2007-12-07
Unter der etwas sperrigen Überschrift „Wie weiter nach Heiligendamm:
Klima- oder ‚Mehrsäulen’-Camp?!?“ hatten wir bereits Ende Oktober ein
Diskussionspapier über diverse (G8-)Mailinglisten verbreitet, in dem wir
uns kritisch-solidarisch mit der inzwischen immer konkreter verhandelten
Idee eines Klimacamps im Sommer 2008 auseinandersetzen
(vgl. http://wiki.klimacamp.org/index.php/Strategiepapiere). Unsere
Überlegungen kreisten im Kern um zweierlei: Zum einen machten wir uns
dafür stark, dass aktuelle politische Projekte wie z.B. das Klimacamp
stets auch im Hinblick auf die in der G8-Mobilisierung gesammelten
(Bündnis-) Erfahrungen angegangen werden sollten – zumindest im Jahr I
nach Heiligendamm. Zum anderen verknüpften wir das mit der
Schlussfolgerung, dass es eine Art partikularistischer Rückfall wäre,
würde im nächsten Sommer ein vorrangig auf die Klima- (oder irgendeine
andere) Problematik beschränktes Camp über die Bühne gehen. Stattdessen
brachten wir den Vorschlag eines so genannten Mehrsäulencamps ins Spiel.
Darunter verstehen wir – im Anschluss an die viel zitierte
„Gesamtchoreografie des Widerstands“ in Heiligendamm – ein Camp mit
mehreren Themenschwerpunkten (d.h. Säulen), die zwar politisch und
thematisch eng aufeinander bezogenen sind, ohne jedoch in einem wie auch
immer gearteten Hierarchieverhältnis zu stehen. Unsere Anmerkungen haben
– so scheint es – ein durchaus lebhaftes Echo hervorgerufen, was uns
natürlich freut. Und doch: Die konkrete Zustimmung ist eher bescheiden
ausgefallen. Das ist der Grund, weshalb wir uns einmal mehr zu Wort
melden möchten – einfach deshalb, weil uns an der Sache sehr gelegen
ist.
Beginnen möchten wir mit Stimmen & Stimmungen, die uns bei Leuten
begegnet sind, welche mit der Vorbereitung des Klimacamps nichts am Hut
haben. Hierzu zählen unter anderem AktivistInnen aus der
antirassistischen Ecke, wo ja ebenfalls über eine größere
(Camp-)Zusammenkunft im kommenden Jahr nachgedacht wird – womöglich samt
Flughafenblockade wie 2001 beim 4. Antirassistischen Grenzcamp in
Frankfurt (da die Initiative im Kern von Hamburger Gruppen ausgeht,
dürfte Hamburg + X auch Ort des Geschehens werden) . Insbesondere zwei
Tendenzen sind uns bei unseren Erkundungen ins Auge gefallen: Einerseits
hat niemand – was uns keinesfalls erstaunt – dem Vorschlag eines
Mehrsäulencamps explizit widersprochen. Anderseits sind Vorbehalte
gegenüber der ‚Ökologiefrage’ mehr als deutlich zu Tage getreten, so wie
sich auch die (politische) Lust auf intensive Bündnis- und
Koordinierungsprozesse als reichlich begrenzt entpuppt hat.
Was den politische Unwillen anbelangt, sich ernsthaft mit der
Klimaproblematik auseinanderzusetzen, sind wir zwiegespalten: Auf der
einen Seite behagt uns der apokalyptische Zungenschlag ebenfalls nicht,
mit dem just diese Frage regelmäßig aufgemacht wird. Und zwar nicht nur,
weil Endzeitstimmungen noch nie geeignete Wegweiser im politischen
Alltag gewesen sind, sondern auch deshalb, weil dies von vielen Menschen
als moralinsaure Zumutung, ja Erpressung empfunden wird. Und dennoch:
Die Zerstörung ökologischer Ressourcen – nicht zuletzt durch
fossilistische Energieproduktion – hat dramatische Ausmaße erreicht, das
kann schlechterdings bestritten werden. Einer Linken auf der Höhe der
Zeit bleibt insofern nichts anderes, als einen angemessenen Umgang mit
den entsprechenden Herausforderungen zu finden, auch dort, wo die
Ökologiefrage (erklärtermaßen) unbequem zu werden droht.
