2008-06-18
Sind die föderalistischen Strukturen der Schweiz nicht ein Hemmschuh? Hat man die
Probleme, welche der G8-Gipfel in Evian (2003) aufgezeigt hatte, im Griff?
Die Heterogenität der schweizerischen Polizei- und Sicherheitslandschaft ist Garant dafür, dass
mit grosser Sach- und Ortskenntnis flexibel und angemessen auf die Situation reagiert werden
kann. Die Lehren aus dem Einsatz zu Gunsten des G8-Gipfels in Evian sind gezogen. Die Zuständigkeiten
und Abläufe bei der Planung und der Durchführung solcher Grosseinsätze sind
geregelt.
Auf der Stufe der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS) ist die
Arbeitsgruppe Operationen (AG OP) gegründet worden, die bei derartigen Anlässen die Lage
analysiert und darauf basierend die Bedürfnisse im Zusammenhang mit interkantonalen Polizeieinsätzen
abklärt. Die Arbeitsgruppe hat sich in Genf beim Weltgipfel über die Informationsgesellschaft
und bei der alljährlichen Vorbereitung des WEF bewährt. Neben der AG OP gibt es
auch eine politische Koordinationsebene, die Arbeitsgruppe gesamtschweizerische interkantonale
Polizeizusammenarbeit (AG GIP). In ihr sitzen Regierungsräte als Vertreter der Polizeikonkordate.
Sie entscheiden definitiv über den Kräfteansatz und genehmigen die Dispositive.
Inwiefern unterscheidet sich die EURO 2008 von bisherigen schweizerischen
Grossanlässen in Bezug auf die Gewährleistung der Sicherheit in der Schweiz?
Die Polizeihoheit liegt bei den Kantonen. Dies ist ein wesentlicher Pfeiler des bewährten
schweizerischen Föderalismus. Weil aber die Polizeibestände unterschiedlich gross sind, ist
kaum ein Kanton in der Lage, bei grösseren Anlässen und Ereignissen alle polizeilichen Aufgaben
alleine zu bewältigen. So müssen immer wieder die Polizeikräfte verschiedener Polizeikorps
zusammengezogen werden. Das WEF und die 1. Augustfeier auf dem Rütli sind Beispiele dafür.
Solche Einsätze werden im Fachjargon «Interkantonale Polizeieinsätze – kurz IKAPOL» genannt.
Mit der EURO 2008 wird ein solcher IKAPOL-Einsatz Tatsache, den es in dieser Grössenordnung
noch gar nie gegeben hat und der deshalb auch eine ganz besondere Herausforderung
für die Schweizer Polizei darstellt. Die Sicherheitsbehörden der Austragungsorte Basel,
Bern, Genf und Zürich, der Kantone und Städte sowie des Bundes unterstützen sich dabei gegenseitig.
Die entsprechenden Strukturen sind aufgebaut. Für den Grosseinsatz gilt die Strategie
«Sicherheit durch Kooperation».
Welche ausländischen Polizeikräfte werden zum Einsatz kommen?
Eine enge internationale Zusammenarbeit ist für die Bewältigung einer Grossveranstaltung wie
der EURO 2008 unverzichtbar. So werden denn auch ausländische Kolleginnen und Kollegen
die Schweizer Sicherheitskräfte unterstützen.
Zum einen werden Polizistinnen und Polizisten aus den Teilnehmer-, Transit- und Anrainerstaaten
unter anderem als Szenenkenner (Spotter) oder als uniformierte Beamte für die Zugsbegleitung
zum Einsatz kommen. Diese Aufgaben nehmen sie grundsätzlich ohne hoheitliche Befugnisse
und unter der Leitung schweizerischer Beamter wahr. Die ausländischen Beamten, die die
Muttersprache der jeweiligen Fans beherrschen, werden die Schweizer Sicherheitskräfte vor
allem in und um die Stadien oder bei den Public Viewings unterstützen. Die Aufgabe dieser Patrouillen
in der Stärke von zwei bis vier Männern wird es sein, Präsenz zu zeigen, den Dialog zu
suchen oder deeskalierend zu wirken. Gespräche und Ermahnungen sollen helfen, Auseinandersetzungen
zwischen Fans zu verhindern.
