerungen handelt, kann an diesen Gedanken auch eine gewissen Schwammigkeit kritisiert werden, die aus dem abstrahierenden Charakter derselben herrührt.
Anyway, wir glauben, aus der retrospektiven Betrachtung einzelne Überlegungen zu einer aktuellen kritischen Reflektion militanter Gruppen beitragen zu können. Dies muss sich im Rahmen dieses Artikels allerdings auf kurze Skizzen beschränken. Diese behandeln neben einer Abgrenzung zu straßen- bzw. demomilitanten Formen ein paar zentrale Begründungsmythen kleingruppenmilitanter Selbstdarstellung: Den Praxisfetisch, das historische Kontinuitätsbemühen, die Abwehr einer dystopischen Zukunft sowie den identitätspolitischen (Zwangs)Charakter militanter Kollektive.

Straßenmilitanz vs. Kleingruppe

In einer unsystematischen Rückschau auf linksradikale, militante Interventionen lassen sich u. E. grob zwei wesentliche Stränge der Debatte differenzieren. Dem ersten Komplex, dem der straßenmilitanten Auseinandersetzungen, der Randale und der Riots im Rahmen von Demonstrationen, der stadtteilpolitischen Aktionen oder Bauplatzbesetzungen wollen wir hier nur einführende Kommentare widmen. Aus eigenen Erfahrungen erscheint uns das Aufgreifen einiger der uns zentral erscheinenden Spezifika einer sogenannten Kleingruppenmilitanz wichtiger zu sein. Darunter verstehen wir neben den Gruppen, die unter dem pathetischen Begriff des bewaffneten Kampfes und der (Stadt)Guerilla firmierten, vor allem einen aus linken, emanzipatorischen sozialen Bewegungen kommenden Ansatz der militanten Aktionen, der Sachbeschädigung qua Brand- oder Sprengstoffanschlag.
Dem gegenüber ist Straßenmilitanz oft als der große Antipode, als Gegensatz zur Kleingruppenmilitanz diskutiert worden. Dem Kampf auf der Straße wird eine eigene politische Wirkung nachgesagt, die dieser als politische Praxis populäre (bis populistische) Urwüchsigkeit und spontaneistische Färbung verliehen hat. Die Mythen der Revolte erstrecken sich vom existenzialistischen Ausdruck der Unmittelbarkeit des Kampfes über Barrikadenkämpfe als Ikonen der Revolutionsmythologie bis zur Verteidigung von Territorium gegen Eindringlinge, oder dem Angriff auf die gegnerischen Festungen fortifizierter Kraftwerksgelände und anderer Baustellen.
Einer der stärksten Gegenargumente der Debatten um die Schwächen des Straßenkampfes steckt in seiner eigentlichen Dynamik und unorganisierten Form, des (mehr oder weniger) spontanen Ausbruches von Gewalt und Zerstörungswillens. Das setzt auch den Stärkemythos eines kämpfenden, zumeist männlichen Subjektes in der direkten Konfrontation mit dem Gegner voraus. Dass Strategien des Straßenkampfes schon lange zum Trainingscurriculum auch militärischer Einheiten gehören, ist erwähnenswert, aber wenig verwunderlich. Noch wichtiger erscheint uns aber die Tatsache, das spätestens seit den späten achtziger Jahren und frühen neunziger Jahren städtische Öffentlichkeiten mit kämpfenden Männern aus dem neonazistischen und Hooligan-Spektrum konfrontiert waren und sind. Die Opfer eines rassistischen Mobs, einer mit Baseballkeulen und Mollis bewaffneten Gruppe, werden zu Belastungszeugen gegen militante Selbstbezogenheit. Die Ikonen des linksradikalen Straßenkampfes der Achtziger, die Hasskappe, die Barrikade nebst dem Pflasterstein in der ausgereckten Hand des Kämpfers (Freiheit ist, wenn der Stein die Hand verlässt(1)) haben schon lange an Eindeutigkeit bezüglich ihrer Adressaten und Protagonisten verloren. Vom selbst vermittelnden Charakter einer Straßenschlacht kann somit spätestens seit den frühen neunziger Jahren nicht mehr gesprochen werden. Frühere Eskalationsstufen straßenmilitanter Aufrüstung waren bereits gegen die Polizei gescheitert(2), im Bezug auf einen grenzenlos brutalisierten Nazihaufen läuft auch der schlagende Antifa Gefahr, in der Logik der Schlacht verschlissen zu werden.
Die Ausschließlichkeit straßenkämpferischer Praxis – in der Konfrontation mit der repressiven Gewalt eines zunehmend für solche Auseinandersetzungen gerüsteten Polizeiapparates – hat immer wieder zu scharfen Polarisierungen in der (radikalen) Linken geführt. Unter dem Stichwort der Gewaltdebatte werden hier grundsätzliche Fragen der politischen Interventionsfähigkeit, deren Mittel und Gefahren aufgegriffen. Idealtypisch polarisierten sich in den Debatten deren Protagonisten: unverantwortliche Randale versus überlegter, strategisch zielgerichtet geplanter politischer Aktion. Die Frage um Massenmilitanz gegen Kleingruppe wurde zur Orientierungslinie quer durch die autonome Linke. Jenseits der linken Debatten verblassen allerdings die Mythen jugendkultureller Strohfeuer der Revolte. Die Gegenwart der Straßenschlägerei mit der Polizei, anderen Fußball- Fans und Nazis, Kneipenkumpeln und sonstigen Gegnern lässt wieder klarer aufscheinen, was Militanz – auch in idealisierten Bewegungshöhepunkten – ebenfalls sein kann: hässliche und gnadenlose Schlägereien zwischen dafür mehr oder weniger ausgebildeten und trainierten Männern, deren Lust an der gegenseitigen Verletzung und Beleidigung das Adrenalin zum Kochen bringt.
Trotzdem: Demonstrationsmilitanz lässt sich für uns immer noch als eine direkte Antwort auf gesellschaftliche Konfliktlinien oder herrschende Projekte lesen. Die drohende oder tatsächliche militante Auseinandersetzung schafft häufig einen gesellschaftlichen Diskurs um die Legitimität bestimmter Institutionen, Projekte (Anti-AKW, G8, etc.) und nicht zuletzt die Eingrenzung der Bewegungsfreiheit faschistischer und rassistischer Mobilisierungen. Bloß mitmachen will niemand mehr so richtig, sie hat quasi ihren emanzipatorischen Glanz verloren.

