2006-12-12
- Eine Villa für jedes Gastland
- Schwaaner Firma baut Fundamente für G8-Zaun
- G8-Protestbewegung fordert Gelände von Land oder Kommune
- Attac: G8-Staaten maßgeblich verantwortlich für wachsende Armut
- Pfaffenbach: G8-Gipfel soll nur schmale Angriffsfläche bieten
- Firma aus Bargeshagen bekam Zuschlag für Zaun zum G 8-Gipfel
- Ringstorff bürdet Land Millionen auf
- Aufruf der Interventionistischen Linken gegen G8-Gipfel 2007
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Schweriner IHK-Chef verblüfft mit G8-Idee
Eine Villa für jedes Gastland
Hohe Kosten belasten das Land und den Investor Fundus in Heiligendamm. Jetzt lässt ein unkonventioneller Vorschlag aufhorchen.
Schwerin (OZ) Beschert der G8-Gipfel Heiligendamm doch noch eine rosige Zukunft? Der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Schwerin, Klaus-Michael Rothe, sorgt mit einer spektakulären Idee zur Sanierung der "Weißen Stadt am Meer" für Aufsehen.
Der Vorschlag: Die sieben als "Perlenkette" bekannten, maroden klassizistischen Strandvillen in Heiligendamm sollen jeweils an einen der sieben ausländischen Gipfel-Staaten verkauft werden. "Das Weltwirtschaftstreffen bekäme tatsächlich eine nachhaltige, positive Wirkung für unser Land", wirbt Rothe in einem Brief an die OZ für seinen unkonventionellen Vorstoß.
Der Besitzer der Villen, die Kölner Fundus-Gruppe von Anno August Jagdfeld, müsse einsehen, mit dem bisher umgesetzten Projekt im "Hinterhof" des Kempinski Grand Hotels gescheitert zu sein, schreibt Rothe. Das historische Ensemble, "eine der schmerzlichsten architektonischen Wunden in Mecklenburg-Vorpommern", sei für ausländische Investoren von ungeheurem Reiz. Es sei nach einer Renovierung langfristig vielfältig nutzbar.
Diplomatische Vorauskommandos aller G8-Teilnehmer machten sich in den vergangenen Wochen bereits ein umfangreiches Bild von den Bauten im ältesten deutschen Ostseebad.
In Tokio zeigt man sich hellauf begeistert. Für den japanischen Botschafter in Berlin, Tshiyuki Takano, wäre der Kauf einer Immobilie in Heiligendamm "eine Überlegung wert". Japan macht Verhandlungen jedoch von konkreten Angeboten abhängig. Bevor kein Exposé vorliege, könne seine Regierung keine Entscheidung treffen, betonte die Botschaft in Berlin-Tiergarten.
Auch London zeigt sich von den klassizistischen Bauten beeindruckt. Der britische Botschafter Sir Peter Tory verweist allerdings auf die leere Staatskasse des Vereinten Königreichs: "Gut gemeint, aber zurzeit nicht realisierbar. Für sanierungsbedürftige Villen fehlt uns einfach das Geld." Ähnlich äußerte sich der französische Botschafter Claude Martin. US-Konsul Greggory D. Crouch antwortete kurz und knapp: "Wir planen nicht, Grundeigentum in MV zu erwerben."
Im Gegensatz zu zahlungskräftigen russischen Konzernen, die offensiv und medienwirksam in ganz Europa auf Einkaufstour gehen, verhält sich die russische Botschaft in Sachen Heiligendamm bedeckt. Botschafter Wladimir W. Kotenew schweigt hartnäckig - und nährt damit Gerüchte, nach denen Russlands Präsident Wladimir Putin persönlich Interesse am Immobilienerwerb in Heiligendamm bekundet habe. Italien lobt höflich "den symbolischen Wert des Vorschlags", so Botschafter Antonio Puri Purini diplomatisch.
Während sich Fundus-Sprecher Johannes Beermann auf OZ-Anfrage zu einem möglichen Verkauf nicht äußern wollte, erklärte eine Sprecherin von Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD): "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Interesse von Seiten des Investors gibt, die Strandvillen in Heiligendamm zu verkaufen."
