2008-05-06 

Gerichtsverhandlung : ASEM-Gipfel-Protest

Am 28.05.2007 fanden sich in Hamburg tausende Menschen zusammen um gemeinsam als Auftakt zum G8 gegen das EU-Treffen und dem ASEM-Gipfel zu demonstrieren. Hausdurchsuchungen in linken Projekten im gesamten Land, §129a-Verfahren, Angekündigte Bedrohung vieler Freiräume in Europa, starke Übergriffe auf die Demonstration, ein Polizist der die Waffe zog heizten die Stimmung im Vorfeld zu weiteren gefühlsgeladenen Protest im Laufe des Tages an. Die Mehrheit der TeilnehmerInnen bewegte sich in Richtung Rote Flora. Einige wenige brachen aus dem Mainstream aus und beschlossen aus dem Konsens heraus das System als solches wie es ist abzulehnen, ihre Meinung in die Konsumzonen und Bonzenviertel der Stadt tragen zu wollen wo sie von Menschen gehört werden könnte, die legitimieren dass die Gesellschaft so organisiert wird wie sie ist: In GewinnerInnen und VerliererInnen.
"Angeklagt ist eineR - gemeint sind wir alle!"

Bild: Hamburg

Mit der Räumung des Ungdomshuset am 01.03.2007 als Symbol der vorsätzlichen Zerstörung eines Bedürfnisses nach einer Gesellschaft in der sich Menschen ergänzen können und nicht bekämpfen müssen; der Bedrohung der Köpi, Rigaer-Strasse und anderen Projekten im Blickfeld Feiräume für eben solche Gesellschaftsmodelle erhalten und ausbauen zu wollen; die Erinnerung an Repressionen vergangener Jahre in Strassenzügen in denen es mal Bauwagenplätze und andere subkulturelle Alternativen gab die ein reales Modell für eine andere Gesellschaft darstellten im Hinterkopf, liess ich mich entschlossen fixiert auf das was mir wichtig ist auf die Protest-Atmosphäre um mich herum ein, ohne mich unüberlegt an ihr zu beteiligen aber auf keinem Fall ihr entziehen zu wollen. Mein persönliches Ziel an jenem Tag: Das was ich liebe in Form von Bewahrung zu gewinnen und Einflüssen die mich zwingen könnten dies zu verlieren abzustellen.

Der Moment mit so vielen vermeintlich gleichgesinnten Menschen durch die Stadt rennen zu können um der Sterilität und Perspektivlosigkeit die sich schon 2002 in den WählerInnen des Innensenators Ronald Schills manifestierte etwas entgegen setzen zu können und die nicht nur von ihm propagandierten Ordnung durch auffahrende Wasserwerfer und panischem Sirenengeheul mit einen Hauch an Chaos einen winzigen Schritt zurück pusten zu können lies, wenn auch nur wenige Minuten, die Parole des Transpis auf der vorherigen Demo "Total Freedom" für mich wahr werden. Als der Staat wieder alles auffuhr um jeden ausserplanmässigen Moment zu unterbinden, versuchte ich zufrieden das Beste draus zu machen und mich auf die Veränderung des Ganzen durch mein einbringen im Kleinen zu konzentrieren, bloss nicht stehen bleiben, bloss nicht wieder mit dem Mainstream in langweilige Normalität in Form von Baugittern vor der Flora wie jedes Jahr beim Schanzenfest aufgehen, niemals wieder in einem beschränkten Sichtfeld an Plastikpalmen und einbetoniertem Rasen das Gefühl von Freiheit vorgekaukelt bekommen. Weg von der Masse.

"In Bewegung bleiben!" - Autonom (unabhängig) sein!

