2007-11-11
»Out of Control« ist Kunst, Kultur und autonome Praxis im Elchtest mit dem Sicherheitsstaat. Eine neue Aktionsform die zur bundesweiten Demonstration am 15.12.07 in Hamburg zum ersten Mal in einem größerem Rahmen stattfindet. Der folgende Text versteht sich als Diskussionspapier und beleuchtet Hintergründe, Ziele und Ausrichtung.
Polizeispaliere und Wanderkessel sind bundesweit eine gängige Begleiterscheinung von Protesten. Doch vor allem in Hamburg besitzt diese Praxis, seit der Räumung des Bauwagenplatzes Bambule eine übersteigerte Form, durch ihre schiere Gigantomanie von aberwitzig großen Polizeiaufgeboten. Die Hamburger Linie versucht durch symbolisch überhöhte Polizeipräsenz, sowohl visuell als auch ganz handfest, eine autoritäre Botschaft zu vermitteln. Protest ist nur als zugestandene Spielwiese des behördlich Genehmigungsfähigen machbar und Widerstand selbstredend zwecklos. Tatsächlich kontrollieren die Spaliere und einschließenden Maßnahmen der Polizei zunehmend den Ort, das Tempo, die Dynamik, und Außendarstellung von Demonstrationen. Der Kern der Polizeistrategie liegt dabei in einer präventiven Kontrolle des Raumes. Überwachung mit Kameras spielt dabei ebenso eine Rolle, wie das Gefühl des eingeschlossen Seins und letztlich die allgegenwärtige und konkrete Bedrohung mit polizeilicher Gewalt. Mit verschiedenen Konzepten wurde in den letzten Jahren versucht diese Strategie zu durchbrechen. Selbstkritisch müssen wir aber eingestehen, es ist uns bisher nicht wirklich gelungen.
Um sich gegen Angriffe zu schützen und um eine offensive Ausrichtung der Demonstration möglich zu machen, wurde Ende der siebziger Jahre das Konzept des „schwarzen Blocks“ entwickelt. In Zeiten wachsender Militanz bot diese Form die notwendige Geschlossenheit für Aktionen nach außen und die selbstbewußte Vermittlung linksradikaler Inhalte. Er entwickelte dabei eine Anziehungskraft und Stärke die wiederum mobilisierend wirkte. Das Vermummungsverbot, die Aufrüstung der Polizei und die zunehmende Praxis der Einkesselung ganzer Demonstrationen waren die Antwort des Staates. Aus dem offensiven Charakter des schwarzen Blocks wurde zunehmen eine passive Veranstaltung und heute sind wir oftmals schon froh, wenn wir innerhalb des wandernden Polizeikessels, kleine Erfolge wie Seitentransparente oder Vermummung durchsetzen konnten. Doch die Transparente können nicht mehr gelesen werden, weil Bullen vor ihnen stehen und wir verstecken uns mehr dahinter, als wir sie als Ausgangspunkt für Bewegung benutzen.
Manche vermeintlich erfolgreiche Demo, weil eingeseilt und mit Transparenten wie von Gartenzäunen umgeben, hat durch ihre introvertierte Form wohl mehr an einen mobilen Schrebergarten voller wütender aber hilfloser Zwerge, als an radikalen Protest erinnert. Die Form ist ein wenig zum Selbstzweck geworden und das erhalten der Form scheint oft schon als erfolgreicher Widerstandsakt wahrgenommen zu werden, während zunehmend unbeantworteter bleibt welche politischen und praktischen Ziele wir mit Demonstrationen über diese hinaus erreichen wollen.
Wir wollen sicher nicht die Praxis des schwarzen Blockes schlecht reden. Wir verstehen uns selbst als Teil dieses Konzeptes und auch heute bietet er Ausgangspunkte die wir für richtig und wichtig halten. Trotz aller notwendigen Selbstkritik halten wir diese Form der Demonstration auch in Zukunft für notwendig um die potentielle Option auf offensivere Aktionen und Strategien zu erhalten. Gleichzeitig dürfen wir die Augen jedoch auch nicht vor der Realität verschließen, dass offensive Ausrichtungen unter den derzeitigen Bedingungen, meist mehr Lippenbekenntnis als Praxis und mehr Showeffekt als kollektiver Widerstand bleiben. Die internationale Demo in Rostock zum G8 mag unter besonderen Bedingungen die unerwartete Ausnahme der Regel bedeutet haben. Doch der Krawall fiel wie so oft in der linksradikalen Geschichte eher vom Himmel als das er wirklich kollektiv bestimmt war, begünstigt durch ein provozierendes und eskalierendes Verhalten der Polizei, das jedoch gleichzeitig aufgrund der zu erwartenden Größe der Demo schon von vorneherein auf eine absolute Kontrolle des Raumes verzichtetet hatte. In Rostock wurde von Seiten der Polizei so ziemlich alles falsch gemacht was falsch gemacht werden konnte. Dies sollte nicht in selbstüberschätzender Weise über den mühsamen, bitteren und oft entwaffnenden Demoalltag hinweg täuschen. Unsere Demonstrationskultur bewegt sich trotz gelegentlicher Highlights nicht unbedingt im Vorwärtsgang.