Praktisch werden: Zum Fetischcharakter militanter Kleingruppenaktionen

Zu Beginn der neunziger Jahre publizieren einflussreiche Gruppen des agenda-settings militanter Politik, wie z.B. die Revolutionären Zellen und die Rote Zora, selbstkritische Reflexionen und verkünden ihre Auflösung, kurz darauf vollzieht auch die RAF diesen Schritt. Trotzdem bleibt das an Glaubensgrundsätze erinnernde Postulat militanter Praxis als eine an für sich richtige und unverzichtbare Politikform bestehen. So beharrten etwa in den folgenden Jahren neuere militanter Ansätze (K.O.M.I.T.E.E.(3), mg(4), Freie Radikale(5), etc...) regelmäßig auf der Notwendigkeit kleingruppenmilitanter Aktionen. Im Rahmen dieses militanten Kontinuitätsdiskurses scheint im wesentlichen der Aktionsform und weniger den damit verbundenen inhaltlichen Positionen zentrale Bedeutung beigemessen zu werden, oder anders gesagt: Militanz an sich scheint, trotz einiger deutlicher Distanzierungen von z.B. islamistischen Militanten, Männergewalt, – zumindest bei den Freien Radikalen – politischer Inhalt per se zu sein, der keine andere Perspektive zu beschreiben weiß, als an der organisierten Form militanter Praxis zu arbeiten. Politische Begründungen und analytische Einordnungen des eigenen Tuns finden jenseits dieser Praxiszentrierung kaum statt. Daraus ergeben sich demnach schon die richtigen Ansätze, der Bezug auf das Politische kann somit vage bleiben. So wird Politik zur Suche nach Bestätigung der eigenen Einschätzungen statt einer offenen Neugierde auf die gesellschaftlichen Zustände und deren Bruchstellen. Es überwiegt eine fast schon messianische Rettungsrhetorik (keine Selbstentwaffnung, Sieg oder Niederlage, Glauben an sich selbst nicht verlieren...). Es ist also fraglich, ob es nicht vorrangig darum geht, auf der richtigen, der guten Seite zu stehen. Dies ist freilich kein Alleinstellungsmerkmal militanter Gruppen. Die auch in unseren Beispielen immer wieder beschworenen Krisen der militanten Linken kann auch als Krise der linksradikalen Identitätspolitik allgemein angesehen werden.
Einen frühen Ansatz zur Klärung dieser Frage lieferte Ulrike Meinhof mit dem berühmt gewordenen Diktum Protest ist, wenn ich sage was mir nicht passt. Widerstand ist wenn ich dafür sorge, dass es nicht mehr passiert!. Hier wurde die direkte Aktion, die politische Praxis der Intervention zwar nicht erfunden, sie findet darin aber ihren vielfach kolportierten und paraphrasierten Ausdruck einer strategische Setzung, sowie die Legitimation aktionistischer und militanter Gruppenhandlungen der folgenden Jahrzehnte. Diese idealisierte und simplifizierte Verbindung aus einer als aktionistisch beeinflussbar demaskierten politischen Sphäre einerseits und das Postulat persönlicher Verantwortung für den Zustand der Welt (nicht bloß reden, sondern praktisch was tun) andererseits, ist das ideologische Gerüst militanter Politik. Aus einer Subjektivierung des politischen Handelns wird so zudem die Möglichkeit sich aus persönlichen und gesellschaftlichen Widersprüchen zu befreien. Katalysator dieser Katharsis ist die praktische Tat. Dies muss u. E. als ein Kern identitätspolitischer Orientierung der militanten Gruppen angesehen werden. Die Praxis wirkt also nicht nur nach außen in eine gesellschaftliche Sphäre verändernd hinein. Sie kann gleichzeitig als vergemeinschaftende, kollektiv- identitäre Veranstaltung betrachtet werden, als deren Resultate eben auch die Schaffung neuer Menschen steht. Am deutlichsten wurde dies bei den Schwein oder Mensch-Aussagen der RAF. Deren Ansatz kann und soll zwar nicht auf alle militanten Gruppen übertragen werden, einen gewissen Orientierungsrahmen hat die RAF als sich selbst so nennende Guerilla in der westdeutschen militanten Linken allerdings immer gespielt und sei es nur, in der aktiven Abgrenzung von ihren Theorie- und Organisationsvorstellungen.
Die eigene Logik einer primär auf die Verhinderung konkreter, etwa militärischer Abläufe und politischer Prozesse hin orientierten Politik differenzierten sich zu Beginn der siebziger Jahre rasch aus in den Bereich der Logik des bewaffneten Kampfes, des Krieges um Leben und Tod, um Sieg oder Niederlage. Als eine Antwort auf diese Konfrontation zwischen Guerilla und Staat entwickelten sich andere, deutlicher an politischem Symbolismus orientierte Handlungsansätze im Kontext neuer sozialer Bewegungen heraus. Deren Versuche, auch möglichst spektakuläre, mitunter auch tatsächlich störende Aktionen (z.B. dem Umlegen von Strommasten im Kontext der Flughafenstartbahn West) verüben zu können, galten allerdings weiterhin als erklärtes Ziel. Ihre tatsächliche Wahrnehmung wurde aber zusehends abhängig von einem sich differenzierenden Faktor politischer Öffentlichkeit, dem der Kommunikation politischer Inhalte durch externe, etwa bürgerliche Medien. Diese taugten jedoch sehr bald nicht mehr als Sprachrohr eines politischen Aktionismus. Sie wurden staatlicherseits in die selbstzensierende Pflicht genommen, Berichte über Anschläge und deren Begründungen zu unterschlagen bzw. nur noch in marginalisierter Form in ihren Meldungen zu erwähnen. Dies erforderte neue Formen der linksradikalen Selbstdarstellung.

