2008-06-02
Heute vor einem Jahr begann mit einer Demo und Ausschreitungen in Rostock die Zeit des G8-Gipfels. Ein Jahr später erzählen Menschen, die mitwirkten, beteiligt oder betroffen waren: Wie war das damals, und was ist seither passiert?
Das Gefängnis: eine Halle, unterteilt in Zellen. Bilder der zwei provisorischen Haftanstalten in Rostock gingen durch die Medien – Kritiker sprachen von „Klein Guantanamo“. Polizeihauptkommissar Maik Schroeder (35) aus Stralsund war Chef der Gefangenensammelstelle. „Am Tag kamen etwa 200 Gefangene“, erinnert er sich. „Platz war genug. Es hätten mehr reingepasst.“ Die Bedingungen seien „gar nicht so schlecht“ gewesen, meint er. „Es gab eine Klimaanlage, die Verpflegung war gut.
Wir konnten sogar Gerichte für Vegetarier anbieten.“ Natürlich, schränkt er ein: „Schön war’s nicht. Aber so eine Festnahme ist kein Hotelaufenthalt.“ Einmal gingen Demonstranten gegen den Zaun vor. „Das einzige Mal, dass wir raus mussten, mit Helm und Schlagstock.“ Eingesetzt worden sei der Stock aber nicht.
Die Demonstranten: Jan Ihle & Hans-Christian Ströbele
„In den Tagen um den Gipfel habe ich viele Polizisten kennengelernt, die ganz entspannt waren“, erinnert sich Jan Ihle (23). „Bei einer Demo haben wir sogar Verpflegung geteilt“, so der Rostocker Student. „Richtig doof“ sei nur das „Theater“ rund um das Konzert am 2. Juni in Rostock gewesen. „Da stießen Polizisten immer wieder in die friedlich feiernde Menge vor, um angebliche Störer zu verhaften.“ Ihle: „So sollte die ganze Demo kriminalisiert werden.“ Das kritisiert auch Hans-Christian Ströbele, stellvertretender Fraktionschef der Grünen: „Die Polizei hat riesige Fehler gemacht.“ Dennoch: „In Erinnerung bleiben die friedlichen Demonstranten auf Wiesen und Feldern.“
Der Seelsorger: Andreas Schorlemmer
„G 8 ist vergessen“, sagt Polizeiseelsorger Andreas Schorlemmer (58). Doch dann kommen die Erinnerungen an „einen Einsatz, den wir in dieser Dimension hier nicht mehr haben werden“. Er habe mit zig Beamten gesprochen, interessante Menschen kennengelernt. Einmal war er mit seinem Polizeiauto eingeklemmt in der von Demonstranten blockierten Zufahrtsstraße. „Als ich dann Polizisten im Krankenhaus besuchen wollte, haben mir die Gipfelgegner eine Gasse freigeschlagen. Da war ich sehr gerührt.“ Längst hat für ihn der normale Dienst wieder begonnen. Als Seelsorger wird er zu schweren Unfällen gerufen. „Manchmal hilft nur Schweigen“, ist die Erfahrung des Pastors. Und der Titel seines Buches, das nach dem Gipfel erschienen ist. Seither ist er auf Lesungen anzutreffen. „Da lerne ich wieder viele interessante Menschen kennen.“ Und G 8 ist so weit weg.
