2008-01-15
ROSTOCK - Mehr als ein halbes Jahr nach den Straßenschlachten von Rostock geben sich Gipfel-Gegner in Rostocker Gerichten noch immer die Klinke in die Hand. Und die Justiz werde sich "voraussichtlich noch ein Jahr mit den Vorfällen beschäftigen", sagt Oberstaatsanwalt Peter Lückemann. Noch etwa 500 Ermittlungsverfahren sind offen. Und die Staatsanwaltschaft rechnet mit bis zu 100 weiteren Eingängen in diesem Jahr.
Das bedeutet nicht unbedingt nur ausgelastete Sitzungssäle und Richter im Dauereinsatz, auf jeden Fall aber Papierkrieg. Denn nach den Erfahrungen der ersten sechs Nach-G8-Monaten werden zwei von drei Ermittlungsverfahren eingestellt. In Zahlen: 955 von 1747 (Stichtag 15. November).
Für die erprobte G8-Anwältin Verina Speckin vom Republikanischen Anwaltsverein (RAV) passt diese Quote ins Bild: "Erst werden Demonstranten festgenommen und dann überlegt, was ihnen vorgeworfen werden kann." Diese Kritik am wahllosen Durchgreifen der Polizei will Staatsanwalt Peter Lückemann nicht stehen lassen. "Eingestellte Verfahren bedeuten nicht, dass es keine Sanktionen gab und noch geben wird." Er verweist auf mindestens 242 Fälle, die an zuständige Verwaltungsgerichte weitergeleitet wurden, um gegebenenfalls eine Ordnungswidrigkeit festzustellen, in 21 weiteren Fällen wurden die Beschuldigten "beauflagt".
Unterm Strich bleibt jedoch: Nur in 147 Verfahren kam es bisher zu einer Anklage, 46 Menschen sind nach derzeitigem Stand rechtskräftig verurteilt worden - nie mit einer höheren Freiheitsstrafe als acht Monaten auf Bewährung. Überraschend auch die Zahl der Angeklagten, die mit einem lupenreinen Freispruch davonkamen: zwei.
Richter haben sich allerdings nicht nur mit gewaltbereiten G8-Gegnern zu beschäftigen. Insgesamt 68 Verfahren sind wegen Körperverletzung im Amt gegen Polizisten eingeleitet worden - teilweise allerdings mehrere Anzeigen wegen eines Sachverhaltes wie etwa der Attacke eines Polizeibootes gegen ein Greenpeace-Schlauchboot am 7. Juni vor Kühlungsborn. Aber auch hier ist das Gros, nämlich 41 Fälle, wieder eingestellt worden. Nur einmal kam es zur Anklage.
[http://www.svz.de/mecklenburg-vorpommern/artikeldetail/article/235/g8-verfahren-blockieren-justiz.html]