Wir haben heute...: Überlegungen zum Genre des Bekennerschreibens

Während sich also straßenmilitante Aktionen fast immer auf mediale Repräsentation und Deutungshoheit der Presse und des Fernsehens verlassen (müssen) – nebst den damit verbundenen copycat-Effekten, visuellen Inszenierungen und Schlachtszenarien – bedarf Kleingruppenmilitanz eines eigenen Mediums. Das veränderte deutlich den Stellenwert einer sogenannten Gegenöffentlichkeit, wie dies etwa der Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten (ID) aus Frankfurt am Main, aber auch unüberschaubar viele linke und linksradikale Stadt- und Regionalzeitungen praktizierten. In diesen Medien wurde die Selbstbezichtigung (Polizeijargon) zum Kommunikationsträger der Vermittlung von Anschlagsmilitanz. Oder besser: im bundesdeutschen Kontext der achtziger Jahre war nur der Anschlag mit einer Erklärung auch ein geglückter Anschlag. Erst hier erschien es möglich, all die wichtigen Überlegungen und strategischen Bestimmungen, deren Zielrichtung und die historische Bedeutung der Aktion zu erklären und diskutierbar zu machen. Darum kam auch der Exegese solcher Texte in linksradikalen Zirkeln eine besonders Wichtigkeit zu. Zudem konnte die klandestine Verbreitung von Anschlagserklärungen als solidarisch unterstützende Praxis von Gruppen wie etwa den Revolutionären Zellen oder der Roten Zora verstanden werden, war jede Flugblattaktion oder klandestine Zeitung als ein Schlag gegen die Pressezensur zu verstehen. Und tatsächlich hätte ohne die jeweiligen Anschlagserklärungen kaum jemand in der Linken von der Aktion je erfahren, wurde deren Aufzählung etwa gesprengter Strommasten als Volxsport erst überregional bemerkt und politisch erfolgreich. Heute kaum noch bekannte Zirkulare wie etwa die bizarre niederländische Artikel-Schnipselsammlung De Knipselkrant bildeten als redaktionell kaum bearbeitete Hefte die Vorlage für Teile der verdeckt hergestellten Zeitungen wie etwa die radikal oder die Berliner Interim. Die Bandbreite der damals in De Knipselkrant abgedruckten Beiträge reichte von antiimperialistisch orientierten Artikeln der RAF und verschiedener Kämpfende Einheiten, diverser italienischer Rote Brigaden-Sektionen, über regionalistisch-nationalistische Separatistengruppen wie ETA (M), IRA etc. bis hin zu Anschlagserklärungen auch sozialrevolutionärer, autonomer Gruppen. Dieser militant-pluralistische Kessel Buntes aus der Welt des bewaffneten Kampfes und der Kleingruppenmilitanz suggerierte gemeinsame Frontstellungen und Kräfteverhältnisse einer revolutionären Linken, die sich jenseits theoretisch-deologischer Auseinandersetzungen hauptsächlich auf die militante Praxis zu konzentrieren schien, nach dem Motto: Alles ist möglich, Hauptsache es schadet dem System. Die Anschlagserklärung – oder die in der radikal sog. Herzschläge – wurden hier ganz besonders deutlich zum organizistischen, zentralen Motor einer Kommunikationsform, die nur solidarische, d.h. praktische Kritik anderer Gruppen zulassen konnte. Alles andere war Laberei! Das Bekennerschreiben und die Aktion bewegten sich in einem engem Wirkungsgefüge: Keine Aktion ohne Erklärung, keine Erklärung ohne Aktion. Was wie eine Tautologie klingt, kann als weitere Konsequenz des Praxismythos angesehen werden. Der hermeneutische Zirkel einer sich aus sich selbst und ausschließlich auf sich selbst beziehenden Debatte und ihrer dort möglichen Thematisierungen. Lediglich staatliche Repression machte den Kontakt zu anderen Linken noch notwendig, die Frage nach Unterstützung, nach Aufmerksamkeit und (ausgewählter) Publizität verlangte etwa bei 129a Ermittlungs- und Gerichtsverfahren die Herstellung einer zumindest kritisch gewogenen Öffentlichkeit. Ohne freilich ebenso kritischen Debatten zugeneigt zu sein, erfüllt die Repressionsdrohung auch hier ihren Zweck. Problematisierende Debatten konnten so unter reformistischen Generalverdacht gestellt und deren Gefährdungscharakter für die zu schützenden Militanten unterstrichen werden. Im Spagat zwischen notwendiger Kritik und staatlicher Verfolgung wurde der Topos der solidarischen vs. unsolidarischen Kritik erfunden, der freilich in erster Linie die linken KritikerInnen traf. Die damit einhergehende Kommunikationslosigkeit und die (in großen Teilen selbst verschuldete) Reduktion kritischer Auseinandersetzungen, fördern die Stagnation und Isolation militanter Strukturen, ihre Unfähigkeit auf die Welt da draußen zu antworten.