Wenige Zeit später wurde ich von PolizistInnen eingekesselt und mit mehreren anderen Menschen festgenommen.
Ich wurde in die Polizeiwache nach Stellingen ans äusserste Ende der Stadt gebracht. Ein Telefonat wurde mir verwährt. Was mir vorgeworfen wird wurde mir nicht erläutert. Immer wieder legte ich Widerspruch dagegen ein dass Beamten behaupteten dieses oder jenes bei mir gefunden zu haben. Immer wieder wies ich die Beamten darauf hin dass sie gegen demokratische Rechte verstiessen indem sie mein körperliches Wohl missachteten, ich mich nackt ausziehen müsse, ich nichts zu Essen bekäme usw. usf. Das leider Übliche halt, was niemals Normalzustand werden darf und niemals als gewohnt empfunden werden sollte! Das erste Mal einen wirklichen Überblick was mit mir geschehen sollte bekam ich als ich zu einem Gespräch in ein Büro geführt wurde, in dem zwei Beamten des Staatsschutzes auf mich warteten. Nach dem diese ohne dass ich sie darum gebeten oder ihnen irgend eine Information über mein politisches Umfeld gegeben hätte meinen Anwalt anriefen wurde mir von diesem versichert dass ich nun nach Alsterdorf zur ED-Behandlung gebracht werden würde um danach freigelassen zu werden. Das war gelogen. Es folgte wieder längere Zeit Gefangenschaft in deren Verlauf ich die Entnahme von Genproben schriftlich verweigern sollte, die wenn ich das was ich durch die Zellentür gehört habe unfreiwillig aus unseren konfestierten Kleidungsstücken genommen wurden. Die Akten geben darüber natürlich nichts her. Beunruhigt wurde ich auch über Wortfetzen unserer Handys betreffend. "Damit werden wir noch viel Spass haben" (sinngemäß rekonstruiert). Bereits bei der Entleerung meiner Taschen wurde ich gebeten das Handy zu öffnen und meine SIM-Karte rauszuholen, was ich verweigert hatte. Irgendwann wurde ich gemeinsam mit den anderen Gefangenen in eine Sammelgefangenenstelle gefahren. Diese entpuppte sich als der WM-Knast Stresemannstrasse. Ohne genaue Informationen, von unzähligen so genannten Bereitschaftsbullen umhergeschubst, einer mehr als undemokratischen computerisierten gegen Widerspruch körperlich erzwungenen ED-Behandlung verbrachte ich die folgenden ca. 14 Stunden in Einzelhaft. Weder ein Telefonat noch Kontakt zu anderen Gefangenen war mir erlaubt. Das Hinweisen der Beamten dass demokratische Kontrollen ausgeschaltet waren berührte diese nicht. Irgendwann war die einzige Möglichkeit Informationen zu bekommen ein Besuch meines Anwaltes in einem Nebengebäude. Ich äusserte meinen Schock über die Vorgänge und die Sammelstelle als solche. Er wies die Beamten darauf hin dass ich das Recht hätte etwas zu Essen zu bekommen. Das Hinweisen auf die Tatsache dass kein Haftrichter irgend eine dieser Maßnahmen legitimiert hätte, es nicht mal eine Gefahrenlage auf den Strassen der Stadt gab die das polizeiliche Einsetzen im Rahmen einer "Gefahrenabwehr" billigen könnte wurde ignoriert. So kam ich unter Protest wieder in meinen sehr geräumigen permanent mit Tageslicht beläuchteten Käfig, dessen Vorderseite durch die Plexiglasscheibe durch die davor sitzenden Bereitschaftsbullen gut einsehbar war. Alle Wände oben wie unten waren weiss gekachelt und eiskalt. Eine Decke wurde mir verwehrt, nicht mal einen Pullover durfte ich tragen. Ich fühlte mich komplett transparent, so als würde ich nicht mehr als Mensch betrachtet werden sondern nur noch als überwachter Gegenstand. Während meiner Freilassung bekam ich eine Karte ausgehändigt. Dazu die Auflage ausgesprochen mich in dem auf dieser Karte eingezeichneten Bereich nicht aufhalten zu dürfen. Zu Hause begann ich mein Handy zu zerstören da mir die Komponenten hinter dem Akku als zu neu erschienen und sofort ins Auge fielen. Das Risiko eine direktere Abhörfunktion als die üblichen mit mir herum zu tragen war mir zu hoch. Aussagen wurden nicht gemacht. Unterschriften verweigert. Der eingezeichnete Bereich auf der Karte in dem ich mich die nächsten Tage nicht aufhalten dürfe: Die gesamte Innentstadt mit Ausnahme des Hauptbahnhofes.

Auch wenn der Prozess an sich für die allgemeine Linke vielleicht recht uninteressant ist, würde ich gerne die Tatsache dass er ohnehin öffentlich ist nutzen ihn in seiner gesamten Struktur als Lehrbeispiel für staatliche Repression auf jedeR grösseren Aktion öffentlich zu machen und in Form dieses Berichtes der Szene zugänglich machen.

Ende des Jahres folgte dann auch die Anklageschrift:
Verstoss gegen das Waffengesetz, gemeinschaftlicher Diebstahl.

Ich soll im Zusammenwirken mit mehreren unbekannten MittäterInnen Treibstoff von einer Tankstelle gestohlen haben, daraus einen Molotow-Coctail gebaut haben, einen Feuerlöscher entwendet haben und während meiner Festnahme einen Pflasterstein in der Hand gehalten haben. Aus der Akte geht hervor, dass die Videokameras der Tankstelle ausser Betrieb waren. Aus 8 Mitgefangenen wurden unbeteiligte MittäterInnen und gegen mich der Prozess eingeleitet. Der in der Akte vermerkte schwere Landfriedensbruch wurde bisher vor Gericht unter den Tisch fallen gelassen.

