2008-01-17
Ende der Woche finden in Berlin die so genannten Perspektiventage statt. Ein Treffen von allerlei linken Grüppchen, die sich vorrangig in der Anti-Globalisierungsbewegung verorten. Da auch die Beteiligung der radikalen/autonomen Linken explizit erwünscht wurde, wollen wir, einige aus eben dieser, an dieser Stelle diese Einladung dankend ablehnen.
Wir tun dies, weil wir inzwischen absolut keine Lust mehr darauf haben mit Gruppen in Bündnissen zusammenzuarbeiten,die nur ihr Ding durchziehen, aus gemeinsamen Bündnissen ihren Vorteil auf unsere Kosten ziehen wollen, keinen solidarischen Umgang mit uns pflegen und uns regelmäßig in den Rücken fallen. Enough is enough!
Wir finden es auch überraschend, dass es noch Leute aus unserem Spektrum gibt, die noch einen Umgang mit diesen "Bündnispartnern" pflegen, als hätte es den G8 nie gegeben.
Am 2.Juni letzten Jahres gab es im Rahmen des G8-Gipfels eine Großdemo in Rostock. Nachdem die Demo größtenteils ohne Zwischenfälle verlief gab es aus den Reihen des schwarzen Blocks einen ziemlich widerwärtigen Angriff auf zwei Streifenbullen in ihrem Fahrzeug. Nachdem die beiden Bullen längst in Sicherheit waren, griff als Reaktion darauf eine berüchtigte Berliner Hundertschaft den Demonstrationszug mit massiver Gewalt an. Die Demonstranten verteidigten sich mit Flaschen, Steinen und anderen Wurfgeschossen, was zum Teil erfolgreich war: die Bullen mußten teilweise den Rückzug antreten und konnten nicht, wie sie es üblicherweise dann tun, Menschen mit ihren Tonfas schwerste Kopfverletzungen zufügen, Zähne ausschlagen, Knochen brechen, ihre Augen mit Pfefferspray eindecken,...
Das Ergebnis der ganzen Auseinandersetzung waren zwei Polizisten, die stationär wegen Knochenbrüchen behandelt werden mussten. Es ist noch nicht mal klar, ob sie sich die Verletzungen durch Hinfallen erlitten haben oder diese durch DemonstrationsteilnehmerInnen verursacht wurden.
Unsere "BündnispartnerInnen" hätten jetzt mehrere Möglichkeiten gehabt: sie hätten die Gewalt der Polizei kritisieren können, sie hätten feststellen können, dass dies nicht ihre Form der Politik ist, aber sie sich nicht in die Politik anderer Gruppen einmischen; sie hätten die Relationen gerade rücken können: was ist ein Pflasterstein auf dem Helm eines gepanzerten Polizisten gegen einen mit voller Kraft ausgeführten Tonfaschlag auf den Kopf eines Menschen? Auch hätten sie feststellen können, dass alle paar Sekunden irgendwo auf der Welt ein Kind stirbt wegen dieser gewalttätigen Verhältnisse und es deshalb zynisch ist sich über die paar Steine aufzuregen.
Und was taten sie? Sie hatten nichts Besseres zu tun, als sich sofort öffentlich von uns auf eine Art und Weise zu distanzieren, wie es sonst nur CSU-Politiker fertigbringen. Monty Schädel, von der DFG-VK, der als Oberchecker des Rostocker Bündnisses fungierte, setzte unsere Verteidigung mit dem schlimmsten Nazi-Pogrom der Nachkriegsgeschichte, Rostock-Lichtenhagen, gleich.
Peter Wahl aus dem Attac-Koodkreis attestierte der Polizei "(sich) tadellos verhalten und sich an das Konzept der Deeskalation und der Kooperation gehalten (zu haben)" und verortete alle Gewalt nur auf der Seite der DemonstrantInnen.
