2008-01-05 

Spiegel: Bundesrichter stutzen Harms' Strategie gegen militante Linke

Die Linke jubelt: Der Bundesgerichtshof hat die Razzien der Bundesanwaltschaft vor dem G-8-Gipfel für rechtswidrig erklärt. SPD und Union verteidigen Chefermittlerin Harms – dabei ist es schon ihre zweite schwere Niederlage vor Gericht im Kampf gegen militante Linke.

Hamburg – Diesen Grundsatzstreit tragen die Bundesanwaltschaft und der Bundesgerichtshof (BGH) nun schon über Monate aus: Was ist heute, im Zeitalter islamistischer Bombenleger und Massenmörder, Terrorismus? Gefährden militante Linksradikale, die Fahrzeuge in Brand setzen oder den Weltwirtschaftsgipfel sabotieren, wirklich die Grundfesten des Staates? Und zwar in dem Sinn, wie der oft bemühte Paragraf 129a des Strafgesetzbuches die Bildung einer terroristischer Vereinigung umschreibt.

070731

Generalbundesanwältin Monika Harms: “Gute Gründe für die Razzien”

Generalbundesanwältin Monika Harms ist fest davon überzeugt. Und muss sich nun vom BGH zurückpfeifen lassen – wieder einmal. Nachdem er zuletzt schon die vermeintlichen Terror-Ermittlungen der Behörde gegen die “militante gruppe” durchkreuzt hatte, verpasste der 3. Strafsenat beim BGH der Bundesanwaltschaft nun einen erneuten Dämpfer im Kampf gegen gewaltsame, linksradikale Umtriebe.

Die bundesweiten Razzien gegen Globalisierungsgegner im Frühjahr kurz vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm waren rechtswidrig, befand das Karlsruher Gericht. 900 Polizisten hatten damals im Auftrag der Ankläger bundesweit Dutzende Wohnungen und Büros durchsucht (mehr…), auf der Suche nach vermeintlich konspirativen Strukturen der “AG Herz-infarkt”, der “Unheiligen Allianz Dammbruch” oder der “Revolutionären Antimilitaristischen AktivistInnen Butter bei die Fische”. Gruppierungen, die sich vor allem im Raum Hamburg und Berlin bezichtigt hatten, Autos und ein leer stehendes Gebäude angezündet zu haben.

BGH: Brandstiftung ist kein Terror

Die Bundesanwaltschaft vermutet hinter den skurrilen Namen eine einzige terroristische Vereinigung mit “wechselnden Gruppenbezeichnungen”. Eine Einschätzung, die der BGH nicht teilt. Zwar seien die Taten nicht zu verharmlosen, Terror sind sie deswegen aber noch lange nicht, urteilten die Richter heute. Daher sei die Generalbundesanwältin für die Verfolgung der Straftaten auch nicht zuständig. Der Strafsenat hegt sogar “nachhaltige Zweifel”, dass sich die Beschuldigten überhaupt im strafrechtlichen Sinn zu einer Vereinigung zusammengeschlossen haben. Und selbst wenn: Die Brandanschläge seien nicht von einer solchen Bedeutung, dass Harms für die Fälle zuständig gewesen wäre. Das Gericht hob damit alle betreffenden Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse der damaligen Razzia auf.

Eine Abfuhr auf ganzer Linie, die allerdings nicht ganz unerwartet kommt. Denn schon im Fall der “militanten gruppe (mg)”, die sich immerhin mit namentlichem Wiedererkennungswert zu mehreren Brandstiftungen bekannt hat, ließ der BGH im November keinen Zweifel daran (mehr…), dass er deren Aktionen nicht für geeignet hält, den Staat nachhaltig zu erschüttern.

SPD: “Es gab damals gute Gründe für die Razzien”

Die erneute richterliche Rüge wurde in der Berliner Politik unterschiedlich bewertet. Grüne und Linke jubelten über die juristische Ohrfeige für Harms. Vertreter von SPD, Union und FDP begrüßten das Urteil als eine Stärkung des Rechtsstaats, verteidigten aber das damalige Vorgehen der Generalbundesanwaltschaft.

Es habe “gute Gründe” für die Razzien gegeben, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, SPIEGEL ONLINE. Beim Abfackeln von Autos handele es sich schließlich nicht um “Murmelspielen”. Das Urteil des BGH sei daher “keine Ohrfeige für Harms”. Wohl aber sei es eine Aufforderung, künftig bei der Strafverfolgung noch genauer hinzuschauen. Man solle froh sein, dass der Rechtsstaat zu Korrekturen fähig ist, sagte der SPD-Politiker.

