2008-07-29 

Aktion in Genua, 22. Juli: Brief an die Bürgermeisterin von Genua

Wir sind alle Zeugen der Gewalt, nicht Opfer.

Wir sind hier, weil die Bürgermeisterin und die Stadt uns eine Gelegenheit geboten haben, unsere Geschichte zu erzählen.

Im Juli 2001 waren wir unter den dreihunderttausend Menschen, die nach Genua gekommen waren, um mit allen verfügbaren Mitteln gegen den G8 Gipfel zu protestieren. Am Donnerstag, den 19., am Freitag, den 20. und am Samstag, den 21., sind wir auf der Straße gewesen, um uns der neoliberalen Globalisierung und der Herrschaft des Profits über unsere Leben zu widersetzen.

Bild: Genua

Ein großer Teil von uns hat sich mit der Brutalität der Ordnungskräfte direkt auseinandergesetzt. Alle, die in jenen Tagen in Genua waren, waren Vorzugsgegenstand der Aufmerksamkeit von Polizia und Carabinieri. In den Straßen wurden wir geschlagen und verhaftet. Wir wurden des versuchten Mordes, des Waffenbesitzes (unter Anderem auch des Besitzes von Kriegswaffen) und der Bildung einer kriminellen Vereinigung beschuldigt. Wir wurden des Landes verwiesen und lange Zeit als gefährliche Agitierer bezeichnet. Die repressive Aktion der Polizeikräfte richtete sich gegen die gesamte Bewegung, nicht nur gegen einige von uns. Heute werden wir als Opfer empfangen; gleichzeitig werden wir aber wie Terroristen behandelt, was beispielsweise im vergangenen Dezember 25 von uns mit deren Verurteilung widerfahren ist.

Wie die 25, sind wir alle Zeugen der Gewalt, nicht Opfer. Wir sind hierher gekommen, um Euch daran zu erinnern, dass wir ganz einfach politisch engagierte Personen sind, gegen ein System, das täglich unsere Leben verwüstet und plündert.

Sie bitten uns, uns mit dieser Stadt zu versöhnen und das Kapitel abzuschließen. Seit dem Juli 2001 haben wir das Kapitel nie abschließen wollen.

In diesen sieben Jahren sind wir zusammen gekommen, wir haben uns unterstützt, wir sind in Kontakt geblieben, wir haben uns informiert, einander lieb gewonnen, uns in Genua und im Ausland wieder gesehen. Nichts von unserer gemeinsamen Geschichte verdient es, als ein abgeschlossenes Kapitel abgelegt zu werden. Sie, Frau Bürgermeisterin, haben möglicherweise manches Kapitel, das Sie abschließen möchten, wir aber denken, dass unsere Zukunft durch die Würdigung und Annahme unserer gemeinsamen Vergangenheit und nicht durch deren Verfälschung und Vertuschung geschaffen wird.

Von den Institutionen erwarten wir keine Entschuldigungen, wir wollen politische Antworten. Bisher haben wir keine bekommen. Das gesamte italienische System trägt große Verantwortung. Es hat die Pflicht, politische Konsequenzen zu ziehen.

Genua kann für uns keine “Stadt der Rechte” werden, so lange jene, die für die Gewalttaten und die Folterungen verantwortlich sind, weiterhin in leitenden Positionen verbleiben und befördert werden.

Genua kann für uns keine “Stadt der Rechte” werden, so lange der Wert von Schaufenstern höher sein wird, als der Wert von Menschenleben.