Aber auch Leute mit denen mensch gestern noch in einer Kette gegangen wäre, wie der ALB-Vertreter Tim Laumeyer hatten plötzlich das hehre Ziel uns "aus der Gewaltecke herauszuholen" und distanzierten sich öffentlich. Dass selbiger Tim Laumeyer dann noch konstatierte, dass "Vermummung retro sei", ist dann eher peinlich, wenn man bedenkt, dass er Vertreter einer Organisation ist, deren Vorläufer-Organisation berühmt dafür war Absprachen mit Bullen zu treffen, in denen die eigene Friedlichkeit zugesichert wurde, um im Gegenzug Poser-Vermummung gestattet zu bekommen.
Leute wie Peter Wahl, Monty Schädel oder leider auch Tim Laumeyer lehnen aber unsere Gewalt so entschieden ab, weil sie ihren Frieden mit den herrschenden Verhältnissen gemacht haben. Sie wollen nicht mehr als ein bißchen Folklore des Kapitalismus sein. Mal hier ein bisschen was gegen Nazis, mal dort ein klein bißchen Tobinsteuer und schon sitzen sie glücklich beim Rotwein. Dass es sich nicht an der Tobinsteuer oder den anderen weichgekochten Forderungen von z.B. Attac entscheidet, ob alle Menschen ein gutes Leben haben, liegt auf der Hand.
Regelmäßig gibt es Auseinandersetzungen zwischen Hooligans und der Polizei bei denen häufig mehr Polizisten verletzt werden, als bei der Anti-G8- Demonstration. Wenn es diese Berichte überhaupt in die Medien schaffen, dann meistens nur als kleine Randnotiz. Warum unsere Militanz so geächtet wird muss also andere Gründe haben: an der Zahl der verletzten Bullen kann es nicht liegen.
Sie wird so attackiert, weil sie ein Symbol ist für das Nichtanerkennen des staatlichen Gewaltmonopols. Nichts drückt deutlicher aus, dass wir uns nicht an dem "demokratischen Konsens" beteiligen, wie der Pflasterstein in Richtung der hochgerüsteten Bullen-Armada.
Wir glauben nicht, dass wir mit unseren Mitteln quasi militärisch gegen die hochgerüstete Bullen-Armee gewinnen können. Sie ist auch so nicht gemeint! Sie ist ein Symbol gegen all das was Attac&co noch vehement verteidigen würden. Deshalb ist diese Gewaltdebatte nicht nur Ausdruck eines Dissenses in Fragen der Form politischer Aktionen, sondern auch ein inhaltlicher. Wer Gewalt kategorisch ablehnt, Vermummung als retro disst stellt sich auf die andere Seite der Barrikade, denn mit ihren Mitteln kann eine befreite Gesellschaft nicht erreicht werden. Vielleicht eine etwas nettere hier in Deutschland, mehr aber auch nicht.
Grundlegend für ihre Protestkultur ist ihr unreflektierter Glaube an die Demokratie. Natürlich klingt das wunderschön: man muss nur genug Menschen mobilisieren und schon erreicht man das was man will, da man ja in einer Demokratie lebt. Dass sich eine solche Naivität nicht nur in den Sozialkundekursen an irgendwelchen Schulen, sondern auch in linken und sogar linksradikalen Kreisen hält ist traurig. Dass aber versucht wird nur Protestformen, die aus dieser Naivität abgeleitet werden als die einzig denkbaren zu etablieren ist dreist. Wir können nichts dafür, dass man bei Attac anscheinend nur die Klappentexte(wenn überhaupt) von guten Büchern liest, aber daraus einen Anspruch abzuleiten, wie andere ihre Politik auszurichten haben ist unverschämt.
