2008-06-30 

[NoG8] Tokyo: absurde Polizei und eine Demo

Eine Demonstration war das nicht. Zumindest nicht, wie es sich üblicherweise vorstell. Stattdessen gab es die Totalität einer absurden Polizei, die nicht nur sich, sondern auch die Demonstration lächerlich machte. Jedenfalls sammelten sich, trotz starkem Regenwetter hunderte Menschen zur einer kurzfristig organisierten Demonstration von Antiautoritären in Shinjuku, um gegen die G8 und ihre Politik zu intervenieren. Tokyo bleibt eine tote Stadt des Konsumwahns.

[Es gab heute in Tokyo zwei Demonstrationen. Dieser Artikel handelt vorzugsweise von der Demonstration im Stadteil Shinjuku. Die in Shibuja, wo es zu Auseinadersetzung mit der Polizei kam, wird nur Ansatzweise und aus zweiter Hand erwähnt.]

Pic: Tokyo

Shinjuku, ein Stadteil von Tokyo, erscheint zunächst, wie in Tokyo üblich, als Ort von einer durch Leuchtreklamen ferngesteuerten Hektik rund um Konsumtempel. Ein Gedränge nach Arbeit, um anschließend diese in unzähligen Geschäften auszugeben: Leben zum Tode.
Hinter der Fassade des (Ver)Käuflichen schlummert in den Parks von Shinjuku was nicht in das Bild des Durchschnittlichen passt: eine enorme Obdachlosigkeit, die ständig mit noch mehr Verdrängung zu kämpfen hat. Die politische Aktivität in Shinjuku, welche besonders in den 70'iger Jahren sehr stark war, hatte daher immer einen besonderen Fokus auf die Frage der Obdachlosigkeit, was jedoch viel mehr zu sagen hatte und hat als die Frage nach „Obach“...

Hier sollte also einer der zwei NoG8-Demonstrationen, die für heute in Tokyo angekündigt waren, stattfinden, in Sinjuku, in einem von von jenen Parks, umzingelt von unüberwindbar strotzenden Zäunen. In jenem käfigartigen Ort sammelten sich Menschenmengen: Farbe hatte das ganze, unterschiedliche Transparente in unterschiedlichen Sprachen; Skellet-Marionetten wurden die Köpfe der G8-MinsterInnen aus Pappe aufgesteckt, gelbe Stabvögel mit diversen Botschaften zum Thema in die Höhe gehoben, ja sogar einen „schwarzen Block“ gab es.

Als die Demo starte, es auf die Strasse ging, begann eine Situation, die schwierig zu beschreiben ist und in der Einleitung „absurd“ genannt wurde. Es schien so als wäre mensch auf einer illegalen Demonstration, auf einer Strassenblockade gelandet und die Polizei versuchte die Leute von der Strasse zu drängen. Doch dem war nicht so, es war sozusagen eine ganz gewöhnliche „Demonstration“ in Tokyo.
Ein Versuch zu beschreiben: Die Polizei drängt die DemonstrantInnen ständig von der Strasse auf den Gehsteig, damit der Autoverkehr nicht behindert ist. Die „Demo“ hat nämlich von einer vierspurigen Strasse lediglich eine Spur „zur Verfügung“, die sich die Demo mit der aufdringlichen Polizei teilen muss, die sich demenstprechend breit macht. So besteht schlussendlich eine Demoreihe zwischen 3 und 4 Personen.
Wenn zu langsam gegangen wird, schiebt die Polizei einen nach vorne und versucht dabei noch höflich zu wirken. Die Demo darf schliesslich nur eine begrenzte Zeit auf der Strasse sein und somit die Harmonie der konsumierenden Stadt stören – die Stadtpolitik wünscht nur Fastfootdemos. Jeder Fünfte Polizist hat ein Megaphon in der Hand, mit dem er den Leuten dies klar zu machen versucht, indem das Ohr von einem brüllt: „Weiter gehen“. Solche und ähnliche Ansagen aus dem Megaphone der Poliszisten hört mensch auf der Demo mehr als politische Parolen. Usw.

Ganz „normal“ war die Demo dann auch nicht, weil normalerweise (auf der Mayday beispielsweise) gerne der DJ vom Soundwagen herunter- und dann festgenommen wird, weil sie/er zu laute Musik gespielt habe. Oder auch ziwschen Gesteig und Demonstration eine Polizeireihe steht und niemanden rein lässt, der rausgegangen ist. Dem war diesmal nicht so – ein Erfolg also? So scheint es zu sein, wenn mensch zurück beim Ausgangspunkt, im Käfig, sich die erleichterten Gesichter ansieht, die damit gerechnet haben, dass wegen der G8 die Polizei noch repressiver vorgehen wird als sonst. Doch repressiv gegen was? Es muss ja zunächst sowas wie eine Demonstration geben, damit die netten Herren (übrigens ausschließlich Herren) der Polizei repressiv sein dürfen. Solange mensch fast auf dem Gehsteig geht (ausser dem Soundwagen, den konnte Herr Polizist schwer dorthin drängen), sich gefügig dieser Situation hingibt, gegen was sollte es da eine Repression geben? Gegen wahnhaft konsumierende FussgängerInnen, die doch der Stolz Tokyos sind?
Nein gut, so schlimm vielleicht auch nicht: Es gab jede Menge Menschen, die ernsthaft ein Problem mit der politischen Lage haben und überhaupt nicht zufrieden sind mit der Art wie Demos in Tokyo geschehen, doch noch nicht die Zeit gekommen sehen, aus diesem auszubrechen. Die Demo in Shinjuku war erst kürzlich von antiautoritären Gruppen auf die Beine gestellt, dafür relativ gut besucht und ziemlich bunt (irgendwo gibt es sicher Fotos und Videos davon) und versuchte die Öffentlichkeit, die als Zusehende am Gehsteig Haufenweise vorhanden waren, zu informieren und anzusprechen – was ihr sicherlich auch gelang.

Die zweite NoG8-Demonstration fand in einem andern Stadtteil von Tokyo – in Shibuja – statt, an der mehrere Tausend teilgenommen haben und die ähnlich verlaufen ist. Mit dem Unterschied, dass es dort, wegen beschriebenen Situation, kurz gegen Ende zu einer Auseinandersetzung mit der Polizei kam. Es hat mindestens drei Festnahmen gegeben, von dem einer wieder frei gelassen wurde. Mehr kann davon leider derzeit nicht berichtet werden, weil genauere Infos fehlen.

Eines muss zu Schluss klar gesagt sein: es gibt in Tokyo eine herrschende Ordnung, die keine politische Kultur wünscht. Das mögliche Aufkommen wird mit aberwitzigen, aber erfolgreich nervenden Methoden, zu verhindern versucht. Stattdessen gibt es jedemenge Konsumwahn, das mit Produkten versucht zu kompensieren, was aus diesem selbst entspringt.
Der Wille zum Ausbruch ist da.

Auf nach Hokkaido.