2008-01-20
Perspektiventage dienten der Vernetzung und der Suche nach Gemeinsamem und Trennendem
Am Wochenende fand das erste spektrenübergreifende Treffen von Globalisierungskritikern nach den G8-Protesten statt. Ein gemeinsames Projekt, zu dem alle Strömungen wieder zusammenkommen, wird es voraussichtlich nicht geben.
Etwa 600 Menschen sind zu den Perspektiventagen nach Berlin gekommen. Die Tagung war von Menschen initiiert worden, die während des G8-Gipfels 2007 die Camps der Globalisierungskritiker in Rostock, Reddelich und Wichmannsdorf organisiert hatten. Nachdem in den ersten Veranstaltungen am Donnerstag und Freitag die G8-Proteste überwiegend positiv resümiert wurden, ging es um die zentrale Frage: Wie weiter nach Heiligendamm?
In insgesamt 28 Arbeitsgruppen tauschten sich die Teilnehmer am Samstag über ihre politischen Meinungen und Projekte aus. Bereits in den vergangenen Monaten wurden auf Treffen und über Mailinglisten Ideen diskutiert, wie man an die G8-Proteste anknüpfen könne. Eine Kontroverse drehte sich um verschiedene inhaltliche Vorstellungen von Aktionscamps, die im kommenden Sommer stattfinden sollen. Die Perspektiventage boten die Möglichkeit, diese Debatte an einem gemeinsamen Ort auszutragen. Viele Diskussionen waren geprägt von der letztlich vergeblichen Suche nach einer thematischen Klammer, die das Gemeinsame zusammenhält.
Für einen großen Teil bot das Thema Klima am ehesten etwas Gemeinsames, an das alle Spektren anknüpfen könnten. Im Sommer soll deshalb ein Klima-Camp stattfinden. Bereits in Großbritannien kamen nach dem G8-Gipfel im schottischen Gleneagles 2005 die Gipfelgegner unter diesem Thema wieder zusammen. Während sich die acht mächtigsten Staatschefs 2007 in ihrem Tagungshotel über den globalen Klimawandel austauschten, stand die Klimafrage bislang nicht auf der Agenda der G8-Proteste in Deutschland.
Wenn die linke Bewegung dieses Thema nun aufgreift, sei eine radikale Perspektive wichtig, die sich nicht auf einen ökologischen Gesichtspunkt beschränkt, meint Alex, der an den Perspektiventagen teilnahm und sich während der G8-Proteste im undogmatischen dissent-Spektrum engagierte.
Neben einem Klima-Camp soll es im Sommer auch ein antirassistisches Camp in Hamburg und ein antimilitaristisches Camp auf dem Gelände des geplanten Bombenabwurfplatzes Bombodrom in Nordbrandenburg geben. Die Versuche, die Zeltlager in einem gemeinsamen, sogenannten Mehrsäulencamp mit verschiedenen Schwerpunkten zusammenzubringen, scheiterten. Viele äußerten Bedenken, dass ihr Thema dabei untergehen würde.
Dennoch hatten sich viele dafür eingesetzt, dass sich die verschiedenen Fraktionen aufeinander zu bewegen. Zu ihnen zählte auch Hein, ein Autonomer aus dem Wendland. Ein großes, gemeinsames Camp wäre seiner Meinung nach möglich gewesen, wenn man sich frühzeitig von einem engen Klima-Begriff gelöst und ihn umgedeutet hätte. Unter dem Motto »Für ein ganz anderes Klima« hätte auch die »soziale Kälte« thematisiert werden können, die unter den derzeitigen gesellschaftlichen Verhältnissen beispielsweise Flüchtlingen entgegenschlägt.
Für Mitglieder der Interventionistischen Linken (IL), in der sich Gruppen und Einzelpersonen aus der radikalen Linken organisieren, sind die G8-Proteste nicht wiederholbar. Tjorven und Leonie von der IL wollen deshalb lokal und an verschiedenen Orten wieder sichtbar werden und die eigenen Strukturen stärken. Sie laden alle Interessierten, die sich eine Teilnahme an ihrem Organisierungsprozess vorstellen können, zu einer Arbeitskonferenz Ende April nach Marburg ein.
Die Perspektiventage zeigten, dass das Bedürfnis nach einem spektrenübergreifenden Austausch groß ist. Sie verdeutlichten aber auch, dass ein praktisches Zusammenkommen schwierig wird, wenn ein gemeinsamer Gegner wie die G8 fehlt. Mit ihren verschiedenen Camps verständigten sich die Teilnehmer auf ihre nächsten politischen Schritte. Perspektiven, die über das Jahr 2008 hinausgehen, formulierten sie nicht. Sie bekundeten aber auf der abschließenden Pressekonferenz, trotz unterschiedlicher Schwerpunktsetzung miteinander in der Diskussion zu bleiben und sich in ihrer weiteren Arbeit aufeinander zu beziehen.
Von Niels Seibert
[http://www.neues-deutschland.de/artikel/122667.html]