2007-12-17
In den vergangenen Monaten waren linke Personen und Zusammenhänge aus Tübingen immer wieder das Ziel staatlicher Gewalt und Repression.
Nun erreichte diese Entwicklung einen weiteren traurigen Höhepunkt: Ein zum Zeitpunkt seiner Ingewahrsamname gerade einmal fünfzehnjähriger Schüler geriet wegen seiner Teilnahme an der Großdemonstration am 2.6.2007 in Rostock in das Visier der Strafverfolgungsbehörden. Nun kam es zu einem politischen Prozess wegen angeblicher “versuchter gefährlicher Körperverletzung”. Die Grundlage dafür waren die Aussagen zweier Polizeibeamter.
Einleitung
Am Donnerstag, den 13. Dezember, fand im Amtsgericht Tübingen unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Prozess wegen “versuchter gefährlicher Körperverletzung” gegen den Schüler Johannes K. statt.
Ihm wird vorgeworfen am 2. Juni dieses Jahres in Rostock einen Gegenstand auf eine Gruppe von Polizeibeamten geworfen zu haben. Zu dieser Zeit fand in Rostock anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm mit 80.000 Beteiligten die größte linke Demonstration der letzten Jahre in der Bundesrepublik statt. Bereits im Vorfeld zu den Protesten kam es in mehreren Städten zu über 40 “präventiven” Hausdurchsuchungen.
Repression in Rostock und Heiligendamm
Vor Ort kam es zu weiterer Repression:
“Die Überreaktion der Polizei auf der Suche nach den echten oder vermeintlichen AnstifterInnen gipfelte in der wahllosen Verhaftung von Protestierenden.” So eine Presseerklärung der Freien SchülerInnen Organisation (FSO) Tübingen vom 11.12.07.
Die Festnahme
In die “Fänge der Staatsgewalt” sei so “damals auch der damals 15-jährige Gymnasiast Johannes K. [geraten].”
Damals geriet er in eine Gruppe von Flüchtenden, stolperte und wurde nur dadurch als Einziger festgenommen. Prompt werden die, aus dieser Gruppe mutmaßlich begangenen, Taten auch dem einzigen Festgenommenen zur Last gelegt.
Die Belastungszeugen
Zwei Polizeibeamte haben Johannes K. mit ihrer Aussage belastet. “In Anbetracht der hektischen Situation und der Masse an Menschen dürfte es überhaupt sehr unwahrscheinlich gewesen sein einzelne Täter genau ausmachen zu können”, kommentiert die FSO in der Presseerklärung den Sachverhalt.
Die ihm zur Last gelegten Taten seien “anhand flüchtiger Beobachtungen und fadenscheiniger Zuschreibungen willkürlich zugeordnet” worden" und er nur “zur falschen Zeit am falschen Ort” gewesen.
In den Aussagen finden sich gewisse Widersprüche: Obwohl die beiden Polizisten einerseits behaupteten, der Beschuldigte habe seine Identität durch seine Kleidung verschleiert, wollen sie ihn trotzdem eindeutig wiedererkannt haben.
Zum Prozess waren die beiden Belastungszeugen allerdings nicht vorgeladen.
Der Prozess
Der Prozess gegen den Schüler Johannes K. wegen angeblicher “versuchter gefährlicher Körperverletzung” im Rahmen der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm wurde am Donnerstag, den 13.12.2007, bereits am ersten Verhandlungstag eingestellt.
Johannes K. musste sich dazu allerdings zur Ableistung von 40 Arbeitsstunden verpflichten. Andernfalls, so ließ der Richter durchblicken, wäre eine Verurteilung mit höherem Strafmaß sehr wahrscheinlich gewesen. Obwohl es dazu formell nicht kam, muss Johannes nun eine im Rahmen des Jugendstrafrechts erhebliche Strafe verbüßen.
“Die Höhe des Strafmaßes”, heißt es in einer Presseerklärung der FSO vom 16.12.07 zum Ausgang des Prozesses, “ist offenbar auch der Tatsache geschuldet, dass Johannes K. trotz der wahrscheinlichen Verurteilung und dem Drängen von Richter und Staatsanwaltschaft bei der Wahrheit blieb und sich klar gegen die falschen Anschuldigungen wandte.”
AugenzeugInnen, die die Darstellung der Polizisten hätten anzweifeln können, hätten gut daran getan, das nicht zu tun: “Andernfalls wären sie wohl selbst in das Visier der Strafverfolgungsbehörden geraten und hätten sich zudem – wäre das Gericht der Version der Polizeibeamten gefolgt – womöglich mit dem Vorwurf der eidesstattlichen Falschaussage konfrontiert gesehen”.
Johannes K. – Ein Einzelfall?
Die Bilanz der bisherigen Verfahren gegen G8-GegnerInnen zog heftige Kritik nach sich. Alleine die Staatsanwaltschaft Rostock konnte bis zum vorläufigen Fazit der Staatsanwaltschaft Mitte November von 1.474 eingeleiteten Verfahren in nur 147 Fällen Anklage erheben, 955 wurden eingestellt, größtenteils weil den Beklagten nichts nachzuweisen war.
“Nun sehen sich die Verantwortlichen offenbar unter Druck, die Statistik zu verbessern.”, kommentiert die FSO in der Erklärung vom 11.12.07 das Vorgehen. Johannes K. sei “da mit Sicherheit kein Einzelfall.”
“Vielmehr dürfte es sich nur um eines von vielen Beispielen handeln, in denen die Polizei sich bemüht, die entlarvende Bilanz der Strafverfolgung […] mit allen Mitteln aufzubessern.”
Nach Angaben des Schwäbischen Tagblatts beteiligten sich rund 250 Personen aus der Region Tübingen/Reutlingen mit Bus und Bahn an den Protesten gegen den G8-Gipfel. Der Prozess gegen Johannes K. ist bislang das einzige bekannt gewordene Verfahren gegen AktivistInnen aus der Region.
So schließt die FSO in ihrer ersten Erklärung dann auch mit der Parole: “Gemeint sind wir alle!”
Quellen u.a.:
(1) Presseerklärungen der Freien SchülerInnen Organisation Tübingen vom 11.12. und 16.12.2007
(3) Schwäbisches Tagblatt vom 02.06.2007 und vom 04.06.2007
(4) Indymedia