2007-12-07
Oder „Wie Al Gore meiner Mutter das Auto stahl und Angela Merkel es ihr wieder gab.“
Bis Ende März wurden 26.000 Hamburger Jugendliche durch den Film „Eine unbequeme Wahrheit“ von Al Gore geschleust. Aufgrund der enormen Resonanz hat die Behörde noch einmal eine Laufzeitverlängerung draufgelegt, so dass nun annähernd sichergestellt ist, dass fast jede Hamburger Schülerin diesen Film einmal sehen konnte.
An einem Drittel der Zuschauer rauscht der Film konsequenzlos vorbei. Zum einen ist der Klimawandel fern, abstrakt, wenig spürbar, außerdem ist die Beschäftigung damit uncool. Alltagssorgen liegen nun mal näher.
Eine zweite Reaktion ist die Verdrängung: man hört es sich an und ist kurz betroffen. Da das Problem aber zu groß, zu unvorstellbar erscheint, lässt man sich aus Selbstschutzgründen erst gar nicht darauf ein. Bevor man sich wie das Kaninchen vor der Schlange fühlt, lässt man es links rein und lieber gleich wieder rechts raus. Dieses beobachten Pädagogen bereits seit den siebziger Jahren, also seit es „Umwelterziehung“ in den Schulen gibt: Viele Schülerinnen reagieren resigniert und politisch autistisch: da man ja vermeintlich doch nichts machen kann und ohnehin alles zu spät ist, ist das eigene kleine Verhalten auch schon wieder egal. Auf die Politik hat man auch keinen Einfluss und so weiter… so what?
Doch die Jugend versagt nicht, sie reagiert erwartungsgemäß uneinheitlich. Es gibt auch einen Großteil SchülerInnen, die erschrocken, sauer und aufgerüttelt aus dem Kino kommen und berechtigterweise fragen: „So geht´s nicht weiter! Was tun?“
Nicht nur Lenin[1] antwortete schon 1902 mit einem knappen „Was tun!“ , auch die JuSos[2] sind schlau und füttern die aufgebrachten Jugendlichen an ihrem vor dem Cinemaxx aufgebauten Tischchen mit Unterschriftenlisten, Talkshoweinladungen, Aufklebern und Schnupperangeboten. In der Tat: Wer die Nachrichten hört, könnte denken, die EU seien die Vorreiter im Klimaschutz, die BRD der großen Koalition ein ökologisches Musterländle.
Wir sind überzeugt davon, dass Merkel und co sich nun das Klimathema herauspicken, um sich auf der internationalen Bühne als moralisch strahlende Vorreiter zu präsentieren. Da der Kapitalismus aber auf Mobilität und Nutzung fossiler Energien zwingend angewiesen ist, stellt die Energiepolitik immer auch die Systemfrage.
Lächerlich und zum Kotzen zugleich!
Die von der BRD und der EU angezielten Einsparungen bei den CO2 Emmissionen reichen laut UNO- Weltklimabericht nicht aus, um den Treibhauseffekt und den damit verbundenen Temperaturanstieg zu bremsen. Für die Berechnungen, um wieviel die Emissionen in der EU reduziert werden können, wurden vor allem wirtschaftliche (Maxime: kein Schaden für das Wirtschaftswachstum) und nicht ökologische Faktoren berücksichtigt. Außerdem wird sich jetzt medienwirksam ein passendes Rosinchen zu Vorführzwecken herausgepickt. Leider ist das, was uns Al Gore mitteilt, aber nicht einmal ein Bruchteil der ganzen Wahrheit: Was ist mit der Überfischung der Weltmeere, der Vergiftung der Böden und Äcker durch Pestizide, was ist mit der Zunahme des Elektrosmog, der Zersiedelung und Versiegelung der Flächen usw. usf. ???
Eine generelle Überprüfung der kapitalistischen, auf wirtschaftliche Expansion und global ungleichen Ressourcenverbrauch aufbauenden Fortschrittsgläubigkeit ist nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Foren wie das G8 oder die EU-Ratstreffen dienen dazu, global eine Politik durch zu setzen, die den wirtschaftlichen Interessen der privilegierten Wohlstandsnationen dient. Diese beruht wesensmäßig auf materieller Ausbeutung großer Teile der Weltbevölkerung und geht zwangsweise einher mit Ausplünderung der natürlichen Ressourcen und Vergiftung und Verseuchung der Lebensgrundlagen der Bevölkerungen des Südens. Wo ökologische Reperaturarbeiten stattfinden, werden diese selbstverständlich ebenfalls so organisiert, dass das Know- How aus dem entwickelten Norden verwaltet und abkassiert wird.
Nichts ist gut! Gewissensberuhigung und politische Eingemeindung unter der Dammtorsonne
Der Klimawandel ist seit 4 Jahrzehnten bekannt, zumindest bei denen die es wissen wollen. Die Umweltbewegung protestiert seit dieser Zeit verbissen gegen die CO2- Emissionen durch eine veraltete Kraftwerkstechnik und fordert einen Ausbau der erneuerbaren Energien, wird aber seitens der jeweiligen Regierungen stets ausgebremst. Die Anti- AKW- Bewegung bekämpft das EU- Atomprogramm, welches bisher von allen Regierungen unterstützt wurde (die Euratom-Verträge regeln die Subventionierung, das heißt die öffentliche Bezuschussung dieser Energieform).