[Ostseezeitung 12. Dezember 2006]
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Schwaaner Firma baut Fundamente für G8-Zaun
Schwaan (OZ) Die Firma Wilhelm Siemsen Betonwerk Schwaan hat den Zuschlag für die Herstellung der Betonfundamente für den rund 14 Kilometer langen Zaun zum G8-Gipfel erhalten. Das Bauwerk soll den Tagungsort Heiligendamm Anfang Juni von der Außenwelt abschirmen. In rund einer Woche wird die Produktion anlaufen, sagte Betriebsleiter Andreas Hock. "Bestellt wurden 4000 Betonfundamente, jedes 900 Kilo schwer." Das Schwaaner Betonwerk hat 22 Mitarbeiter und gehört zur Firmengruppe Siemsen mit Sitz in Eckernförde.
[Ostseezeitung 12. Dezember 2006]
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G8-Protestbewegung fordert Gelände von Land oder Kommune
Im Juni 2007 wird der G8-Gipfel in Heiligendamm stattfinden. Damit werden das Land Mecklenburg-Vorpommern, die Stadt Rostock und der Landkreis Bad Doberan im Zentrum internationaler Aufmerksamkeit stehen. Sie werden nicht nur Schauplatz des Treffens von acht StaatsführerInnen samt Delegierten und JournalistInnen sein, sondern es werden zehntausende Menschen anreisen, um von ihrem demokratischen Recht Gebrauch zu machen, für eine gerechtere und friedliche Welt einzutreten.
"Diese Menschen müssen schlafen, essen, trinken und duschen, dafür brauchen wir ein passendes Gelände und ausreichende Infrastruktur," so Manuel Faber, Sprecher einer spektrenübergreifenden Vorbereitungsgruppe, die ein oder mehrere Camps zwischen Kühlungsborn und Rostock plant. "Wer sich die G8 einlädt, lädt sich auch den Widerstand ein," so Faber weiter. "Ein geordneter Ablauf der Protesttage liegt in unser aller Interesse, daher fordern wir die Verantwortlichen aus Kommunen und Land auf, ein passendes Gelände für die Übernachtung von 15.000 -20.000 GipfelkritikerInnen sowie geeignete Räumlichkeiten für die Durchführung des Alternativkongresses mit einigen tausend TeilnehmerInnen zur Verfügung zu stellen".
Entsprechende Briefe sind am Montag an den Ministerpräsidenten des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff, an alle Fraktionen des Landtages sowie an den Landrat und die Bürgermeister von Bad Doberan und Rostock geschickt worden.
"Zwar stehen noch nicht alle Veranstaltungen fest, die vor und während der Gipfeltage in der Region stattfinden werden, aber einiges zeichnet sich mit hinreichender Gewissheit ab: Es werden mehrere zehntausend Menschen aus ganz Europa, aber natürlich auch aus zahlreichen außereuropäischen Ländern, über mehrere Tage unsere und Ihre Gäste sein," heißt es in dem Schreiben. "Wir erwarten, dass der zivilgesellschaftliche, globalisierungskritische Protest in Mecklenburg Vorpommern genauso willkommen ist wie die Staatschefs aus aller Welt."
[Camp 07 Vorbereitung]
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Attac betont Bedeutung sozialer und wirtschaftlicher Menschenrechte - G8-Staaten maßgeblich verantwortlich für wachsende Armut
Frankfurt am Main 10.12.2006 Zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember hat das globalisierungskritische Netzwerk Attac die Bedeutung der sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte betont. "Vor allem die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte werden permanent millionenfach verletzt", sagte Werner Rätz vom Attac-Koordinierungskreis. Das gelte insbesondere für die armen Länder des Südens, wo die von IWF und Weltbank diktierten Strukturanpassungsprogramme zu immenser Verarmung, Gewalt, Kriegen und vielfachen Migrationsbewegungen führen. "Jeden Tag sterben bis zu 100.000 Menschen an Hunger und seinen Folgen, weil ihr Menschenrecht auf Nahrung verletzt wird. Dies ist kein Schicksal, sondern die Folge einer falschen, von Menschen gemachten Politik", betonte der Globalisierungskritiker.
