2007-11-07 

Italien: Prozesse gegen Globalisierungskritiker sechs Jahre nach dem G-8-Gipfel in Genua. Ein Gespräch mit Mirko Mazzali

»Das Urteil hätte schwere Folgen für die Angeklagten«

Björn Resener
Mirko Mazzali ist Anwalt. Er vertritt zwei der 25 Angeklagten, denen »Verwüstung und Plünderung« im Rahmen der Proteste gegen den G-8-Gipfel im Sommer 2001 in Genua (Italien) vorgeworfen wird. Für internationales Aufsehen hatte damals die Polizeibrutalität gesorgt. Demonstrationen wurden angegriffen und der 23jährige Carlo Giuliani wurde bei den folgenden Auseinandersetzungen von der Polizei erschossen.

Bild: Genua

Ihre Mandanten stehen zur Zeit im Zusammenhang mit den Protesten gegen den G-8-Gipfel 2001 in Genua wegen »Verwüstung und Plünderung« vor Gericht. Um was für einen Paragraphen handelt es sich dabei?

Es handelt sich um den Artikel 419 des italienischen Strafgesetzbuches, der ein Strafmaß von acht bis 15 Jahren Haft vorsieht. Er entstammt dem Codice Rocco. Artikel wie »Verwüstung und Plünderung« sollten Überfälle fremder Truppen auf italienische Städte rechtlich verfolgbar machen. Der Artikel 419 ist damals jedoch nur sehr selten angewandt worden.

Wie ist der Vorwurf gegen die 25 angeklagten Globalisierungskritiker zu bewerten?

Unter juristischen Gesichtspunkten ist diese Anklage völlig absurd. Nicht einmal 1977 und in den folgenden heißen Jahren, als es Demonstrationen gab, auf denen geschossen wurde, kam dieser Artikel zur Anwendung. Dies war angesichts seiner ursprünglichen Intention auch absolut richtig.

Was für ein Strafmaß wird für Ihre Mandanten gefordert?

Sechs Jahre und acht Monate Haft für den einen sowie 16 Jahre Haft für die andere. Sie werden, neben diversen Einzeldelikten, vor allem der Mitgliedschaft in einer nichtexistierenden Vereinigung namens »Black Bloc« beschuldigt. Diese wiederum soll die Stadt Genua verwüstet und in Brand gesteckt haben.

Welche Folgen hätte eine Verurteilung nach Artikel 419?

Das wäre wirkliches Unrecht mit schwerwiegenden Folgen für die Verurteilten. Zudem wäre hiermit ein Präzedenzfall geschaffen, der weiterem Unrecht Vorschub leisten würde. Das Problem mit dem Artikel 419 ist, daß keinesfalls definiert wurde, was unter »Verwüstung und Plünderung« genau zu verstehen ist. Das Einwerfen eines Schaufensters wird normalerweise als Sachbeschädigung geahndet. Wird daraus »Verwüstung und Plünderung« gemacht, stehen schnell mehrere Jahre Gefängnis zur Debatte.

Auf die Angeklagten kommen auch zivilrechtliche Entschädigungsforderungen zu. Worum geht es dabei?

Der italienische Staat will finanzielle Entschädigung, und zwar hauptsächlich für den Imageverlust, den er im Sommer 2001 erlitten hat. Meiner Meinung nach sollten diese Forderungen an die Ordnungskräfte gestellt werden, die in aller Öffentlichkeit Demonstranten zusammengeschlagen haben.

Damals Festgenommene berichteten immer wieder von Folter und faschistischen Liedern, die von den Beamten auf den Wachen gesungen wurden. Den Einsatz gegen schlafende Gipfelgegner in der Diaz-Schule bezeichnete selbst ein leitender Polizeibeamter in einem anderen Prozeß als »Gemetzel«. Spielt das eine Rolle in den zur Zeit laufenden Verfahren gegen Gipfelgegner?

Die Anklage will diese Sachverhalte voneinander trennen. Ihrer Meinung nach gibt es keinen Zusammenhang zwischen den Polizeiangriffen auf angemeldete und genehmigte Demonstrationen und den darauf folgenden Reaktionen.

Mit dem Vorwurf der »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« (Paragraph 129a des Strafgesetzbuches) wurden im Rahmen des G-8-Gipfels auch in Deutschland absurde Verfahren gegen politische Aktivisten erhoben. Sehen Sie Parallelen?

Juristisch gibt es kaum Parallelen, weil dem deutschen Paragraphen 129 in der italienischen Rechtsprechung eher der Artikel »subversive Vereinigung« entspricht. Vom Strafmaß ist der Artikel »Verwüstung und Plünderung« nebenbei bemerkt noch schwerwiegender. Politisch hingegen ist die Parallele offensichtlich. Nicht opportune Meinungen sollen unterdrückt werden. Es geht darum, Angst zu machen und die Leute davon abzuhalten, auf die Straße zu gehen und zu protestieren.

Für den 17. November sind in Genua und in Rostock Demonstrationen in Solidarität mit den Angeklagten und gegen Polizeigewalt angekündigt, weitere Informationen: www.gipfelsoli.org/Home/Genua_2001

[http://www.jungewelt.de/2007/11-06/027.php]