2008-02-12 

Prozess gegen Versammlungsleiterin Siko 07

Heute fand im AG München ein Prozess gegen die Versammlungsleiterin der letztjährigen internationalen Grossdemonstration gegen die NATO-Kriegskonferenz in München statt.
Ihr wurde vorgeworfen, ihr Pflichten als Versammlungsleiterin nicht erfüllt zu haben, weil sie deutlich gemacht habe nicht hinter den Auflagen der Polizei zu stehen.

Der Richter begründete den Schuldspruch auch mit der Körperhaltung der Angeklagten.

Vor dem Prozess fanden sich ca. 20 solidarische Personen aus verschiedenen Spektren der Linken zu einer kuren Kundgebung ein, bei der thematisiert wurde worum es in diesem Prozess geht: Das VersammlungsleiterInnen zu Hilfsbullen gemacht werden sollen, das ein Bestandteil der Kriminalisierung des Widerstandes gegen die Siko ist. Um sich zu vergegenwärtigen, was im Februar 2007 konkret passiert ist, empfehel ich diese Nachbereitung: http://de.indymedia.org/2007/02/168556.shtml
Konkret heisst es hier: “Bei den verschiedenen Versuchen,die Bullen aus der Demo und von der Straße abzudrängen hat unsere Demoleitung den Block tatkräftig unterstützt, was alle ziemlich begeistert hat. Aber auch von der BeobachterInnenstruktur und von den DemoteilnehmerInnen die um den Block herum unterwegs waren erfuhren wir im Block viel Unterstützung, immer wieder mischten sich in brenzligen Situationen Leute von aussen ein.”

Zum eigentlichen Prozessauftakt kamen noch einige GenossInnen mehr, so dass der Gerichtssaal mit solidarischem Publikum gefüllt war. GenossInnen, die keinen Sitzplatz fanden wurden vom vorsitzenden Richter Müller hinausgeschickt, er weigerte sich pragmatisch mit dem grossen öffentlichen Interesse an dem Prozess umzugehen und in einen grösseren Saal umzuziehen oder halt ein paar Leute stehen zu lassen.

Nach diesem Vorgeplänkel verlas Staatsanwalt Lutz die Anklageschrift. B. sei als Versammlungsleiterin dafür verantwortlich gewesen, die Demoauflagen durchzusetzen, insbesondere dass nur themenbezogene Durchsagen vom Lauti kommen und das keine Seitentransparente getragen werde dürfen. Dazu sei sie verpflichtet, “intensiv mit der Polizei zusammen zu arbeiten.” Sie habe aber “deutlich gemacht, dass sie nicht hinter den Auflagen stehe” und zugelassen dass vom Lauti gegen die Cops gehetzt wurde.

Als B. danach ihre Prozesserklärung verlas, wurde sie nach dem ersten Satz vom Richter unterbrochen, sie solle bei der Sache bleiben und nichts “abseitiges” von sich geben, weiter behauptete er “ihre und meine politsche Einstellung spielen hier keine Rolle.” Im Prozess wurde später mehr als deutlich, dass die obrigkeitsstaatliche Einstellung des Richters sehr wohl eine Rolle spielte, und das andere durchaus “Abseitiges” von sich geben durften. Aber der Reihe nach.
In ihrer Erklärung ging B. darauf ein, was die Siko eigentlich ist, und warum seit Jahren Menschen dagegen auf die Strasse gehen. Weiter berichtete sie davon, dass die Demos mit der Regelmässigkeit eines von der Polizei angegriffen werden, dass vor und nach den Demos Jagd auf DemoteilnehmerInnen gemacht wird, und das es ihr als Versammlungsleiterin in diesen Situationen nie möglich war den Einsatzleiter der Polizei zu erreichen.
Sie bennante konkret 2 Beispiele für klar rechtwidriges Vorgehen der Bullen: Einmal kletterten ’07 Bullen über geparkte Autos um die Demo anzugreifen, dabei wurden diese beschädigt. Diese Beschäfdigung wurde der Demo angelastet, und taucht in der Gefahrenprognose zum diesjährigen Auflagenbescheid auf – als Argument für einen Wanderkessel. Zweitens werden immer wieder Leute aus der Demo Portaitmässig abgefilmt, ohne das dafür eine rechtliche Grundlage gegeben ist.
Angesichts dessen, so B. “erscheint es lächerlich, wenn VersamlungsleiterInnen Polizeiaufgaben erfüllen müssen”
Über diese politsche Erklärung hinaus macht B. keine Angaben zur Sache.