Die Zumutungen der neoliberalen Globalisierung seien aber auch längst in den Industrieländern angekommen. So liegt das Arbeitslosengeld II hierzulande deutlich unter der von der Europäischen Union für Deutschland definierten Armutsgrenze. Dennoch hat der IWF Deutschland eine Kürzung um 30 Prozent empfohlen - eine Forderung, die sich im jüngsten Gutachten der so genannten Wirtschaftsweisen wiederfindet. Statt den Wunsch vieler Menschen nach einem sinnvollen Arbeitsplatz ernst zu nehmen, werde mit Hartz IV Arbeitszwang und die Verpflichtung zu jeglicher Tätigkeit eingeführt - wie sinnlos sie auch sein möge. "Offenbar sollen die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte für Arbeitslose auch hierzulande nicht mehr gelten", folgerte Werner Rätz.
Ohne soziale Gerechtigkeit könne es keine Demokratie geben; soziale und politische Menschenrechte seien zwei Seiten derselben Medaille. Wer mit reiner Existenzsicherung beschäftigt sei, habe keine Möglichkeit zur gesellschaftlichen und politischen Teilhabe.
Die G8-Staaten sind laut Attac maßgeblich für die permanenten weltweiten Verletzungen der sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte verantwortlich. "Sie haben ein globales Leitbild durchgesetzt, bei dem die Pflege von Kapital und großem Vermögen im Zentrum steht und die Gesellschaft immer mehr in Arm und Reich gespalten wird", sagte Werner Rätz. Attac wird daher gemeinsam mit Bündnispartnern zu den Protesten gegen den G8-Gipfel im kommenden Juni in Heiligendamm aufrufen.
[http://www.attac.de/aktuell/presse/presse_ausgabe.php?id=647]
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Pfaffenbach: G8-Gipfel soll nur schmale Angriffsfläche bieten
Berlin (ddp). Die Bundesregierung hofft, auch mit den Gegnern des G8-Gipfels in Heiligendamm ins Gespräch zu kommen, um so Gewalt zu vermeiden. "Unsere Tagesordnung hat ja nichts Aggressives, sondern wir wollen den Wohlstand in der Welt mehren, vor allem in den nicht so reichen Ländern", sagte Staatssekretär Bernd Pfaffenbach, der das Treffen für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorbereitet, dem Berlin "Tagesspiegel" (Montagausgabe). Er betonte: "Wir bieten nur eine schmale Angriffsfläche."
Nötig sei, als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen. Auch die Kanzlerin werde das tun. "Wenn wir viel Offenheit zeigen, haben wir gute Chancen, dass unser Land eine sehr gute Figur macht", sagte Pfaffenbach. Den Plan der evangelischen Kirchen, am Abend des 6. Juni 2007 zeitgleich mit dem Beginn des Gipfels Kirchenglocken in ganz Deutschland acht Minuten lang für mehr Gerechtigkeit in der Welt läuten zu lassen, begrüßte der Staatssekretär. "Dieses Signal des Kirchentages passt zu unserer Agenda", betonte er.
Auf dem Gipfel solle afrikanischen Staaten eine Partnerschaft angeboten werden. "Es kann nicht bloß um mehr Geld gehen. Was wir vorhaben, ist mehr wert als Geld", sagte Pfaffenbach. Nötig sei es, die gegenseitige Kontrolle der afrikanischen Länder zu stärken und die Rahmenbedingungen zu verbessern. Nach dem Gipfel werde Deutschland auch eine Investitionskonferenz für Afrika veranstalten.
