2007-11-10
Ver.di kritisiert Postdurchsuchung bei Zeitungen als »unverhältnismäßig«. Ein Gespräch mit Andreas Köhn
Interview: Claudia Wangerin
Andreas Köhn ist stellvertretender Landesbezirksleiter der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Berlin-Brandenburg
Nach ver.di-Informationen hat das Bundeskriminalamt vom 18. bis 22. Mai die Post der Tageszeitungen Berliner Morgenpost, BZ, Tagesspiegel und Berliner Zeitung kontrolliert. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat die Maßnahme wegen der vorliegenden richterlichen Beschlüsse als »formal korrekt« bezeichnet. Wie sehen Sie das?
Das ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Als formal korrekt würde ich es nicht bezeichnen, wenn ein Gericht unter Mißachtung der Verhältnismäßigkeit beschließt, den Informantenschutz auszuhebeln. Wenn über einen Zeitraum komplette Postsendungen beschlagnahmt werden, so daß die Zahl der Briefe in die Tausende geht, kann von Verhältnismäßigkeit keine Rede mehr sein. Das Problem verschärft sich mit der Gesetzesvorlage von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die auf noch viel weitergehende Möglichkeiten der Überwachung abzielt, als sie schon durch solche Ermittlungsbeschlüsse des Bundesgerichtshofes (BGH) vorhanden sind. So wird die Pressefreiheit in Deutschland auf den Kopf gestellt.
Wie erklären Sie sich, daß linke Zeitungen wie junge Welt und Neues Deutschland – oder auch solche mit linkem Image wie die taz – scheinbar nicht betroffen waren?
Erklären kann ich es nicht. Der Ermittlungsbeschluß des BGH bezieht sich nur auf die genannten vier Zeitungen und diesen Zeitraum. Das heißt aber nicht, daß es keine anderen Ermittlungsbeschlüsse, zum Beispiel längerfristige, gibt.
Denken Sie, daß solche Maßnahmen auch ohne richterliche Zustimmung ergriffen werden?
Im bekanntgewordenen Fall sind die vier betroffenen Verlage noch nicht einmal davon in Kenntnis gesetzt worden, insofern ist das durchaus vorstellbar. Es ist nicht auszuschließen, daß bestimmte Medien – wie taz, junge Welt oder Neues Deutschland – unter dauernder Postbeobachtung stehen. Ob es nun formaljuristisch gedeckt ist oder nicht.
Halten Sie das nur für möglich, oder würden Sie sogar davon ausgehen?
Von der Logik her würde ich davon ausgehen. Die Kollegen von der taz haben sich sogar bei uns beschwert, weil die dachten, wir hätten sie in unserer Presseerklärung vergessen. Aber wir konnten ihnen nur sagen, daß sie speziell in diesem Ermittlungsbeschluß nicht vorkommen. Ich halte es aber keineswegs für unrealistisch, daß es Vorratsbeschlüsse gegen bestimmte Zeitungen gibt. Das sollte aus meiner Sicht dringend mal bei der Bundesanwaltschaft eruiert werden. Theoretisch wäre die auskunftspflichtig, wenn es kein laufendes Ermittlungsverfahren gibt.
Wie leicht gerät man ihrer Kenntnis nach ins Fadenkreuz der Ermittler?
Manchmal genügt die verwendete Sprache. Seit September 2006 wird gegen vier Personen im Zusammenhang mit der »militanten gruppe« (mg) ermittelt. Die sind in das Raster der Fahnder geraten, weil sie in Texten, die öffentlich im Internet zugänglich sind, bestimmte Wörter oder Formulierungen verwendet hatten, die auch in Bekennerschreiben der »mg« vorkamen. Dazu zählte das Wort Prekarisierung – und wenn das ein Kriterium ist, dann stehen zumindest die Gewerkschaften unter Generalverdacht. Die Prekarisierung der Gesellschaft ist eines unserer Kernthemen.
Können Sie weitere Beispiele nennen?
Als Normalbürger müssen Sie sich nur online über die aktuellen Fahndungen des BKA informieren. Im März 2007 schaltete das BKA zum Beispiel eine Homepage zur »mg«. Nach seiner Logik müßten sich unter den Usern auch die Gesuchten befinden, weil diese sicherlich wissen wollten, was die Ermittler über sie schreiben. Vom 28. März bis 18. April wurde nach Informationen der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) in ver.di Berlin-Brandenburg jeder registriert, der die Seite besuchte. Ausgewertet wurden 417 IP-Adressen. Zum Teil konnte das BKA anhand der Adressen bereits Verlage, Universitäten und Firmen isolieren. Wo dies nicht möglich war, wurde zum Beispiel bei der T-Com um Hilfe gebeten. Dabei sollte die Polizei eigentlich dankbar sein, wenn sich die Öffentlichkeit für ihre Fahndungsaufrufe interessiert. Durch die Vorratsdatenspeicherung wird diese Form der Ermittlung noch gefährlicher für die Allgemeinheit.