Der Landwirt: Rainer Uplegger
„Jetzt sind wir die Bösen, Papa“, sagt Paul Uplegger (6), als er mit Papa vom Fototermin aus dem Gerstenfeld vor dem Haus in Rethwisch kommt. Vor einem Jahr waren die Bösen aus Sicht des Papas, der ganz schön geschimpft hatte, Hunderte von Demonstranten, die durch seine Felder latschten. „Gott sei Dank war das Weizen. Gerste ist so piekig“, sagt Paul. Rainer Uplegger (38) hatte da andere Sorgen. Nicht nur das Weizenfeld vor seinem Fenster wurde Hauptverkehrsader der politischen Völkerwanderung. In Brodhagen haben die Demonstranten, die zum Zaun rund um Heiligendamm wollten, ihm den Raps zerlatscht. In Börgerende Zuckerrüben. „Der Schaden ging in die Tausende. Hat doch keiner damit gerechnet, dass die Polizei nicht eingreift“, sagt der Landwirt. „Jetzt bei den Bauern-Demos kamen Wasserwerfer. Aber die Chaoten durften Privateigentum beschädigen, ohne dass was passiert“, schimpft er. Wie viel er an Ausgleichszahlungen erhielt, will er nicht sagen. Dafür antwortet er auf die Frage, ob der G8-Gipfel nicht etwas Positives hatte? „Nö, ich hätte gut drauf verzichten können. Nie wieder. Beim nächsten Mal sollen die sich auf Helgoland treffen.“
Der Platzwart: Klaus Penndorf
Zum Gipfel bekam die Bad Doberaner Galopprennbahn einen neuen Zaun spendiert. Der ganze Stolz von Platzwart Klaus Penndorf (68). Zusätzlich verlief der Gipfel-Zaun um das Grundstück: Es diente der Polizei als Kontrollpunkt. „Eigentlich lagen wir in der Sperrzone“, so Penndorf. Aber am 5. Juli durchbrachen Demonstranten die Sperren und ließen sich nicht mehr vertreiben. „Ab da war es schlimm“, sagt der Platzwart. „Die Demonstranten liefen im Kontrollbereich umher.“ Auch der neue Zaun für die Galopprennbahn wurde beschädigt. „Es war kein Vergnügen, hier zu arbeiten. Ich musste täglich herkommen. Gucken, ob Maulwurfshügel da sind, Ratten oder Wühlmäuse. Und Rasen mähen.“ Einmal sei er mit seinem Transporter am Zaun entlanggefahren und habe versehentlich ein Schild der Protestler heruntergerissen. „Sie schrien: ,Kannst du nicht aufpassen, du Schwein?’ Dann schlug einer mit dem Baseballschläger gegen das Wagenfenster.“ Ab da nahm Klaus Penndorf seinen Rhodesian Ridgeback mit. „Der ist total gutmütig. Aber wenn mich einer angegriffen hätte, hätte der Hund mich verteidigt.“ Penndorf ist froh, dass der Gipfel vorbei ist. „Ich denke nicht gerne daran zurück.“
Der Security-Chef: Michael Joppeck
„Hätten die gewusst, dass von hier aus die zivilen Sicherheitskräfte organisiert wurden, hätten die mir die Bude abgefackelt.“ Michael Joppeck (38) betreibt einen Transport- und Sicherheitsdienst in Reddelich. Im Juni 2007 war er mitten im Anti-G8-Camp, umgeben von Demonstranten. Der schwarze Block hatte sich vor seiner Nase niedergelassen. Direkt vor seiner „Schaltzentrale. 160 zivile Sicherheitskräfte hat er von dort aus geleitet. „Aber die haben nichts gemerkt. Unglaublich!“ Seine Firma hatte Joppeck 2007 umzäunt. Mit dem Zaun, der auch Heiligendamm umgab. Sein Zaun steht noch. An den Fenstern hat er Sicherheitsfolie angebracht. Auch die klebt noch. Seine Firma gleicht jetzt einem Hochsicherheitstrakt. Vor G8 hatte er 20 Mitarbeiter, jetzt 40. Joppeck sagt: „Von mir aus können die zwei G8-Gipfel pro Jahr machen.“
Die Heiligendammer: Angelika Peißker & Iris Ohme
Vor einem Jahr waren die Heiligendammer Filmstars. Kamerateams filmten sie hinterm Zaun, beim Sicherheits-Check, beim Plausch. Manche Teams filmten sogar, wie andere Teams filmten. Und RTL-Nachrichtenmann Peter Kloeppel lud sich zum Grillfest im abgeschotteten Ort ein. Einmütig hatten sie zusammengesessen, mit Kloeppel geschwatzt. Für Angelika Peißker (64) längst Vergangenheit: „Ich erinnere mich nur noch daran, wenn jemand fragt.“ Sie sei von der G8-Veranstaltung genervt gewesen – und zusammen gegrillt habe man seitdem auch nicht mehr. Es waren skurrile Szenen, die sich in und um Heiligendamm abgespielt haben – die Filmemacher Andreas Horn (42) und Dirk Matzewski (43) verewigten einige in der Dokumentation „Der Zaun“. Iris Ohme (66) hat all das abgehakt. „G8 ist vorbei. Und die Zäune stehen jetzt am Hotel Kempinski.“
Maik Schroeder
Info: „Der Zaun“ erscheint im Juli als DVD.