Beweise:
Mehrere Polizeibeamte und TankenstellenmitarbeiterInnen als ZeugInnen.Ein Handschuh der bei mir gefunden worden sein soll und der dem selben Treibstoff enthalten soll wie der Inhalt einer Flasche die wohl zu einem Molotow-Coctail funktioniert werden sollte oder eher könnte, und vorher (also der Treibstoff) an irgend einer Tankstelle gestohlen worden sein soll. Bei dem Treibstoff handelt es sich um Diesel. Eine von der Richterin extra beantragte Analyse des Kriminalamtes ergab, dass Diesel schlecht brennt. Auch für mich klang das alles recht lächerlich, ist aber ernster Bestandteil staatlicher Rechtssprechung. Die Presse skandierte "Polizei verhindert Würfe von Molotow-Coctails", szeneintern wurde von Provokateuren gesprochen. Komisch oder nicht, ich wurde gezwungen mich mit diesen Vorwürfen auseinanderzusetzen. Auf die oben erwähnten Anklagepunkte stehen 2-5 Jahre Haft.

Am 25.04.2008 um 14:00 Uhr fand die erste Hauptverhandlung im Amtsgericht Hamburg statt. Die Hauptverhandlung wurde damit begonnen den Antrag meines Anwaltes sich mir als Pflichtverteidiger zuordnen zu lassen abzulehnen. Die Begründung: Das Strafmaß würde eine Geldstrafe nicht übersteigen.
Es wurden drei ZeugInnen angehört. Alle Aussagen ergaben, sie seien sicher dass ich der Täter bin, hätten mich allerdings nicht bei irgend einer Tat eindeutig identifizieren können und könnten nicht bezeugen dass ich überhaupt Teil irgend einer Gruppe in der Nähe gewesen wäre bis zum Moment meiner Festnahme:
Die Tankstellenmitarbeiterin verriet dass sie gar nichts gesehen hätte sondern erst gekommen sei als ihr Kollege sie aus dem Lager gerufen hätte.
Die eine Polizeibeamtin erinnerte sich daran dass es an dem Tag wohl der ASEM - Gipfel war und sie in Alarmbereitschaft gewesen wären. Sie sprach von fliessenden Dienstplänen, davon wie unübersichtlich die ganze Situation meiner Festnahme gewesen wäre und bemerkte bei Nachfrage ob sie sich auf den Prozess vorbereitet hätte dass die Akte aus dem Polizeicomputer gelöscht worden wäre und sie ins Archiv hätte gehen müssen. Ihr Kollege empfand den Tag als normaler Dienstalltag, erinnerte sich aber noch an die "SonderBefugnisse". Was diese seien wurde nicht erklärt. Mein Anwalt erklärte mir diese mit dem "Einsetzen des Blaulichtes". Was die Schergen darunter verstehen wird wohl jedeR wissen der jemals von so einer Meute gejagt worden ist. Dem Zeugen wurde vom Staatsanwalt selbst das Fälschen von Berichten belegt und auch die andere Beamtin wurde öfters der Falschaussage überführt. Ohne Konsequenzen natürlich. Bei dem wohl nach aussen wirkendem Partner der Polizeibeamtin könnte es sich schätzungsweise um einen Staatsschutzbeamten handeln da ich davon ausgehe diese Person bereits während der Zeit meines Gewahrsams ebenfalls in ziviler Kleidung gesehen zu haben und er auf meine Verwunderung während den Aussagen der ZeugInnen zb. bzgl. der gelöschten Akte im Polizeicomputer mit Gestik und Mimik während dem Prozess mit deutlichem Wissen darüber reagierte. Sicher bin ich mir allerdings nicht.

Nach dem Anhören der ZeugInnen stellte mein Anwalt noch eine Reihe von politischer Anträge,in denen es um die undemokratischen Bestandteile der polizeilichen Interaktionen während dem ASEM-Gipfel ging. Er lud unter anderem den vor Ort anwesenden Staatsschutz-Beamten als Zeugen. Erwähnte dass ich unrechtmässig und nachträglich von Gerichten auch als solches bestätigt meiner Freiheit beraubt wurde, dass sich PolizeibeamtInnen mehrfach strafbar gemacht hätten und auch dass das Verhindern des Aufsuchens meines Anwaltes da in der "Aufenthaltsverbotszone" sein Büro läge eine Beeinträchtigen eines Strafverfahrens darstellt. In allen Massnahmen sähe er aufgrund der Tatsache dass sie als staatliche Repression definiert werden müssten, eine bereits vorgenommene Bestrafung meiner angeblichen Tat durch den deutschen Staat. Alle Anträge wurden ungeprüft abgelehnt.