Wir bewegen uns häufig in der paradoxen Situation, dass die Praxis eines geschlossenen Blocks als Selbstschutz, für die von den Bullen angestrebte Kontrolle des umgebenden Raumes arbeitet. Je dichter wir stehen, je weniger Chaos auf unserer Seite umso kontrollierbarer das Ereignis für die Polizei. Die Polizei arbeitet beweglich von Außen während wir uns nach Innen zurückziehen und mit Geschlossenheit antworten. Um die Stärke der äußeren Position wirklich auszunutzen bedarf es aber zum einen große Polizeiaufgebote, zum anderen die absolute Hoheit über den Ort des Geschehens. Denn die Polizei arbeitet dabei mit einem vergleichsweise schwerfälligen und hierarchischen Apparat der zwar gut funktioniert solange er kompakt ist, der aber die Tendenz hat uneffektiv zu werden und wie ein gestrandeter Wal zu wirken, wenn er die Initiative erst mal verliert. Darin liegt möglicherweise eine Schwäche die wir ausnutzen wollen und die unsere Stärke werden könnte.
»Out of Control« zielt in die Weite des Raumes und ist subversive Zerstreung als wirkungsvolles Mittel gegen einschließende Begleitung der Polizei. Es versteht sich als ein offenes und niedrigschwelliges Konzept des zivilen Ungehorsams. Alle sollen nach ihren Vorstellungen daran teilnehmen können. Es ist vielseitig bietet Raum für Kunst, Kultur, politische Intervention oder autonome Praxis. Es setzt auf unsere Beweglichkeit und Spontanität, lebt von Gewusel und unwiderstehlichem Chaos. Es ist keine feste Gruppe und kein fertiges Konzept, sondern eine Art offenes Label. Eine Einladung an alle, die sich der polizeilichen Sicherheitsarchitektur entziehen wollen.
»Out of Control« ist ein solidarischer Teil der eigentlichen Demonstration und umgibt diese wie ein wuseliger Mantel. Die Demo ist geschlossen, im Block und offensiv. »Out of Control« so nah wie möglich an der Demonstration, aber immer im Rücken der begleitenden Polizeikräfte. Im besten Fall entsteht durch Parolen, Transparente, Aktionen oder Musik eine gemeinsame Interaktion. Die Demo nutzt die Räume die entstehen, wenn das begleitende Spalier auf »Out of Control« reagiert und umgekehrt. Wird Spalier gegangen, gehen wir am Rand neben dem Spalier, wird das verhindert ziehen wir durch die Seitenstraßen und suchen die Lücken, wird die Demo gestoppt, sammeln wir uns hinter der Sperre und unterstützen somit die ersten Ketten. Ziel ist die Demo zu stärken, eigene Interventionsformen zu entwickeln und vor allem der Polizei die absolute Kontrolle über das Geschehen zu entziehen.
Wenn hunderte Polizist_innen mit Panzern und Wasserwerfern in den Straßen aufmarschieren dann demonstriert der Staat sein Gewaltmonopol. Im Stil einer militärischen Parade wird Potenz und Macht dargestellt, die die herrschenden Verhältnisse schon präventiv absichern soll. Wenn wir diese Inszenierung mit einem eigenen Bühnenbild in direkter Art und Weise angreifen, dann geht es nicht nur darum, wieder die Initiative auf unseren Demonstrationen zu erlangen, sondern auch darum einen visuellen Bruch herzustellen, der normierte Wahrnehmungen und Sehgewohnheiten aufbricht. Der uns allen im Erfolgsfall möglicherweise eine bemerkenswerte Erkenntnis verleiht. Widerstand ist möglich! Das starre Aufgebot der Repression besitzt letztlich eine zu begrenzte Kapazität und viel zu viele Lücken um einen Widerspruch zu bändigen, der die gewohnten Pfade der Ordnung verlässt. Probieren wir es doch einfach aus...
Laßt euch nicht erwischen!
Weg mit dem §129a – Einstellung aller Verfahren!
Move »Out of Control« - Beteiligt euch an der Demo in Hamburg!
AK Out of Control,
Hamburg 7. 11.07