[http://news.abacho.de/aktuelles/artikel_anzeigen/index.html?news_id=46551]
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Firma aus Bargeshagen bekam Zuschlag für Zaun zum G 8-Gipfel
Bargeshagen (OZ/D.K.) Der Zaun zum G 8-Gipfel in Heiligendamm wird von der Firma Metall-Zaun-Stahlbau (MZS) in Bargeshagen (Landkreis Bad Doberan) gebaut. "Wir haben den Zuschlag", bestätigte Geschäftsführer Frank Neumann gestern. Im Januar werde mit dem Bau der 13 Kilometer langen und 2,50 Meter hohen Einfriedung begonnen.
Der größte Zaunbauer des Landes hatte bereits zum Besuch des US-Präsidenten George W. Bush im Juli den 1,80 Meter hohen und 1300 Meter langen Sichtschutz am Grand Hotel in Heiligendamm errichtet. Außerdem hat das Unternehmen u.a. das Ostseestadion eingezäunt, mit Toren und Ballfanggittern versehen, spezielle Toranlangen für den Rostocker Zoo, das Kempinski Hotel Heiligendamm und verschiedene Firmen geliefert .
Der Chef des 17-köpfigen Fachbetriebes hatte nun an der Ausschreibung für den Bau des 12,5 Millionen Euro teuren Zaunes um Heiligendamm teilgenommen. Mit Erfolg. Im Vorfeld hat Neumann angekündigt: "Wenn es klappt, stocken wir Personal auf."
[Ostseezeitung 9.12.2006]
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Ringstorff bürdet Land Millionen auf
Ministerpräsident wusste schon lange von enormen Kosten für G-8-Gipfel / Parlament stimmt trotzdem zu
Nicht zehn, sondern mindestens 68 Millionen Euro kostet das Land Mecklenburg-Vorpommern der G-8-Gipfel im nächsten Jahr. Ministerpräsident Harald Ringstorff wusste das, behielt es aber für sich. Der Ärger ist groß.
Dresden - Im vergangenen Sommer war Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) noch zum Spotten aufgelegt: "Es ist den Bürgern und Bürgerinnen hier nur schwer zu vermitteln, dass sie die teuerste Grillparty der Welt bezahlen sollen", sagte der SPD-Regierungschef dem NDR während des Landtagswahlkampfes. Gemeint war der Besuch von George W. Bush bei Angela Merkel mit Visiten in Stralsund und Spanferkelessen in Trinwillershagen. Ein Besuch, der einen Haufen Geld gekostet und wegen des Sicherheitsaufwandes für viel Ärger gesorgt hatte.
Ringstorff, damals noch in der Hoffnung, er könne das rot-rote Bündnis in Schwerin fortsetzen, machte sich die landesweite Verärgerung über den teuren Besuch bei der CDU-Kanzlerin zunutze und streute Salz in die Wunde, wo er konnte.
Was er seinen Landsleuten damals verschwieg: Mecklenburg-Vorpommern steht 2007 ein Spektakel bevor, das ungleich teurer kommt als die Bush-Visite. Ein Besuch, um den sich die damalige rot-rote Landesregierung intensiv beworben hatte: Im Juni 2007 kommen die Staatschefs der G-8-Staaten nach Heiligendamm zu einer dreitägigen Konferenz. Die rot-rote Regierung hatte stets verkündet, mehr als zehn Millionen Euro könne das klamme Land an der Ostseeküste nicht beisteuern. Noch im Oktober sprach Ringstorff von dieser Summe.
Dabei wusste er seit dem Frühjahr, dass es anders kommen wird: 92 Millionen Euro kosten allein die Sicherheitsmaßnahmen für den dreitägigen Gipfel. Die Bundesregierung zahlt 24 Millionen, auf Mecklenburg-Vorpommern kommt der Rest zu, mindestens 68 Millionen.
Ringstorff behielt das lieber für sich. Wären die echten Zahlen im Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern bekannt geworden, eine Woge der Empörung wäre über der Landesregierung zusammengeschlagen. Die rebellische PDS hätte dem niemals zugestimmt.
