2008-04-07
"LKA war sehr erfreut über die Freiheitsentziehung"
G8-Gegner in Potsdam verurteilt. Anwalt sieht "deutliche Widersprüche" bei dem Verfahren. Polizei erkennt "eine amtsbekannte Führungsperson der linken Szene". Für Richterin ist somit alles klar...
In erster Instanz endete am vergangenen Montag der Prozess gegen einen linken Aktivisten beim Amtsgericht Potsdam. Zwei Polizisten hatten gegen ihn Anzeige wegen "versuchter gefährlicher Körperverletzung, besonders schwerem Landfriedensbruch und Sachbeschädigung" erstattet. Er wurde nun zu neun Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und hundert Sozialstundenleistung verurteilt. Der Anwalt des Beschuldigten wird nun die Einlegung von Rechtsmitteln gegen das Urteil prüfen lassen.
Der Angeklagte soll bei einer Demonstration versucht haben, zwei Polizisten mit einer Fahnenstange in die Halsgegend zu stechen. Er hatte an einer Demonstration gegen die Politik der G8 anlässlich der Außenministerkonferenz in Potsdam am 30.Mai 2007 teilgenommen. Eingesetzt war an dem Tag die 12. Berliner Bereitschafts-Polizeieinheit. Deren stellvertretender Leiter kannte den Angeklagten nach eigenen Aussagen bereits, und schätzte ihn mit eigenen Worten als "eine amtsbekannte Führungsperson der linken Szene" ein. Bei einem Durchbruchversuch der Demo gegenüber der Polizei soll der Aktivist dann die zwei Beamten attackiert haben. Nach seiner Festnahme wurde Untersuchungshaft beantragt, die der örtliche Staatsanwalt jedoch ablehnte. Bei sechs Prozeßtagen wurde nun in diesem Jahr über die Tatvorwürfe verhandelt. Der Beschuldigte hatte in den vergangenen Jahren in Berlin und der umliegenden Region zahlreiche Sozialproteste organisiert. Nach Einschätzung einer Prozeßbeobachterin sei der Versuch seitens der Staatsgewalt augenfällig, ihn bei weiteren Aktionen zu blockieren. Dafür spreche auch der Satz, den ein Beamter nach der Festnahme ins Protokoll gab: "Das LKA Berlin zeigte sich sehr erfreut über die Festnahme mit einem doch schwerwiegendem Delikt."
Der Verteidiger spricht von "deutlichen Widersprüchen" bei der Verhandlung. So wurden während des Verfahrens zwei Videobänder vom Hergang der Demonstration gezeigt, beide von Dokutrupps der Polizei selbst. Auf den Videos war die vermeintliche Tat nicht zu sehen, obwohl der beschuldigte Aktivist mit der Fahne zumeist im Bild war. Als der Verteidiger das Videomaterial zur Befragung eines Polizeizeugen nutzte, "relativierte dieser seine Aussage über die Tatzeit, um sie mit dem Video in Einklang zu bringen". Auch die Angaben der beiden Polizeizeugen zur Länge der Fahnenstange differierten beträchtlich.
Der Anwalt weiter: "Die Richterin hat sich mit den Widersprüchen bei den Aussagen nicht auseinandergesetzt, und fand die beiden Polizeizeugen glaubhaft. Nach meiner Ansicht wird mit diesem Prozess ein Aktivist der politischen Linken kriminalisiert. Im konkreten Fall ging es wohl auch darum, ihn von der Fahrt nach Heiligendamm abzuhalten."
Die Außenministerkonferenz in Potsdam fand kurz vor der G8-Tagung in Heiligendamm statt.
g8verhandlung2008 [at] yahoo.de
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