Genau diese staatliche Bevorzugung von einerseits fossilen Energieträgern, andererseits der Atomtechnik ist bis in dieses Jahrtausend hinein fester programmatischer Bestandteil der bundesdeutschen Volksparteien gewesen.
Wenn es in jüngster Zeit hier ansatzweise Umdenken gegeben hat, so ist dies nur und ausschließlich auf den stärker werdenden Druck von der Straße zurückzuführen. Die Umweltbewegten wurden über Jahrzehnte als rückwärtsgewandte Spinner angesehen und ausgegrenzt. Der radikale Teil wurde an der Startbahn West in Frankfurt, in Brokdorf, Wackersdorf und Gorleben offen militärisch bekämpft, der gemäßigte Teil wurde hofiert und über die Einbindung in die Parlamente kanalisiert und mit wirkungslosen aber hübschen Aufträgen zur Radwegbegrünung und Müllsammelaktionen auf lokaler Ebener integriert und ruhig gestellt. Die Proteste gegen eine verfehlte Umwelt- und Energiepolitik wurden zu bestimmten Anlässen[3] dennoch unüberhörbar, so dass auch bei den „Altparteien“ schleichend eine Öffnung gegenüber derlei „Umweltproblemen“ zu beobachten war. Doch einer substanziellen Neuorientierung standen diese Parteien mit ihren überkommenen Vorstellungen wirtschaftlicher Entwicklung stets entgegen. Als Beispiel seien hier nur die CDU- Initiativen gegen das Energieeinspeisegesetz genannt, diese sollten den Ausbau der regenerativen Energien behindern und gingen so auf die unverblümten Forderungen der Kohle- und Atomlobby ein[4]. Zum Auto- und mittlerweile Gaskanzler Schröder ist nicht viel zu sagen, außer dass ein unter ihm ausgehandelter Atomkonsens, der den Kraftwerksbetreibern in der Summe über dreißigjährige Laufzeiten garantiert[5] ein Schlag in das Gesicht derjenigen ist, die seit Jahren auf die bewiesene Unkontrollierbarkeit (Forsmark/ Schweden lässt grüßen) dieser Technologie hinweisen.
So ein Scheiß! Den Protest auf die Straße tragen!
Wenn wir, die Linke heute zur Kenntnis nehmen, dass nun die Arschlöcher von SPD und CDU (die für uns offensichtlich mit zu den verantwortlichen Verursachern der derzeitigen Katastrophe sind), sich als Vorreiter im Klimaschutz darstellen, ist dies natürlich lächerlich. Es bringt aber nichts, sich mit dem schönen Gefühl, es schon früher und besser gewusst zu haben, schmollend zurück zu ziehen. Die Klimainitiativen der Bundesregierung sind Anlass, sich wahrnehmbar der Umwelt- und Energiepolitik entgegen zu stellen.
Hier stehen grob drei Konfliktfelder an:
1.Seitens der CDU und auf G8 – Ebene wird derzeit die Atomenergie als scheinbare Alternative zur Nutzung fossiler Energieträger ins Spiel gebracht. Die Linke wird die nächsten Jahre stärker ihre Anti-AKW- Kämpfe ausweiten müssen.
2.teilweise offen, größtenteils verdeckt wird die angebliche Überbevölkerung als Risikofaktor für den Klimawandel angeführt. Solche strukturell rassistischen und sozialdarwinistischen Annahmen gilt es zurück zu weisen. In vielen Ländern ist die Geburtenrate deshalb so hoch, da viele nachkommen als Schutz vor Verarmung angesehen wird, mit der Entwicklung der Gesellschaften nimmt auch die Geburtenrate ab. Hier gilt es einen neuen solidarischen Internationalismus zu entwickeln, der sich auf die emanzipatorischen Kämpfe der Trikontländer bezieht. Gleichfalls gilt es, das Recht auf globale Migration zu verteidigen.
3.Umweltpolitik muss als Querschnittsthema in möglichst viele soziale Kämpfe eingebettet werden. Ein Beispiel: „Hamburg Umsonst“ propagiert kostenlosen Personennahverkehr. Solchen Kämpfen ist leicht eine energiepolitische Dimension zuzufügen.
Der Sozialismus ist tot, es lebe der Sozialismus
Neben diesen politischen Erwägungen bleibt natürlich die Frage nach dem eigenen Verhalten. Eine Politik, die die große Schweinereien geißelt und das eigene Verhalten ausklammert ist unglaubwürdig. Das heißt, dass wir uns natürlich auch ständig fragen müssen, was wir warum konsumieren. Dennoch muss sich auf der kulturellen Ebene die Umweltbewegung vom Wollsockenimage befreien. Eine moralisierende Verzichtsästhetik endet, dies belegen die historischen Erfahrungen, in politischem Rückzug und einer uncoolen Landkommune.
Wir wissen nicht genau, wie ein ökologisch organisierter Sozialismus aussehen kann. Die real existierenden Modelle (DDR und SU) taugen nicht als Vorbild. Doch befreit von diesen unschönen Beispielen wird sich eine radikal kapitalismuskritische Umweltbewegung neu organisieren können. Wir sollten Teil der Bewegung sein und so der derzeitig drohenden Eingemeindung entgegen wirken.
[Avanti]