2007-11-17
Wie die Meisten von euch sicherlich noch wissen durchsuchte das LKA Schleswig - Holstein am 13. Juni dieses Jahres, mit Unterstützung des LKA Hamburg und der Bundesanwaltschaft, acht Wohnungen von neun Beschuldigten, sowie vier Elternhäuser und das linke Projekt „Inihaus“ in Bad Oldesloe und Hamburg. Am 19. Juni folgten drei weitere Durchsuchungen gegen zwei Beschuldigte in Berlin. Dabei drangen vermummte SEK Kräfte mit Maschinenpistolen in die Wohnungen der Betroffenen ein, während Scharfschützen die Nachbarschaft einschüchterten. Ein Vorgehen das weniger mit der vermuteten Gefährlichkeit der Beschuldigten zu erklären ist als vielmehr mit dem politischen Willen der Einschüchterung und Kriminalisierung der Betroffenen. Im Rahmen der Durchsuchungen wurden umfangreiche Unterlagen und private Gegenstände sichergestellt. Des Weiteren wurden alle Handys und Computer, sowie alle weiteren Datenträger beschlagnahmt.
Vorgeworfen wird den elf Genoss_innen eine Reihe von Brandstiftungen gegen Objekte von Rüstungszulieferern und der Bundeswehr in den Jahren 2002, 2004 und 2006.
Übrigens die teilweise gleichen Aktionen die den Beschuldigten vom 9. Mai vorgeworfen werden. Die Zuordnung der vorgeworfen Taten erscheint somit völlig wahllos und daher konstruiert.
Der bislang erstellte Überblick zu den Ermittlungen zeigt einen teilweise erschreckenden Umfang der Überwachung und Ausforschung, welchem auch viele Menschen aus dem persönlichen Umfeld zum Teil über ein Jahr ausgesetzt waren und sind.
Telefone, nicht nur der Beschuldigten, wurden abgehört, e-mails und Internetzugänge wurden kontrolliert, Bewegung anhand von Peilsender und Handyortung aufgezeichnet, nicht zu sprechen von direkten Observationen zu beinahe allen Tages- und Nachtzeiten.
Doch damit nicht genug: Am 25. Juli kam es zusätzlich zu einer Zeug_innenvorladung der Bundesanwaltschaft beim LKA Kiel in Zusammenhang mit dem §129a Verfahren. Die geladene Genossin verweigerte in Absprache mit ihrem Anwalt die Aussage nach §55 (=persönliche Gefährdung durch Selbstbelastung) worauf die Bundesanwaltschaft ankündigte die Zulässigkeit dessen zu überprüfen.
Sollte die Aussageverweigerung so nicht anerkannt werden, droht eine weitere Vorladung der Bundesanwaltschaft, dann aber nach Karlsruhe, sowie Zwangsmaßnahmen in Form von Geldstrafen und unter Umständen auch Beugehaft bis zu einem halben Jahr. Fest steht, dass unsere Genossin in jedem Fall die Aussage verweigern wird.
Aber was ist passiert?
Im Februar 2002 wurde ein Brandanschlag auf ein Bundeswehrfahrzeug in der Nähe von Bad Oldesloe verübt. Im März 2004 ereigneten sich Brandanschläge auf Bundeswehrfahrzeuge und Rüstungszulieferer in Bad Oldesloe und Berlin. Im Juni, diesmal im Jahr 2006, fand ein Brandanschlag auf eine Firma für Schweißtechnik, der nachgesagt wurde sich an ausbeuterischen Unternehmungen im Sudan zu beteiligen statt. Bei den Anschlägen entstand jeweils Sachschaden, verletzt wurde niemand und Menschenleben waren zu keiner Zeit in Gefahr.
Eine Sonderermittlungsgruppe des LKA Schleswig-Holstein, nahm daraufhin die Ermittlungen auf. Die Ermittler_innen des LKA prüften nun, welche Handys in der Tatnacht in Bad Oldesloe eingeloggt waren. Ins Visier gerieten schnell zwei Bad Oldesloer Antifaschist_innen. Ihr Vergehen bestand darin, dass sie durch ihr antifaschistisches Engagement polizeibekannt waren und in der Tatnacht ihr Handy eingeschaltet hatten.
Den Bullen ist also weder der Inhalt der Gespräche noch der tatsächliche Standort der Gesprächsteilnehmer_innen bekannt. Es haben zwei Personen in ihrem Wohnort miteinander telefoniert und das ist Aufhänger der Ermittlungen!
Ebenso so schnell wurden von Seiten des Bundesinnenministeriums, die Anschläge, aufgrund angeblicher Übereinstimungen in den Bekennerschreiben, einer einzelnen Gruppe zugeordnet. Für ein Konstrukt über eine terroristische Vereinigung im Rahmen des Paragrafen 129a reichte dies allerdings noch nicht. Das BKA brauchte für diesen Weg mehr Personen, die sie den Beschuldigten als Mittäter_innen zuordnen konnten.
Bis Mitte Juni 2007 wurde der Personenkreis bis auf elf aufgestockt.
Dies legitimierte das BKA dadurch, dass Einzelpersonen sich persönlich kennen und in der linken Szene verkehren. Außerdem wird den Betroffen vorgeworfen konspirativ zu kommunizieren, wobei es hierfür schon genügte nicht über Straftaten am Telefon zu sprechen. Der Widerspruch dieser Argumentation wird schnell deutlich. Einerseits wird den Betroffenen vorgeworfen in der Tatnacht miteinander telefoniert zu haben, andererseits wird ihnen konspiratives Verhalten unterstellt. Weiterhin wird die antifaschistische Tätigkeit der Beschuldigten so umgedeutet, dass dieses nur zur Tarnung für eigentliche terroristischen Aktivitäten dienen würde.