In historischer Dauerkonfrontation: Zur Dialektik zwischen Kontinuität und Bruch

Neben der unhinterfragten Betonung militanter Praxis kennzeichnet ein jetzt erst recht bzw. ja aber-Reflex nach dem Ende der RZs die Debatte. Folgerichtig fällt die Bestandsaufnahme der anderen Linken oder der Linken in mehr oder weniger radikaler bzw. revolutionärer Bezugnahme aus: Deren Zustand wird stets als krisenhaft und schwach, tendenziell in Auflösung begriffen oder zumindest als äußerst desolat beschrieben. Bereits Ulrike Meinhof konstatierte in den frühen siebziger Jahren in der Gründungsphase der RAF ihren Ansatz, den ganzen Erkenntnisstand der Bewegung von 1967/68 historisch zu retten(6). Auch für das K.O.M.I.T.E.E(7) war 25 Jahre später der – wie auch immer zu verstehende – Kreislauf der Linken von Glaubwürdigkeitsverlust nach außen und Mutlosigkeit und Anpassung nach innen gekennzeichnet. Besonders mit dem Ende der alten Bundesrepublik und veränderter staatlicher und politischer Konstellationen nach 1989 wird von der Gruppe eine radikale Linke beschrieben, deren politische Stärke und gesellschaftlicher Einfluss von Jahr zu Jahr mehr verloren ging und deren inhaltliche wie praktische Entwicklung sich immer mehr von radikalen Positionen entfernt hat.(8). Grundzüge eines solchen geschichtspolitischen Kontinuitätsverständnisses finden sich konstitutiv in beinahe jedem militanten Begründungszusammenhang, somit auch noch in den neuesten Debatten. So möchten 2007 die Freien Radikalen ebenfalls an den militanten und bewaffneten Widerstandserfahrungen als gewichtiges Faustpfand zukünftiger Kämpfe anknüpfen. Denn im Gegensatz zu vielen anderen, sehen sie sich nach wie vor in der Verantwortung einen radikalen Widerstand zu leisten gegen die Verhältnisse hier und gegen ihre Auswirkungen für die global Unterdrückten.(9) Ausführlicher erklären sich dazu auch die mg: Die Geschichte der revolutionären Linken hat gezeigt, dass uns nicht nur der herrschenden Staatsapparat die Legitimität klandestiner Praxen abspricht, auch der Reformismus und Legalismus innerhalb der ›Linken‹ hat sich immer wieder als unser politischer Gegner erwiesen. In einer Klassengesellschaft auf militante und bewaffnete Kampfformen zu verzichten, ist gleichbedeutend mit der Kapitulation vor den herrschenden Verhältnissen. Keine vorauseilende Selbstentwaffnung, sondern eine zielgerichtete und verantwortungsvolle Anwendung von militanten und bewaffneten Aktionsformen ist unser Grundsatz.(10)
Diese Krisen- und Untergangsszenarien der radikalen West-Linken kennzeichnet somit nicht nur die Debatten der frühen neunziger Jahre. Sie können als wiederkehrende rhetorische Argumentationen der Abwehr von Brüchen einer Erfahrungsgeschichte als Bewegungsgeschichte, der Tradierung politischer und vor allem auch praxisbezogener Projekte als historischem Kontinuum verstanden werden. Diese Selbstverpflichtung der Militanten nicht zu kapitulieren, sondern sich auf die Weitergabe klandestinen Wissens und gruppenbezogener Erfahrungen zu verpflichten, erinnert an die KP-Lyrik eines geschlagen ziehen wir nach Haus, die Enkel fechten's besser aus. Neben ersten Assoziationen einer Endkampfkonstellation, eines letzten Gefechts um die kommunistische Weltherrschaft, steht diese Idee eines historisch und sozialräumlich langfristigen Projektes jedoch im krassen Widerspruch zur Gruppengeschichte der sich intern schnell verschleißenden oder staatlich repressiv verfolgten Gruppen. Auch bei der RAF und wahrscheinlich auch