2007-12-13
Zum Prozeß gegen 25 AktivistInnen und den von der Staatsanwaltschaft geforderten 225 Jahren Haft erklären wir, Betroffene der Razzia in der Diaz-Schule:
Wir waren im Juli 2001 in Genua, um zusammen mit Hunderttausenden gegen die Politik der G8-Staaten auf die Straße zu gehen. In der Nacht vom 21.auf den 22. Juli waren wir in der Diaz-Schule. Dort sind wir von der Polizei brutal verprügelt, zum Teil beinahe totgeschlagen worden. Tagelang wurden wir weiter misshandelt.
Jahrelang wurde gegen uns ermittelt. Die damals erhobenen Vorwürfe wogen schwerer als jene, die jetzt gegen 25 angeklagte AktivistInnen angeführt werden. Ohne Verdachtsmomente wurden wir der Bildung einer kriminellen Vereinigung, Körperverletzung, sogar einem Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz angeklagt. Doch damit nicht genug: Es wurde eine Anklage wegen “Verwüstung und Plünderung” erhoben, einem Straftatbestand aus der Zeit des Faschismus. Das vorgesehene Strafmaß liegt zwischen 8 und 15 Jahren Haft.
Heute ist von den Ermittlungen gegen uns nichts übrig geblieben. Vielmehr stellte sich heraus, dass die Polizei systematisch Beweismittel gefälscht und Straftaten vorgetäuscht hat, um eigene Verbrechen zu vertuschen.
Um nur ein Beispiel zu nennen: Molotov-Cocktails wurden auf Befehl von Polizei-Offizieren im Gebäude der Diaz-Schule nach deren Erstürmung deponiert.
Polizeiführer wurden daraufhin angeklagt wegen Körperverletzung, Falschaussage und Verleumdung. Ihre Verfahren werden allerdings hinausgezögert, um die kürzere Verjährungsfrist zu überschreiten.
Es ist absehbar, dass kein Polizist je für die Gewaltorgien eine Haftstrafe antreten wird.
Jetzt fordert die Staatsanwaltschaft, 25 italienische AktivistInnen wegen “Verwüstung und Plünderung” zu verurteilen. Ihnen drohen insgesamt 225 Jahre Haft. Vorgeworfen wird ihnen beispielsweise die Verteidigung einer Groß-Demonstration gegen den nicht autorisierten Angriff eines Carabinieri-Kontingents.
Wir begreifen die Anklage als politisch motivierten Versuch, die breite Bewegung zu kriminalisieren. Protest und Widerstand sollen auf eine “Störung des öffentlichen Friedens”, die “Störung der öffentlichen Ordnung” reduziert werden. Es werden Sündenböcke gesucht, um das brutale Vorgehen der Polizei 2001 und die spätere Repression zu begründen.
Wir nehmen das nicht hin!
Wir lassen uns nicht spalten in “gute” und “böse” Demonstrierende. Den 25 und allen Anderen, die von der Repression betroffen sind, gilt unsere volle Solidarität und Unterstützung!
Stattdessen fordern wir, den mörderischen Einsatz der “Sicherheitskräfte” jener Tage kritisch aufzuarbeiten: Auf der Via Tolemaide, der Piazza Alimonda, in der Diaz-Schule, in der Polizeikaserne Bolzaneto und an unzähligen anderen Orten.
Die Geschehnisse in Genua waren ein brutaler, tödlicher und menschenverachtender Polizeieinsatz.
Amnesty International definiert Genua 2001 als “die größte Außerkraftsetzung von demokratischen Rechten in einem westlichen Land nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges”. Die Anklage wegen “Verwüstung und Plünderung” und das geforderte Strafmaß interpretieren wir als dessen konsequente Fortführung.
So verschieden wir auch sind, so unterschiedlich unsere politischen Positionen aussehen, so haben wir doch eines gemeinsam: In Genua haben wir zusammen unseren Protest gegen die Politik der G8 auf die Strasse getragen.
Wir haben gekämpft gegen die alle Lebensbereiche durchdringende kapitalistische Verwertungslogik, gegen eine Aufteilung der Welt in arm und reich, in GewinnerInnen und VerliererInnen, gegen eine rassistische und stetig repressiver werdende Migrationspolitik. Für eine Welt ohne Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse.
In den Tagen von Genua haben Hunderttausende gemeinsam die Hoffnung auf eine andere Welt greifbar gemacht: ‘We are history’".
Wir lassen nicht zu, daß Regierung und Polizei unsere Widerstands-Geschichte umschreiben! Freispruch für alle angeklagten AktivistInnen!
Betroffene aus der Diaz-Schule, Dezember 2007