2008-05-28
Beim G8-Gipfel 2007 haben Journalisten in ihrer Berichterstattungswut viele handwerkliche Fehler gemacht – wie ein neues Buch nachweist. VON LANA STILLE
Bei den Protesten zum G-8-Gipfel vor einem Jahr ging es zwar hoch her, aber, so meldete die Nachrichtenagentur dpa am 5. Mai: “Einen Aufruf eines Redners zum ,Krieg’ bei den Demonstrationen von Rostock hat es nicht gegeben. dpa bedauert die fehlerhafte Berichterstattung.” Grobe journalistische Fehler hat sich aber nicht nur dpa geleistet – im Medienspektakel G 8 ist einiges schiefgelaufen in deutschen Redaktionen. Was genau, kann man jetzt in einem Buch nachlesen.
Herausgegeben wird “Nur Clowns und Chaoten?” von den Protestforschern Dieter Rucht und Simon Teune. Der Titel ist treffend, denn mehr als alles andere sind es die Demonstranten und ihre Protestaktionen, die vom G-8-Gipfel in den Köpfen der Menschen hängen geblieben sind. Wenn man sich die Ergebnisse der Autoren ansieht, ist das auch kein Wunder: Zeitungen und Fernsehen stürzten sich geradezu auf den Protest der G-8-Gegner in Heiligendamm, das Gipfelgeschehen selbst spielte oft nur noch eine Nebenrolle in der Berichterstattung.
Rucht und Teuner haben sich an eine quantitative Analyse der G-8-Berichterstattung in den Printmedien gemacht und sich dafür die überregionalen Tageszeitungen, die Magazine Spiegel und Focus sowie, weil sie geografisch nah am Geschehen war, die Ostsee-Zeitung angeschaut. Ihr Fazit: Die Zeitungen berichteten unglaublich viel über G 8 – sehr viel mehr etwa als über den Gipfel in Genua 2001 – und hangelten sich dabei alle mehr oder weniger an ihren redaktionellen Leitlinien entlang.
Konservative Zeitungen wie Welt und FAZ mochten wenig Sympathien für die G-8-Gegner aufbringen. Wie immer in einem Zustand höchster Aufregung, verpasste Bild den Demonstranten das Image von “linksradikalen Chaoten”, die eine “Gewaltorgie” veranstalten. Überhaupt wurde Gewalt bei den Protesten das Lieblingsthema von Springer-Presse und FAZ – wohlgemerkt nur die Gewalt, die von den Demonstranten ausging. Um die Polizei kümmerte man sich dort lieber, in dem man sie öfter in der Zeitung zu Wort kommen ließ. Die liberalen Zeitungen fragten lieber bei unabhängigen Beobachtern nach.
Das ist alles hochinteressant, liest sich allerdings so prickelnd, wie “quantitative Inhaltsanalyse” klingt. Der Charme einer Doktorarbeit will speziell Ruchts Beiträge nicht ganz verlassen, doch immerhin wird auch er konkreter, indem er etwa einzelne Kommentare aus verschiedenen Zeitungen vergleicht.
Um genau die handwerklichen Fehler, mit denen auch dpa Verwirrung gestiftet hatte (der anfangs erwähnte Redner wollte den Krieg unmissverständlich in die G-8-Diskussion und nicht in die Demonstration bringen), geht es in den Beiträgen zweier Journalisten, die beim G-8-Gipfel dabei waren. Es war mehr als nur ein Fauxpas, dass etablierte Medien falsche Polizeiangaben ungeprüft übernommen haben. So wurden aus zwei verletzten Polizisten gleich Dutzende Schwerverletzte – die Medien verbreiteten auch diese Meldung. “In einigen Fällen bevorzugten Redaktionen sogar diese Berichte, obgleich diesen von den eigenen Reportern vor Ort widersprochen wurde”, sagt Rucht.
Über mögliche Gründe für diese Fehler macht sich auch taz-Redakteur Daniel Schulz in einem Kapitel Gedanken – Bequemlichkeit? Zeitdruck? Eitelkeit? Selbstkritik ist angebracht für Journalisten – wenn sie öffentlich geübt wird, umso besser.
D. Rucht u. S. Teune (Hg.): “Nur Clowns und Chaoten? Die G8-Proteste in Heiligendamm im Spiegel der Massenmedien”. Campus-Verlag, 24,90 Euro