2008-03-10 

Hetze gegen Klima-Camp bei Heathrow hat Nachspiel

Der britische Presserat befaßt sich mit der umstrittenen Berichterstattung über ein englisches Klima-Camp

Die Medienhetze gegen die Aktivisten eines Klima-Camps, das Mitte August vergangenen Jahres in der Nähe des Flughafens Heathrow in London als Protest gegen den geplanten Bau einer dritten Landebahn errichtet wurde, hat ein presserechtliches Nachspiel. Am heutigen Mittwoch befaßt sich die britische Press Complaints Commission (PCC), ein Pendant zum Presserat in Deutschland, sinngemäß mit der Frage, ob die Zeitung "London Evening Standard" den Boden journalistischer Seriosität verlassen und falsche Behauptungen über die Klimaaktivisten in die Welt gesetzt hat.

Die Zeitung hatte die Camper beschuldigt, sie gefährdeten wissentlich das Leben von Millionen Menschen, da sie auf den Flughafen vordringen und dort an verschiedenen Stellen Bombenattrappen platzieren wollten. Gleich auf der ersten Seite "informierte" das Blatt darüber, daß sich die Aktivisten mit der Absicht trügen, während "dieser geschäftigsten Zeit des Jahres" verdächtige Päckchen zu verteilen, um auf diese Weise ein Maximum an Störung zu erzielen. Darüber hinaus hätten sie geplant, die Sicherheitszäune des Flughafens anzugreifen, um die polizeilichen Ressourcen bis an die Grenze zu strapazieren.

Diese Behauptungen stammten von einem Journalisten namens Rashid Razaq, der eine Nacht undercover in dem Lager verbracht hatte und nicht nur die Aufforderung zu den oben genannten kriminellen Delikten vernommen, sondern auch gesehen haben will, daß zwei Aktivisten den Zaun um das Flughafengelände auskundschafteten.

Wie George Monbiot am Dienstag für die britische Zeitung "The Guardian" schrieb, stecken Razaqs Behauptungen voller Widersprüche. Entgegen seiner Angaben waren er und sein Kollege Sebastian Meyer auf ihrer Fahrt zu einer Tankstelle dem Zaun um das Heathrow-Gelände gar nicht nahe genug gekommen, als daß sie dort irgendwelche Gesichter hätten identifizieren können. Schon von daher ist die Erklärung in Zweifel zu ziehen, daß die Journalisten Personen aus dem Lager wiedererkannt haben. Außerdem hatte die Zeitung zunächst behauptet, zu dem besagten Zeitpunkt sei es sehr hell gewesen - auf die Frage Monbiots, warum denn der professionelle Fotoreporter Meyer keine Aufnahmen von den Verdächtigen gemacht hätte, erwiderte der Herausgeber der Zeitung jetzt allerdings, daß es dazu zu dunkel gewesen sei.

Die Geschichte über die Bombenattrappen ist ebenfalls widersprüchlich. Mal soll die Aufforderung dazu von einem Aktivisten, weiß, Ende 20, gekommen sein, ein andernmal von einer Frau in den dreißigern. Darüber hinaus seien die Notizen, die Razaq noch vor Ort gemacht haben will und die der PCC vorliegen, nicht mit dem aktuellen Datum versehen, sondern mit dem 13. August, was einen Tag nach den behaupteten Vorkommnissen war, schrieb Monbiot, der seine Angaben teils von den Organisatoren des Klima-Camps hat. Die machen noch auf eine Reihe weiterer Ungereimtheiten aufmerksam. So fanden sie heraus, daß Razaq offensichtlich einen recht dehnbaren Begriff von seriöser journalistischer Recherche besitzt, denn es war nicht das erste Mal, daß er einen Bericht stark übertrieben, um nicht zu sagen, gefälscht hat.

Wie auch immer die PCC entscheiden wird, der Imageschaden ist angerichtet und kaum noch aus der Welt zu schaffen. Zahlreiche weitere Zeitungen hatten Razaqs Behauptungen aufgegriffen und im ganzen Land verbreitet, darunter "Sun", "Mail", "Express", "Telegraph" sowie die BBC. Der Ruf der Klima-Aktivisten war ruiniert, sie wurden erfolgreich in eine kriminelle, ja, sogar terroristische Ecke gestellt. Tatsächlich waren die Sicherheitskräfte darauf eingeschworen worden, nach den Antiterrorgesetzen gegen die Bewohner des Camps vorzugehen.

