2008-06-03
“Tutmondig”-Kritiker, esperantosprechende Globalisierungs-Gegner, versammeln sich beim G8-Gipfel Anfang Juli auf der Insel Hokkaido. Das macht Japans Sicherheitsbehörden schon jetzt nervös – denn die Einsatzkräfte verstehen die Sprache nicht.
Hamburg – Normalerweise gelten Anhänger der Kunstsprache Esperanto als eher ruhige Zeitgenossen, darum bemüht, ihre linguistischen Interessen in der Welt bekanntzumachen. Zu den Fans des Esperanto zählen zum Beispiel der Großinvestor George Soros und der US-Schauspieler William Shatner – der berühmte Captain Kirk aus “Raumschiff Enterprise”. Auch Papst Benedikt XVI. hat die Esperanto-Gemeinde ins Herz geschlossen und übermittelt die Ostergrüße auch in deren Sprache.
Nun aber interessieren sich plötzlich auch die Sicherheitsbehörden Japans für das Esperanto. Sie befürchten den Aufmarsch einer militanten Esperanto-Minderheit auf der Nordinsel Hokkaido, wo vom 7. bis 9. Juli der nächste G8-Gipfel stattfindet, das Treffen der Regierungschefs der sieben größten Volkswirtschaften und Russlands.
Beim schwer umkämpften G8-Gipfel im Ostseebad Heiligendamm vor knapp einem Jahr war von Esperanto nicht die Rede. In Japan aber soll sich das ändern: Eine Bewegung namens “Esperantoliga für Freiheit auf Hokkaido” (“Libera Esperanto-Asocio en Hokkaido”) hat sich daran gemacht, Proteste gegen den Gipfel und globale Ungerechtigkeiten aller Art zu planen.
Im Internet gibt es schon seit Wochen Nachrichten dazu – auch wegen des deutschen Aktivisten Martin Krämer, dem im März Zöllner des Hafens Sapporo-Otaru die Einreise auf Hokkaido verweigerten. Krämer war von der Esperantoliga Sapporos eingeladen worden, auf einem Frachter angereist, und spielte bei der Ankunft per Trompete die Internationale, berichtet die Londoner Wochenzeitschrift “New Statesman”. Unverrichteter Dinge musste er ein Flugzeug besteigen und in die ferne Heimat Deutschland zurückkehren.
Die weltweite Gemeinschaft der Esperanto-Sprechenden hat die Globalisierung, in Esperanto “Tutmondig” genannt, seit Jahren schon zum Thema gemacht. Sie fühlt sich dem polnischen Augenarzt und Humanisten Ludwig Zamenhof verpflichtet, der die Sprache entwickelt hat und 1887 in einer Broschüre vorstellte – buchstäblich als Beitrag zur Verständigung zwischen den Völkern.
Wider die sprachliche Vorherrschaft der G8-Länder
Heute ist der universelle Charakter des leicht erlernbaren und ohne große Ausnahmen auskommenden Esperanto etwa an Zusatztools erkennbar, die der Browser Firefox anbietet – darunter ein Esperanto-Wörterbuch. Weltweit, so schätzt der finnische Linguistiker Jouko Lindstedt, beherrschen zehn Millionen Menschen die Sprache.
Zum Aufgalopp des G8-Gipfels haben japanische Aktivisten Übersetzungen nicht nur auf Englisch, sondern auch auf Esperanto angefertigt. Und auch Indymedia, das Netzwerk der Globalisierungskritiker, will sich des Esperanto annehmen, schreibt die Autorin Claire Provost im “New Statesman”.
Den Esperanto-Demonstranten auf Hokkaido geht es in erster Linie darum, ein Zeichen gegen die sprachliche Vorherrschaft der G8-Länder zu setzen. Die würden nur 14 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen – und Englisch, das die Weltwirtschaftsrhetorik dominiert, sei dabei nur mit fünf Prozent vertreten, lauten Argumente der Kritiker.
Zum Tagungsort der G8-Granden werden Japans streitbare Esperantisten kaum vordringen können, denn die Regierungschefs kommen in einer natürlichen Festung zusammen: dem “Windsor Hotel Toyako”, das sich am Kratersee eines erloschenen Vulkans befindet. Und vor der Küste Hokkaidos patrouilliert die japanische Marine mit wendigen Einheiten – ähnlich wie die deutsche Marine vor Heiligendamm.
Den japanischen Sicherheitsdiensten missfällt natürlich, dass manche der Gipfeldemonstranten eine Sprache sprechen, die ihre Agenten bisher nie gehört haben. Und für verdächtig halten die G8-Wächter auch, dass japanische Esperanto-Könner im Dezember vorigen Jahres nach Südkorea gereist waren, um dort militante Adepten zu schulen.
“Wie man sagt auf Esperanto: ‘Alia mondo estas ebla’ (‘eine andere Welt ist möglich’)”, schließt Claire Provost nicht gerade ohne Hintersinn.
Von Joachim Hoelzgen