2008-06-03
»Deeskalation sieht ganz anders aus«
Klage über gezielte Polizei-Provokationen. Ein Gespräch mit Peter Müller
Peter Müller (Name geändert) wird strafrechtlich verfolgt, weil einzelne Teilnehmer an einer von ihm angemeldeten Demonstration in Karlsruhe im Vorfeld des G-8-Gipfels gegen Versammlungsauflagen verstoßen haben sollen.
Am Montag wird das Amtsgericht Karlsruhe gegen Sie wahrscheinlich einen Strafbefehl über 4800 Euro stellvertretend für Hunderte Demonstranten erlassen. Was wirft man Ihnen vor?
Am 19. Mai 2007 gab es als Reaktion auf die von der Bundesanwaltschaft veranlaßten bundesweiten Razzien gegen G-8-Gegner eine Demonstration in Karlsruhe mit rund 800 Teilnehmern, zu der ein Vorbereitungsbündnis aufgerufen hatte. Dabei wurde vereinzelt gegen polizeiliche Auflagen verstoßen, wofür man nun mich allein zur Verantwortung ziehen will.
Berichten zufolge ist die Demo seinerzeit friedlich verlaufen. Welche Auflagen sollen verletzt worden sein?
Zum Beispiel soll der Mindestabstand zwischen Transparenten nicht eingehalten worden sein. Außerdem waren einige Demonstranten manchmal schneller unterwegs als erlaubt und haben außerdem ihren Unmut gegenüber der Polizei zum Ausdruck gebracht. Ein weiteres »Vergehen« war das einheitliche Tragen von Sonnenbrillen in Verbindung mit Kapuzenpullovern.
Und das allein rechtfertigt schon eine strafrechtliche Verfolgung?
Ich bestreite ja gar nicht, daß es diese Regelverletzungen gab. Nur warum soll ich dafür geradestehen? Ich habe damals alles mir Mögliche getan, einen ordnungsgemäßen Ablauf zu gewährleisten. Ich habe die Demo schriftlich angemeldet, zuvor ein sogenanntes Kooperationsgespräch mit der Einsatzleitung geführt, war während der Demo permanent ansprechbar, ich habe die jeweiligen Vorgaben durchgesagt. Kurzum: Ich habe alle Spielregeln eingehalten. Ich kann ja nicht jeden Demonstranten an die Leine nehmen.
Es war zu lesen, daß von der Polizei Provokationen ausgegangen sein sollen. Wie haben Sie das erlebt?
Das fing an mit dem zahlenmäßig völlig überzogenen Aufgebot, das die Demonstranten in ein enges Spalier zwängte. Nicht nur aufgrund verbaler Provokationen würde ich das Auftreten der Polizei, auch mir gegenüber, als teilweise aggressiv bezeichnen. Deeskalation sieht anders aus. Die Polizei hat mir meine Aufgabe als Anmelder nicht gerade leicht gemacht.
Angenommen, Sie werden verurteilt. Welches Signal ginge davon aus?
Es geht in meinen Augen darum, das elementare Grundrecht auf Versammlungsfreiheit immer weiter auszuhöhlen. Dessen Wahrnehmung soll faktisch unter Strafe gestellt werden. Ein solches Urteil hätte natürlich abschreckende Wirkung auf alle potentiellen Demo-Anmelder. Wer wird das noch wagen, wenn schon beim geringsten – vielleicht sogar gezielt provozierten! – Regelverstoß Tausende Euro Strafe und Vorstrafen drohen. Was die Sache noch skandalöser macht: Die Repressionswelle der Polizei- und Sicherheitsbehörden vor Heiligendamm, insbesondere die bundesweiten Razzien gegen G-8-Gegner wegen vermeintlichen Terrorismusverdachts, wurde nachträglich vom Bundesgerichtshof als rechtswidrig eingestuft. Unserem legitimen Protest gegen Repression soll nun mit neuer Repression begegnet werden.
Sind Ihnen vergleichbare Fälle bekannt?
Die Anmelderin der Demonstration gegen die Sicherheitskonferenz 2007 in München wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Ein Strafbefehl erging auch gegen den Anmelder einer Demo gegen einen Neonaziaufmarsch in Pforzheim im Februar. Ein ähnlicher Fall ist aus Göttingen bekannt. Bei all dem fällt auf, daß vor allem Aktivitäten von linksgerichteten Gruppen verstärkt ins Visier der Behörden geraten. Linke Demonstrationen und Versammlungen werden mit immer penibleren, reglementierenden und absurdesten Auflagen belegt.
Sie werden am Montag zum Verhandlungstermin von einer Reihe Unterstützer in Empfang genommen. Was ist geplant?
Es wird um 9 Uhr vor dem Gebäude des Amtsgerichts eine Kundgebung geben, zu der die »Kampagne 19. Mai« aufgerufen hat. Die hat sich im Februar gegründet, nachdem die Staatsanwaltschaft Strafbefehl gegen mich erlassen hatte.
Was, wenn Sie verurteilt werden?
Dann gehen wir auf jeden Fall in die nächste Instanz.
Info: kampagne19mai.de
Kundgebung Amtsgericht Karlsruhe, Montag 9 Uhr
Interview: Ralf Wurzbacher