der RZ, konnte der Mythos der politischen und organisatorischen Kontinuität bei aller Repression und internen Zerwürfnis nur über ein Modell verschiedener Generationen weitergereicht werden. Dieses Leitbild einer sich selbst reproduzierenden militanten Bewegung, passt unserer Ansicht nach besser zu verstetigten Nachwuchs-Zyklen politischer Parteien, als zu gesellschaftlichen Dynamiken sozialer Neuzusammensetzungen kapitalistischer Verhältnisse und deren sozialrevolutionären Möglichkeiten. Inklusive der dazu notwendigen revolutionären Subjekte. Wenn wir Politik im Sinne eines aktiven Umgangs mit stetig sich wandelnder Komplexität sozialer Prozesse ernst nehmen, dann heißt dass, statt einfach unseren Willen zu beteuern, in den Dingen mühsam nach der Gestalt zu suchen, die er dort annehmen soll (Merleau Ponty). Anders gesagt bedeutet Offenheit gegenüber sozialrevolutionären Chancen für uns, militante Projekte jeweils als temporärer Interventionen anzusehen, statt diese als auf Dauer gestellte gruppenbezogene Organisationsformen aufbauen zu wollen.
Wenn es allerdings neben diesen Organisationsfragen ein politisches Argumentationskontinuum gibt, dann ist es die semantische Figur des Faschismus bzw. der Faschisierung und seiner Abwehr: Unsere Methode, wäre sie erfolgreich gewesen, wäre gewiss nicht die einzige gewesen und vielleicht nicht mal die beste, aber allemal eine bessere als die Klage über die Aussichtslosigkeit linker Politik in einer sich nach rechts bewegenden Gesellschaft.(11)
Hier wird zum einen die Entwicklungstendenz der Gesellschaft in Richtung Faschismus als latente Drohung regelmäßig ausgesprochen, andererseits ist gerade die Betonung einer militanten kontinuierlichen Praxis und deren klandestinen Organisationsstrukturen als Lehre aus den Brüchen eines nicht stattgefundenen Widerstandes gegen den NS-Faschismus zu verstehen. Der Horizont eines erneut drohenden Faschismus war in der BRD aus der historischen Leerstelle nicht erfolgten Widerstandes einer als deutsch definierten Mehrheitsgesellschaft argumentativ immer anschlussfähig. In Anlehnung an regionale Partisanen und bewaffnete kommunistische Widerstandsgruppen des Zweiten Weltkrieges einerseits und den südamerikanischen Guerillabewegungen andererseits, konnte sich auf militante bis militärische politische Kontinuität und Internationalität berufen werden. Neben Idealisierungen und Romantisierung militärischer Auseinandersetzungen (Knarrenbilder), erst recht unter Bedingungen zur Zeit des NS, wurden Bezüge etwa auf jüdischen Widerstand, internationale Zwangsarbeitern oder jugendliche Subkulturen – swing kids, Edelweißpiraten, Wilde Cliquen – in dieser Sichtweise zumeist ausgespart, exterritorialisiert und mit einem völkischen common sense der umfassenden Akzeptanz des NS unterschlagen. Gleichzeitig steckt im Verweis auf den drohenden Faschismus auch immer die Tradierung einer historischen Niederlage des antifaschistischen Widerstandes. Es scheint also auch immer darum zu gehen, in der organisierten militanten Struktur vorbereitet sein, um einen zukünftigen, neuen Faschismus zu verhindern
Ausgehend davon, dass linksradikale Politik nicht denkbar ist ohne eine antifaschistische Grundhaltung, finden wir eine kritische Überprüfung antifaschistischer Begründungszusammenhänge als Legitimationsgrund militanter Interventionen für unumgänglich, damit Antifaschismus nicht zum bloßen Etikett gerät, nicht nur als Vehikel benutzt wird, um die eigene militante Praxis zu legitimieren.

