2008-07-05
Vor dem G8-Gipfel verhaftete die japanische Polizei zahlreiche Linke. In Kagamasaki, einem Stadtteil von Osaka, löste die Polizeigewalt einen Aufstand aus.
von Adrian Mengay
Zur Vorbereitung eines G8-Gipfels gehört immer auch eine Kampagne gegen die protestbereite Linke. Gastgeber des Gipfeltreffens, das vom 7. bis zum 9. Juli in Toyaku stattfindet, ist in diesem Jahr Japan. Die Kontrollen auf den Flughäfen wurden verschärft, einem südkoreanischen Gewerkschafter wurde die Einreise verweigert, auch andere Verdächtige wurden abgewiesen oder bis zu zwölf Stunden verhört.
Gegen die Kritiker im Land lässt die konservative Regierung seit Ende Mai die Polizei ausschwärmen. Zunächst wurden an der Universität Hosei in Tokyo 38 Menschen bei einer Veranstaltung gegen den G8-Gipfel festgenommen. Sie sind noch immer in Haft, unter ihnen sind offenbar Kader der leninistischen Organisation Chukaku-ha.
Am 4. Juni wurde der Anarchist Tabi Rounin aus der Region Kansai wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Meldegesetz verhaftet. Die Polizei beschlagnahmte seinen Computer, sein Handy und Flugblätter, er wurde zu geplanten Protesten verhört. Dies war die erste als normale Polizeiarbeit getarnte politische Verhaftung, Rounin kam jedoch nach einer Woche wieder frei. Mitte Juni durchsuchte die Polizei die Büros der Gewerkschaft Rakunan und verhaftete zwei ihrer Mitglieder, einem wird vorgeworfen, Geld der Arbeitslosenversicherung an die Asian Wide Campaign zur Organisierung von Protesten weitergeleitet zu haben.
Das besondere Interesse der Polizei gilt den sozialen Bewegungen in Osaka. Am 12. Juni wurde ein Mitglied der Kamagasaki Patrol, einer antikapitalistischen Hausbesetzergruppe, verhaftet. Ihm wird Betrug beim Bezug von Sozialleistungen vorgeworfen. Die Polizei, die ihn zuvor intensiv beobachtet hatte, will ihn offenbar festhalten, bis der Gipfel zu Ende ist. Mehrere tausend Polizisten haben in der Stadt Kontrollpunkte errichtet, doch der Aufmarsch hat eher zur Eskalation der Proteste beigetragen.
Im Süden der Stadt liegt Kamagasaki, das größte Armenviertel des Landes. Hier leben vor allem Tagelöhner, immer wieder kam es zu Aufständen. Die letzte größere Rebellion im Jahr 1990 wurde ausgelöst durch Polizeibrutalität und die Enthüllung, dass die Polizei mit den organisierten Kriminellen der Yakuza zusammenarbeitete. Die Stadt blieb jedoch ein Zentrum sozialer Proteste, so räumte die Polizei vor fünf Jahren das »karaoke village«, ein Gebiet im Tennoji-Park, in dem Straßenhändler, Tagelöhner und viele andere zusammengekommen waren.
Am 12. Juni nahm die Polizei einen 56jährigen Arbeitslosen fest und brachte ihn auf die Polizeistation Nishinari in Kamagasaki. Dort wurde der Festgenommene nach eigenen Angaben von vier Polizisten geschlagen und kopfüber aufgehängt. Bald nach seiner Freilassung am nächsten Morgen sammelten sich 200 Menschen vor der Polizeistation, sie forderten eine Entschuldigung des Polizeichefs und die Entlassung der vier Polizisten. Die Polizisten verbarrikadierten sich, die Protestierenden begannen, mit Steinen und Flaschen zu werfen. Es gelang ihnen, einige Polizeischilde zu erbeuten, gegen Mitternacht zogen sie sich zurück. Die Polizei karrte in 35 Bussen Verstärkung heran, doch auch den Protestierenden schlossen sich weiter Einwohner des Viertels und organisierte Arbeitergruppen an.
Vom Dach der Polizeistation beobachteten die Uniformierten den Aufstand, ihre Kollegen in Zivil mischten sich unter die Demonstranten, auch ein Hubschrauber war im Einsatz. Vor allem wohl, weil so kurz vor dem G8-Gipfel inernationale Aufmerksamkeit zu erwarten war, entschied sich die Polizei für eine weniger offensive Strategie als 1990. Die Uniformierten beschränkten sich auf den Schutz der Polizeiwache Nishinari und strategischer Plätze. Auf die Forderungen der Demonstranten wollten sie hingegen nicht eingehen.
Die heftigsten Auseinandersetzungen fanden Mitte Juni statt, doch auch in der folgenden Woche kam es immer wieder zu Kämpfen zwischen mehreren hundert Demonstranten und der Polizei, obwohl gemäßigte NGO zu einem »Ende der Gewalt« aufgerufen hatten. Für die meisten Einwohner war der spektakuläre Fall die Folge eines alltäglichen Überwachungsregimes, und sie vertrauen nicht mehr auf die Versprechen von Stadtpolitikern und NGO-Vertretern, es gäbe auch andere Wege, gegen Polizeibrutalität vorzugehen. Während der Auseinandersetzungen wurden mehr als 40 Menschen festgenommen und viele verletzt, ein Demonstrant verlor ein Auge durch Wasserwerferbeschuss. Es wird erwartet, dass es nach dem Abschluss des G8-Gipfels zu zahlreichen Durchsuchungen und Verhaftungen kommen wird.
Die soziale Lage in Kamagasaki beschränkt die Möglichkeiten der Protestierenden. Da sie sehr häufig ihren Arbeitsplatz wechseln, haben sie keinen direkten Zugang zu den Produktionsmitteln. Das schließt gewerkschaftliche Kampfformen, etwa einen politischen Streik gegen Polizeigewalt, faktisch aus. Die Politik der Geschäftswelt Osakas lässt sich vom Armenviertel aus auch nicht direkt beeinflussen. Der Aufstand ist für die Tagelöhner das wichtigste Mittel des Protests, nicht nur zur kollektiven Selbstverteidigung, sondern auch, um von der Stadt Zugeständnisse wie einen besseren Zugang zu Sozialleistungen, neue Jobs und einen Verzicht auf Zwangsräumungen zu erzwingen.
In den großen japanischen Medien wurde der Aufstand kaum erwähnt. Die Regierung hat derzeit weder Massenaufstände der Arbeiter noch eine große antikapitalistische Bewegung zu fürchten. Vielmehr soll das Entstehen einer solchen Bewegung im Ansatz unterbunden werden, überdies ist der offene Aufstand der Tagelöhner ein Kontrast zu dem im Ausland vorherrschenden Bild vom vielleicht etwas gestressten, aber wohlhabenden und seinem Unternehmen ergebenen japanischen Arbeiter, das die Regierung gerne erhalten möchte.
Die Proteste gegen den Gipfel begannen am Mittwoch der vergangenen Woche mit einer Demonstration gegen das Treffen der Außenminister der G8-Staaten in Kyoto. Wie die Polizei den Protesten zu begegnen gedenkt, zeigen ihre seit Wochen in Umlauf gebrachten Plakate und Flugblätter. Dort wirbt sie um die Mitarbeit der Bevölkerung, um »Terrorismus, radikalen Aktivismus und gewalttätige Demonstrationen« zu verhindern.