Die befreite Gesellschaft wird nicht mit 2/3 Mehrheit im Bundestag beschlossen! Auch ist es absurd in der Demokratie mehr zu sehen als eine Herrschaftsform von Menschen über Menschen. Demokratie bedeutet ja nicht, dass alle Menschen ihre Meinungen gleichberechtigt kundtun und gleichen Einfluss auf die sie betreffenden Entscheidungen haben. Wenn es so wäre würden wir euren Ansatz noch ein wenig nachvollziehen können. Demokratie bedeutet vielmehr, dass hier die herrschende Meinung nicht mehr aufoktroyiert wird, sondern durch Diskurse gebildet wird. An diesen Diskursen sind potentiell alle beteiligt, aber alle mit einem ganz anderen Einfluss! Ein Kai Diekmann hat einen viel größeren Einfluss auf diese "öffentliche Meinungsbildung", als sämtliche Attac-Mitglieder zusammen. Insofern gewinnt auch nicht das bessere Argument im öffentlichen Diskurs, vielmehr ist es eine Machtfrage. Die "öffentliche Meinung" kann somit nur marginal beeinflusst werden, da sich die "herrschende Klasse" immer genug Einfluss auf die Diskurse bewahren wird(durch den Besitz von Medien, das Finanzieren von Experten,...), um ihren status quo zu erhalten.
Es ist deshalb politisch naiv, den Versuch zu unternehmen auf demokratischem Wege eine grundlegende Veränderung herbeiführen zu wollen. Für alle, die noch "alle Verhältnisse umwerfen wollen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist", muss gelten, dass sie die Gewalt als Mittel der Politik nicht grundsätzlich ablehnen können. Denn die "herrschende Klasse" wird jede nur denkbare Gewalt aufwenden um ihre Existenz zu bewahren.
Insofern ist die Trennung an der Gewaltfrage eine grundsätzliche, nämlich die Trennung in diejenigen, die die herrschenden Verhältnisse stützen und erhalten wollen und in die, die zumindestens noch den Anspruch haben, die Gewalt zu beenden.
Aber nicht nur die Gewaltfrage trennt uns: wir finden es auch undenkbar mit Gruppen gemeinsame Perspektiven zu erarbeiten, in denen sich die widerlichsten deutsch-nationalen Rassisten sammeln. Wenn Mitglieder von Attac, wie Oskar Lafontaine, im besten NSDAP-Jargon von "Fremdarbeitern, die deutschen Familienvätern die Arbeitsplätze wegnehmen" schwadronieren können und solche Menschen noch nicht mal fürchten müssen aus dieser Organisation ausgeschlossen zu werden, dann gibt es keine Basis für eine Zusammenarbeit. Wer auch Rassisten eine Heimat bietet mit dem wollen wir uns nicht argumentatorisch auseinandersetzen.
Dass ein Perspektiventreffen mit Gruppen, in denen sich von engagierten Christen bis hin zu deutsch-nationalen Rassisten alles findet, was politisch dämlich und/oder widerlich ist, keine Perspektive auf Befreiung bietet ist evident.
Trotzdem finden wir die Idee eines Perspektivenkongresses ziemlich gut: Die radikale Linke hat seit 30 Jahren weder eine Theorie, noch eine Praxis die herrschenden Verhältnisse umzuwerfen: Weder hat sich der Marxsche Determinismus bewahrheitet, noch hat die Leninistische Revolutionstheorie in hoch entwickelten Staaten Erfolge gehabt; auch ist es sicher nicht möglich den Agraranarchismus in Spanien der 1930er Jahre auf die heutige Zeit zu übertragen. "Was tun?", wäre also die richtige Frage zur richtigen Zeit, nur macht es keinen Sinn sie in dieser Konstellation zu diskutieren, weswegen wir sinnvollere Dinge tun werden, als bei diesem Perspektivenkongress zu partizipieren.
Wir fordern all diejenigen, die sich selber als linksradikal verstehen auf, Bündnisse nur noch dann einzugehen, wenn sich auf den Konsens verständigt wird, dass alle Aktionsformen legitim sind, solange keine unbeteiligten Menschen gefährdet werden. Auch fordern wir euch auf, Bündnisse nur noch mit Gruppen einzugehen, die sich von rassistischen, sexistischen oder antisemitischen Äußerungen und Handlungen glaubwürdig distanzieren.
[http://de.indymedia.org/2008/01/205180.shtml]