In der Identitätsfalle des Partisanen

Die Gefahr, die jede politische Betätigung impliziert, sich in dualistischen Weltbetrachtungen der eigenen richtigen Seite zu versichern, scheint in den abgeschotteten Strukturen einer militanten Kleingruppe umso größer. Der Verfolgungsdruck durch die Ermittlungsbehörden besonders dann, wenn eine Gruppe sich mit einem beständigen Namen schmückt, schafft Konfrontationslinien, die eine scheinbare Eindeutigkeit der Feindbilder herstellt. Differenzierungen und Selbst-Infragestellungen korrespondieren nicht mit einer Haltung des Wir gegen die, das viele militante Kleingruppen in ihren Verlautbarungen und in der Konstruktion einer scheinbar homogenen Gruppenstruktur postulieren. So ist es nicht verwunderlich, dass die mg in einer am 11. April 2007 erschienen Erklärung über ein Buch(12) das die Gruppentherapie ehemaliger RAF und Bewegung 2. Juni Gefangener dokumentiert, schreiben: In unserem inkriminierten mg-express haben wir vor dem Hintergrund, dass aktuell systematisch eine Geschichtsumschreibung von 68', Militanz und bewaffnetem Kampf in der BRD vorgenommen wird, geschrieben dass dagegen von unserer Seite aus einzuschreiten ist. [...] Vor allem auch dann, wenn ehemalige AktivistInnen die Aufarbeitung des Bewaffneten Kampfes heute nur noch als individualpsychologischen und therapeutischen Bewältigungsakt betrachten können.(13)
Die Abwehr einer Kritik der linksradikaler Kleingruppendynamik als Psychologisierung politischen Handelns, war auch in der Vergangenheit immer sehr groß, da sie sich dem Verdacht einer Pathologisierung politischer und sozialer Motivationen schnell aussetzen kann. Und in der Tat waren die Charakterisierungen politischer Gewalttäter, Terroristen und Chaoten in staatstragend herrschenden Deutungsangeboten vorrangig mit dem devianten Randseiter der Gesellschaft verbunden. Gleichzeitig zeigt die Abwehr der Sichtbarmachung eines größeren Spektrums menschlicher Motivationen, die dem eigenen Handeln, oder dem Handeln einer Gruppe zu Grunde liegen auch, wie anfällig die Konstruktion einer ausschließlich politisch motivierten (militanten) Gruppe zu sein scheint. Der Binnencharakter militanter Praxis muss sich nämlich durchaus Fragen nach den Konstitutionsbedingungen eines kollektiven Wir – und der Position einzelner Subjekte darin – gefallen lassen. Gerade an den Vergemeinschaftungsangeboten und -praxen dieser Politik lässt sich deren Zentralität als identitätspolitische Kommunikationsform nach Innen (Wir, Gruppe, Szene) und nach Außen thematisieren (Gegner, Gesellschaft, Welt). Der Vorstellungsrahmen dieses bestehenden Innen und Außen von Freund und Feind wird so zur Leitmetaphorik, zum politischen Orientierungsrahmen, in einem fast schon Carl Schmittschen(14) Sinne. Militante Politik scheint ohne dieses Partisanen-Schema der Freund und Gegner/Feinde, dafür oder dagegen, Schwein oder Mensch – undenkbar. Konfrontationen gegen Staat und Kapital erfordern deren klare Lokalisierung als Gegner, das hier und da auf der Seite der Barrikade.
Diese Politik der Lagerbildung verlangt also neben den politischen Implikationen eines immer klar gezogenen Trennungsstriches (Reform oder Revolution) zudem gruppen- und individuelle Klarheiten, die – wie bereits weiter oben angesprochen- zum konstitutiven Kern militanter Praxis werden. Dieses dafür oder dagegen wird zur zentralen Frage gruppenbezogener Verbundenheit, der perpetuierten Selbstherstellung eines kollektiven Wir und der Rückbindung der Militanten an die Gruppe. Ein anderes Verständnis des Politischen hat es schwer in diesen Frontstellungsszenarien zu bestehen. Widersprüche werden als störend empfunden, persönliche Klarheit, Entschlossenheit, Funktionalität und Zweifelsfreiheit sind die Tugenden der aktionistischen Revolution. Schwäche, Fragen, Neugierde, Irritationen werden so kontraproduktiv (counter) wenn nicht gar als konterrevolutionär verstanden. Die hier beschriebenen Tugenden reichen so immer wieder zur temporären putschistischen Mobilisierung strategischer Einheiten aus, komplexeren sozialrevolutionären Prozessen mögen diese aber nicht standhalten. Mit den bekannten Resultaten solcher Freund-Feind Ansätze wird sich darum auch konsequenterweise weniger beschäftigt.