Als nächstes wurde ein Polizeivideo gezeigt, dass einen Überblick über die Demo geben sollte. Dbei war der Belastungszeuge Kommissar Müller anwesend, und kommentierte immer wieder das Geschehen im Film. Seine Aussagen waren allesamt stark tendenziös und wertend, hatten teilweise auch nichts mit der konkreten Anklage zu tun, ohne dass der Richter wegen “abseitigen” Äusserungen einschritt.
Der Zeuge beschwerte sich dabei immer wieder über zwei GenossInnen, die ‘07 kurzzeitig die Moderation im Bündnislauti übernommen hatten: “Da wird sauber gegen die Polizei gehetzt.” Seiner Meinug nach waren beide bekannt als "Einpeitscher, das geht im einen fort mit ’no justice, no peace, fight the police’ und niemand tut was." Womit er sich das Urteil darüber anmasst, welche Aussagen themenbezogen und welche “Hetze” sind.
Weiter bemängelte er, dass B. nicht persönlich Seitentranspis und Seiel eingesammelt habe, sondern viel mehr einen Zivicop aktiv aus der Demo schob – Der Zeuge hatte zu diesem Vorfall extra Fotos ausgedruckt und mitgebracht.
Im Zusammenhang mit einer Durchsage bemängelte der Zeuge, dass B. diese mit den Worten “Ich soll durchsagen …” begonnen habe.
Insgesamt gab Kommissar Müller in einem fort allgemeine Einschätzungen und Wertungen ab, ohne dafür vom Richter in irgendeiner Art und Weise gemassregelt zu werden. Diese Wertungen wurden vom Richter dann in der Urteilsbegründung komplett übernommen.

Der Staatsanwalt, der sich bis dahin nicht aktiv am Prozess hatte beteiligen müssen, verlas dann sein Plädoyer – 50 Tagessätze a 40 €, die Begründung war wie gehabt.
Die Rachtsanwältin Lex forderte dann einen Freispruch für B. Sie führte aus, dass eine Verurteilung einen massiven Eingriff in das Demonstrationsrecht bedeuten würde.
Die Polizei kann demnach nicht beurteilen, was denn themenbezogen ist, und hat kein Recht eine Versammlung zu zensieren. Grundsätzlich ist das Verhalten der Polizei bei einer Versammlung themenbezogen. Auflagen müssen laut Gesetz von den LeiterInnen nur im Rahmen iherer rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten durchgesetzt werden, irgendwem ein Transpi aus der Hand reissen darf die Demoleitung schlichtwegs nicht. Da B. mehr als einmal durchgesagt hat, dass Seitentransparente nach Auflagenbescheid verboten sind, hat sie in dieser Hinsicht ihre Verpflichtung übererfüllt.
Das Versammlungsgesetz sieht bewusst nur in krassen Fällen eine Strafbarkeit der Versammlungsleitung vor, was der Staatsanwalt in seinem Plädoyer komplett ignoriert hat.

B. wurde zu 40 Tagessätzen verurteilt, in der Begründung sagte der Richter, er hätte vielleicht eine Einstellung angeboten, aber die Körpersprache der Angeklagten habe eine “aggressive, hetzerische” Stimmung erzeugt.
der Richter ging in der Begründung mit keiner Silbe auf die von der Verteidigerin angeführten Bedenken im Bezug auf das Versammlungsgesetz ein. Vielmehr übernahm er bis in den Wortlaut die Einschätzung des Polizeizeugen, einige Ansagen vom Lauti seien nicht themenbezogen sondern “Hetze” gewesen. Während der Urteilsbegründung riefen zwei BesucherInnen (sinngemäss) “keine Hetze, sondern Kritik!” und “Sie übernehmen die tendenziösen Aussagen von dem Zeugen!”, und mussten dafür ein Ordnungsgeld zahlen.
In der weiteren Begründung verstieg sich derRichter noch in die Behauptung, einige der Ansagen gegen die Polizei seihen menschenverachtend gewesen.

Vieles an diesem Prozess war auch nach bürgerlichen Gesichtspunkten ein Skandal, angefangen damit dass B. nach dem ersten Satz ihrer Erklärung gemassregelt wurde, während der Polizeizeuge eine halbe Stunde lang vor sich hin blubbern durfte. Weiter dass sich das Gericht wie selbstverständlich anmasste, dass Parolen wie “Haut ab!” oder “No justice, no peace …” nichts mit dem Versammlungsthema zu tun haben – was das Thema unserer Versammlung ist, entscheiden immer noch wir, und nicht irgendein bornierter Spiesser.
Das der Richter Müller auch die Sitzhaltung von B. für “hetzerisch” befindet, ist vielleicht nur noch mit gesteigerter Verblödung zu erklären.
Last not least: Geht es nach diesem Urteil, machen sich VersammlungsleiterInnen die nicht den Hilfssheriff spielen strafbar. Es muss klar sein, dass wir das denen, die für uns unsere Demos anmelden nicht zumuten können. Deshalb ist es wichtig dass wir alle die juristischen und politischen Auseinandersetzungen um diese Frage nach Kräften unterstützen.

http://no-nato.de

[http://de.indymedia.org/2008/02/207806.shtml]