Ungleich problematischer erscheint uns jedoch die mehr oder weniger
offen(siv) artikulierte Nicht-Bereitschaft zu bewegungs- und
spektrenübergreifenden Bündnisprozessen. Denn so sehr themenspezifische
Spezialisierungen (im Sinne von Arbeitsteilung) unumgänglich sind, so
wenig sollte die schwerpunktmäßige Beschäftigung mit einem Themenfeld
unter selbstgenügsamen, d.h. partikularistischen Vorzeichen erfolgen –
das ist unseres Erachtens eine der zentralen Fortschritte in der
gemeinsamen G8-Mobilisierung gewesen. Einerseits weil die Dinge in der
‚Wirklichkeit’ immer schon eng verzahnt sind, ein Sachverhalt, der sich
auch auf der Seite des Protests bemerkbar machen sollte – unter anderem
deshalb, um vermeintlichen oder tatsächlichen Widersprüchen frühzeitig
das Wasser abgraben zu können: Zum Beispiel ist einem
IG-Metall-Gewerkschafter in Deutschland die gedeihliche Entwicklung der
Automobilindustrie fast zwangsläufig ein grundlegendes Anliegen (und
zwar aus durchaus nachvollziehbaren Gründen), umgekehrt sollte der
Individualverkehr aus klimapolitischer Sicht massiv eingeschränkt
werden, zumal private PKW-Nutzung mittlerweile nicht mehr nur ein
Privileg der reichen Industrieländer ist. Andererseits ist
Partikularismus auch deshalb eine Sackgasse (und ist es immer schon
gewesen), weil eine nur auf sich selbst beschränkte Teilbereichsbewegung
schlicht und einfach nicht im Stande ist, gesamtgesellschaftliche
Kräfteverhältnisse zu verschieben – noch nicht einmal auf ‚ihrem’
ureigensten Feld. Oder konkreter: Dass Heiligendamm derart beflügelnd
gewesen ist – mit beträchtlichen Rückkoppelungseffekten mindestens unter
den AktivistInnen selbst – dürfte nicht zuletzt damit zu tun gehabt
haben (um nur zwei Beispiele zu nennen), dass wir am 3. Juni mit 5000
Menschen gegen den Wahnsinn in der globalen Landwirtschaft demonstriert
haben und nicht mit 100 wie am 17. April in Berlin (anlässlich des
weltweiten Aktionstags von via campesina) oder dass am 4. Juni 8.000
Menschen zur Demo „für globale Bewegungsfreiheit“ und „gleiche Rechte
für alle“ gekommen sind und nicht wie sonst bei antirassistischen
Aktionen 200-300.
Just an diese (symbolischen) Erfolge gilt es anzuknüpfen, jedenfalls
wäre es aus unserer Sicht ausgesprochen enttäuschend, im Sommer 2008 mit
1000 Menschen vor der Baustelle eines Kohlekraftwerks zu sitzen oder mit
500 Leuten über einen riesigen Flughafen zu irren. Denn in beiden Fällen
würden keine effektiven Blockaden a lá Heiligendamm zustandekommen, was
allerdings Voraussetzung dafür ist, das Thema nicht nur in den
überregionalen Medien, sondern auch in der linken Öffentlichkeit zu
platzieren – letzteres auch mit wichtigen Impulsen für die häufig
vergeblich anmutende Arbeit auf lokaler Ebene.
Wir möchten nunmehr zur Diskussion innerhalb der Klimacamp-Vorbereitung
kommen, soweit wir sie live, in Einzelgesprächen und über die
Mailingliste mitbekommen haben. Denn auch hier scheint unser Vorschlag
eher auf gedämpfte Zustimmung gestoßen zu sein. Dies kommt nicht nur in
zahlreichen Beiträgen auf der Mailingliste („Ich will ein Klimacamp,
sonst nix“), sondern auch in der aktuellen Einladung zum zweiten
Klimacamp-Vorbereitungstreffen unmissverständlich zum Ausdruck: Dort
heißt es zwar, dass „kein single-issue-camp“ erwünscht sei, vielmehr
solle es ein „gleichberechtigstes Miteinander der verschiedenen
Bewegungen geben.“ Umgekehrt wird jedoch auch betont, und zwar gleich zu
Beginn: „Klima ist die inhaltliche Klammer des Camps“, Ziel sei es,
„durch Workshops und Aktionen zu verschiedenen Kämpfen deren Verbindung
zum Thema Klima aufzuzeigen.“
In unseren Augen stellt dies eine bestenfalls halbherzige Offenheit dar,
denn bei weitem nicht alle Kämpfe lassen sich gleichermaßen mit der
ökologischen Frage kurzschließen. Keine Probleme dürfte es etwa mit
Themenfeldern wie „globale Landwirtschaft“, „Atomwirtschaft“ oder
„Ressourcen-Kriege“ geben, liegen doch hier die Verbindungslinien klar
auf der Hand. Anders verhält es sich bereits mit der „sozialen Frage“:
Es wäre zwar ohne große Mühe aufzeigbar, (um ein x-beliebiges Beispiel
rauszupicken), inwieweit die so genannte Lissabon-Strategie der EU,
wonach die EU bis 2010 zur wettbewerbsfähigsten Region der Welt
ausgebaut werden soll, nicht nur ein Arbeitsplatzzerstörungsprogramm
ist, sondern auch ökologische Standards massiv in Bedrängnis bringt.