Fazit

Ob die Praxis der Kleingruppen-Militanz überhaupt und in welcher Situation Verhältnisse schafft in der eine grundsätzliche Umkehrbarkeit von Machtverhältnissen möglich wird, oder egalitäre Beteiligungsformen sogar verhindert werden, steht nicht auf der Agenda der aktuellen Militanzdebatten. Wir schlagen mit einer an Michel Foucaults machttheoretischen und lebensphilosophisch orientierten Betrachtungsperspektiven jedoch vor, statt des Machtwechsels und des Machtkampfes eher an der Vervielfältigung der Machtverhältnisse als Strategie anzusetzen. Hinter der Möglichkeit militanter Praxis, Gegengift zu eigenen Ohnmachtserfahrungen und bewusstem Durchbrechen normativer Verhältnisse zu sein, erscheint in der Konstruktion von Avantgarde und Bedeutsamkeit die Perspektive neuer fixierter Machtverhältnisse. Militante Politik als Störung verfestigter, verkrusteter gesellschaftlicher Strukturen und Machtverhältnisse, könnte unserer Ansicht nach dann eine interessante Perspektive sein, wenn sie diese Bereitschaft zu Störungen und Widerspruch in ihren eigenen Strukturen integriert. Radikalität beschreibt unter dieser Voraussetzung die Bereitschaft, seine Handlungen als subjektive Antworten auf die sich jeweils zeigenden Bedingungen zu verstehen und sie nicht für allgemeingültig zu erklären.
Ein populäres, aber redundantes macht kaputt was euch kaputt macht ist nicht nur Ausdruck einer simplifizierten Analyse der Machtverhältnisse, sondern auch der verzweifelte Versuch, eigene biopolitische Widersprüche der auch subjektiven Verstrickungen in reale Herrschaftsverhältnisse qua Praxis aufzulösen. Die grundsätzlichste Lösung so gestellter Machtfragen kann im radikalsten Fall eigentlich nur durch Selbstzerstörung geleistet werden. Der Mythos der militanten Kleingruppe, ist und war auch immer ein Mythos solch vereinfachter macht kaputt!-Verständnisse.
Eine radikale Linke braucht sich ihrer Radikalität nicht durch Rituale der Revolte zu versichern, sondern kann immer neue Formen der Subversion, der Machtvervielfältigung und Unterwanderung, der Sabotage, der Konfrontation und Persiflage entwickeln. Warum also nicht militante Projekte jeweils als temporärer Interventionen betrachten und diskutieren statt diese z.B. als gruppenbezogene Organisationsformen auf Dauer anzusehen?
Traditionelle Formen der Militanz stehen einer undogmatischen, selbst reflektierten, ironischen und selbstkritischen, einer sich selber nicht zu ernst nehmenden Politikform im Wege. Szenerien der Katastrophe, der Apokalypse und des Untergangs sind als temporäre Mobilisierungsstrategien zu verstehen, sie sollen finalistische Kampfstimmung mit neuen moralischen Grenzen versehen. Sie sind jeweils als Legitimationsformen reduktionistischer (Feind oder Freund/ Mensch oder Schwein) und essentialistischer (Klasse gegen Klasse) Konzepte zu dekonstruieren.
Zur Konkretisierung unserer Kritik an militanter Praxis schlagen wir darum die alte Maxime autonomer, undogmatischer linksradikaler Selbstzweifel vor: immer radikal, niemals konsequent. Dies bedeutet die Infragestellung eines Mythos der Konsequenz, des etwas auch zu Ende zu bringen wenn es angefangen wurde also straight seine Projekte durchzuziehen, auch wenn Zweifel und Probleme auftauchen. Freilich war genau dieses nie besonders akzeptiert, zu streng wurde die Frage des Politischen an die Frage der persönlichen Entschlossenheit und ihrer (kollektiven wie individuellen) Erzeugung gekoppelt. Dies war bereits im Bereich der Überwindung von Ängsten vor Knast und Verfolgung, körperlichen Verletzungen etc. dramatisch genug, fatal wird es zudem beim Durchziehen als Strukturmerkmal linksradikaler Kleingruppenmilitanz. Wenn die Ebene der radikalen Kritik der Verhältnisse vermeintlich ebensolche von der persönlichen Praxis verlangt, so ist das nicht falsch. Allerdings wird die richtige Parole des Persönlichen das Politisch ist auf den Kopf gestellt und damit zur Karikatur des eigenen Handelns, wenn sich Persönlichkeit nur noch im Akt der selbstreferentiellen militanten Kollektivierung herstellt. Militante Praxis kann als Kommunikationsform die Krise des kollektiven Wir nicht auflösen, es gibt keine Weg zurück in das anonyme, klandestine Nest der sektenhaften Kleingruppe oder hinter die Barrikaden der Selbstreflektion und Verschleierung der nicht auflösbaren Widersprüche militanter, kämpferischer Subjektivität.

HORST SAND, LISA MERCEDES und MICHAEL OLDENBURG

Die AutorInnen sind autonome Kinder- und ErwachsenenpädagogInnen aus dem Westberliner Südosten.

Anmerkungen
(1) Titelüberschrift der Zeitschrift radikal aus den frühen achtziger Jahren.
(2) Etwa die Schüsse an der Frankfurter Startbahn-West.
(3) ****** 1995 publiziert die Gruppe K.O.M.I.T.E.E. nach einer versuchten und nicht geglückten Sprengung eines im Bau befindliche Abschiebeknastes in Berlin-Grünau in einer Auflösungserklärung deren Grundverständnis der Aktion und der Gruppe.
(4) Die in den letzten sieben Jahren unter dem Namen Militante Gruppe (mg) in Erscheinung getretene Gruppe beschreibt in einem im Mai 2002 in der Interim erschienen Artikel ihr Verhältnis zu militanter Politik.
(5) Quelle: Freie Radikale, This is a love song III, in: Interim 661, 27. September 2007, 13–19.
(6) http://www.rafinfo.de/archiv/files/habermas-raf.pdf (letzter Zugriff: 18. Januar 2008)
(7) Quelle: K.O.M.I.T.E.E., in: Interim (344), 21. September 1995, 4–8 und: http://www.xs4all.nl/~tank/radikal/komitee/komitee1.htm.
(8) http://www.xs4all.nl/~tank/radikal/komitee/komitee2.htm (letzter Zugriff: 15. Januar 2008).
(9) Quelle: Freie Radikale, 13–19.
(10) Quelle: mg, in: Interim (550), 09. Mai 2002, 16–22.
(11) Quelle. K.O.M.I.T.E.E., in: Interim 344, 21. September 1995, 4–8.
(12) Angelika Holderberg, Nach dem bewaffneten Kampf. Ehemalige Mitglieder aus der RAF und Bewegung 2. Juni sprechen mit Therapeuten über ihre Vergangenheit. Berlin 2007.
(13) Quelle: mg, in: Interim 654, 24. April 2007, 19.–22.
(14) Der Jurist und Politikwissenschaftler Carl Schmitt, Nationalsozialist der ersten Stunde, repräsentiert mit seinen Thesen zum Charakter des Politischen als einer im Kern notwendigen Trennung zwischen Freund und Feind, die ideologischen Eckpfeiler nationalistischer Intellektueller in den zwanziger und dreißiger Jahren.