Selbst wenn irgend jemand in dem Lager vorgeschlagen haben sollte, das zu tun, was Razaq behauptet hat, so hätte das noch lange nicht bedeutet, daß dies bei den anderen Aktivisten auf Konsens gestoßen wäre. Im Gegenteil, es wäre sogar damit zu rechnen gewesen, daß derjenige ausgegrenzt worden wäre, denn die Klimaschützer hatten zwar "direkte Aktionen" und Maßnahmen des "zivilen Ungehorsams" angekündigt, aber ausdrücklich betont, daß der Zaun um den Flughafen während der Dauer des Camps nicht überschritten werden sollte. Die Proteste sollten friedlich bleiben und "die Sicherheit am Flughafen nicht beeinträchtigt und Passagiere nicht gestört werden" (Telepolis, 12.8.2007).

BBA, die Betreibergesellschaft des Flughafens, hatte im Vorfeld der Aktionen versucht, das Lager zu verhindern, und sich nicht gescheut, Parallelen zu Terrorgefahren in Bagdad zu ziehen, war aber vor Gericht mit ihren Forderungen zur Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit weitgehend abgeblitzt.

Ungeachtet dessen war dem Guardian (11.8.2007) ein Dokument zugespielt worden, demzufolge die Polizei Maßnahmen gegen Demonstranten ergreifen wollte, die teils schon vor acht Jahren als Antiterror-Gesetzgebung eingeführt wurden. Dazu gehörte die verdachtsunabhängige Kontrolle von Personen und Fahrzeugen und das Fotografieren aller, die das Lager betreten wollten. Die Polizei verstieg sich sogar zu dem verqueren Argument, daß eine große Zahl von Demonstranten am oder in der Nähe von Heathrow ihre Möglichkeiten, (echten) Terrorgefahren zu begegnen, einschränken würde.

Eine Umweltschützerin, die auf ihrem Rad am Flughafengelände entlanggefahren ist, wurde auf der Grundlage des Antiterrorgesetzes 30 Stunden inhaftiert. Und gegen Ende der einwöchigen Aktionen rückten die berittene Polizei und andere Aufstandsbekämpfungseinheiten mit großer Härte gegen die Demonstranten vor.

Am Beispiel dieses Klima-Camps wird deutlich, daß die Anti-Terrorgesetze auf immer mehr gesellschaftliche Bereiche, in denen Menschen gegen die vom Staat ergriffenen Maßnahmen protestieren, ausgedehnt werden. Das gilt selbstverständlich nicht nur für England, wie der Einsatz der Bundeswehr beim G8-Gipfel im vergangenen Jahr in Heiligendamm gezeigt hat. Der Trick der Staatsgewalt und ihrer Wasserträger in der Presse besteht gewöhnlich darin, unliebsame Personen, gesellschaftlich geächtete Außenseiter oder Randgruppen, die über keine Lobby verfügen (seien es vermeintlich gewaltbereite Demonstranten, sogenannte Terroristen, mutmaßliche Pädophile, Schwerkriminelle, Sozialbetrüger, etc.) als Vorwand für weitere rechtliche Einschränkungen der Möglichkeit des einzelnen, dem Leviathan entgegenzutreten, zu nehmen.

Demonstranten, insbesondere wenn sie von "links" kommen, werden zunehmend in die Nähe des Terrorismus gerückt. Das sich über viele Stunden erstreckende Einpferchen von Demonstranten beim G8-Gipfel in Drahtverschlägen, die Ähnlichkeiten mit den Käfigen des US-Gefangenenlagers Guantánamo besaßen, ist nicht nur Form, sondern Inhalt. Um die auf die Menschheit zukommenden Versorgungsengpässe und zu erwartenden administrativen Regulationen zu überstehen, sind Menschen erforderlich, die sich einschüchtern lassen und möglichst in vorauseilender Unterwürfigkeit bedingungslos alles schlucken, was ihnen vorgesetzt wird.

Wenn die Obrigkeit für den wohlhabenderen Teil der Gesellschaft, der sich überhaupt Flugreisen leisten kann, eine dritte Landebahn am Flughafen Heathrow bauen will, haben die Bürger freiwillig zu weichen, schweigend ihre Häuser aufzugeben und sich woanders neu anzusiedeln. Der neue Menschenschlag soll fügsam bis zur Selbstaufgabe sein. Umweltschützer passen nur dann in dieses Bild, wenn sie freiwillig behördliche Überwachungsfunktionen übernehmen und beispielsweise Fahrverbote in Umweltzonen kontrollieren, nicht aber, wenn sie als Teilnehmer eines Klima-Camps über Fragen diskutieren, wie die Zukunft anders gestaltet werden kann als auf die vorgegebene Weise. Denn die führt, wie das Beispiel Heathrow zeigt, zu mehr Flughäfen und damit mehr klimaschädlichen Aktivitäten, obgleich selbst die etablierte Wissenschaft sagt, daß Treibhausgasemissionen entscheidend zur globalen Erwärmung der Erde beitragen.

5. März 2008

[http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umkl-317.html]