2007-12-07
Neu erschienenes Buch kritisiert Umgang mit Bürgerrechten bei G8-Gipfel
Berlin/Heiligendamm (ddp-nrd). Das Legal Team, das während des G8-Gipfels Anfang Juni in Heiligendamm Demonstranten juristisch betreut hat, wird am Sonntag (9. Dezember) in Berlin von der Internationalen Liga für Menschenrechte mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet.
Vor welchem Hintergrund die Anwälte nach eigener Einschätzung dabei tätig waren, wird jetzt in einem Buch des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV), «Feindbild Demonstrant», dargelegt.
«Die Vorgänge in Heiligendamm haben das Verhältnis zwischen Staat und Bürger – nicht nur vor Ort – in einen Ausnahmezustand gesetzt, wie er in dieser Form bislang einmalig in der Bundesrepublik gewesen ist», wird in dem Buch festgestellt.
Viele Anwälte im Legal Team gehörten dem RAV an, dessen Mitglieder Menschen- und Bürgerrechte gegen Übergriffe staatlicher und wirtschaftlicher Institutionen verteidigen wollen. Das Legal Team, erkennbar an seinen gelben Westen, vertrat bei den G8-Protesten Demonstranten vor Gericht.
Viele Elemente des «Ausnahmezustands» in Heiligendamm, wie lückenlose Überwachung, Käfighaltung von Gefangenen, Massenverhaftungen und Demonstrationsverbotszone seien nicht neu in Deutschland, stellt das Buch fest. Doch seien neue Qualitäten zu erkennen.
Zu diesen zählte die mit weitreichenden Befugnissen ausgestattete Besondere Aufbauorganisation «Kavala». Obwohl formal ein Sonderstab der Polizei Mecklenburg-Vorpommern, handelte sie, so die Autoren, «wie eine eigenständige übergeordnete Behörde unter Umgehung der horizontalen und vertikalen Gewaltenteilung». Ursprünglich sei sie nur für die Planung zuständig gewesen, doch dann übernahm die «Kavala» auch die operative Führung und die Öffentlichkeitsarbeit, kritisieren die Autoren.
Viele Verbindungspersonen des Bundeskriminalamtes, der Bundespolizei und der Bundeswehr waren in den Führungsstab der «Kavala» integriert. «Die Zusammenarbeit unter einem Dach macht alle Trennungsgebote zu Makulatur und entzieht die Tätigkeit der Polizeibehörde der notwendigen parlamentarischen Kontrolle», heißt es in «Feindbild Demonstrant».
Die Zusammenarbeit der Bundeswehr mit der Polizei ging in Heiligendamm demnach «so weit wie noch nie». Mindestens 2450 Bundeswehrsoldaten seien im Einsatz oder in Bereitschaft gewesen, davon waren 1000 allein mit Sicherungsaufgaben betraut, berichten die Anwälte und sehen eine «Verpolizeilichung des Militärischen». Was Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) als «offensive Öffentlichkeitsarbeit» der «Kavala» lobte, kritisiert das Buch als «unzulässigen Einfluss auf die Meinungsbildung der Öffentlichkeit».
So war in «Kavala»-Mitteilungen von 433 bei Ausschreitungen am 2. Juni verletzten Polizeibeamten die Rede, darunter 25 Schwerverletzte. Laut Buch mussten «lediglich zwei Beamte» stationär behandelt werden. Die tatsächliche Zahl der verletzten Polizisten und die Art ihrer Verletzungen sei im Dunkeln geblieben. Einen Ansturm verletzter Polizisten auf die Krankenhäuser gab es jedenfalls nicht, allerdings waren auch Polizeiärzte im Einsatz.
Bei einer weiteren Demonstration berichtete die Polizei von 2500 gewaltbereiten Vermummten. Diese Behauptung, teilt der RAV in dem Buch mit, sei vom Einsatzleiter am Ort des Geschehens selbst dementiert worden. Als über einen polizeilichen «Agent Provocateur» vor dem Schutzzaun der Polizei in Heiligendamm in den Medien berichtet wurde, leugnete die Polizei zunächst einen solchen Einsatz. Tage später wurde er dann doch eingeräumt.
Auf Grund der Durchsuchungen bei Gipfel-Gegnern in den Monaten vor dem Gipfel, Demonstrationsverboten und vorläufigen Festnahmen schließen die Autoren, dass «die polizeiliche Repression immer stärker im Vorfeld» ansetzt. Auf rund 1300 vorläufige Festnahmen während des Gipfels seien nur zwölf Haftbefehle gekommen. Es gehe der Polizei nicht mehr darum, Personen einer Straftat zu überführen, sondern Demonstranten mitunter tagelang "einsperren zu können», heißt es in dem Buch.