Zum andern hatte die Arbeitsgruppe Gesamtschweizerische Interkantonale Polizeizusammenarbeit
bei besonderen Ereignissen (AG GIP) der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren
(KKJPD) nach der Analyse des Final Draw vom 2. Dezember 2007 gegenüber dem
Bundesrat einen Bedarf von 5’250 Einsatztagen an ausländischer Unterstützung ausgewiesen,
weil die schweizerischen Polizeimittel während der EURO 2008 flächendeckend im Einsatz stehen
werden und dadurch praktisch ausgeschöpft sind. Am 7. März 2008 hiess der Bundesrat die
Unterstützung durch deutsche und französische Ordnungsdienstkräfte auf Antrag der KKJPD
gut.1 Am 12. April 2008 wurden im Basler St. Jakobs-Park am Rande einer Einsatzübung die
Verwaltungsabsprachen mit den deutschen Partnern unterzeichnet, in denen die Details des
Einsatzes von Ordnungsdienstkräften aus den Bundesländern Baden-Württemberg und Hessen
geregelt sind. Die Unterzeichnung eines entsprechenden Dokuments mit Frankreich erfolgte auf
dem Korrespondenzweg am 3. und 11. April 2008. Die Host Cities Basel und Zürich können somit
auf die Unterstützung von zwischen 200 und 600 deutschen Polizeibeamten pro Spieltag
zählen, die Host City Genf auf die Unterstützung von 80 bis 320 französischen Beamten. Für
diese Unterstützungsleistungen bezahlt die Schweizerische Eidgenossenschaft Frankreich und
Deutschland insgesamt 6,5 Millionen Franken. Die Finanzierung erfolgte über die dafür vorgesehene
Kreditreserve, die das Eidgenössische Parlament im Sommer 2006 bewilligt hatte. Der
Einsatz deutscher Polizisten stützt sich auf den Staatsvertrag mit Deutschland von 1999 (SR
0.360.136.1). Der Einsatz von französischen Polizisten wurde durch das Polizei-Abkommen mit
Frankreich von 1998 (SR 0.360.349.1) sowie einen Briefwechsel ermöglicht, der zwischen den
beiden Regierungen am 27. Juni bzw. 3. August 2007 erfolgt war.
Im Weiteren will das Grenzwachtkorps während der EURO 2008 mit Polizei- oder Grenzbeamten
der Nachbarländer, die auf ihrem Hoheitsgebiet stationiert und tätig sind, zusammenarbeiten.
Dies ermöglicht gemeinsame lagegerechte Einsätze auf der Grenze oder im in- oder ausländischen
Grenzraum sowie in grenzüberschreitenden Extrazügen.
Zur Organisation der Zusammenarbeit im Bereich der erwähnten Szenenkenner (Spotter) und
weiterer Spezialisten sowie zur Regelung der anlassbezogenen Sicherheits-Zusammenarbeit
fanden insgesamt drei Anrainer-, Transit- und Teilnehmerstaatenkonferenzen statt: Ende November
2006 in Wien, Mitte Dezember 2007 in Zürich und Ende März 2008 wiederum in Wien.
Welche Einsatzmöglichkeiten und Befugnisse haben die ausländischen Polizisten?
Die Einsatzmöglichkeiten und Befugnisse der ausländischen Polizisten in der Schweiz stützen
sich auf die geltende Rechtsordnung sowie auf die von der Schweiz abgeschlossenen Staatsverträge.
