2008-06-08 

Heiligendamm 2.0

Die Friedensbewegung diskutierte in Hannover Alternativen zum Afghanistan-Krieg. Spektakuläre Aktionen gegen das NATO-Militärbündnis geplant

Von Frank Brunner

Für James Gilligan war es ein Einsatz wie jeder andere. Im Herbst 2004 patrouillierte der damals 24jährige Feldwebel des US-Marine-Corps mit seiner Panzereinheit durch das afghanische Hinterland. Gilligans Gruppe war Teil eines Bataillons, dass die afghanische Präsidentschaftswahl im Oktober 2004 absichern sollte. Am Sonntag standen dem amerikanischen Soldaten die Tränen in den Augen, als er auf dem Kongreß in Hannover »Dem Frieden eine Chance – Truppen raus aus Afghanistan« den weiteren Verlauf seines Einsatzes schilderte: »Ich habe einen verhängnisvollen Fehler gemacht und dadurch wurde ein ganzes Dorf ausgelöscht.«

Sein Team näherte sich einer Gebirgskette, als plötzlich aus einer Entfernung von sechs Kilometern mehrere Explosionen die Erde erschütterten. Gilligan erhielt den Befehl, herauszufinden, woher die Schüsse kamen. Gilligan irrte sich, ermittelte die falschen Koordinaten. »Mit insgesamt sechs Salven nahmen wir die vermeintlichen Angreifer, die wir hinter einem Hügel vermuteten, unter Trommelfeuer«, berichtete er. Zwei Tage später sahen die US-Soldaten, was sich hinter der Bergkuppe befunden hatte – eine afghanische Siedlung. »Wir sollten einfach erzählen, daß das die Taliban gewesen seien, riet uns mein Vorgesetzter«, so Gilligan zu den über 400 Teilnehmern der zweitägigen Konferenz.
Politischer Druck
Die Forderungen der Friedensbewegung nach einer Beendigung des Militäreinsatzes der NATO finden derzeit nur relativ wenig Widerhall in der Öffentlichkeit. »Zwar lehnt eine große Mehrheit der Bevölkerung die Intervention in dem zentralasiatischen Staat ab, doch gleichzeitig sind nur wenige Menschen bereit, sich gegen diesen Krieg zu engagieren«, sagte Reiner Braun, von der Gruppe »Kooperation für den Frieden« und einer der Organisatoren der Veranstaltung. Ähnlich äußerte sich Hartmut Tölle, DGB-Landesbezirksvorsitzender von Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. »Der Krieg am Hindukusch ist derzeit kein Thema, auch nicht in den Gewerkschaften, bedauerte er. Wichtig sei es, so der Gewerkschafter, daß wir mehr Menschen für die Friedensbewegung gewinnen.

Die Veranstalter, zu denen neben dem Bundesausschuß Friedensratschlag unter anderem die globalisierungskritische Bewegung ATTAC, der Landesverband Niedersachsen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen (IALANA) gehörten, planen daher eine Vielzahl spektakulärer Aktionen. So sollen am 20. September, eine Woche vor der Bundestagsabstimmung über eine Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr, in Stuttgart und Berlin zwei bundesweite Demonstrationen gegen die Mandatsverlängerung stattfinden. »Wir wollen den politischen Druck auf den Staat erhöhen«, sagte Braun. Gleichzeitig wolle man mit allen Parteien Gespräche führen. So sei in den nächsten Tagen ein Treffen mit der Bundestagsfraktion der Grünen geplant, aber auch mit Politikern von SPD und CDU bestünden Kontakte, sagte der Friedensaktivist vor Pressevertretern.
Gemeinsame Aktionen
Eng kooperiert die Friedensbewegung bereits mit der Partei Die Linke. Entsprechend positiv bewertete deren Bundestagsabgeordneter Wolfgang Gehrcke die Veranstaltung: »Der Kongreß hat mich zuversichtlich gestimmt, dass unsere Partei ein Ansprechpartner für fortschrittliche Kräfte in Afghanistan geworden ist.«

Verstärkt will die deutsche Friedensbewegung mit anderen europäischen Organisationen zusammenarbeiten. So verabredeten in Hannover Vertreter aus zwölf Ländern die Gründung eines internationalen Afghanistan-Friedensnetzwerkes und gemeinsame Aktionen (siehe Spalte und Interview). »Wir wollen die NATO delegitimieren«, kündigte Braun für den Jubiläumsgipfel des Militärbündnisses 2009 an. Neben einem alternativen Gipfel, einer Demonstration und verschiedenen Protestcamps sind auch Aktionen des zivilen Ungehorsams, etwa die Einkreisung wichtiger Gebäude, und andere spektakuläre Protestformen geplant, erklärte Braun gegenüber jW. Kontakt bestehe zum Anti-G-8-Bündnis, das vor einem Jahr in Heiligendamm demonstrierte. »Unser Widerstand gegen das NATO- Treffen soll mindestens die Dimension von damals haben«, so Braun. Der Afghanistan-Kongreß sei erst der Auftakt, meinte Ursula Schumm-Garling von der Friedens – und Zukunftswerkstatt während der Abschlußdiskussion.

Der frühere US-Soldat Gilligan zog am Sonntag nachmittag sein Resümee: Einerseits sei die europäische Friedensbewegung besser organisiert als in den USA, so der Friedensaktivist, andererseits müßten den Worten jetzt auch Taten folgen, sagte er jW.