PDS sieht Wählertäuschung
Das erklärt auch, warum Ministerpräsident Ringstorff nach der Wahl am 17. September schnurstracks zur CDU umschwenkte und den alten Koalitionspartner sitzen ließ. Mit der CDU konnte er sicher sein, die nötige Mehrheit für die Gipfelkosten im Schweriner Landtag zusammenzubekommen. "Das Ganze ist noch eine Nummer schärfer als der Bush-Besuch", sagt PDS-Fraktionschef Wolfgang Methling, früher Umweltminister im Kabinett Ringstorff. "Über die Gesamtkosten ist nie gesprochen worden." Er nennt Ringstorffs Verhalten schlicht und einfach "Wählertäuschung".
Als vor einigen Wochen das ganze Ausmaß bekannt wurde, muckte auch die SPD auf. Möglicherweise müsse man den G-8-Gipfel in Heiligendamm absagen, schlug SPD-Chef Till Backhaus vor. Alle Optionen seien offen. Aber nichts war offen. Alles war längst festgezurrt. Für einen Kostenpoker zwischen Schwerin und Berlin fehlten Ringstorff die Karten.
Am Donnerstagabend nahm der Gipfel die ersten Hürden im Landtag. Im Nachtragshaushalt verabschiedete das Parlament schon einmal 12,5 Millionen Euro für den Bau eines Sicherheitszauns um das Ostseebad Heiligendamm. SPD und CDU stimmten zu, PDS, FDP, NPD und ein SPD-Abgeordneter dagegen.
Harald Ringstorff, der Schweiger, hatte sich durchgesetzt. Dies sei ein "teurer Sieg", hieß es anschließend in der SPD. Eine Menge Vertrauen in den sturen Regierungschef sei bei seinem Schlingerkurs über Bord gegangen. Bernhard Honnigfort
[http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/?cnt=1028344]
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Aufruf der Interventionistischen Linken gegen G8-Gipfel 2007
Make Capitalism History
oder: die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel ausweiten
Juni 2007. Ein unübersehbarer Zug von DemonstrantInnen aus der ganzen Welt zieht aus Protest gegen das Gipfeltreffen der G8-Staaten durch die Straßen von Rostock. Zehntausende begrüßen die Regierungschefs bereits auf dem Rollfeld des Flughafens und blockieren den noblen Tagungsort Heiligendamm. Immer wieder gerät der Ablauf des Treffens ins Schwanken, da die Logistik des Gipfels durch einfallsreiche Aktionen gestört wird. Im Fokus der Öffentlichkeit stehen nicht die Verlautbarungen der Mächtigen, sondern die Vielfalt des Protestes und des Widerstands Die Delegitimierung der G8 ist keine Forderung mehr, sie ist das, was auf den Straßen, an den Sperrzäunen und in den Debatten der Camps und des Gegengipfels geschieht - und was weltweit als Ereignis von Rostock wahrgenommen wird. Ein Jahr lang hatten sich die sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, die Kampagnen engagierter ChristInnen, verschiedene Nichtregierungsorganisationen, GlobalisierungskritikerInnen, die Parteien der parlamentarischen und die Netzwerke der radikalen Linken darauf vorbereitet. Ihr gemeinsames Auftreten, ihr politischer Wille, sich gerade in ihrer Verschiedenheit nicht voneinander trennen zu lassen, ließ die mediale Desinformation ebenso ins Leere laufen wie die polizeiliche Repression.
Unsere Chance, Rostock zu einem solchen Ereignis zu machen, geht auf die Proteste in Seattle, Prag, Genua und Florenz zurück. Diese Möglichkeit ist auch ein praktisches Resultat der Debatten der Sozialforen, der globalisierungskritischen und radikalen Linken in Deutschland, in Europa und weltweit. In ihr kommt zusammen, was in zahllosen lokalen Kämpfen ausgefochten wird, hier und überall auf dem Planeten. Nutzen wir diese Gelegenheit, führt das weit über Heiligendamm und Rostock, weit über jede Anti-G8-Kampagne hinaus.
