2007-12-21
»In London kommt es 1910 erneut zu Ausschreitungen militanter Frauenrechtlerinnen. Sie fordern das Wahlrecht für Frauen.« - »Militant Music Group & Entertainment supports good quality music, from Hip-hop to Alternative Rock along with acting and comedy.« - »30.000 Hyundai-Arbeiter ... setzen neben Gabelstaplern und Bulldozern auch Sandstrahlgeräte ein ... Bei den militanten Auseinandersetzungen werden die Konzernzentrale und das Rathaus verwüstet.« - »Die Sit-ins in nach Rassen getrennten Institutionen führten zur militant-gewaltlosen Konfrontation mit Rassisten. ... Diese gewaltlosen Feinde der Hierarchie prägten einen Stil gewaltloser Militanz.« - »Massenschlachtungen wegen Maul- und Klauenseuche 2001: Bauer Vellacott hört längst nicht mehr hin: Wir müssen militanter werden und selbst für unsere Rechte kämpfen.« - »Die Hafenarbeiter weigerten sich, Kriegsgüter für Indochina zu verladen, und eine Militante stoppte einen Zug mit Waffen, indem sie sich auf die Eisenbahngleise legte.« - »Die militante gruppe war ... durch die von ihr mitinitiierte Militanzdebatte bekannt geworden. ... Allerdings wird der Gruppe nicht nur das Abfassen von militanten Texten angelastet.«
Diese zufälligen und beliebig erweiterbaren Fundstellen im Netz zu militanten Frauen, militanten Stahlarbeitern, militanten Bauern, militanten Schienenblockaden, militant-gewaltlosen Konfrontationen, militanten Sit-ins, militanter »good quality music«, militanter Gruppe sowie militanten Texten zeigen, dass der Versuch, die Verwendung von »Militanz« und »militant« inhaltlich einzugrenzen, keinen Erfolg haben wird.
Militanz ist einer jener auf- und anregend klingenden Begriffe, die gerade wegen ihrer ungenauen Definition in politischen Auseinandersetzungen propagandistisch und interessengeleitet verwendet werden. In deutschsprachigen Mainstream-Medien ist Militanz ein Synonym für möglicherweise (»gewaltbereit«) oder tatsächlich gegen Polizeieinsätze und Bankenfassaden vorgehende DemonstrantInnen, konkreter: für Steine werfende Vermummte des »Schwarzen Blocks«. Da schwingt der Begriff »Terrorismus« mit. Hinter dieser Lesart steht das Interesse, staatliche Maßnahmen und ein »härteres Vorgehen« zu fordern und zu legitimieren - denn diese Militanz verstoße gegen das staatliche Gewaltmonopol und bedrohe den Inneren Frieden. Dass Militanz tatsächlich über diese zugeschriebene Wirkung verfügt, wird von den gemeinten Linken auch so gesehen und unter Hinweis auf politische Ziele und eine mit entsprechenden Demonstrationsbildern erzielbare Öffentlichkeitswirkung praktiziert und verteidigt. Dieses Verständnis von (Straßen-)Militanz verlässt die enge Konnotierung von Militanz mit Gewalt allerdings kaum.
Militanz stammt von militare (lat.: als Soldat dienen), eine Bedeutung, die heute keine Rolle mehr spielt. Im romanischen und angelsächsischen Sprachraum ist »militant« viel weniger unbestimmt als im Deutschen, dort steht es für politisch Aktive bzw. für AktivistInnen von Organisationen und auch Parteien. Das Verhältnis zur Gewalt ist kein Kriterium für diese Zuschreibung von »militant«. Da der Begriff hierzulande so »offen« ist, könnte »militant« gerade deswegen aus der massenmedialen Schmuddelecke gezogen und positiv besetzt werden. Begriffe wie »linksradikal«, »radikal« und »autonom« haben ihren Sinn. Angesichts der individuellen und gesellschaftlichen Herausforderungen der neoliberalen Angriffe wirken sie jedoch etwas angestaubt und sind zu »besetzt«, um noch wirklich verbindend wirken zu können.
Was wäre eine »militante Linke«? Ist es sinnvoll, diese Bezeichnung zu propagieren? »Militant« hat das Potenzial, Individuen und Gruppen, Einstellungen und Praxen zu bezeichnen und zu einem mobilisierenden Schlüsselbegriff zu werden. Im hier vorgeschlagenen Sinn beschriebe Militanz eine persönliche Einstellung, bei der die/der Einzelne trotz des Risikos persönlicher Konsequenzen eine Folgerichtigkeit von politischer Überzeugung und Handeln anstrebt. Militante sind so verstanden das selbstbewusste Gegenteil von Opportunisten, Funktionären, Karrieristen und Wendehälsen. Militante Organisationen wären freiwillige Kollektive, die ihre Politik selbstverantwortlich, reflektiert, entschieden und offensiv betreiben, da ihre Militanten sich als »ganze Person« einbringen und ihre Gruppe nicht als eine hierarchische, von Funktionären gesteuerte akzeptieren würden. Generell würde die Praxis von Militanten und militanten Organisationen auf der Einsicht beruhen, dass zur Veränderung der Welt verbindlicher und hartnäckiger Einsatz nötig ist. Bei Militanten bestimmt die Politik die Mittel und korrigiert sie ständig. Militanz wäre weder ein auf Gewalt noch auf Gewaltlosigkeit, sondern auf politische Effizienz und Zielgerichtetheit ausgelegter Weg. Im Gegensatz zu unreflektierter und struktureller Gewalt könnte Militanz, verstanden als Resultat eines militanten Lebens und militanten Denkens, das Versprechen auf individuelle und gesellschaftliche Emanzipation enthalten.
Klaus Viehmann
Zum Weiterlesen: Fritz, Thomas: Militanz als Strategie, in: http://www.sopos.org/aufsaetze/3b9919a8ac56b/1.phtml#fritz
Quelle: Brand, Ulrich / Lösch, Bettina / Thimmel, Stefan (Hrsg.): ABC der Alternativen. VSA-Verlag 2007, Hamburg.