Der Einsatz deutscher Polizisten während der EURO 2008 in der Schweiz kann sich auf den
Staatsvertrag mit Deutschland von 1999 stützen (SR 0.360.136.1). Dieses Abkommen sieht gemäss
Artikel 22 vor, dass Schweizer Polizeikorps deutsche Polizisten zur Abwehr von Gefahren
für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie zur Bekämpfung von Straftaten ausnahmsweise
zur Wahrnehmung polizeilicher Vollzugsaufgaben unterstellt werden können. Die Polizisten
dürfen unter der Leitung der einsatzführenden Stelle auch hoheitlich tätig werden. Konkret stehen
den deutschen Polizeibeamten somit die polizeilichen Massnahmen gemäss den einschlägigen
kantonalen Polizeigesetzen zur Verfügung.
Der Einsatz von französischen Polizisten stützt sich auf das Polizei-Abkommen mit Frankreich
von 1998 (SR 0.360.349.1) sowie einen Briefwechsel vom 27. Juni / 3. August 2007 zwischen
den beiden Regierungen. Nach Artikel 25 des Abkommens kann jede zuständige Dienststelle
eines Landes der entsprechenden Einsatzeinheit des andern Landes für eine Dauer von weniger
als 48 Stunden Beamte zur Verfügung stellen. Die Beamten unterstehen dabei den Bestimmungen
jenes Landes, in welches sie entsandt worden sind. Gemäss Abkommen stehen den
Beamten keine hoheitlichen Befugnisse zu. Indes verfügen sie über operative Befugnisse sowie
die jedermann zustehenden Rechte wie Notwehr oder das Recht, in dringenden Fällen Personen
festzuhalten. Die Tätigkeit der französischen Polizisten wird sich auf Beobachtungs-,
Schutz- und Unterstützungsfunktionen beschränken, ohne Einsatz hoheitlicher Befugnisse.
Französische Kräfte können für den Ordnungsdienst eingesetzt werden, sofern noch keine Störung
der öffentlichen Sicherheit und Ordnung besteht (friedlicher Ordnungsdienst). Sollten sie
mit Störern konfrontiert werden, verfügen die französischen Polizisten über die jedermann zustehenden
Rechte wie die Notwehr und Nothilfe sowie das Festnahmerecht.
Während der EURO 2008 werden in der Schweiz neben Kräften aus Deutschland oder Frankreich
auch Polizeibeamte aus Teilnehmer-, Transit- und Anrainerstaaten zum Einsatz kommen.
Dabei kann es sich um szenekundige Beamte, Uniformbeamte oder um Verbindungsleute handeln.
Diese haben keine hoheitlichen Befugnisse. Ihre Tätigkeit erfolgt immer zusammen mit
schweizerischen Polizeikräften und beschränkt sich auf die Beratung und Unterstützung der
lokal zuständigen Polizeibehörden. Der Einsatz entspricht den Bestimmungen und Empfehlungen
des Europaratsübereinkommens über Gewalttätigkeiten und Fehlverhalten von Zuschauern
bei Sportveranstaltungen und insbesondere bei Fussballspielen (SR 0.415.3) und lehnt sich an
das entsprechende EU-Handbuch an.
Wie werden die deutschen und französischen Ordnungsdienstkräfte eingesetzt?
Alle polizeilichen Einsätze während der EURO 2008 sind nach der 3-D-Philosophie konzipiert:
«Dialog», «Deeskalation», «Durchgreifen». Die beiden ersten Stufen sind vorwiegend in
Schweizer Hand. Unsere Beamten sind in diesen Disziplinen besonders geschult.
Der Einsatz der deutschen und der französischen Kräfte wird in einem operativen Dialog zwischen
den zuständigen Polizeikommandanten in den Host Cities Basel, Zürich und Genf und
den deutschen und französischen Partnern im Detail abgesprochen. Aufgrund ihrer Ausbildung
und Erfahrung sowie aufgrund ihrer Befugnisse können sie grundsätzlich für ein breites Spektrum
von Aufgaben eingesetzt werden, auch im Bereich des dritten D. Der konkrete Einsatz wird
sich aus Lage und Bedarf ergeben.