Source: http://phase2.nadir.org

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Aktion in Genua, 22. Juli: Brief an die Bürgermeisterin von Genua

Wir sind alle Zeugen der Gewalt, nicht Opfer.
Wir sind hier, weil die Bürgermeisterin und die Stadt uns eine Gelegenheit geboten haben, unsere Geschichte zu erzählen.
Im Juli 2001 waren wir unter den dreihunderttausend Menschen, die nach Genua gekommen waren, um mit allen verfügbaren Mitteln gegen den G8 Gipfel zu protestieren. Am Donnerstag, den 19., am Freitag, den 20. und am Samstag, den 21., sind wir auf der Straße gewesen, um uns der neoliberalen Globalisierung und der Herrschaft des Profits über unsere Leben zu widersetzen.
Ein großer Teil von uns hat sich mit der Brutalität der Ordnungskräfte direkt auseinandergesetzt. Alle, die in jenen Tagen in Genua waren, waren Vorzugsgegenstand der Aufmerksamkeit von Polizia und Carabinieri. In den Straßen wurden wir geschlagen und verhaftet. Wir wurden des versuchten Mordes, des Waffenbesitzes (unter Anderem auch des Besitzes von Kriegswaffen) und der Bildung einer kriminellen Vereinigung beschuldigt. Wir wurden des Landes verwiesen und lange Zeit als gefährliche Agitierer bezeichnet. Die repressive Aktion der Polizeikräfte richtete sich gegen die gesamte Bewegung, nicht nur gegen einige von uns. Heute werden wir als Opfer empfangen; gleichzeitig werden wir aber wie Terroristen behandelt, was beispielsweise im vergangenen Dezember 25 von uns mit deren Verurteilung widerfahren ist.
Wie die 25, sind wir alle Zeugen der Gewalt, nicht Opfer. Wir sind hierher gekommen, um Euch daran zu erinnern, dass wir ganz einfach politisch engagierte Personen sind, gegen ein System, das täglich unsere Leben verwüstet und plündert.
Sie bitten uns, uns mit dieser Stadt zu versöhnen und das Kapitel abzuschließen. Seit dem Juli 2001 haben wir das Kapitel nie abschließen wollen.
In diesen sieben Jahren sind wir zusammen gekommen, wir haben uns unterstützt, wir sind in Kontakt geblieben, wir haben uns informiert, einander lieb gewonnen, uns in Genua und im Ausland wieder gesehen. Nichts von unserer gemeinsamen Geschichte verdient es, als ein abgeschlossenes Kapitel abgelegt zu werden. Sie, Frau Bürgermeisterin, haben möglicherweise manches Kapitel, das Sie abschließen möchten, wir aber denken, dass unsere Zukunft durch die Würdigung und Annahme unserer gemeinsamen Vergangenheit und nicht durch deren Verfälschung und Vertuschung geschaffen wird.
Von den Institutionen erwarten wir keine Entschuldigungen, wir wollen politische Antworten. Bisher haben wir keine bekommen. Das gesamte italienische System trägt große Verantwortung. Es hat die Pflicht, politische Konsequenzen zu ziehen.
Genua kann für uns keine “Stadt der Rechte” werden, so lange jene, die für die Gewalttaten und die Folterungen verantwortlich sind, weiterhin in leitenden Positionen verbleiben und befördert werden.
Genua kann für uns keine “Stadt der Rechte” werden, so lange der Wert von Schaufenstern höher sein wird, als der Wert von Menschenleben.

Source: email

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Gênes 2008 : L’Italie ferme la porte à la justice
En 2001, plus de 300000 personnes sont venues à Gênes pour s’opposer au sommet du G8. Ils ont été nombreux à subir les terribles violences de la police.
Sept ans plus tard, les procès sont en train de se terminer. La maire de Gênes a invité les personnes concernées à une réconciliation publique.
25 personnes ont été condamnées (en novembre 2007) à 11 ans de prison pour des destructions matérielles comme des bris de vitrines. Comparativement, les 76 policiers impliqués n’ont été condamnés qu’à 5 ans de prison au maximum. 15 d’entre eux, accusés de tortures et d’abus de pouvoir, ont été reconnus coupables.

See video: http://www.genes2008.org/spip.php?article31