Die Delegitimierung der G8 ist nur ein Schritt im Aufbruch einer weltweiten Bewegung gegen die neoliberal globalisierte kapitalistische Herrschaft. Die Interventionistische Linke versteht sich als Teil dieses Aufbruchs. Wir kommen aus verschiedenen Generationen und unterschiedlichen Spektren der undogmatischen radikalen Linken, sind in Antifa-Organisierungen, in verschiedenen sozialen Bewegungen und politischen Kampagnen aktiv, arbeiten als einzelne, doch koordiniert in Gewerkschaften, sozialen Verbänden und alternativen Projekten. Getroffen haben wir uns im Aufbruch der anti-neoliberalen und globalisierungskritischen Kämpfe.
Für eine radikale Intervention in die Verhältnisse
Wo auch immer seit einigen Jahren die G8, die Welthandelsorganisation (WTO), der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank, die Koordinationen der NATO und der EU zusammen kommen, die Karawane der neuen Widerstandsbewegung ist bereits vor Ort, um dem neoliberalen Weltmanagement entschieden die Zähne zu zeigen. Denn während diese Treffen beanspruchen, die legitime Repräsentanz der "zivilisierten Welt" zu sein, organisieren sie den Fortgang eines Zerstörungsprozesses, in dem - ein Beispiel - weltweit in jeder Sekunde ein Mensch an Unterernährung stirbt.
Sie sprechen von Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit, von der Demokratie und der uneingeschränkten Marktkonkurrenz als der gesetzmäßig wirkenden Voraussetzung des Glücks und Wohlstands aller. Währenddessen wächst das weltweite Heer der "Überflüssigen", verstärkt sich mit jeder weiteren sozialen Entsicherung des Lebens die Notwendigkeit zur militärischen Sicherung des freien Flusses der Waren und Profite, wird der Krieg zur Weltinnenpolitik, die Menschenrechte im Namen der Menschenrechte außer Kraft gesetzt und Folter wieder hoffähig.
Die G8 delegitimieren zu müssen, ist unsere Aufgabe allerdings nur deshalb, weil sie sich Legitimität trotz allem zu erwerben wussten. Wenn die G8 versprechen, Weltordnung zu schaffen und zu sichern, fällt ihnen allgemeine Anerkennung auch deswegen zu, weil weltweit wirklich Millionen von Unsicherheit bedroht werden. Wenn die G8 die marktförmige und arbeitsteilige Konkurrenz um Glück und Wohlstand von jeder Einschränkung befreien, fällt ihnen Anerkennung auch und gerade deshalb zu, weil das Konkurrieren ums Überleben millionenfach Alltäglichkeit ist, also Strategie des eigenen, sei's noch so elenden Daseins ist und sein muss.
Die Linke neu erfinden
Wollen wir die Legitimität der G8 in Frage stellen, untergraben und letztlich zerstören, müssen wir andere Antworten auf die globale Verunsicherung des Überlebens, andere Antworten auf den alltäglichen Zwang zur Konkurrenz finden. Andere Antworten nicht nur als die des neoliberalen Diskurses, sondern auch als die der historischen Linken und der historischen sozialen Bewegungen. Denn die Kette der "humanitären Interventionen" und die Konfusion, Desorientierung und der nicht selten offen reaktionäre Charakter der Widerstände gegen den imperial(istisch)en Krieg belegen unübersehbar, dass internationale Solidarität - das A und O jeder emanzipatorischen Initiative - heute nicht mehr umstandslos als Einheit der Linken im Norden mit den Aufständen im Süden gedacht werden kann.
Zugleich kann der Widerstand gegen alltägliche Ausbeutung und Ausgrenzung "vor Ort" nicht mehr nur in der für die ArbeiterInnenbewegung grundlegenden Identität einer "universellen Klassenlage" der Ausbeutung begründet werden. Auch die für die Neuen Sozialen Bewegungen leitende Berufung auf die Differenz der Erfahrung patriarchaler oder rassistischer Herrschaft reicht nicht aus. Dem steht schon allein die tief greifende Verunsicherung des alltäglichen Überlebens und der individualisierenden Zersplitterung aller sozialen Zusammenhänge entgegen.