Allein: Das ist nur die eine Seite der Medaille. Denn die Kämpfe von
Erwerbslosen leiten sich in aller Regel nicht von allgemeinen
Überlegungen ab, sie setzen vielmehr an konkreten Problemen an, etwa bei
1-Euro-Jobs oder Zwangsumzügen. Ähliches gilt auch für die Kämpfe von
Flüchtlingen und MigrantInnen: So sehr der Klimawandel mit desaströsen
Konsequenzen insbesondere in den armen Ländern des Globus einhergeht
(und deswegen viel mit Landflucht und Migration zu tun hat), Flüchtlinge
und MigrantInnen in Europa kämpfen dennoch in erster Linie gegen
Abschiebungen und rassistische Entrechtungen. Mit anderen Worten: Es
genügt keineswegs, einfach nur analytisch herauszuarbeiten, dass alles
mit allem zusammenhängt, es gilt vielmehr auch, die Eigenlogiken
sozialer Kämpfe zur Kenntnis zu nehmen! Letzteres trifft natürlich auch
auf all jene Auseinandersetzungen zu, die nur mit argumentativer
Akrobatik ökologisch ‚gerahmt’ werden können. Exemplarisch sei die zur
Zeit allenthalben intensiv verhandelte Frage von „Sicherheit, Kontrolle
& Überwachung“ erwähnt – samt „Luxussanierung innerstädtischer Bezirke“.
Pikant ist letzteres im übrigen auch deshalb, weil das nächste
Klimacampvorbereitungstreffen am gleichen Wochenende stattfinden wird
wie die große „Out of control“-Demo in Hamburg (14.-16.12.)…
Spätestens vor diesem Hintergrund dürfte nachvollziehbar werden, weshalb
wir uns einmal mehr für ein wirkliches, d.h. ein unverkürztes
Mehrsäulencamp aussprechen möchten. Ein solches Projekt würde nämlich –
darauf sind wir bereits in unserem ersten Diskussionspapier eingegangen
– sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht eine sehr
viel größere Dynamik entfalten als jedes nur erdenkliche
single-issue-Projekt. Und das mit nicht unerheblichen Konsequenzen: Denn
selbst wenn sich mehrere Teilbereichsbewegungen 10 Tage lang die
öffentliche und interne Bühne teilen müssten, dürfte unter’m Strich jede
einzelne von ihnen (also auch die derzeit nicht nur in Deutschland aus
dem Boden sprießende „Social change, not Climate Change“-Bewegung)
ungleich stärker von einem Mehrsäulen- denn einem reinen Klimacamp
profitieren.
Wie aber könnte es weitergehen? Bekanntlich finden vom 17.-20.01.2008 in
Berlin die so genannten Perspektiven-Tage statt
(www.perspektiventage.de). Im Mittelpunkt wird die Frage stehen, wie es
mit dem Heiligendammprozess inhaltlich und organisatorisch weitergehen
soll – dementsprechend sind alle an den G8-Protesten beteiligten
Gruppen, Spektren und AktivistInnen eingeladen, sich aktiv in die
Perspektiventage einzuklinken. Für das Klimacamp könnte dies also eine
äußerst günstige Gelegenheit darstellen (so denn gewollt), seine
politische und soziale Basis im Sinne der Mehrsäuligkeit auszubauen.
Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch, dass sich vom 04.-06.01. das
„Aktionsnetzwerk globale Landwirtschaft“ und vom 12.01. bundesweite
antirassistische Zusammenhänge treffen werden – insofern dürfte bis zu
den Perspektiventagen auch in anderen Teilbereichsbewegungen eine
Selbstverständigung in Sachen ‚Mehrsäulencamp’ erfolgt sein. Wichtig ist
uns indessen, dass wir mit unserer Initiative niemandem Wind aus den
Segeln nehmen möchten – nichts wäre bescheuerter als das! Das ist der
Grund, weshalb wir uns sehr wohl (niedrigschwellige) Kompromisse
vorstellen können, beispielsweise die Organisation von zwei oder drei
themenbezogene Camps am gleichen Ort und zur gleichen Zeit, inklusive
eines gemeinsamen Aktionsfahrplans – so wie es ja auch während des
G8-Gipfels mehrere Camps gegeben hat, von denen aus AktivistInnen zu
gemeinsamen Aktionen aufgebrochen sind (wie das praktisch aussehen
könnte, dazu wird kein mensch ist illegal Hanau in den nächsten Tagen
noch einiges aufschreiben und ebenfalls verschicken).
Es bleibt: Leider können wir am Dezember-Treffen nicht oder allenfalls
vereinzelt teilnehmen – was im übrigen auch (aber nicht nur) mit der Out
of Control-Demo in Hamburg zu tun hat. Uns ist bewusst, dass dies nicht
sonderlich glücklich ist, es lässt sich aber nicht ändern.
kein mensch ist illegal Hanau, NoLager Bremen, six hills, Gipfelsoli
sowie x-weitere AktivistInnen von hier & dort.