2008-01-09
Das Recht zur Anklage
Es ist ein Novum, dass sich der Deutsche Richterbund nach nur eineinhalb Jahren Amtszeit veranlasst sieht, eine Generalbundesanwältin öffentlich zu verteidigen. Die Forderung nach einem Rücktritt von Amtsinhaberin Monika Harms sei „nicht nachvollziehbar“, sagte Christoph Frank, der Vorsitzende des Richterbundes, dem Tagesspiegel. Zuvor hatte der Bundestagsabgeordnete und frühere Bundesrichter Wolfgang Neskovic die Entlassung der politischen Beamtin verlangt. Harms habe sich wegen ihrer Durchsuchungsaktion bei Gegnern des G-8-Gipfels im Frühjahr zum dritten Mal in kurzer Zeit vom Bundesgerichtshof (BGH) Rechtsbruch vorhalten lassen müssen, sagte er.
Frank wirft Neskovic dagegen „mangelndes Verständnis für die Arbeit der Generalbundesanwältin“ vor. Mehr noch: In einer ausführlichen Stellungnahme erläutert Frank, wieso es nachvollziehbare Gründe gegeben habe, dass Harms verschiedene Anti-G-8-Gruppen für terrorverdächtig hielt und deshalb von ihrer Zuständigkeit überzeugt war. Er verweist in seiner Stellungnahme auf die Änderung des Terrorparagrafen 129a. Danach sei wegen der Rechtslage ungeklärt gewesen, was als terroristische Vereinigung von der Bundesanwaltschaft zu verfolgen sei und was als kriminelle Vereinigung gelte, deren Strafverfolgung Sache der örtlichen Staatsanwaltschaften ist. Der BGH hatte die militanten G-8-Gegner nicht als terroristische Organisation eingestuft und die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft verneint.
Politisch scheint die Zukunft der Generalbundesanwältin ohnehin nicht gefährdet zu sein. Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) kritisierte, die Äußerungen Neskovics seien „schlicht abwegig“. Harms habe in den Straftaten vor dem G-8-Gipfel eine ernste Bedrohung für die Sicherheit des Landes gesehen, sagte Bosbach dem Tagesspiegel: „Daraus kann man ihr keinen Vorwurf machen.“ Der CDU-Politiker wies darauf hin, der BGH habe lediglich festgestellt, dass anstelle der Bundesanwaltschaft die Staatsanwaltschaften zuständig gewesen seien.
Ähnlich äußerte sich der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz. Die SPD habe Frau Harms „nichts vorzuwerfen“. Er könne keinerlei Anzeichen dafür erkennen, dass Harms’ Entscheidung für Razzien bei Globalisierungsgegnern politisch motiviert gewesen seien. Sie habe sich stattdessen „in einer schwierigen Abwägungsfrage“ für die Anwendung des Terrorparagrafen 129 a entscheiden. Dass der BGH diese Frage nun anders beantwortet habe, könne unter Juristen vorkommen.
Dagegen forderte Grünen-Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele nach dem BGH-Beschluss „personelle und inhaltliche Konsequenzen“. Die Bundesanwaltschaft müsse ihren Kurs korrigieren und die Verantwortlichen für die bisherige harte Linie von ihrer Aufgabe entbinden.
Zuletzt war ein Generalbundesanwalt vor 15 Jahren entlassen worden. Es war Alexander von Stahl, der Nachfolger von Kurt Rebmann. Bei der Verhaftung zweier RAF-Mitglieder in Bad Kleinen war es 1993 zu schweren Zwischenfällen gekommen. Der gesuchte RAF-Terrorist Wolfgang Grams konnte fliehen. Bei einer Verfolgungsjagd im Bahnhof erschoss er einen Polizeibeamten und fiel schließlich selbst auf die Gleise. Durch einen Kopfschuss kam Grams unmittelbar danach ums Leben. Wochenlang rätselte die Republik, ob ein Polizeibeamter Grams Waffe genommen und ihn aus Rache an dem Kollegenmord aus nächster Nähe gezielt mit einem Kopfschuss „hinrichtete“ oder ob sich Grams selbst mit seiner Waffe getötet hatte.
Von Stahl hatte anfangs eine falsche Darstellung der Abläufe gegeben, was den Verdacht auf eine Exzesstat noch verstärkte. Immer wieder musste von Stahl, der inkompetent wirkte, korrigierte Erklärungen abgeben. Nach quälenden Wochen entließ ihn die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Der damalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters trat zurück. Später stellte sich anhand von Gutachten heraus, dass sich Grams selbst erschossen hatte.
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 10.01.2008)