Zusätzlich wurde im Nachhinein auch noch eine Überwachungspanne anlässlich einer Konferenz von Gipfelgegner_innen im November 2006, bei der alle polizeilichen Abhörregister gezogen wurden, so interpretiert, dass es ins Konstrukt passte. Aus der Tatsache heraus, dass sich keiner der Beschuldigen an der Konferenz beteiligt hatte, zogen die Ermittler_innen den Schluss, dass sie demonstrativ fernblieben, um terroristische Aktivitäten gegen den kommenden G8-Gipfel zu planen. Nur folgerichtig, holten Bundesanwaltschaft, BKA und die zuständigen LKA´s zum Schlag aus. Zwei Wochen nachdem G8-Gipfel wurden in Hamburg, Bad Oldesloe und Berlin ungefähr zwanzig Wohnungen, Arbeitstellen und linke Projekte durchsucht.
Einige Worte zu den Betroffenen
Es liegt nahe sich aus dem Wortlaut des §129a unter einer terroristischen Vereinigung eine feste, in sich geschlossene Gruppe vorzustellen. Aber in der Praxis sieht die Welt natürlich anders aus.
Die Betroffenen sind zum Teil recht wahllos zusammengewürfelt. Die Einen verbindet der gemeinsame Wohnort, andere haben freundschaftliche Bindungen.
Einige kommen aus der antifaschistischen oder autonomen Bewegung, weitere Personen haben sich seit Jahren aus der politischen Arbeit zurückgezogen.
Trotzdem stehen die Betroffenen gleichermaßen den Konsequenzen eines solchen §129a Verfahrens gegenüber – sei es durch den sozialen Druck sich vor Nachbar_innen, Eltern und Arbeitgeber_innen zu rechtfertigen, oder durch den materiellen Verlust von beschlagnahmten Gegenständen.
Erfreulich ist in diesem Zusammenhang das Verhalten einiger Bad Oldesloer Eltern und Bürger_innen die sich sehr deutlich auf der Seite der Betroffenen und des durchsuchten „Inihaus“ positionieren. Gerade dieses Verhalten hilft dem sozialen Stigma der „Terrorist_innen“, dessen Bedeutung in einer Kleinstadt sicherlich größer als in Hamburg oder Berlin ist, entgegen zu wirken.
Denn auch dieses vermeintliche Stigma ist Teil der Repression, oder wie lässt es sich sonst erklären, dass es die Bullen für nötig befinden eine ganze Woche lang immer wieder vor einem Elternhaus aufzukreuzen um Stück für Stück das beschlagnahmte Eigentum zurück zu bringen.
Da im Zuge der Durchsuchungen wie gesagt Computer, Telefone sowie Datenträger beschlagnahmt wurden, litten anfangs natürlich auch Teile der Kommunikations- und Recherchestrukturen der antifaschistischen Szene. Das Ziel der Repressionsinstanzen Kräfte zu binden und politisches Engagement zu verhindern ging allerdings nur teilweise auf. Eine der ersten Aufgaben der sich die Soliarbeit widmete war die schnelle Regeneration und das wieder ermöglichen der politischen Arbeit der betroffenen Recherchestrukturen, z.B. durch das umgehende Ersetzen von Computern.
Des Weiteren ließen sich auch die Betroffenen selbst, sowie ihr persönliches und politisches Umfeld, nicht von der Repression einschüchtern, sondern setzen ihre politische Arbeit in allen Bereichen fort. Und das ist auch der Punkt den wir hervorheben wollen.
Es geht nicht darum ab jetzt in Paranoia zu verfallen und den Verfassungsschutz an jeder Ecke zu vermuten. Natürlich ist es wichtig auf unsere Sicherheit zu achten, natürlich hat Politik nix am Telefon zu suchen, natürlich ist es sinnvoll Emails zu verschlüsseln und natürlich ist jedes Zusammenarbeiten mit den Repressionsorganen abzulehnen.
Aber das alles wird uns nicht davor schützen in den zweifelhaften Genuss einer politischen Verfolgung zu geraten.
Für viel wichtiger halten wir es wie die Szene auf solche Angriffe reagieren kann und was wir tun können um die Auswirkung auf die Betroffenen zu begrenzen.
Wir wünschen uns, dass den Betroffenen der Rücken gestärkt wird, unabhängig von politischen Unterschieden und Differenzen.
Wir wünschen uns eine konstruktive Auseinandersetzung mit Repression und ihren Folgen innerhalb bestehender Strukturen.
Wir wünschen, uns in unser aller Interesse, das wir einen offensiven, kämpferischen Umgang finden der dazu führt dass wir von Betroffenen zu Handelnden werden.
An dieser Stelle wollen wir uns bei allen bedanken die uns bisher unterstützt haben, sei es ideell, praktisch oder finanziell.
Für die Einstellung aller Verfahren!
Gegen den kapitalistischen Normalzustand!
Freiheit für Oliver, Florian und Axel!
Gemeinsames Spendenkonto für die Verfahren vom 9. Mai und 13. Juni
Rote Hilfe e.V.
Kto. Nr.: 191 100 462
BLZ: 440 100 46
Postbank Dortmund
Stichwort: Razzien 2007
Mehr Infos: soligruppenord.blogsport.de und soligruppe.blogsport.de
Sollte es in diesem Verfahren zu weiteren Vorladungen kommen, würden wir die Betroffenen bitten sich bei uns zu melden. Eure Soligruppenord
Soligruppe-nord@no-log.org (PGP unter Kontakt)