2008-05-08 

„Kein Haar gekrümmt“

Wegen Körper- verletzung im Amt stand ein G8-Polizist vor Gericht. Er hatte mit seinen Kollegen eine Blockade aufgelöst.

Bad Doberan Vor dem Amtsgericht musste Hermann O. (alle Namen geändert – d. Red.) erscheinen. Ein großer, kräftiger Mann, fast kahlköpfig. Mitglied einer Spezialeinheit der Polizei. War vor elf Monaten hier in der Gegend im Gipfel-Einsatz. Der Vorwurf: Körperverletzung im Amt. Es war der Abend des 6. Juni 2007. In Hinter Bollhagen verhakelten sich 500 bis 800 Leute zur Sitzblockade. Der Befehl dann war eindeutig: Räumen! Später ging ein Bild durch die Presse. Und Empörung um. Das Foto zeigte Hermann O. Er hatte einen G8-Gegner gepackt – an den Haaren.

Bild: 2. Juni 2007, Rostock

Der Beamte schildert das Geschehen. Viermal habe der Einsatzleiter über die Lautsprecher eines Wasserwerfers die Demonstranten aufgefordert, die Straße zu verlassen. Diese dann über Mittel der staatlichen Gewalt informiert: Wasserwerfer, Pfefferspray, Schlagstock. Und als die Worte keine Wirkung zeigten, begannen die Werfer „zu sprühen“. Ein späterer Zeuge, im Dienstgrad höher, brachte eine Bezeichnung fertig, die noch softiger war. „Die Demonstranten wurden beregnet. Um sie zu beruhigen.“ Wie auch immer, der Guss war wenig hilfreich und Hermann und seine Mannen mussten in den Kessel, diesen auflösen, mit „unmittelbarem Zwang“ und „unter Einsatz von körperlicher Gewalt“. Natürlich erst ansprechen. Und da war eine Person, die nicht hören wollte und komplett mit Armen und Beinen anderer sich verknotet hatte, nicht weg zu bringen von der Stelle. Und als die plötzlich anfing, zu klammern und zu beißen, so Herrmann O., habe er einen Spezialgriff bringen müssen. Worauf sein Blockade aussitzendes Gegenüber wegsackte und der Polizist „irgendwie“ mit den Händen in die Haare kam, „nur für einen Moment“. Ausreichend für einen Schnappschuss, der entscheidend für seine Zukunft sein sollte.

Gleich nach Veröffentlichung des Fotos wurde er abgezogen, „Überstunden abbummeln“. Dann in eine andere Einheit versetzt, die nicht seinen Qualifikationen entspricht. „Dabei habe ich der Person kein Haar gekrümmt“, beteuert Hermann O. Ja, die Stimmung sei aufgeheizt gewesen. Beschimpfungen gab es. Und mehr. Er weiß von einer Kollegin, die mit vom eigenen, entwendeten Pfefferspray verletzt worden war und von einem Polizisten, dem nach dem Einsatz ein Zahn fehlte.

Der Zeuge, Einsatzleiter an jenem Abend, bestätigt die Vorgehensweise der Polizei. Die Lage sei aber verhältnismäßig ruhig gewesen. Man habe keinen Zeitdruck gehabt. Einmal sei ein mit Steinen gefüllter Sack geflogen gekommen. Nein, Schlagstöcke wurden nicht eingesetzt. Wäre unverhältnismäßig gewesen. Das bestätigt ein mitgebrachtes Video, das nach kurzen Sequenzen aber klemmte. Offensichtlich vertragen sich Polizeifilme und Justiztechnik nicht. Worauf der Richter nun seinerseits dem Gerät Gewalt androhte, dann aber, als Pragmatiker bekannt, alle Anwesenden in sein Büro und dort an den Computer lud. Und plötzlich war alles wieder da. Der Gipfel der Erinnerung: Menschenknäuel am Boden, strampelnde Beine, aufgerissene Münder, schwer schleppende Polizisten. Der eigentliche Vorgang, der haarige, war auf dem Streifen nicht zu sehen.

„Ein Zeitlupenstrafrecht, das jedem Beteiligten an den Gipfelauseinandersetzungen die konkrete Schuld nachweist, kann es nicht geben“, sagte der Richter, der selbst in jenen Tagen im Einsatz war und offensichtlich einiges gesehen hatte – auf beiden Seiten. Und will, betonte er, Amtsträger genauso behandelt wissen, wie G8-Gegner, von denen viele Rechtsverletzungen begangen hätten, wie Nötigung durch Sitzblockaden und Verstoß gegen Vermummungsverbot und Versammlungsrecht, aber straflos davon gekommen wären. Er schlug vor, das Verfahren einzustellen, ohne Auflagen. Die Staatsanwältin konnte da mitgehen. Im Nachgang brachte der Mann in der schwarzen Robe gegenüber dem höheren Polizeivorgesetzten seine Verwunderung darüber zum Ausdruck, dass die Behörde Herrmann O. offenbar eiligst bestraft hatte. Denn es gelte immer noch der alte Justizgrundsatz: Im Zweifelsfalle für den Angeklagten.