2008-02-10 

Beobachtergruppe zur Sicherheitskonferenz

PRESSEINFORMATION vom 07.02.08

Sehr geehrte Damen und Herren,

bei der “Münchner Sicherheitskonferenz” dokumentiert und beurteilt seit
Jahren eine Gruppe von Abgeordneten, ÄrztInnen, JournalistInnen,
JuristInnen, TheologInnen und Angehörigen von Menschenrechtsgruppen, wie
die DemonstrantInnen ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen,
und wie die Polizei es garantiert. Sie kennen die Arbeit der
OSZE-Wahlbeobachter, und beim letztjährigen G8-Gipfel in Heiligendamm
haben Sie die JuristInnen des Republikanischen Anwältevereins gesehen,
die die Rechtmäßigkeit der Proteste und des polizeilichen Vorgehens vor
Ort beobachteten. Andernorts sind es die “Pastorengruppe bei den
Castorentransporten” oder das Komitee für Grundrechte und Demokratie,
die in bürgerrechtlicher Tradition “Demo-BeobachterInnen” stellen.

Unsere (Münchner) Pressemitteilung direkt im Anschluß an die vorjährige
Sicherheitskonferenz finden Sie am Fuß nochmals wiedergegeben. Sie
stellt unsere (überwiegend leider regelmäßig wiederholten)
hauptsächlichen Kritikpunkte mit Kenntnisstand direkt nach den
(vorjährigen) Demonstrationen zusammen.

Unser Schreiben an die Mitglieder des Münchner Stadtrats mit der Bitte,
auf eine Zivilisierung des Polizeieinsatzes hinzuwirken, finden Sie
unten, zusammen mit der freundlichen Antwort des Stadtvorsitzenden der
Freien Wähler Michael Piazolo. (Seine KollegInnen hatten noch keine
Gelegenheit zu reagieren.)

Bitte achten Sie mit uns darauf, daß Menschenleben nach Kräften geschont
werden: Im Nachgang auf die in paramilitärischer Weise durchgeführten
in-Gewahrsamnahmen nach Abschluß der vorjährigen Demonstration hatte die
stellvertretende Vorsitzende des Landtags-Innenausschusses MdL Helga
Schmidt-Bussinger beim zuständigen Innenminister nachgefragt, wie sich
vermeiden läßt, daß in Gewahrsam genommenen Personen auf dem Bauch
liegend die Hände auf den Rücken gefesselt werden – was nach ärztlicher
Auskunft reflektorisch zu bedrohlicher Atemnot führt. Innenminister Dr.
Günther Beckstein antwortete (am 24.05.07), daß ein “Zu-Boden-bringen
von Personen durch die Polizei … nur praktiziert wird, wenn die
Situation ein derartiges Einschreiten unumgänglich macht.” Unsere
Beobachtung sieht bisher leider anders aus, wir wären geneigt, es für
ein gefährliches Standard-Vorgehen der Polizei zu halten.

In der Berichterstattung hat sich ein unseres Erachtens verharmlosender
Terminus etabliert: oft ist von “Rangeleien” am Rande einer
Demonstration die Rede – als ob gleich Starke oder Gleichrangige
freiwillig eine Rauferei begönnen. Unserer Beobachtung nach verhält es
sich dagegen so, daß man es sich nicht aussuchen kann, ob man als
friedlicher Demonstrationsteilnehmer in die Hände gleich einer ganzen
Einheit durchtrainierter und bestens ausgerüsteter
Bereitschaftspolizisten (oder gar USK-Polizisten) gerät, das passiert
sogar den harmlosesten “Friedensomas”. Im Rahmen ihrer Ausbildung lernen
die kasernierten Polizistinnen und Polizisten, die natürliche
Schlaghemmung zu überwinden (was sicher für manche Einsätze auch
erforderlich ist). D.h. sie schlagen zu, bevor ein friedlicher Mensch
das gewahrt, und es gibt auch Befehle wie “mit den Füßen treten”.
(Demgegenüber blieben durchaus mögliche Gefährdungen durch etwaige
fliegende Flaschen oder Steine von Demonstrationsteilnehmern o.ä. in der
Vergangenheit völlig überwiegend rein theoretisch.)
Die Proteste der Demonstration richten sich gegen die
Sicherheitskonferenz, nicht gegen die Polizei. Unserer Ansicht nach ist
es mehr als ungeschickt, wenn junge und ältere Menschen Jahr um Jahr
Polizei in einer Art und Weise erleben, die sie langfristig auf ein
“Feindbild Polizei” konditionieren wird. Demokratisch fragwürdig ist
auch, wenn der Mehrzahl der rund 70% Bundesbürger, die gegen den
Afghanistan-Krieg sind, signalisiert wird, sie würden sich durch eine
Teilnahme an einer angemeldeten und genehmigten und friedlichen
Demonstration selbst in Gefahr bringen.

Sie tragen mit Ihrer Berichterstattung zur öffentlichen Wahrnehmung bei.
So werden erschreckende Fotos von Polizeigewalt kontextabhängig völlig
gegensetzlich bewertet: die Bildunterschrift bei einem weißrussischen
Foto würde etwa lauten: “Polizei knüppelt Opposition nieder”, und bei
einem identischen aus München: “Vereinzelt gab es Ausschreitungen”. Bei
uns wird einfach unterstellt, daß Polizei nur dann unmittelbare
physische Gewalt einsetzt, wenn sie “unumgänglich” (Beckstein) ist.
Bitte recherchieren Sie diese “Unumgänglichkeit” in jedem von Ihnen
dokumentierten Fall!
Wenn Sie sich selbst ein Bild machen, beachten Sie bitte, falls Sie
erwägen, dies in enger Fühlungsnahme mit der Polizei zu tun, die
Problematik des “embedded journalism”: Es hat sich erwiesen, daß man,
ist man “eingebettet”, sich auch der Sichtweise seiner Partner
verpflichtet fühlt.

Mit freundlichen Grüßen,

Luise Rauschmayer
für die “Beobachtergruppe zur Sicherheitskonferenz”
LRauschmayer@gmx.de (Kontakt bitte per mail)