Dies nicht etwa, weil es nicht nach wie vor klassenspezifische Ausbeutung oder patriarchale oder rassistische Herrschaft gäbe, sondern weil die ausgebeuteten Klassen in eine hochgradig ausdifferenzierte Hierarchie der Prekarisierung aufgelöst und "Differenz" und "Subjektivität" zu Kampfbegriffen des neoliberalen Kommandos umfunktioniert wurden, in der und mit dem die Leute in die Konkurrenz ums Überleben gehetzt werden. Klasse ist durch den Klassenkampf bestimmt. Aufgabe der Linken ist, die existierenden Bedingungen eines potenziellen kollektiven Ausbruchs zu identifizieren und als politischen Entwurf zu artikulieren. Die Herrschaft des Kapitals, den Neoliberalismus und also die G8 delegitimieren zu wollen, heißt unter den aktuellen Umständen deshalb auch in letzter wie erster Konsequenz zugleich die Linke und die sozialen Bewegungen neu erfinden zu müssen.
Bewegung der Bewegungen
Die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm kann an Erfahrungen anknüpfen, die in Seattle, Genua und Florenz, aber auch in Caracas, La Paz und jüngst in Oaxaca gewonnen wurden. In diesen Erfahrungen gründen Initiativen, die der systematischen Entrechtung eine Globalisierung sozialer, kultureller, ökonomischer und politischer Rechte als WeltbürgerInnenrechte entgegensetzen und dabei mit dem Recht auf Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit den unumgänglichen Anfang machen. Diese Initiativen berühren sich mit den Widerständen gegen die militärische Abschottung der Metropolen und den imperial(istisch)en Weltordnungskrieg ebenso wie mit denen gegen die alltägliche Verschärfung der Ausbeutungs- und Arbeitsregime. Wo diese Kämpfe sich kreuzen, wird überall, wenn auch nicht ohne Widersprüche und bisweilen quälende Auseinandersetzungen, der Anspruch auf die Unentgeltlichkeit des Lebens erhoben, der sich beispielsweise materiell in einem bedingungslosen Existenzgeld für alle konkretisiert, ganz allgemein aber die um sich greifende Durchkapitalisierung der Lebensverhältnisse und den Zwang zur Lohnarbeit angreift.
In dem Anspruch auf die Unentgeltlichkeit des Lebens verbinden sich die Forderung nach einer Umkehr der Stoff- und Ressourcenströme von Nord nach Süd, die im ersten Schritt den bedingungslosen Erlass aller Schulden des globalen Südens und Reparationszahlungen für die koloniale und imperialistische Ausbeutung verlangen. In der Radikalisierung, Ausweitung und Entwicklung all' dieser Initiativen werden und müssen sich letztendlich auch die "alte" Macht- und Eigentumsfrage neu stellen, sie werden sich als weltgesellschaftliche Fragen stellen und damit die Frage nach einem Bruch mit dem System des klassenherrschaftlich, patriarchal, rassistisch und imperial(istisch) kodierten Privateigentums in unsere Gegenwart zurückbringen.
Denn noch immer ist die Welt nichts anderes als das, was die Geschichte der sozialen Kämpfe aus ihr machen wird. Das befreite Leben kann nur im Horizont der Überwindung aller Herrschaftsverhältnisse erfahrbar werden.