Der Staatsanwalt ist sich sicher dass ich vor hatte mit dem laut gerichtlich vorgestellten Tatsache "nicht aktiviertem" Molotow-Coctails einen flächendeckenden Brand zu erzeugen, selbst wenn ich vor gehabt hätte diesen nachträglich mit dem Feuerlöscher wieder zu löschen, um Polizeibeamten oder staatlichem Eigentum schweren Schaden zuzufügen. Er sieht in den ZeugInnen-Aussagen keine Unglaubhaftigkeit und der Beweis dass ich als Einzelperson organisierter Kräfte während dem ASEM-Proteste war und in ihnen vor hatte die Republik in ihrem kapitalistischem Betrieb zu stören in dem angeblich bei mir gefundenen Handschuh. Die Verhandlung endete widersprüchlig zur Ablehnung des Antrages zu Beginn mir einen Pflichtverteidiger zuzuordnen, was bei einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr nunmal gesetzlich garantiert ist, im Schlussplädoyer forderte der Staatsanwalt eine Mindesstrafe von 10 Monaten Haft ohne Aussicht auf Bewährung zu verhängen. Mildernde Umstände sähe er nicht. Die Verhandlung wurde vertagt.

Aufgrund des schwer brennbaren Diesels und der schlechten ZeugInnen-Aussagen bestätigte die Richterin abermals meinem Anwalt in einem persönlichem Gespräch nach der Verhandlung dass wohl nicht mit mehr als einer Geldstrafe zu rechnen sei, jedoch was vor Gericht letztendlich passiert wenn ich keine Aussage mache und die Staatsanwaltschaft weitere Beweise herbei inziniert steht weiterhin offen. Die eine Polizeibeamtin bezeugte dass die Tatsache dass ich mich immer wieder um das Wohlbefinden der anderen Gefangenen informiert hätte Grund wäre mich der Gruppe zuzuordnen und zudem wären wir ja alle gleich gekleidet.

Ich habe lange mit mir gerungen persönliches in den Artikel mit reinzunehmen. Ich empfinde es leider unumgänglich die folgenden Zeilen zu formulieren.

Die Tatsache dass ich bereits bei meiner Festnahme das Gefühl hatte dass es kein Bedürfnis gibt sich gemeinschaftlich solidarisch gegen die gemeinschaftlich erfahrene Repression zu organisieren und auch später unbeteiligtes Hinnehmen, sogar unsolidarische Kommentare ala "Betrifft mich ja nicht" (liebe Grüsse an den jungen Menschen aus der örtlichen Antifa-Szene.) kamen ließen mich mit dem Gefühl zurück dieser Repression ziemlich machtlos entgegen zu stehen. Da ich aus jahrelanger politischer Praxis und gutem Kontakt zur Roten Hilfe weiss dass Repression darin besteht die Menschen dahin zu bekommen sich gegenseitig zu diskreditieren, sich von politischen Aktionen aufgrund angeblich analysierter Charaktereigenschaften der Agierenden zu entsolidarisieren möchte ich weiterhin nicht glauben dass der Herrschaftsapparat von irgend jemanden den ich auf einer antikapitalistischen Demo antreffe legitimiert wird sondern sehe die leider noch möglichen Handlungen eines jeden Staates die Einschüchterung auf Einzelne in Form von Anklagen, Entführungen, Einsperrungen und längerer Gefangenschaften abzuwälzen um diese repräsentativ für das Ganze zu bestrafen dadurch realisiert, aktive Menschen in Isolationen ihrer eigenen Wahrnehmungen zu schicken und dadurch solidarische Prozesse zu verhindern. Leider musste ich im letzten Jahr auch immer noch feststellen, dass selbst die Mehrheit in politisch deklarierten Szenegruppen nicht den Eindruck erwecken revolutionär zu agieren, ihrem politisch selbst auferlegtem Anspruch nicht gerecht werden und somit in meinen Augen das System in seinem vollen Ausmaß grundlegend tolerieren und ermöglichen. Daher beschloss ich die Verhandlung alleine durchstehen zu wollen. Erst durch das solidarische Grundverständnis einiger FreundInnen aus meinem direkten Umfeld, VertreterInnen von Solidaritätsorganisationen wie der Roten Hilfe und meinem Anwalt den ich unendlich schätze war es mir möglich selbstbewusst dem Gericht entgegenzutreten.

Ich möchte mich daher an dieser Stelle bei all diesen und anderen Menschen bedanken die politische Grundverständnisse leben und mir seit Jahren Kraft geben mich permanent ununterbrochen politisch einzubringen zu können! Danke dass ihr an die Sache glaubt!

Der Prozess wird am 08.05.2008 um 12 Uhr im Amtsgericht Hamburg (Raum noch unbekannt) fortgeführt.

[http://de.indymedia.org/2008/05/216198.shtml]