2007-11-11 

SVZ: Justiz stellt tausend G8-Verfahren ein

Sind viele Vorwürfe gegen vermeindlich gewalttätige G8-Demonstranten unbegründet? Von den 1232 bisher abgeschlossenen Strafverfahren wurden 1086 zumeist wegen Geringfügigkeit eingestellt.

ROSTOCK – Das Rostocker Amtsgericht sprach gestern einen 19-jährigen G8-Gegner frei. Dem Jugendlichen aus Göttingen war das Mitführen eines Plastikzahnschutzes auf dem Weg zur Demonstration vorgeworfen worden. Der Schutz sei nicht als passive Waffe zu werten, begründete die Richterin den Freispruch und folgte damit den Anträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung.

Nach Informationen aus dem Justizministerium sind bisher 1449 Strafverfahren gegen G8-Gegner bei der Rostocker Staatsanwaltschaft eingegangen. “Dabei geht es vorwiegend um Vorwürfe wie Landfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte”, sagte Ministeriumssprecher Torsten Diedrichsen.

Von den 1232 bisher von der Staatsanwaltschaft abgeschlossenen Fällen endeten nur 146 mit Anklagen oder Strafbefehlen. Der überwiegende Teil, 1086 Verfahren, wurde wegen Geringfügigkeit oder wegen fehlender Beweise eingestellt.

Bei der Polizei wertet seit dem Gipfel eine so genannte “Arbeitsgemeinschaft Folgemaßnahmen” Material von den G8-Protesten aus. “Wir rechnen damit, dass noch etwa 500 weitere Verfahren in den nächsten Wochen von der Staatsanwaltschaft übernommen werden”, so der Ministeriumssprecher.

Rechtsanwälte wie Doris Dierbach, stellvertretende Vorsitzende des Republikanischen Anwältevereins, kritisieren die Vorgehensweise der Strafverfolgungsbehörden gegen G8-Gegner ein halbes Jahr nach dem Gipfel als “offenkundig kleinlich”. Mit Strafanzeigen wolle die Polizei politisch Andersdenkenden die Lust am Demonstrieren nehmen, meinte Dierbach gegenüber unserer Zeitung. Ihre Rostocker Kollegin Verina Speckin stimmte zu: “Viele Vorwürfe gegen Demonstranten erweisen sich als haltlos.”.

Gegen Polizeibeamte wurden nach Ministeriumsangaben 67 Strafverfahren zumeist wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung eröffnet. Davon wurden 43 Verfahren inzwischen eingestellt. In einem Fall wurde gegen einen Beamten Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung erhoben. Die Anzeige kam von Kollegen.

www.svz.de