Das Gemeinsame
Wir können diese Chance nur gemeinsam und als unsere gemeinsame Chance nutzen. Unter diesem "Wir" verstehen wir nicht bloß die Gruppen und Projekte des Netzwerks der Interventionistischen Linken. "Wir" meint auch nicht einfach die verschiedenen Spektren der außerparlamentarischen und parlamentarischen Linken. "Wir" meint, was man seit Seattle die "Bewegung der Bewegungen" nennt. "Wir" meint eine globale Konstellation emanzipatorischer Politiken, die über die Linke und über die älteren und jüngeren sozialen Bewegungen hinausreicht. Denn wenn nunmehr alle Formen lebendiger Arbeit im globalen Markt gesellschaftlich produktiv sind, also gemeinsam produzieren, ist ihnen ebenso das Potenzial gemeinsam der Herrschaft des Kapitals zu widerstehen. Diese Chancengleichheit zum Widerstand zu organisieren und darin sein Gemeinsames zu erfinden, wird heute anderes und mehr werden, als was früher "Bündnis" oder "Block" genannt wurde. Weder gibt es heute ein Industrieproletariat, dass in den Arbeiterparteikonzepten die einzige Klasse war, die wirksam gegen das Kapital kämpfen konnte, noch sind die Bewegungen "Vorfeld" und "Massenprozess" einer Linken, die ihre Avantgarde wäre; weder ersetzen die Bewegungen in ihrer Vielfalt und Spontaneität, was sich als "Linke" von ihr differenziert, noch entfällt der Streit zwischen unterschiedlichen Weisen des Linksseins. Doch zielt dieser Prozess weder auf eine letzte Einheit noch auf eine endgültige Trennung. Für eine kommende Linke wird die Kommunikation der Initiativen und der Kämpfe kein Mittel zu einem außer ihr liegenden Zweck sein, sondern das Mittel, das selbst ein Zweck ist zur Konstruktion des Gemeinsamen, des Kommunen. Wirksam wird dies allerdings nur im praktisch-erprobten Spiel der Unterschiede, in der offenen und solidarischen Konstellation seiner Differenzen und in der entschiedenen Intervention in die gesellschaftlichen, sprich: Herrschaftsverhältnisse.
Vor dem Gipfel, nach dem Gipfel
Eine globale Alternative zur global governance von Kapital, Patriarchat und Rassismus ist die Sache einer gemeinsamen, d.h. in sich vielfältigen, unterschiedlichen Gegenmacht in Bewegung. In diese Bewegung linksradikal zu intervenieren, ist keine Frage der Rhetorik, sondern eine der praktischen Verbindung der Kämpfe, die auf deren Radikalisierung zielt. In der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel können und sollen unserer Ansicht nach die AktivistInnen der Sozialproteste, der Umwelt- und Friedensbewegung, der linken Gewerkschafts- und Menschenrechtsarbeit, der Selbstorganisation der MigrantInnen, der globalisierungskritischen Netzwerke und der verschiedenen Strömungen der Linken darüber in Kommunikation treten. Dem gilt unsere Intervention, als eine in der Tendenz das System aufsprengende und deshalb linksradikale Intervention. Das Maß des Gelingens liegt zuerst im solidarischen Verhältnis aller Beteiligten zueinander, in der Transparenz der Auseinandersetzung, der Verlässlichkeit der Übereinkunft, der gegenseitigen Akzeptanz und Respektierung unterschiedlicher Aktions- und Ausdrucksformen.
Es liegt aber auch, was kein Widerspruch ist, in dem, was am Anfang steht: der Ablehnung der G8, des Neoliberalismus, der globalen Herrschaft des Kapitals in einer massenhaften Verweigerung und Rebellion in den Straßen Rostocks und vor den Zäunen Heiligendamms, damit es sich weltweit mitteilt. Deshalb beteiligen wir uns an allen Demonstrationen, Aktionstagen und Gegenaktivitäten. Deshalb wollen wir die Ankunft der acht Staats- und Regierungschefs zu ihrem Desaster werden lassen. Deshalb sind wir in der "Block G8", in der sich zahlreiche Gruppen mit unterschiedlichen Protest- und Widerstandstraditionen zusammengetan haben, um das Treffen der G8 zu Tausenden effektiv zu blockieren, in einer solidarischen Aktion des gemeinsamen Ya Basta! Es reicht! Deshalb rufen wir auf, in allen Städten und Regionen lokale, spektrenübergreifende Bündnisse und Netzwerke zu bilden, die die lokalen Auseinandersetzungen mit den globalen Kämpfen verbinden: den Alltag einer anderen Globalisierung, der anderen Welt, die in unseren Kämpfen schon aufscheint. Join the winning side!
Interventionistische Linke, Dezember 2006
[http://www.g8-2007.de]