2008-02-06 

NoLager Bremen: Kurze Antwort auf Jochen Stay

Hallo Jochen,

deine Mail (siehe unten) ist reichlich spät eingetroffen, deshalb können
wir – jedenfalls vorm Klimacamptreffen jetzt am Wochenende – leider nur
knapp antworten, auch wenn es uns eigentlich in den Fingern juckt, mehr
(und ebenfalls zugespitzt) zu schreiben:

1. Selbst wenn es so wäre, dass die VerfechterInnen des so genannten
Mehrsäulencamps unedle Motive wie Neid, Missgunst etc. umtreiben, so
sagt das noch lange nichts über die etwaige Gültigkeit der ins Feld
geführten Argumente aus – inbesondere der These, dass mehrere (nicht
aufeinander abgestimmte) single-issue-events im Jahr 2008 keine
angemessene (und somit nachhaltige!) Antwort auf das enorme politische
Potential sind, welches durch die spektren- und bewegungsübergreifende
G8-Mobilisierung entstanden ist.

2. Dass du ausgerechnet antirassistischen Zusammenhängen nachsagst, sie
kämen mit dem Umstand etwaiger politischer Marginalisiertheit nicht
zurecht, ist fast schon ein bisschen komisch. Denn auch wenn sich
antirassistische Aktionen innerhalb der (bewegungspolitischen) Linken
gemeinhin hoher Zustimmung erfreuen, so ändert das doch nichts daran,
dass die antirassistische Linke schon lange ein eher bescheidenes (und
trotzdem umtriebiges) Dasein fristet. Insofern ist auch völlig
unstrittig, dass single-issue-Organisierung unumgänglich ist – das haben
wir auch immer wieder betont. Allein: Jede Bewegung – ob groß oder klein
- wird über lange Sicht ein zahnloser Tiger bleiben, so denn sie nicht
gleichzeitig sowohl aktionistisch als auch thematisch den Brückenschlag
sucht.

3. Und noch etwas: Du solltest die crossover-Bemühungen anderer
Bewegungen ungleich ernster nehmen – unabhängig davon, wie du selbst
dazu stehst. Oder glaubst du wirklich, dass Teile der antirassistischen
Linken einzig deshalb schon seit Jahren an diesbezüglichen Optionen
rumwerkeln, um nicht irgendwann im Schatten der allmächtigen
Klimabewegung unterzugehen?!? Beispielhaft seien – jenseits von G8 – die
beiden “kosten-rebellieren”-Konferenzen in Dortmund und Hamburg genannt
(wo es um Arbeit, Migration und Prekarisierung gegangen ist), diverse
Euromaydayparaden oder die aktuelle (von medico, attac, IG-Metall,
greepeace und kein-mensch ist illegal getragene) Initiative zu globalen
sozialen Rechten.

4. Dass Heiligendamm ein “unscheinbarer Einheitsbrei” gewesen sei (wie
es deine Zeilen nahelegen), ist unseres Erachtens grob vereinfachend.
Klar, in den mainstream-Medien ist wenig rumgekommen (damit hat sich
auch Gregor Samsa von NoLager Bremen in seiner Heiligendamm-Auswertung
ausgiebig beschäftigt), daraus jedoch den Schluss zu ziehen, dass mensch
fortan die Finger von multi-issue-events lassen sollte, ist weder
logisch noch zwingend – vor allem verkennt es, dass Beachtung in den
Mainstream-Medien nicht alles ist. Worauf es vielmehr ankommt, sind
etwaige Rückkoppelungseffekte zwischen Mainstreammedien und kritischer
(Bewegungs)Öffentlichkeit.

5. Richtig schräg ist in unseren Augen, dass du bereits jetzt die so
genannte Gewaltfrage aufwirfst und damit eine Ablehnung von Hamburg als
möglichen Ort des (koordinierten) Kompromisses begründest. Denn aus den
Erfahrungen der Antiatom-Bewegung weißt du ganz genau, dass mensch diese
Frage nicht geografisch bzw. technisch lösen kann, sondern dass nur der
gemeinsame politische Prozess zu Lösungen führt, mit denen alle
einverstanden sind. Davon ab untergräbt deine (säbelrasselnde)
Argumentation die Bemühungen all derer (und wir behaupten: dies ist die
Mehrheit der aktiv an der G8-Vorbereitung Beteiligten), eine
multiperspektivische Auswerwertung der Ereignisse am 2. Juni vorzunehmen
- und das natürlich auch im Hinblick darauf, was zukünftig bei gemeinsam
verantworteten Großevents besser gemacht werden könnte.

6. Last but not least: Die Selbstverständlichkeit, mit der du die
Klimafrage quasi zum Eigentum der am ersten Klimacamptreffen Beteiligten
erklärst, ist eigenartig. Deshalb in aller Deutlichkeit: Nur die
Minderheit der die Mehrsäulen-Initiative lanciert habenden Gruppen ist
Teil antirassistischer oder anderer (mehr oder minder neiderfüllter)
Zwergenzusammenhänge. Das gilt im übrigen auch für uns: Bei aller
Verwurzelung in der antirassistischen Bewegung – so denn es ums
Klimacamp geht, haben wir bereits ein ganzes Wochenende hinter uns, bei
dem es nicht zuletzt um die Frage ging, ob und wie wir uns mit der
Thematik “Supermärkte, industrialisierte Landwirtschaft und Migration”
am Klimacamp beteiligten könnten. Jochen, du hättest mit anderen Worten
besser getan, dich ernsthaft auf unsere Beiträge einzulassen, anstatt
entpolitisierende Motivforschung zu betreiben!

In diesem Sinne bleibt uns nur der Wunsch, dass über das Wie & Wo des
Klimacamps nicht bereits jetzt, sondern erst im Anschluss an die
Perspektiventage im Januar entschieden wird.

Herzliche Grüße,

NoLager Bremen (Dezember 2007)

[http://www.klimacamp.org/index.php?option=com_content&view=article&id=71&Itemid=90]