Ähnlich äußerte sich der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach. “Harms ist in einer Rechtsfrage vom BGH korrigiert worden, das muss sie tapfer ertragen”, sagte Bosbach. Die Suche der Generalbundesanwaltschaft nach den Verfassern von Bekennerschreiben sei eben nicht besonders erfolgreich gewesen. Aber Harms habe damals “nach bestem Wissen und Gewissen” entschieden.

Für den FDP-Innenexperten Max Stadler ist die Entscheidung ein “weiterer Schritt des BGH, den Anwendungsbereich des Paragrafen 129a Strafgesetzbuch einzugrenzen”. Es sei aber nicht ungewöhnlich, dass die Strafverfolgungsbehörden die Paragraphen großzügiger auslegten als die Richter bei der nachträglichen Kontrolle. Insofern sei der ganze Vorgang nur ein Anzeichen dafür, dass der Rechtsstaat funktioniere, sagte Stadler.

Grüne: “Urteil sollte Mahnung sein”

Grüne und Linke hingegen fühlten sich in ihrer Kritik an den Razzien bestätigt. Grünen-Geschäftsführer Volker Beck sagte: “All denjenigen, die sich damals hinter diese Durchsuchungen gestellt haben, sollte dieses Urteil eine Mahnung sein.” Auch in politisch zugespitzten Situationen müsse der Rechtsstaat zu seinen Prinzipien wie dem Verhältnismäßigkeitsprinzip stehen. Der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Dietmar Bartsch, erklärte, der Vorwurf einer terroristischen Vereinigung habe im Vorfeld des G-8-Gipfels ein Klima von Angst und Verunsicherung schaffen sollen. Der BGH weise “die Bundesanwaltschaft nun erneut in die Schranken geltenden Rechts”.

Der Grüne Hans-Christian Ströbele geht noch weiter. Das BGH-Urteil sei eine “erneute Klatsche” für die Bundesanwaltschaft. Der BGH habe “nun schon zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen die Generalbundesanwältin zurückgepfiffen”, sagte Ströbele SPIEGEL ONLINE. Die Bundesanwaltschaft müsse ihre “harte, rechtsstaatswidrige” Linie überprüfen und personelle Konsequenzen ziehen.

“Der Versuch, den Widerstand gegen den G-8-Gipfel in eine terroristische Ecke zu stellen, ist gescheitert”, sagte Ströbele. Der BGH gehe noch einen Schritt weiter als in Entscheidung, die “militante gruppe” nicht als linksextrem einzustufen, indem er der Bundesanwaltschaft im Fall der Razzien sogar die Zuständigkeit abspreche.

Harms: BGH hatte Razzien damals genehmigt

Im Fall der “mg” hatte Harms’ Behörde nach monatelangen Ermittlungen im Sommer endlich vier Verdächtige festgenommen. Auf Anweisung des BGH mussten drei Haftbefehle ausgesetzt, einer sogar ganz aufgehoben werden. Immerhin beließ der inzwischen zum Präsidenten des BGH berufene Richter Klaus Tolksdorf, zu dem Harms kein besonders herzliches Verhältnis nachgesagt wird, in Sachen “mg” der Bundesanwaltschaft die Zuständigkeit – wegen der “besonderen Bedeutung des Falls”.

Doch schon damals lästerte die Bundesrechtsanwaltskammer über eine “ziemliche Backpfeife” für die rigorose Generalin. Harms ärgerte sich über den Spott, wollte von einer Schlappe nichts wissen. Auf ihrer Bilanzpressekonferenz im Dezember zürnte die Juristin, Kategorien von Sieg und Niederlage seien eines Rechtsstaates nicht würdig. In dem sei es normal, dass man auch unterschiedlicher Auffassung sein könne.

Ähnliches war heute aus der Behörde zu vernehmen. Man “respektiere” die Entscheidung des Staatsschutzsenats, sagte die stellvertretende Sprecherin der Bundesanwaltschaft, Sonja Heine. Sie verwies zugleich darauf, dass der Ermittlungsrichter des BGH die Ansicht der Bundesanwaltschaft zunächst geteilt und die Durchsuchungsbeschlüsse erlassen hatte. Heine kündigte an, dass die Bundesanwaltschaft das Verfahren nun an die zuständige Landesstaatsanwaltschaft abgeben werde. “Das wird voraussichtlich Hamburg sein. Wir sind ab jetzt nicht mehr zuständig.”

Von Carsten Volkery, Leonie Wild und Philipp Wittrock

[http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,526708,00.html]